„ … dass die Bergwelt im höchsten Maße eingehende Betrachtung verdient“. Naturwissenschaftler als Alpinisten Materialien zum Seminar „Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaft“ im WS 2012 R. Werner Soukup, TU Wien Im Jahre 2012 feierte der Österreichische Alpenverein seine Gründung vor 150 Jahren. Aus diesem Anlass wurde eine Festschrift herausgegeben. Mir fiel die Aufgabe zu, die Ereignisse zu beschreiben, die der Gründung vorausgingen. 1 Überraschend war, dass es sich bei gut zwei Drittel der Gründungs- mitglieder dieser Vereinigung von Menschen, die an der Erschließung der Alpen interessiert waren, um Naturwissenschaftler handelte: um Geologen, Geografen, Botaniker, aber auch Chemiker und Physiker. Beim Vergleich mit der Gründung von alpinen Vereinen in anderen europäischen Ländern 2 zeigte sich zwar eine speziell für Österreich geltende politische Besonderheit, dennoch ließ sich auch anderswo ein Konnex zwischen Naturwissenschaft und Alpinismus feststellen. Erstaunlich viele Naturwissenschaftler sind auch heute noch Bergsteiger. Bei den Geografen, den Geologen und den Botanikern wundert uns dies kaum. Doch auch unter den Physikern oder Chemikern findet man viele Alpinisten. Ist das Zufall? Wenn man die historische Entwicklung Revue passieren lässt, so beobachtet man eine weitere Merkwürdigkeit, nämlich eine Art Synchronizität der Entwicklung. Erste Ansätze der Entstehung der Naturwissenschaften und einem frühen Alpinismus im 16. Jahrhundert, einen Stillstand im 17., hingegen eine stürmische Phase gegen das Ende des 18. Jahrhunderts. Im 19. Jahrhundert werden immer breitere Schichten erfasst. Das 20. Jahrhundert bringt eine immer größer werdende Spezialisierung. Im Jahre 1618 hat der Leibarzt des Kaisers Rudolf II. in Prag, Michael Maier eine Sammlung von Emblemen und Epigrammen über die Geheimnisse der Natur unter dem Titel „Atalanta fugiens, hoc est emblemata nova de secretis naturae chymica“ drucken lassen. Den Inbegriff des Wissens um die Naturgeheimnisse und die Summe aller Weisheit symbolisiert Maier mit dem „lapis philosophorum“, dem Stein der Weisen. Im Emblem XII wird dieser Stein von Saturn anstelle seines Sohnes Juppiter auf dem Berge Helikon ausgespien. Der im westlichen Böotien gelegene 1748m hohe Helikon, galt seit alters her als Sitz der Musen. Danach wäre das höchste Geheimnis der Natur auf dem Gipfel eines Berges zu finden, wo denn auch die Muse der Wissenschaft Kalliope in einer Quelle badet. 1 Rudolf Werner Soukup, „´Was die Alpengesellschaft betrifft, so wäre das freilich gar eine schöne Sache´. Die Rolle des Netzwerkes um den Geologen Eduard Suess bei der Gründung des Österreichischen Alpenvereins“ in: Der Weg ist der Gipfel. 150 Jahre Alpenverein Sektion Austria, Wien 2012, S. 21 – 34. 2 Rudolf Werner Soukup, „´zum Frommen der Wissenschaft und zum genaueren Verständniss der Natur der Alpen´. Bedeutende Naturwissenschaftler als Gründungsväter europäischer alpiner Vereine“: http://www.rudolf-werner- soukup.at/Publikationen/Dokumente/Gruendungsvaeter_alpiner_Vereine.pdf 1 Abb. 1. Emblem XII aus „Atalanta fugiens“ von Michael Maier 1618. Folgerichtig wäre zu erwarten, dass Michael Maier allen Naturforschern den Gang wenigstens auf diesen Berg, wenn nicht überhaupt auf die Berge empfiehlt. Das macht er jedoch nicht wirklich, denn im Emblem XLII, wo es darum geht, was der Naturforscher tun soll, sieht man diesen Naturforscher ausgerüstet mit Stock, Lampe und Brille nächtens in einem Tal mühsam die Fußspuren ertasten, die vor ihm die für den Betrachter unverschleiert einherschreitende Allmutter Natur im Sand eines Weges hinterlassen hat. Vom Licht des Mondes beleuchtet, Früchte und Blumen in Händen. Wird sie den Naturforscher tiefer hinein ins Gebirge locken? Abb. 2. Emblem XLII aus „Atalanta fugiens“ von Michael Maier 1618. Nur wenige Naturforscher des frühen 17. Jahrhunderts wanderten hinauf auf die nebelumbrandeten Berge. Nur wenige vertauschten ihren Stock gegen eine Alpenstange, kaum einer verwendete eine Brille um sich gegen die gleißenden Sonnenstrahlen zu schützen, obgleich es so etwas bereits längst gab. Um 1618 als diese Embleme entstanden, war es noch nicht selbstverständlich, dass seltene Blumen oder Mineralien auf hohen Bergen gesucht wurden. Es waren einige wenige, die diesen Schritt wagten und nicht bereuten. Von diesen soll die Rede sein. 2 Sagen- und grauenhafte Geschichten aus der Antike Niemand weiß, wie und wo der griechische Philosoph Empedokles von Agrigent (485 – 425 v.Chr.) starb. Allerdings wurde von Verehrern des Philosophen verbreitet, er hätte sich in den Schlund des Ätna gestürzt. Vielfach wurde diese Geschichte von Dichtern geschildert. Die schönste Version verdanken wir Friedrich Hölderlin. Hölderlin lässt in „Empedokles auf dem Ätna, 3. Fassung“ den am Kraterrand stehenden Empedokles zu seinem Sohn Pausanias sagen: Ja! Ruhig wohnen wir! Es öffnen groß Sich hier vor uns die heiligen Elemente. Die Mühelosen regen immergleich In ihrer Kraft sich freudig hier um uns. An seinen festen Ufern wacht und ruht Das alte Meer, und das Gebirge steigt Mit seiner Ströme Klang; es wogt und rauscht Sein grüner Wald von Tal zu Tal hinunter, Und oben weilt das Licht, der Äther stillt Den Geist und das geheimere Verlangen. Wahrhaftig wären diese Worte auf dem Ätnagipfel eines Empedokles würdig gewesen: Empedokles hat als Erster darauf hingewiesen, dass die Vielfalt als sichtbaren Dinge ein Ergebnis einer Mischung aus elementaren Bestandteilen ist. Die Elemente sind unveränderlich, die Mischungen sind veränderlich.Wir Menschen dürfen Dank unseres Geistes in der Ewigkeit des Elementaren wohnen, während unser Körper ein Spielball der Mischungen ist. Einer der bedeutendsten Schriftsteller naturkundlichen Wissens der Antike war Plinius d. Ä. (ca. 23 – 79). Seine „Naturgeschichte“ (Naturalis historia) umfasst siebenundreißig Bände und 2493 Kapitel. Plinius hat zwar eher das in Büchern niedergeschriebene Wissen weitergegeben als selber recherchiert. Dennoch hat ihm seine Wissbegierde den Tod gebracht. Er war keineswegs einer, der Berge bestieg, aber er war wohl der erste Naturforscher, der tatsächlich durch einen Berg ums Leben kam. Sein Neffe schildert in einem Brief an seinen Freud Tacitus, wie Plinius d. Ä. 79 n. Chr. bei der Explosion des Vesuvs starb: 3 Du bittest, daß ich Dir über den Tod meines Onkels schreibe, damit Du es um so wahrheitsgemäßer der Nachwelt überliefern kannst. …. Wenn er auch durch den Untergang der schönsten Landschaft und dem denkwürdigen Untergang der Bevölkerung und der Stadt umgekommen …, wenn er auch die meisten Werke verfaßt hat, die ewig Wert haben werden, wird dennoch die ewige Dauer Deiner Werke seinem Fortleben viel hinzufügen. … Er war in Misenum und führte persönlich das Kommando über die Flotte. Am 24. August 79 ungefähr um 13 Uhr zeigte meine Mutter ihm an, daß eine Wolke von ungewöhnlicher Größe als auch Aussehen, sich zeigte. …Er verlangte nach seinen Schuhen und bestieg die Stelle, von der aus jene wunderbare Erscheinung sehr gut erblickt werden konnte. Es war unsicher für die von fern Beobachtenden, aus welchem Berg die Wolke sich erhob (später erkannte man, daß es der Vesuv gewesen war), deren Ähnlichkeit und Form kein anderer Baum mehr als einer Pinie glich. Denn sie (die Wolke) wuchs wie mit einem Riesenstamm empor, und teilte sich in einige Zweige, … wurde durch ihr Gewicht besiegt und verflüchtigte sich in die Breite, manchmal weiß, manchmal schmutzig und fleckig, je nach dem, ob sie Erde oder Asche hochgehoben hatte. Einem so bedeutenden Naturforscher wie meinem Onkel schien das Ereignis wichtig und einer näheren Betrachtung wert. Er eilte dort hin, woher andere flohen, er hielt den Kurs und steuerte geradewegs in die Gefahr. .... Schon fiel Asche auf die Schiffe, je näher sie herankamen, desto heißer und dichter wurde sie, schon fiel Bimsstein und durch das Feuer schwarze, verbrannte und geborstene Steine [auf das Schiff], schon zeigt sich durch den Einsturz des Berges unwegsame, plötzlich entstandene Untiefe am Strand. ... Schon war es anderswo Tag, dort war Nacht, schwärzer und dichter als alle Nächte; … Sobald es wieder Tag geworden war (das war von dem, den er zuletzt gesehen hatte der dritte) wurde sein Körper unversehrt und unverletzt und bekleidet gefunden, wie er bekleidet war: Das Aussehen des Körpers war einem Schlafenden ähnlicher, als einem Gestorbenen. 3 Epistula 6: 16 3 Wie wir heute wissen, ist der Ausbruch des Vesuvs im Jahre 79 n. Chr. nicht nur von kilometerhohen Eruptionssäulen, sondern auch vom Herabfließen pyroklastischer Ströme begleitet worden. Die heißen Gase der pyroklastischen Ströme töteten mehrere tausend Menschen in Pompei und Herculaneum. Im Mittelalter ist von Bergen oder gar von Bergbesteigungen kaum die Rede. Überliefert wird lediglich, dass Marco Polo auf seiner Rückreise von China 1293 den 2243m hohen Adam´s Peak auf Ceylon bestiegen habe. Humanistische Gelehrte und ihre botanisch-mineralogischen Exkursionen 1387 wurden sechs Kleriker verhaftet, die eine verbotene Besteigung des Pilatus bei Luzern durchgeführt hatten. Über die Beweggründe dieser Geistlichen wissen wir nichts Genaues. Wir können aber Vermutungen anstellen. Das Ende des 14. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch den Beginn einer neuen Zeit. Die Renaissance bricht an. Das war jene Zeit, in der mehr und mehr Gelehrte Interesse an den von den antiken Schriftstellern geschilderten Berichten zeigten über die Landschaften Europas, deren Gebirgszüge, Flora, Fauna, Erze, Übergänge etc. Der Wissenschaftshistoriker Helmut Grössing war es, der darauf
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