II. Das Mordkomplott 1

II. Das Mordkomplott 1

II. Das Mordkomplott 1. Rathenau in der öffentlichen Meinung Wie Matthias Erzberger und Philipp Scheidemann repräsentierte auch Walther Rathenau die aus Kriegsniedcrlage und Revolution geborene politische Nachkriegsordnung Deutschlands. Doch darüber hinaus verband den jüdischen Großbürger und Homme de lettres wenig mit dem katholischen Berufspolitiker und dem sozialdemokratischen Arbeiterführer-bis er wie sie Opfer eines politischen Anschlags werden sollte. Der 1867 in Berlin als Sohn des Fabrikbesitzers und späteren AEG-Gründers Emil Rathenau geborene Walther hatte nach einem mit der Promotion abgeschlossenen Studium der Philosophie, Physik und Chemie eine einjährige freiwillige Militärdienstzeit bei den Berliner Gardekürassieren absolviert und anschließend nach weiterer universitärer Vorbereitung die Leitung der von der AEG neuge- gründeten Elektrochemischen Werke Bitterfeld übernommen. 1899 wechselte er ins AEG- Direktorium, wo ihm die Verantwortung über die Abteilung für Zentralstationen übertragen wurde, und trat 1902 in den Vorstand der Berliner Handels-Gesellschaft ein, der Hausbank der AEG. Rathenau setzte seine glänzende Karriere bald fort, wurde 1904 Mitglied und 1912 im sogar Vorsitzender Aufsichtsrat der AEG. Nach dem Tode seines Vaters 1915 gelang es ihm zwar nicht, zum Generaldirektor berufen zu werden, wohl aber konnte er seine Stellung als „Präsident" der AEG festigen und seinen wirtschaftlichen Einfluß durch die Wahrneh- mung einer Vielzahl von Aufsichtsratsmandaten im In- und Ausland noch ausdehnen. Nicht weniger als durch seine wirtschaftliche Tätigkeit sollte das öffentliche Bild Rathe- naus durch sein Hervortreten als Schriftsteller geprägt werden. In Maximilian Hardens Zukunft, die 1897 seinen Erstlings-Aufsatz „Höre, Israel!" abgedruckt hatte, fand der zunächst unter Pseudonym schreibende Essayist eine Plattform für eine ganze Reihe von Aufsätzen, die dann 1902 und 1908 gesammelt unter eigenem Namen als „Impressionen" und „Reflexionen" erschienen. 1912 eröffnete Rathenau mit dem Werk „Zur Kritik der Zeit" eine Reihe größerer Abhandlungen, in denen er, wie dann in „Zur Mechanik des Geistes" (1913) und „Von kommenden Dingen" (1917), aus der sozialphilosophischen Deutung der Krise seiner Zeit heraus Vorschläge zu ihrer Bewältigung unterbreitete. Folgerichtig ergänzte Rathenau fortan diese Gesamtschau durch eine Flut kleinerer, auch tagespolitisch bestimmter Schriften, mit denen er in aller Munde war und zu einem der meistgelesenen nicht-belletri- stischen Autoren des deutschsprachigen Raums aufstieg. Die politische Karriere hingegen, die seinen überdauernden Rang erst eigentlich begrün- det nahm in hat, Rathenaus Leben nur einen verhältnismäßig geringen Raum ein und war überdies mehr von Enttäuschungen als von wirklichen Erfolgen gekennzeichnet. Nachdem 1907 ein erster Versuch, als Protégé des damaligen Reichskanzlers Bülow in der Politik Fuß zu fassen, mißlungen und eine ins Auge gefaßte nationalliberale Reichstagskandidatur 1911 gescheitert war, gewannen Rathenaus Fähigkeiten und Kenntnisse erst mit Beginn des Ersten Weltkrieges die Aufmerksamkeit staatlicher Stellen: Seine Warnung vor einer drohenden Rohstoffknappheit der deutschen Kriegsindustrie führte zur schleunigen Errichtung eines Kriegsrohstoffamtes, das Rathenau bis 1915 selbst leitete. Ebenso diskret wie in dieser der erst im Öffentlichkeit weiteren Verlauf des Krieges bekanntgewordenen Tätigkeit wirkte er auch in den nächsten Jahren. Mit einer Denkschrift, die auf den Wert Rußlands als künftiges Absatzgebiet der deutschen Wirtschaft hinwies, erregte Rathenau die Aufmerksamkeit 70 II. Das Mordkomplott Ludendorffs, zu dessen gelegentlichem Berater er nach dem August 1916 avancierte, ehe seine vergebliche Warnung vor der Ausweitung des U-Boot-Krieges die Beziehungen zu dem Heerführer abkühlen ließ. In der Revolution spielte Rathenau keine Rolle. Seine Stunde schlug erst, nachdem die Republik, durch die im Kapp-Lüttwitz-Putsch gipfelnden gegenre- volutionären Bestrebungen weiter in die Defensive gedrängt, ihre Kräfte zu sammeln gezwungen war. Im April 1920 wurde er in die Zweite Sozialisierungskommission berufen und vertrat gegen Stinnes auf der Konferenz von Spa zur Regelung der Reparationsfragen im Juli des Jahres- eine Linie-des Ausgleichs mit den Alliierten, die später als „Erfüllungspo- litik" bezeichnet werden sollte. Ein knappes Jahr später hatte Rathenau als Wiederaufbaumi- nister Gelegenheit, diese Politik in größerem Stil zu erproben, als die Regierung Wirth unter dem Druck der Alliierten die ungeheuere Kriegsentschädigungssumme von 123 Milliarden Goldmark zu akzeptieren gezwungen war. Aus seiner Position als Präsident der AEG und aus allen Aufsichtsratsämtern ausgeschie- den, bemühte sich Rathenau als Minister, die deutschen Reparationsleistungen ihres politi- schen Charakters zu entkleiden und als Hebel zur Wiederbelebung der Wirtschaft zu nutzen. Im Oktober 1921 schloß er mit seinem französischen Kollegen Loucheur das aus mehreren Einzelverträgen bestehende Wiesbadener Abkommen, das einen Teil der jährlichen Geld- schuld an Frankreich in Sachlieferungen umwandelte. Nach dem durch die Völkerbundsent- scheidung über die Teilung Oberschlesiens veranlaßten Rücktritt des ersten Kabinetts Wirth war Rathenau vorerst an der weiteren Verfolgung seiner politischen Ziele gehindert. Doch der abermals mit den Regierungsgeschäften betraute Wirth setzte im Januar 1922 Rathenaus Ernennung zum Außenminister durch, um sich für die kommende Konferenz mit den Alliierten in Genua der Unterstützung des international angesehenen Wirtschaftsfachman- nes zu versichern. In der Tat machte Rathenau auf dieser Konferenz durch die Unterzeich- nung des Ausgleichsvertrages von Rapallo mit Sowjetrußland Geschichte. Im Glauben, Deutschland drohe durch die französische Geheimdiplomatie gänzliche außenpolitische Isolierung, und durch seine Berater gedrängt, unterschrieb Rathenau ein Abkommen, durch das Deutschland als erstes westliches Land diplomatische Beziehungen zu Rußland aufnahm und gleichzeitig den gegenseitigen Verzicht auf Entschädigungsansprüche vereinbarte. Der Vertrag war eine Sensation, mit dem Rathenau die Grundlage seiner eigenen, auf Verständi- gung und Ausgleich mit den Alliierten zielende Politik in Frage stellte, aber gleichzeitig auch einen ersten Schritt zur Wiedererlangung außenpolitischer Handlungsfreiheit machte. Fünf Wochen später wurde der Minister ermordet. Nichts an diesem Lebensweg schien den Haß plausibel zu machen, mit dem Rathenau um so stärker überzogen wurde, je mehr er in das Rampenlicht der Öffentlichkeit trat. Niemand begriff diese leidenschaftliche Ablehnung weniger als Rathenau selbst, der noch wenige Monate vor seiner Ermordung den pazifistischen Journalisten und Parteifreund Hellmut von Gerlach fragte: „Sagen Sie, warum hassen mich diese Menschen eigentlich so furchtbar?" Die Antwort, die Gerlach ihm gab1, traf zumindest in einem Punkt den Kern: Rathenau war Jude und teilte das Schicksal der jüdischen Deutschen insgesamt, die nach einer Jahrzehnte währenden Phase politischer und sozialer Emanzipation zunehmend auf wiederaufflammen- de Gegnerschaft stießen, eine Gegnerschaft, die sich nicht mehr wie einst vorwiegend religiös, sondern rassisch legitimierte. Rathenau mußte früh erfahren, daß seine jüdische Herkunft ihm selbst die Beförderung zum Reserveoffizier verschloß. Er reagierte auf diese Ausgren- zung mit einem psychischen Mechanismus der Verinnerlichung erfahrener Ablehnung, die 1 Sie lautete: „Ausschließlich, weil Sie Jude sind und mit Erfolg für Deutschland Außenpolitik treiben. Sie sind die lebendige Widerlegung der antisemitischen Theorie von der Schädlichkeit des Judentums für Deutschland." Zit. nach Schulin, Rathenau. Hauptwerke und Gespräche, S. 854. 1. Rathenau in der öffentlichen Meinung 71 bis zum Selbsthaß reichte und ihn zu Handlungen führte, die für seine Stellung in der Öffentlichkeit von erheblicher Bedeutung sein sollten. Weniger zählt hierzu sein 1894/95 der jüdischen Gemeinde Charlottenburg angezeigter (aber nie rechtsgültig vollzogener) „Aus- tritt aus dem Judenthume"; ein höchst irritierendes Zeugnis quälenden Selbsthasscs bildete jedoch der pseudonym in der Zukunft abgedruckte Aufsatz „Höre, Israel!", mit dem der Dreißigjährige 1897 sein literarisches Debüt gab. Gerichtet vor allem gegen die Protzerei jüdischer Neureicher einerseits, die Ghettokultur der besonders aus dem galizischen Raum nach Preußen strömenden sogenannten Ostjuden andererseits, entwarf Rathenau in diesem Artikel das Bild eines fremden Organismus im Leibe des deutschen Volkes und offenbarte Anschauungen, die Theodor Lessing zu Recht als „jüdischen Antisemitismus" qualifiziert hat2. In späteren Jahren milderte Rathenau diese schroffe Absage an die eigene jüdische Identität; der 1911 entstandene Aufsatz „Staat und Judentum" nimmt die 1897 angeschnittene „Judenfrage" wieder auf, sucht die Lösung aber nicht mehr in der Sclbstprcisgabe, sondern in einer auf Vollendung der Emanzipation gerichteten Judenpolitik als Voraussetzung „zum herzlichen Verständnis" vonchristlich-deutscherund jüdischer Seite. Weiterhin aber verwarf Rathenau den Ubertritt zum Christentum aus Gründen der sozialen Anerkennung, weil „ein ideeller Schritt seine Reinheit verlieren muß, wenn er zu materiellen Vorteilen führt"3. Konsequent lehnte Rathenau es bis an sein Lebensende ab, sich taufen zu lassen, obwohl er zur jüdischen Religion nur mehr das lockere Verhältnis eines „abgeklärten Deismus" unterhielt4. Von der Auffassung eines Mannes, der weder zum Christentum

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