Traditionelle Ortsgrundrissformen Und Neuere Dorfentwicklung

Traditionelle Ortsgrundrissformen Und Neuere Dorfentwicklung

Traditionelle Ortsgrundrissformen und neuere Dorfentwicklung Johann-Bernhard Haversath und Armin Ratusny Die ländlich-agrarisch geprägten nicht- ³ Strathöfken südlich von Kempen 1892 · Krämgen 1899 städtischen Räume in Deutschland, die Ländliche Ortsformen Einzelhöfe Weiler hinsichtlich ihrer Flächenerstreckung Ausschnitte aus historischen bis heute noch weitaus dominieren, las- Messtischblättern 1883-1924 sen sich in der Erscheinung ihrer Sied- lungen vor allem nach zwei Gesichts- vergrößert punkten charakterisieren: nach der von 1: 25000 auf 1:15000 Grundrisserstreckung der Ortsformen und nach dem Grund- und Aufrisstyp Lage der Siedlungen der anzutreffenden Bauernhäuser (ĪĪ Beitrag Haversath/Ratusny, S. 48). Woltow Ländliche Ortsformen Die regionale Differenzierung der tradi- Schönfeld Lübeln tionellen Ortsgrundrissformen ist das Ergebnis der historischen Phasen einer Strathöfken ca. 1500 Jahre währenden Kulturland- bei Kempen Breunsdorf » Neckarwestheim 1898 schaftsentwicklung. Die Grundrissmus- Haufendorf ter zerfallen um 1950, d.h. noch vor der Krämgen Reinholdshain Verstädterung vieler Dörfer, in planmä- ßig-regelhafte Ortsgründungen sowie in Ortsformen, die auf eine regellos-ge- Neckarwestheim wachsene Entwicklung zurückgehen. Ihre jeweilige Genese steht im Zusam- menhang der Siedlungsträger und ihrer Motive sowie im Rahmen der jeweili- gen agrarökologischen Situation. Im vorliegenden Maßstab Die Jahresangaben in den Kartentiteln beziehen sich auf das Jahr der Landesaufnahme bzw. auf einen Berichtigungszeit- (1:3,75 Mio.) erscheint es zweckmäßig, punkt. nach ELLENBERG (1990) acht Ortsfor- mentypen zu unterscheiden: 1. Einzelhöfe, zu denen meist die sie umgebende unregelmäßige Blockflur ge- ᕤ Reinholdshain 1893 ´ Breunsdorf 1906/24 hört, finden sich im gesamten Gebiet Waldhufendorf Straßendorf der Bundesrepublik, sind aber land- schaftsbestimmend vor allem zwischen Niederrhein ᕡ und mittlerer und unte- rer Weser (wo sie teilweise von Klein- weilern, sog. Drubbeln, durchsetzt sind), im Schwarzwald und im Nieder- bayerischen Tertiärhügelland (wo sie ei- ner hochmittelalterlichen Ausbauzeit angehören). Im Allgäu sind sie die Fol- ge einer frühen Flurbereinigung seit dem 16. Jh. 2. Auch Weiler (Gruppensiedlungen von 3-20 Höfen) kommen in Gestalt re- gelloser oder – in geringerer Zahl – re- gelhafter Ortsformen in altbesiedelten ² Schönfeld 1870-71/83 ¶ Lübeln 1879/92 º Woltow 1884 Räumen wie auch in jungbesiedelten Angerdorf Rundling Gutssiedlung Mittelgebirgen vor ᕢ. Sie können als solche planmäßig angelegt oder als Wachstumsformen aus Einzelhöfen ent- standen sein. Im Bereich der mittelal- terlichen Ostsiedlung treten sie in we- sentlich geringerer Zahl und disperser auf als im westlichen Deutschland. 3. Die Verbreitung unterschiedlich großer Haufendörfer, d.h. unregelmäßi- ger ländlicher Siedlungen mit mehr als 20 Hof- bzw. Hausstellen, fällt zu einem Teil mit den altbesiedelten thermisch begünstigten Lagen mit fruchtbaren Bö- den zusammen ᕣ. In mittleren Höhen- lagen kommen sie dort vor, wo Lehmbö- 0 150 300m den auf Kalk eine natürliche Gunst ge- © Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 Autoren: J.-B.Haversath, A.Ratusny Maßstab 1:15000 währleistet haben. Sie entstanden meist aus frühmittelalterlichen Einzelhöfen 50 Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland – Dörfer und Städte und Kleinweilern im Lauf des späteren Mittelalters und der frühen Neuzeit ¾ Typen ländlicher Siedlungen durch Zuwanderung, aber auch durch natürliches Bevölkerungswachstum, meist bei gleichzeitiger mehr oder weni- ger starker Zersplitterung der ackerbau- lich genutzten Fläche. Planmäßig entstandene Orte mit regel- Kiel haften, oft linearen Grundrissen ent- standen vereinzelt bereits während der früh- bis hochmittelalterlichen karolin- gischen bzw. ottonischen Ausbaupha- Ma Schwerin sen. Ihre Verbreitung ist im vorliegen- Mo den Maßstab nicht darstellbar. Ma Hamburg Ma Eine sehr deutliche zeitliche und Mo F Ma Mo räumliche Zuordnung erlauben die in E lb F Mo Ma Mo e großflächiger Verbreitung auftretenden Bremen regelhaften Ortsformen der Mittelgebir- Mo Ma ge und des Raumes der deutschen Ost- Oder F Ma Ma siedlung. Die Rodungsflächen im Jung- Mo siedelland der deutschen Mittelgebirge, BERLIN Potsdam die Flussmarschen des Nordwestens r Hannover e s ebenso wie die tieferen Lagen der Ge- e W biete östlich von Elbe und Saale tragen Magdeburg verbreitet regelhafte Ortsgrundrisse. 4. Dazu gehören die Reihensiedlun- L a u s it gen in Form von Waldhufen-, Hagen- z e Elbe r hufen-, Marsch- und Moorhufensied- N R eiß h e e lungen, die sich zeitlich vom 12. bis i n zum 18. Jh. einordnen lassen. Ihr linea- rer Grundriss ist durch einen weiten Düsseldorf Abstand zwischen den einzelnen Höfen gekennzeichnet, an die sich jeweils Dresden Erfurt breit- und langstreifig die Flur mit weit- Wer Fulda ra e gehend komplettem Hofanschluss an- Saal fügt ᕤ. 5. Ebenfalls ein linearer Grundriss kennzeichnet Straßendörfer, jedoch mit einem weitaus engständigeren, eher zeilenartigen Charakter der Hof- bzw. Wiesbaden Historische Main Dorfformen (nach ELLENBERG) el Mainz Häuserreihen ᕥ. Ihr Hauptverbrei- os M vorherr- häufig tungsgebiet liegt östlich der Elbe-Saale- schend Linie im Gebiet der mittelalterlichen Einzelhöfe Ostsiedlung. 6. Eine weitere mittelalterliche Plan- Weiler variante sind Angerdörfer, deren we- Saarbrücken lockere Haufendörfer sentliches Merkmal der mehr oder we- enge Haufendörfer niger ovale, von zwei Hofzeilen um- Ma Marschhufendörfer schlossene Platz (Anger) ist ᕦ. Dieser Staatsgrenze D o n a diente als Viehsammelplatz oder – Erfurt Landeshauptstadt Stuttgart u Mo Moorhufendörfer bachdurchflossen bzw. vom Dorfteich Siedlungsfläche F Fehnkolonien eingenommen – als Viehtränke und von Städten > 100000 Einw. kann sich bis hin zum Rechteckplatz in Inn Güter und Gutsdörfer Quellmuldenlage erweitern. Das Haupt- in Rundlinge e München h verbreitungsgebiet des Angerdorfes ist R Angerdörfer mit dem des Straßendorfes mehr oder Waldhufen- und weniger identisch; beide Formen kom- Hagendörfer men häufig vergesellschaftet vor lockere Straßendörfer Ī ( Fotos S. 20). redaktionell bearbeitet Bodensee enge Straßendörfer 7. Die Gruppe der Rundsiedlungen nach ELLENBERG 1990 Gebiete, in denen sich Dorfformen mischen, nimmt eine Sonderstellung ein: Oft von sind in hellerem Gelb dargestellt. weilerartiger Größe, können sie auf- unklare Gemische benachbarter Formen grund ihrer markanten runden oder huf- 05025 75 100 km eisenartigen Anordnung der Höfe um © Institut für Länderkunde, Leipzig 2002 Maßstab 1: 3750000 Grenze der Dorfformen einen Platz genetisch teils als regellos- gewachsen, teils als planmäßig angelegt interpretiert werden ᕧ. Der flächenhaft geschlossene Bereich der Rundsiedlun- 8. Güter und Gutsdörfer, vornehmlich wirtschaftlich auf dem fernmarktorien- Gegensatz zwischen West- und Ostmit- gen im Elbe-Saale-Raum steht im Zu- im Osten bzw. im Nordosten vorkom- tierten Getreidebau, der vom niederen teleuropa wider. Während sich im Wes- sammenhang mit der Begegnung zwi- mend, sind geknüpft an Großgrundbe- Adel in der frühen Neuzeit vielfach un- ten vornehmlich die gewachsenen For- schen slawischen und deutschen Ethni- sitz und gebunden an die Entstehung ter Beseitigung älterer ländlicher Sied- men befinden, liegen im ostelbischen en während der Ostsiedlung. Einem ge- von Gutsherrschaft und Gutswirtschaft lungen (Bauernlegen) angestrebt wurde. Raum großflächig die geplanten Formen netisch völlig anderen Rundsiedlungs- seit dem späten 15. Jh. ᕨ. Die histori- In der Verbreitung dieser acht Haupt- der Ostsiedlung und – bis etwa zur Mit- typ gehören die Wurtendörfer der deut- schen Wurzeln der Gutsbildung im Os- typen ländlicher Ortsformen ᕩ spiegelt te des 20. Jhs. – die Güter und Gutsdör- schen Nordseeküste an. ten sind vielfältig; sie gründet letztlich sich auch der siedlungsgeographische fer. In gewissem Sinn ist die Karte R 51 Traditionelle Ortsgrundrissformen und neuere Dorfentwicklung Das Angerdorf Baalsdorf, im Verdichtungs- oder die Lebensansprüche verlangen, raum Leipzig gelegen, wurde 1999 im wird umgebaut, ansonsten überwiegen Rahmen der sächsischen Gemeindegebietsre- form nach Leipzig eingemeindet tradierte Raumstrukturen. Perspektiven Die wachsende Wertschätzung der Sied- lungen des ländlichen Raumes als holende Entwicklung ein. Hier hatte Wohnstandorte ist seit der Suburbani- sich während der sozialistischen Zeit sierung der 1970er Jahre offenkundig. von 1945 bis ca.1990 eine ganz spezifi- Mit der Tertiärisierung bekommen sie sche eigene Entwicklung vor dem Hin- gegenwärtig auch als Arbeitsstandorte tergrund der planmäßigen Steuerung zusätzliche Bedeutung. Als indirekte der Wirtschaft, insbesondere im Rah- Folge der Ökologiebewegung ist der Ei- men der Errichtung der Landwirtschaft- genwert ländlicher Siedlungen einem lichen Produktionsgenossenschaften größeren Bevölkerungskreis bewusst ge- vollzogen (ĪĪ Beitrag Brunner/Woll- worden. Sie werden nicht mehr als Ko- kopf, S. 68). Diese Vorgänge bewirkten pien städtischer Vorbilder gesehen, son- unter anderem den Verfall der Dorfker- dern entfalten eigenständige, endogene ne, die Errichtung neuer Produktionsge- Potenziale. bäude an den Dorfrändern sowie auch Dorfentwicklung wird deshalb als hier die Verbreitung des Geschosswoh- komplexer Prozess angesehen. Die an- heute bereits historisch, weil seit ca. timierung der Flächennutzung, sowie nungsbaus. fänglich vernachlässigten gesellschaftli- 1950 zum einen die Durchdringung des soziale Entwicklungen, die einen Wan- chen Aspekte, das Dorf als Arbeitsplatz, ländlichen

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