Wirtschaft MUSIKINDUSTRIE Das Ende der Anarchie Die Allianz zwischen Bertelsmann und der Internet-Tauschbörse Napster könnte den elektronischen Handel revolutionieren. Künftig wollen die Anbieter für Musik – und später auch für Texte, Bilder und Filme – Geld verlangen. Aber werden die Nutzer auch zahlen? n den Bars seiner Heimatstadt Brock- Die Dynamik, mit der sich Napster ver- Dazu wird es wohl nicht kommen. Am ton bekommt Shawn Fanning noch nicht breitet hat, ist beispiellos, die Probleme Dienstag vergangener Woche gab der Ber- Ieinmal ein Budweiser. Mit seinen 19 Jah- sind es allerdings auch: Die großen Musik- telsmann-Konzern in New York überra- ren ist der Studienabbrecher nach den Ge- konzerne fühlen sich durch Fannings Ak- schend eine Allianz mit Napster bekannt. setzen des US-Bundesstaates Massachusetts tivitäten in ihrer Existenz bedroht – und Der Medienriese will sich an dem Tausch- zu jung, um ein Bier bestellen zu dürfen. überzogen ihn mit Urheberrechtsklagen. ring beteiligen und bekommt so auf einen Doch er ist alt genug, um weltweit die Für kurze Zeit musste der Dienst sogar Schlag Zugriff auf Millionen potenzieller Musikindustrie zu erschüttern. eingestellt werden, denn was Napster Kunden. Bertelsmann will den Charakter Vor anderthalb Jahren hat Fanning harmlos „file sharing“ (Daten miteinander von Napster als Tauschbörse bewahren, Napster erfunden, einen Musikbasar, auf teilen) nennt, ist für die meisten Enter- mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dem Internet-Nutzer kostenlos Songs ih- tainment-Konzerne nichts anderes als kri- dass künftig für den Erhalt von Musik ge- rer Lieblingsbands tauschen können. Mit minelles Raubkopieren. zahlt werden soll. seinem Projekt hat der junge Hobby- Dabei hat Napster bisher keinen Weg Das aber kann nur funktionieren, wenn Programmierer eine Entwicklung in Gang gefunden, mit dem eigenen Angebot Geld neben der Bertelsmann-Musiktochter gesetzt, die selbst nach den Maßstäben des zu verdienen. Hätte nicht der Wagnis- BMG auch die anderen Musikgiganten Internet mehr als erstaunlich ist. kapital-Geber John Hummer im Mai (Universal, Sony, EMI und Warner) bei Mit fast 40 Millionen Mitgliedern ist 15 Millionen Dollar investiert und einen Napster mitmachen, also ausgerechnet Napster inzwischen die größte und am neuen Vorstandschef, den Silicon-Valley- an jener Plattform, die sie bisher mit schnellsten wachsende Gemeinschaft, die Anwalt Hank Barry, eingesetzt, wäre die allen juristischen Mitteln zu bekämpfen es im Netz gibt. Jeden Tag kommen 200000 Tauschbörse wohl längst am Ende. „Be- versuchen. neue Surfer dazu. Nie zuvor hat jemand so vor Napster geschlossen wird“, drohte Doch die gemeinsame Front der Musik- viele Mitglieder in so kurzer Zeit gewon- Hummer damals den Musikbossen, „muss Majors zeigt schon länger feine Risse. Den nen – ohne Werbekampagne, nur durch man es von meinen kalten, toten Fingern misstrauischen Topmanagern der interna- Mundpropaganda. kratzen.“ tionalen Musikindustrie war nicht entgan- Popstars Jennifer Lopez, Courtney Love, Robbie Williams: „Bevor Napster geschlossen wird, muss man es von meinen kalten, toten Fingern kratzen“ T. BERGSACKER / CORBIS SYGMA (li.); P. MACDIARMID (re.) MACDIARMID (li.); P. / CORBIS SYGMA BERGSACKER T. AP ter-User als Kunden halten könnte: „Sind das alles Kriminelle? Es sind vor allem un- sere Kunden!“ Die Signale wurden in Palo Alto ver- standen. In Dutzenden von Gesprächen an verschiedenen Orten der USA einigten sich Barry und Schmidt in den vergangenen Wochen auf die Grundzüge des Deals. Der eigentlich zuständige Vorstand, BMG-Chef Michael Dornemann, spielte bei den Verhandlungen keine nennenswerte Rol- le. Seine Ablösung an der Spitze der Bertelsmann-Musiksparte steht unmittel- bar bevor. Das „Projekt Thunderball“, so der in- terne Codename, ist weit mehr als nur ei- ner der millionenschweren Beteiligungs- deals, wie ihn die Gütersloher derzeit beinahe jede Woche mit Internet-Firmen abschließen. Vorstandschef Middelhoff hat sich auf eine gigantische Wette eingelassen. Wenn er gewinnt, könnte er dem elektronischen Handel eine neue Richtung geben. „Wir sind wirklich begeistert“, schwärmte Star- Analystin Mary Meeker von der Invest- mentbank Morgan Stanley Dean Witter in M. RICHARDS / CONTACT / AGENTUR FOCUS / AGENTUR M. RICHARDS / CONTACT einer ersten Stellungnahme. Falls Middelhoffs Rech- KÜNFTIG nung aufgeht, wäre der Be- Napster-Gründer Fanning Aus den Mitgliedsbeiträgen werden weis geführt, dass auch mit 38 Millionen Anhänger ohne Werbekampagne die Tantiemen an Künstler und digitalisierten Konsumgü- Neues Geschäfts- Plattenfirmen gezahlt. tern Geschäfte zu machen modell für Napster sind: mit Musik, Bildern, Übertragung Austausch von Musik- der Rechte Texten, Spielen und Fil- gen, wie sich Bertelsmann-Chef Thomas dateien im Internet PLATTEN- men, die sich der Verbrau- Middelhoff um ihren gemeinsamen Feind FIRMEN cher direkt auf den Rech- Tantiemenzahlung Fanning bemühte. Beim jährlichen Treffen TEILNEHMER ner laden kann. der Medienbosse im Juli in Sun Valley MUSIKER Dagegen würde der bis- (Idaho) hatte sich Middelhoff demonstrativ her übliche Versand von Annahme NAPSTER Mitglieds- neben dem Napster-Gründer platziert. und Weiter- beiträge Büchern, Videos oder „Thomas, du sitzt auf der falschen Seite“, leitung von CDs, die über das Netz le- frotzelten die Kollegen. Der Bertelsmann- Adressen TEIL- diglich bestellt, aber per Chef blieb sitzen. NEHMER Post ausgeliefert werden, Austausch Immer wieder hatte Middelhoff ver- von Musik- wie ein überholtes Ge- sucht, die anderen Musikkonzerne für eine dateien schäftsmodell wirken. gemeinsame Online-Initiative zu gewin- Der Einsatz ist ver- nen. Anfang August traf er sich in gleichsweise gering: Ber- BISHER TEILNEHMER New York mit dem Seagram-Boss Edgar telsmann gibt dem angeschlagenen Unter- Bronfman, dessen Medienbeteiligungen Napster verwaltet Adressen und Musikdateien nehmen einen Kredit in Höhe von 50 wie Universal Music („Bon Jovi“, „U 2“) seiner Teilnehmer. Die Nutzer tauschen diese Millionen Dollar. Dafür bekommt es die untereinander aus. inzwischen von dem französischen Option, sich mehrheitlich zu beteiligen. Mischkonzern Vivendi geschluckt worden Das allerdings geschieht nur, sofern der sind. Doch Bronfman, einer der Wortfüh- später in ein benachbartes Café wech- schwelende Rechtsstreit zwischen Napster rer der amerikanischen Musikindustrie, selten. Beim großen Café Latte wurden und dem Rest der Musikindustrie beige- blieb stur. Eigene Modelle hatte er nicht an- sich Schmidt und Barry einig: Gemeinsam legt wird. zubieten. wollte man versuchen, einen Deal auszu- Noch sind die Kernfragen, die über Er- Middelhoff gab fast schon die Hoffnung arbeiten. folg oder Misserfolg des Projekts entschei- auf, sich mit den Musikkonzernen noch zu In der Woche darauf signalisierte Mid- den, nicht geklärt: Wie genau soll das neue einigen. Ernüchtert genehmigte er Andreas delhoff öffentlich, dass bei Bertelsmann ein Geschäftsmodell aussehen? Auf welche Schmidt, dem Chef der Bertelsmann-E- Stimmungsumschwung stattgefunden hat- Weise wird künftig das Raubkopieren ver- Commerce-Group, mit den Napster-Leuten te. Auf der Kölner Musikmesse Popkomm hindert? Mehr noch: Wie viele Mitglieder Kontakt aufzunehmen. kritisierte er, die Musikindustrie habe auf der 38-Millionen-Gemeinde sind wirklich Bereits wenig später, am 12. August, saß die Herausforderungen durch Napster und bereit, für Musikstücke nun plötzlich zu Schmidt im kalifornischen Palo Alto in ei- Co. nicht mit einer „Nach-Vorne-Strate- zahlen? Ist die Zeit des wilden Datenklaus nem kleinen Konferenzraum Napster-Vor- gie“, sondern nur mit einer „Abwehrhal- endgültig vorbei? standschef Barry gegenüber. Die Atmo- tung und Distanz“ reagiert. Die ersten Reaktionen der Napster-Fans sphäre an diesem Samstagnachmittag war Im Marketing habe man nicht genügend lassen jedenfalls ahnen, dass die Über- so entspannt, dass beide Männer wenig darüber nachgedacht, wie man die Naps- zeugungsarbeit möglicherweise schwierig der spiegel 45/2000 127 Wirtschaft len. Die so ermittelte Zahlungsbereit- schaft liegt deutlich über 5 Dollar, sie liegt für rund 70 Prozent der User bei un- gefähr 15 Dollar. Das ist doch ein sehr „Zielstrebiger Bursche“ guter Wert. AOL kostet übrigens 21,95 Dollar pro Monat. Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff, 47, über seinen Deal SPIEGEL: Wie viel muss Bertelsmann für den Einstieg zahlen? mit dem 19-jährigen Napster-Gründer Shawn Fanning Middelhoff: Konkrete Zahlen kann ich lei- der nicht nennen. Aber ich kann so viel SPIEGEL: Herr Middelhoff, haben Sie als Middelhoff: Wir können uns vorstellen, sagen, dass wir einen Millionen-Kredit Teenager Musik im Radio mitgeschnitten? dass es mehrere Angebote geben wird: geben, damit jetzt Technologie und Bu- Middelhoff: Klar hab ich das gemacht. Ich Eine Art Promotion-Service, der – wie siness-Modell weiterentwickelt werden habe sogar die Uhr gestellt, damit ich die erwähnt – kostenlos ist, wo man in ein- können. Ist diese Arbeit geleistet, können Hitparade genau pünktlich erwische. zelne Songs reinhören kann. Ein erwei- wir unseren Kredit umwandeln in eine SPIEGEL: Und diesen Spaß wollen Sie den terter Bereich, für den man eine Art Mit- Beteiligung an Napster, die dann zu einer jungen Leuten jetzt vermiesen. Die kos- gliedsbeitrag zahlt und dafür eine be- Mehrheit für Bertelsmann führen wird. tenlose Online-Musiktauschbörse Naps- stimmte Menge an Musikstücken erhält. SPIEGEL: Das heißt, auch der Totalverlust ter soll kommerzialisiert werden. Künftig Und wer dann mehr will, kann ein Pre- Ihres
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages4 Page
-
File Size-