BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 30.07.2002 Hans-Hermann Tiedje Journalist und Medienberater im Gespräch mit Werner Reuß Reuß: Verehrte Zuschauer, grüß Gott zum Alpha-Forum. Zu Gast ist heute Hans- HermannTiedje, Journalist und Medienmanager, ehemals Chefredakteur der Illustrierten “Bunte”, von 1989 bis 1992 Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und auch noch Berater des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Ich freue mich, dass er hier ist, herzlich willkommen, Herr Tiedje. Sie haben sehr viele und auch sehr unterschiedliche Sachen gemacht: Sie haben Boulevard, Fernsehen und RTL “Late Night” mit Thomas Gottschalk gemacht, Sie haben selbst moderiert und waren Berater von Kohl: Sie haben immer im Focus der Öffentlichkeit gestanden. Inzwischen ist es zumindest in der veröffentlichten Meinung etwas ruhiger um Sie geworden. Fehlt Ihnen diese Öffentlichkeit ein bisschen? Tiedje: Nein, sie fehlt mir gar nicht. Ich bin ein schlechter Fernsehmoderator gewesen, das habe ich immer gewusst. Als Moderator war ich eine Fehlbesetzung, und ich war froh, als das vorbei war. Als Journalist habe ich mich immer sehr wohl gefühlt und durchlebte alle Höhen und Tiefen. Ich hatte auch noch mit der Illustrierten “Tango” einen richtigen “break down”. Inzwischen bin ich Partner einer sehr großen Medienhandelsgesellschaft, in der auch einige namhafte Persönlichkeiten - von Roland Berger, Genscher bis Rexrodt - beteiligt sind. Hier findet die Arbeit im Kommunikationsbereich eher hinter als vor der Kulisse statt. Das ist letztlich entscheidend dafür, wie es um den Erfolg steht. Es ist ein sehr erfolgreiches Unternehmen geworden, und ich fühle mich sehr wohl da. Ich vermisse den täglichen Auftritt in der Öffentlichkeit nicht. Reuß: Sie haben alle Medien bis auf Hörfunk gemacht. Welches Medium lag Ihrem journalistischen Naturell am nächsten? Tiedje: Eindeutig die Tageszeitung. Sie hat den großen Vorzug, dass heute etwas passiert, man geht als Reporter hin, und morgen steht es in der Zeitung. Hörfunk ist noch aktueller, aber in diesem Medium war ich nicht tätig. Ich habe auch zwei Jahre beim “Hamburger Abendblatt” volontiert, aber ich habe keine Journalistenschule oder eine ähnliche Einrichtung besucht. Ich halte das auch nicht für nötig. Ich finde, der Journalistenberuf ist einer der schönsten, wenn nicht sogar der schönste überhaupt. Es ist einer der wenigen Berufe, zu dem man eine echte Neigung braucht. Ich habe in meinen Vorträgen oft folgendes Beispiel genannt: Man geht die Straße hinunter, und da ist ein Bauzaun mit einem Loch. Hundert Leute gehen vorbei, aber der eine, der hindurch blickt und wissen will, was da gebaut wird, der hat die Grundlage für den Journalismus - die 99 anderen nicht. Sie können studiert und promoviert haben, aber Sie haben von vielleicht 50000 Journalisten in Deutschland 45000, die nichts sind als journalistische Beamte. Es gibt ein paar, die den richtigen Blick haben, die wissen wollen, was los ist. Das sind die eigentlichen Journalisten. Reuß: Peter Boenisch - einst wie Sie Chefredakteur der “Bild"-Zeitung, auch der “Bild am Sonntag” und Regierungssprecher bei Helmut Kohl - sagte einmal, dass die Medien heute sehr kurzatmig geworden seien und aus jedem Klacks gleich einen Skandal machten. Sehen Sie das auch so? Tiedje: Ja, da hat er Recht, denn das war früher anders. Die Halbwertszeiten sind noch kürzer geworden, als sie früher waren. Sie haben ein Ereignis, und spätestens übermorgen passiert die nächste Sache. Sie haben nicht mehr so viel Zeit, es aufzubereiten, durchzuatmen und nachzufragen. Solche Ereignisse wie der Massenmord in Erfurt eines - wie ich finde - psychopathischen jugendlichen Täters ist allerdings ein Ausnahmeereignis, das die Medien innehalten und reflektieren ließ. Reuß: Beginnen wir mit Ihrer ersten Firma: 1995 haben Sie Ihre erste Firma in Ebersberg bei München gegründet, die “TV Media Medienmanagement GmbH”. Sie haben sehr unterschiedliche Leute dort beraten, z. B. den ehemaligen Devisenbeschaffer der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski, aber auch den Schauspieler Heiner Lauterbach oder den Schriftsteller Wolf Wondratschek. Sie haben einmal gesagt, Sie seien Medienmanager und kein Berater. Was genau ist das? Tiedje: Die korrekte Berufsbezeichnung für das, was wir machen, ist Kommunikationsmanagement, aber Sie können auch Medienmanager oder Medienberater sagen. Ich möchte aufräumen mit der Darstellung, ich hätte Schalck beraten, denn so war es nicht. Ich habe zu Alexander Schalck- Golodkowski seit vielen Jahren eine sehr freundschaftliche Beziehung, ich habe ihn aber nicht beraten. Ich sehe ihn anders als viele andere. Ich sehe ihn nicht als den großen, bösen Mann der DDR, sondern bin der Meinung, dass ohne ihn das System viel früher zusammengebrochen wäre. Wir haben eine sehr freundschaftliche Beziehung. Ich respektiere ihn sehr und möchte es noch mal politisch begründen: Schalck ist heute ein liberalkonservativer Mann. Er kommt aus einem kommunistischen Elternhaus. Wenn jemand Schlüsse zieht aus dem, was passiert ist, und sagt, mit dieser Ideologie, die sich als falsch erwiesen hat, will er nichts mehr zu tun haben, kann ich vor ihm nur Respekt haben. Wenn einer wie Gregor Gysi früher Beziehungen zur Stasi unterhalten hat und dann als Wirtschaftssenator so tut, als wäre es nicht so und sagt, er wäre Postkommunist oder was auch immer, dann frage ich mich, ob er denn nichts dazu gelernt hat. Insofern sind meine Zugänge zu einer Person wie Schalck viel leichter als zu Personen wie z. B. Gysi. Zurück zum Thema Beratung: Die Firma “TV Media” in Ebersberg ist eine der ersten Medienmanagementfirmen gewesen. Sie ist heute Bestandteil des WMP- Konzerns und dessen stärkste und profitabelste Tochter. Dort haben wir neben einer Reihe von Unternehmen, die im Bereich Kommunikation beraten, auch ein paar Personen, mit denen wir gelegentlich operieren. Mit Heiner Lauterbach haben wir Werbeveranstaltungen und Fernsehspots gemacht, wir haben auch den Schachweltmeister Gari Kasparov unter Vertrag, der gelegentlich Events für uns wahrnimmt. Selbstverständlich haben wir auch mit Wondratschek zusammengearbeitet, aber auch mit anderen wie Wolf Zacher. Wir haben eine Kundschaft, die bedient werden will, und wir haben ein paar eigene Vorstellungen. Reuß: Ich würde den Zuschauern gerne den Menschen Hans-Hermann Tiedje näher vorstellen. Sie sind am 10. April 1949 in Schleswig geboren, der ältesten Stadt Norddeutschlands mit heute rund 25000 Einwohnern. Ihr Vater war Angestellter, Ihre Mutter Hausfrau. Ihr Vater ist erblindet aus dem Krieg zurückgekommen. Das hat sicherlich die Familie stark geprägt. Wie sind Sie aufgewachsen? Wie war Ihre Kindheit? Tiedje: Ich hatte eine sehr schöne Kindheit in einem soliden Elternhaus. Meine Mutter war Flüchtling; sie kam aus Ostpreußen. Mein Vater ist als Soldat der deutschen Armee im Zweiten Weltkrieg Anfang 1942 in der Nähe von Leningrad in eine Handgranate gelaufen und wurde blind. Wenn Sie als Einzelkind in einem Haushalt aufwachsen, in dem der Haushaltsvorstand blind ist, so hat das einige wenige Veränderungen zur Folge. Ich habe dadurch viele Blinde kennengelernt. Ein Blinder verfügt über einen sechsten Sinn, denn er spürt Hindernisse und bewegt sich völlig selbständig im Hause. Beim Spazierengehen nahm ich meinen Vater am Arm, aber sonst war eigentlich alles ganz normal. Ich hatte weder Nachteile, noch musste ich darunter leiden. Ich hatte eine sehr schöne Kindheit. Reuß: 1968 machten Sie Abitur, dann studierten Sie Politik- und Rechtswissenschaften. Es war eine spannende Zeit: 1966 Große Koalition, Notstandsgesetzgebung, Studentenunruhen, dann kleine Koalition, Willy Brandt wurde Bundeskanzler; 1972 scheiterte dann das Misstrauensvotum gegen ihn. Das waren sehr viele Ereignisse in sehr kurzer Zeit. Hat Sie diese Zeit auch selbst politisiert? Würden Sie sagen, dass Sie ein politischer Mensch sind? Tiedje: Ja, sehr. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre war ich 16 bis 20 Jahre alt. Das war eine hochpolitische Zeit, und es wurde alles auf den Kopf gestellt. Ich habe mich Zeit meines Lebens politisch immer von einer Anwandlung freigehalten, und das ist im weitesten Sinne der Sozialismus. Das hat mich nie wirklich interessiert. Ich halte ihn auch heute noch für keine politisch tragfähige Idee. Ich selbst unterhalte auch persönliche Beziehungen zu führenden Sozialdemokraten, z. B. zu Oskar Lafontaine, aber ich kann politisch das meiste von dem, was Oskar vertritt - finanz-, wirtschafts- oder sozialpolitisch -, nicht nachvollziehen. Reuß: Streiten Sie auch öfter mit ihm? Tiedje: Ja, natürlich. Oskar Lafontaine weiß ganz genau, dass ich das, was er finanz- und wirtschaftspolitisch von sich gibt, für ein großes Wirrnis halte. Das wiederhole ich auch immer wieder. Das hat aber nichts damit zu tun, dass er ein sehr guter Typ, ein kameradschaftlicher, verlässlicher Mann, ein exzellenter Mensch und guter Weintrinker ist. Ich bin kein Parteimitglied und ich würde bei der Frage, ob ich eher konservativ oder liberal bin, sagen, dass ich wahrscheinlich eher ein Liberaler bin. Ich werde bei dieser Bundestagswahl die FDP wählen. Ich habe auch schon die Union, hier in Bayern die CSU gewählt. Möglichst wenig Schilder, möglichst wenig Verbote - das ist der Staat, in dem ich leben möchte. Die Gesellschaftsmodelle von Lafontaine oder von Schröder oder ein sozialistisches, das sind Gängelungsmodelle, die mich führen, die mir vorschreiben wollen, was ich zu tun habe. Ich mag das nicht. Ich setze persönliche Freiheiten hoch an, sehr viel höher als das Kollektiv. Das heißt aber
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