1955–1965 Die „Langen 50Er Jahre“ STEFAN KARNER

1955–1965 Die „Langen 50Er Jahre“ STEFAN KARNER

1955–1965 STEFAN KARNER 1955–1965 Die „langen 50er Jahre“ STEFAN KARNER • Der Österreichische Staatsvertrag 1955 mit den Unterschriften der Außenminister und Hochkommissare Großbritanniens, Frankreichs, der USA und der UDSSR sowie des österreichischen Außenministers Leopold Figl. 14 politicum 118 STEFAN KARNER 1955–1965 Zu den Kennzeichen steirischer ÖVP-Politik gehörte neben der Betonung der Kultur und der Wegbereitung einer viel beach- teten Avantgarde die Suche nach einer Begegnung mit den Nachbarn über ideologische und politische Grenzen hinweg. STEFAN KARNER ie Erfahrungen mit der sowjetischen und sen. und dem sensiblen und weltoffenen Kul­ vor allem britischen Besatzung be­ turpolitiker Hanns Koren, auch in relativer Dstimmten bis 1955 wesentlich das Ak kor dierung mit den steirischen Sozialdemo­ politische System des Landes in den „langen“ kraten, vor allem unter Alfred Schachner­Blazi­ 50er Jahren, die in der Steiermark eigentlich erst zek. Das Dreieck konnte wesentliche Akzente mit der „68er­Bewegung“ zu Ende gegangen der steirischen „Innen“­, „Außen“­ und Kultur­ waren.1 politik setzen. Der Staatsvertrag 1955, die entscheidende Korens avantgardistische Kulturpolitik, obwohl Zäsur, zehn Jahre nach dem Kriegsende, der Ab­ zuerst vielfach abgelehnt, wurde Teil der steiri­ zug der britischen Besatzer, die Rückkehr der schen Identität als einer Symbiose von Weite, letzten Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion Enge und Tiefe, von Tradition und Moderne. erzeugten ein erstes Stimmungshoch. Man war Neben den innerparteilichen Aufgaben und Anlie­ wieder Herr im eigenen Haus geworden und gen hatte die ÖVP in der Steiermark in dieser, für wollte gemeinsam den wirtschaftlichen und geis­ das Land entscheidenden Phase zwischen dem tigen Wiederaufbau gestalten, Fehler der 1930er konservativen Paradigma der 1950er Jahre und Jahre nicht mehr wiederholen, wenn sich auch dem gesellschaftlichen Aufbruch Ende der da und dort die konfrontative, destruktive politi­ 1960er Jahre, der in der 68er­Bewegung seinen sche Kultur der Ersten Republik, etwa in der sichtbaren Ausdruck fand, mehrere Aufgaben zu Konkordanzdemokratie oder im Lagerdenken, bewältigen: zeigte. Die Sozialpartnerschaft und die Fortset­ – die Forcierung und den Abschluss des Wie­ zung des Proporzes zwischen den Großparteien deraufbaus; boten für eine neue politische Kultur ein akzepta­ – den Aufbau einer Nachbarschaftspolitik, um bles Mittel. aus der geografischen Isolation heraus zu Wirtschaftswunder, Aufbau, Marktwirtschaft, kommen; Fortschritt, Sozialpartnerschaft und Leistungsbe­ – eine Belebung und Stärkung des steirischen reitschaft prägten mehr oder weniger auch die Grenzlandes, um eine Abwanderung aus den politischen Denkmuster der zwei großen Parteien südlichen und östlichen Gebieten des Landes im Lande. Das Gefühl des Aufschwungs konnte zu verhindern; den Menschen glaubhaft vermittelt werden: das – einen Brückenschlag zu den europäischen erste Motorrad, das erste Auto, die Garage als wirtschaftlichen Zusammenschlüssen, vor Zubau zum Einfamilienhaus, die erste Waschma­ allem der EWG und der EFTA; schine für den Haushalt, der erste Urlaub an der – eine Integration des kritischen, intellektuellen Adria. und künstlerischen Potenzials, wie es sich vor Das Dreiparteiensystem der Steiermark von ÖVP, allem an den Hochschulstätten zeigte. SPÖ und des wesentlich kleineren VdU (ab 1956 Eine Darstellung der ÖVP in dieser Phase hat da­ FPÖ)2 dominierte die Volkspartei mit Josef Krainer her die Interdependenz von Landespolitik und 70 jahre steirische reformkraft 15 1955–1965 STEFAN KARNER Parteipolitik zu beachten. Gerade diese Wech­ Nach der Neutralitätserklärung Ungarns began­ selwirkung, die zeitweise auch ein hoher Grad an nen am 4. November schwere Kämpfe zwischen Identifikation von Partei und Land war, hatte die sowjetischen Truppen, ungarischen Freischärlern ÖVP auch durch so viele Jahre zur stärksten und Armee­Einheiten, in deren Verlauf die unga­ Kraft im Land gemacht. rische Freiheitsbewegung niedergewalzt wurde. Zunächst galt es jedoch, die Folgen einer Ent­ 40.000 politische Gegner wurden interniert, wicklung zu meistern, die sich im benachbarten 180.000 Ungarn flüchteten nach Österreich, da­ Ungarn nur ein Jahr nach dem Staatsvertrag dar­ von über 16.000 in die Steiermark. In etwa 140 gestellt hatte. Mit einem Schlag wurde deutlich, steirischen Auffanglagern, in Kasernen und Bun­ in welcher sensiblen Randlage man sich befand. desquartieren, in Tausenden Privatquartieren und Im Osten teilte der „Eiserne Vorhang“ zu Ungarn, Schlafstellen hatte man die Flüchtenden unter­ praktisch in Sichtweite vom Grazer Schloßberg, gebracht. Europa in Ost und West. Im Süden war die Jeder zehnte von ihnen ließ sich im Land nieder. Grenze zum kommunistisch geführten Jugosla­ Unter ihnen etwa die ungarische Eiskunstlauf­ wien eine ideologische und vielfach historisch Meisterin Nadine Szilassy und zahlreiche Studen­ belastete Barriere. ten, die hier ihr Studium abschlossen, wie der Architekt Jenö Molnar oder die Ärzte Judith Die Ungarn-Krise 1956 Bärn thaler und Bela Farkas (Stolzalpe). Im Spätherbst 1956 flüchteten Tausende Ungarn Landtagswahl 1957 in die Steiermark. Es galt blitzschnell für sie Not­ quartiere und Verpflegung zur Verfügung zu stel­ Kaum waren die größten Probleme mit den un­ len; im Spätherbst 1956, zu einer Zeit, als die garischen Flüchtlingen behoben, ging es um die Steirer selbst vielfach nur das Notwendigste zum Neuzusammensetzung des Landtages in der Leben hatten. Doch die Menschen, besonders in Wahl am 10. März 1957. Die ÖVP war wegen der Oststeiermark, zögerten keinen Augenblick, des schlechten Abschneidens vier Jahre zuvor die Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. nervös, die SPÖ angriffslustig, die KPÖ nur noch Ungarn war bald nach Kriegsende sozialistisch­ in den größeren Industriestädten der Obersteier­ planwirtschaftlich ausgerichtet, die Landwirt­ mark sichtbar. Das große Fragezeichen war die schaft kollektiviert, die Betriebe verstaatlicht, die FPÖ, die erstmals zu einer landesweiten Wahl zahlreichen Parteien verboten, jegliche Opposi­ antrat. Zudem sollte der Landtag, wie schon der tion zu den Kommunisten verfolgt und das Land Nationalrat, auf Wunsch der SPÖ vorzeitig für die kommunistisch geführt worden. Moskau be­ ersten Neuwahlen „in Freiheit“ aufgelöst werden. stimmte die Politik in Ungarn. Dennoch waren Landeshauptmann Krainer, der gerade seine große Teile der ungarischen Bevölkerung gegen erste USA­Reise absolvierte, unterbrach seinen die sowjetische Herrschaft im Lande, traten für Amerika­Besuch, eilte zurück nach Graz, um in freie Wahlen, für die Verwirklichung von westli­ jedem Fall eine gleichzeitige Durchführung von cher Demokratie, für die Entlassung und Rehabi­ Nationalrats­ und Landtagswahl zu verhindern. litierung aller politischen Häftlinge, für Meinungs­, Er hatte diese Linie – trotz anfänglicher Wider­ Rede­ und Pressefreiheit und nicht zuletzt für den stände, auch aus den eigenen Reihen und nach Abzug der sowjetischen Truppen aus Ungarn ein. dem ÖVP­Erfolg bei der Nationalratswahl 1956 Es kam zu Kundgebungen, Manifestationen, De­ – gemeinsam mit Landesparteisekretär Franz monstrationen und zu einem Generalstreik. Imre Wegart3 durchgesetzt: „Das ständige Anhängen Nagy, ein Kommunist der ersten Stunde, 1917 der Landtagswahlen an Nationalratswahlen ver­ noch im Erschießungskommando des russi­ wischt der Bevölkerung gegenüber die Beson­ schen Zaren in Jekaterinburg, hatte eine Kehrt­ derheiten der Landespolitik und schadet damit wendung gemacht, wurde Ministerpräsident und dem föderativen Gedanken; wem es damit ernst galt als Hoffnungsträger einer neuen, von Mos­ ist, der muß auch darnach handeln, d.h. der Be­ kau abgewandten, sozialistischen Politik. völkerung Gelegenheit geben, im Allein gang über 16 politicum 118 STEFAN KARNER 1955–1965 die Landespolitik zu entscheiden“, wurde die ÖVP­Position festgelegt und, bis auf die auch prompt verlorene Wahl 1995, auch in den folgen­ den Jahren eingehalten. Zudem wollten SPÖ und VdU den belasteten, ehemaligen Nationalsozialisten das aktive, den Minderbelasteten das passive Wahlrecht zurück­ geben. Eine Forderung, der sich auch die Volks­ partei nicht verschließen wollte. Ein zusätzlicher Knackpunkt wurde der neue • Landesparteisekretär Franz Wegart und amtliche Stimmzettel, auf dem alle wahlwerben­ Josef Krainer sen. konzipieren den Wahlkampf den Parteien in alphabetischer Reihenfolge auf­ für die ersten „Krainerwahlen“. gelistet wurden. Um nicht hinter die Sozialisten gereiht zu werden, setzte die ÖVP ein „Die“ vor Das Ergebnis der Landtagswahl zeigte als Haupt­ den Parteinamen, was Landeshauptmann Krai­ gewinner die ÖVP, die mit 46,6 % der Stimmen ner seitens der SPÖ eine, allerdings erfolglose, und 24 Mandaten ihren Mandatsvorsprung auf Ministeranklage einbrachte.4 die SPÖ ausbauen konnte. Die SPÖ schaffte Die ÖVP fertigte erstmals für eine Wahl Redner­ 43,6 % der Stimmen und 21 Mandate. Deutlich skizzen an, die den Funktionären als Wahlbehelf unzufrieden äußerte sich daher Parteivorsitzen­ dienten und eine einheitliche Argumentationslinie der Reinhard Machold: „Diese Wahlen [...] zeitig­ sichern sollten: Die ÖVP als die staatstragende ten ein für uns unbefriedigendes Ergebnis.“6 Die Partei (Staatsvertrag, Raab­Kamitz­Kurs), die Hoffnung, aus dem Schatten der ÖVP zu treten, steirische Eigenständigkeit (eigener Wahltermin), erfüllte sich nicht. Auch die erstmals kandidie­ die Betonung der ÖVP­Leistungen in der Landes­ rende FPÖ blieb deutlich gegenüber dem VdU politik (Förderung von

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