Naturhistorica 160 (2018)

Naturhistorica 160 (2018)

Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland Abgetaucht: Ur-Nordsee im Oligozän Schwierig: Moschusochsenschädelvergleiche Selten: Plesiosaurierfunde in Hildesheim Verflogen: Huhn mit Migrationshintergrund 160 · 2018 Ausgabe 160 2018 Herausgegeben von der Naturhistorischen Gesellschaft Hannover Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER Ausgabe 160 (2018) Erschienen 2019 Hannover · Germany ISSN 1868-0828 www.Naturhistorica.de Herausgeber Naturhistorische Gesellschaft Hannover Redaktion Dieter Schulz Lektorat Franz-Jürgen Harms (Geowissenschaften) Hansjörg Küster (Botanik und Ökologie) Annette Richter (Paläontologie, Geologie, Zoologie) Dieter Schulz (Biologie) Für den Inhalt der Beiträge sind die Autoren verantwortlich. Design, Satz, Umschlag Matthias Winter, vemion.de Druck Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Umschlagbild Duderstadt © 12019 · pixabay Bild S. 1 Plesiosaurierzahn © Sven Sachs, Christian J. Nyhuis © Naturhistorische Gesellschaft Hannover Gesellschaft zur Pflege der Naturwissenschaften Willy-Brandt-Allee 5 30169 Hannover Germany E-Mail: [email protected] www.N-G-H.org Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 ·2018 Dieter Schulz Vorwort 5 Josef Paul Subrosionssenken zwischen Harz und Leine-Bergland (Känozoikum, Niedersachsen) 7 Lea Weßel Die Oligozän-Sammlung Harms des Landesmuseums Hannover Ein Tauchgang durch die Ur-Nordsee 43 Jannik Weidtke Moschusochsenschädel (Ovibos moschatus) aus dem Landesmuseum Hannover und dem Dinopark Münchehagen – Vergleich und Interpretation 69 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim 115 Burkhard Schäfer Schottisches Flugwild in Ostfriesland Ein Beitrag zur frühen Geschichte des Knyphauser Waldes 129 Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018 4 Aufstellung des Schweden-Findlings am Deisterkamm am 6. Mai 2018 136 Exkursionsberichte 139 Ein Idyll in der (Groß)stadt. „1001 Rosenblüte in einem Stadtgarten in Ricklingen“ (2. und 30. Juni 2018) 148 „Geest, Marsch, Watt und Meer – Nordsee, Weser und Elbe bei Cuxhaven“ (15. – 17. Juni 2018) 154 „Von Hexen, Teufeln und romanischen Kirchen im Harzvorland bei Quedlinburg“ (11. August 2018) 156 „Lüneburg – eine Perle unter den Hansestädten. NatUrgeschichtliche Exkursion VIII“ (1. September 2018) 158 „Von der Rübe zum Kristallzucker in nur 12 Stunden – Die Zuckerfabrik Nordstemmen“ (6. Oktober 2018) Nachruf Heiner Engel (21.3.1959 – 5.12.2017) 162 Die Naturhistorische Gesellschaft Hannover 164 Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018 115 Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim Sven Sachs, Christian J. Nyhuis Zusammenfassung Plesiosaurier-Reste aus dem Mittleren vermutlich ebenfalls von einem Vertreter Jura der Tongrube Temme in Hildesheim diese Gruppe. Weitere isolierte Cervical- werden beschrieben. Das Material umfasst wirbel können cryptoclididen Plesiosauri- einen großen unvollständigen Zahn sowie ern zugeordnet werden. Die Hildesheimer diverse postcraniale Reste. Eine sichere Reste ergänzen die spärlichen Plesiosauri- Zuordnung zur Gattung Liopleurodon ist er-Funde aus dem Mittleren Jura Deutsch- für den Zahn möglich. Isolierte Cervical- lands. Nach Kenntnis der Autoren sind das wirbel zeigen typische Merkmale der Fa- die ersten Belege dieser Gruppe aus dem milie Pliosauridae, und ein unvollständiges Mittleren Jura von Niedersachsen. distales Ende eines Propodiums stammt Abstract Plesiosaurian remains from the Middle large, incomplete tooth and a number of Jurassic of the claypit Temme in Hildes- postcranial remains. Only the tooth could heim (Lower Saxony, northern Germa- unambiguously be referred to the genus ny) are described. The material includes a Liopleurodon. Isolated cervical vertebrae Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018 116 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis show typical features of pliosaurids and Hildesheim supplement the sparse record an incomplete distal end of a propodial of this group from the Middle Jurassic of might likewise derive from a member of Germany. Furthermore they are the first this group. Further isolated cervical verte- such finds from the Middle Jurassic of the brae can be referred to cryptoclidid plesio- federal state of Lower Saxony. saurians. The plesiosaurian remains from Einleitung Marine Reptilien sind in den meisten (z. B. Hermann 1907; von Huene 1934; Stufen des Mittleren Jura selten (z. B. Bu- Schatz 1982; Michelis et al. 1996; Metz- chy 2004; Sachs & Hornung 2015). Eine dorf 1997; Schatz 2010). Ausnahme bildet jedoch das Callovium. Eine Gruppe der marinen Reptilien sind Aus dieser Stufe, speziell aus der Oxford die Plesiosaurier. Sie traten erstmals in der Clay Formation von Großbritannien, sind Obertrias in Erscheinung, sind bis in die mehrere Funde bekannt (z. B. Andrews obere Oberkreide dokumentiert und hat- 1910, 1913). In Deutschland sind entspre- ten eine globale Verbreitung (Ketchum & chende Reste bisher primär aus der Or- Benson 2010). Der Körperbau der Plesio- natenton-Formation beschrieben worden saurier war vollständig an die aquatische Abb. 1 A Umrisskarte der Bundesrepublik Die Fundschicht ist mit Stern gekennzeichnet Deutschland, die den Fundort Hildesheim zeigt (nach Mönnig 1995). (Stern), B Stratigrafie der Tongrube Temme. Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018 Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim 117 Lebensweise angepasst, was durch die Um- hierbei um Altfunde aus den Sammlungen wandlung ihrer Extremitäten in Paddel zu des Roemer-Pelizaeus Museums in Hil- erkennen ist (Sachs & Nyhuis 2015). desheim (RPMH), sowie des Instituts für Aus dem Mittleren Jura von Deutsch- Geowissenschaften der Universität Tübin- land sind bislang nur wenige Plesiosau- gen (GPIT). Die genauen Fundumstände rier-Funde bekannt (von Huene 1934; sind nicht bekannt. Obwohl nur unvoll- Wellnhofer 1970; Michelis et al. 1996; ständig erhalten, lohnt es sich, die Funde Buchy 2004; Sachs & Hornung 2015). In aus Hildesheim zu beschreiben, denn sie der vorliegenden Arbeit werden entspre- bieten die Gelegenheit, unsere Kenntnis chende Reste aus dem Mittleren Jura von über die Plesiosaurier des Mittleren Jura Hildesheim beschrieben. Es handelt sich Deutschlands zu ergänzen. Fundstelle und Geologie In der ehemalige Tongrube Temme süd- Aspidoides-Ton (Ober-Bathonium) bis in lich der Stadt Hildesheim (Abb. 1) am die obere Siltsteinfolge der Ornatenton- Westrand des Galgenberges gelegen (52° Formation (Unter-Callovium) (Menzel 8'16.27"N, 9°58'27.08"E) wurden Tone 1901). des Mittleren Jura abgebaut. Der ers- Der mutmaßliche Fundpunkt des hier te Tonabbau erfolgte im Jahre 1856. 1914 beschriebenen Zahnfragments befindet wurde der Abbau in der „Alten Tongru- sich innerhalb der Macrocephalen-Schich- be“ aufgeben und die Tongewinnung be- ten des Unter-Callovium. Die Macro- gann in der ca. 200 m südöstlich gelegenen cephalen-Schichten werden durch eine „Neuen Tongrube“, südlich der Bromber- nicht mehr als 3 m mächtige Abfolge von ger Straße. Gegen Ende der 1970er-Jah- braunen Tonen gebildet. Sie gelten als ein re wurde der Betrieb schließlich einge- Leithorizont innerhalb der Ornatenton- stellt. Die alte Tongrube ist heute verfüllt Formation. Ihre Liegend- und Hangend- und die neue Tongrube steht unter Was- grenze wird jeweils durch eine Geodenlage ser. Die ca. 100 m mächtige Schichtenfol- definiert (Mönnig 1995). ge beider Tongruben reichte vom obersten Systematische Paläontologie Sauropterygia Owen, 1860 Beschreibung: Der erhaltene 78 mm Plesiosauria de Blainville, 1835 hohe Teil des Zahns umfasst den größ- Pliosauroidea Seeley, 1874 ten Teil der Krone, sowie den oberen Teil Pliosauridae Seeley, 1874 der Wurzel. Der Apex des Zahnes fehlt allerdings. Die Krone ist nach lingual ge- Liopleurodon Sauvage, 1873 krümmt und besitzt somit eine konvexe la- Liopleurodon sp. biale und eine konkave linguale Seite. An der Basis der Krone ist der Zahnschmelz Material: RPMH ohne Nummer. Un- beschädigt, dennoch ist zu erkennen, dass vollständiger Zahn (Abb. 2 A – F). dieser auf der lingualen Seite weiter nach Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018 118 Sven Sachs, Christian J. Nyhuis Abb. 2 Unvollständige Zahnkrone von Liopleuro- E apikaler und F basaler Ansicht. don sp. (RPMH ohne Nummer) in A lingualer, Abkürzungen: ca – Carina; nk – Nervenkanal; B seitlicher (mesialer oder distaler), C labialer sl – Schmelzleisten. und D seitlicher (mesialer oder distaler), Der Maßstab entspricht 5 cm. basal reichte. Sowohl an der apikalen B, D), die sich von dem basalen Ende der Bruchfläche (Abb. 2 E), als auch am un- Krone bis zur apikalen Bruchfläche zie- teren Ende besitzt die Krone einen fast hen. Da es nicht klar ist, ob der Zahn aus runden Querschnitt (Abb. 2 F). Der Zahn- dem Ober- oder Unterkiefer stammt, kann schmelz trägt je eine kräftige Carina auf nicht mit Sicherheit ermittelt werden, wel- der mesialen und distalen Seite (Abb. 2 ches die mesiale oder die distale Seite ist. Naturhistorica BERICHTE DER NATURHISTORISCHEN GESELLSCHAFT HANNOVER 160 · 2018 Plesiosaurier-Funde aus dem Mittleren Jura von Hildesheim 119 Eine der beiden Carinae befindet sich in zuordnen (vgl. Andrews 1913; Knutsen der Mitte der mesialen/distalen Seite der 2012). Aus dem Mittleren Jura Europas Krone (Abb. 2 D), die zweite ist etwas wei- sind bisher sechs valide Pliosaurier-Gat- ter labial lokalisiert (Abb. 2 B). Auf der tungen

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