Wochenkommentar 16/2018 von Matthias Zehnder Warum die «Basler Zeitung» und Facebook uns schaden Viele Basler jubeln: Christoph Blo- weitaus am meisten Leser verloren hat.2 nicht erklären, in denen er Basel als zwar ganz egal, ob es sich dabei um cher und Markus Somm sind mit Seit der Übernahme der Zeitung durch zweitklassige Stadt bezeichnete, in der eine Skandalgeschichte, den Bericht ihrer rechtsbürgerlichen «BaZ» Blocher/Somm sind es über 75'000 der indiskrete Charme des Untergangs über eine brillante Theateraufführung gescheitert und haben ihre Zeitung Leser. Heute weist die Zeitung zum ers- herrsche.6 Eine Mischung von Bie- oder um eine Todesanzeige handelte. an Tamedia verkauft. Auch wenn ten Mal weniger als 100'000 Leserinnen dermeier und Vernachlässigung prägt In den letzten Monaten war nur noch Blocher und Somm ihre politischen und Leser aus. Lesermarkt-Spezialist laut Somm die ganze Stadt, besonders die «BaZ» selbst Stadtgespräch. Ihre Ziele nicht erreicht haben – Jubel Ueli Custer doppelt nach: Die «BaZ» deren Politik, besonders deren rot-grün Inhalte wurde nicht mehr breit wahr- ist nicht angebracht: Sie haben tiefe habe seit 2007 mit über 50% tatsächlich beherrschte Regierung. Wer der Stadt, genommen. Spuren hinterlassen. Der Misserfolg mehr verloren als alle anderen Tageszei- die seiner Zeitung ihren Namen gibt, der «BaZ» in der Region Basel hat tungen in der Schweiz.3 dermassen ablehnend gegenübersteht, Eine Stadt hält die Luft an nämlich dieselbe Konsequenz wie muss sich nicht wundern, wenn die Für eine Stadt wie Basel ist das der Erfolg von Facebook in der gan- Ganz ohne politische Polemik lässt Stadt seiner Zeitung gegenüber diesel- schlecht, wenn es so etwas wie eine Öf- zen Schweiz: Es ist Öffentlichkeit sich gestützt auf diese Zahlen feststel- be Haltung einnimmt. fentlichkeit, einen gemeinsamen Infor- vernichtet worden. Das schadet len: Die «BaZ» war unter Blocher und mationsstand, nicht mehr gibt, weil der uns; der ganzen Gesellschaft, insbe- Somm kein Erfolg. Auf Dauer kann Die Erkenntnis von Blocher, Boll- Stadt damit die Gemeinschaft abhan- sondere aber der Demokratie. Wa- man eine Zeitung nun mal nicht gegen mann und Somm, dass Basel anders den kommt. Anders gesagt: Basel kann rum wir starke Medien brauchen, die Stadt machen, in der sie erscheint. tickt als die übrige Schweiz, kommt sich heute nicht einmal mehr darüber die in der Lage sind, Öffentlichkeit An der Medienkonferenz erklärte Blo- reichlich spät. Zu spät für die Region verständigen, was denn das Problem herzustellen. cher, Basel sei eben eine eigene Region, Basel. Denn der grosse Leserverlust ist – geschweige, allfällige Lösungen sie will auch nicht recht schweizerisch der «Basler Zeitung» ist nicht nur ein diskutieren. Es führt dazu, dass es in Markus Somm zieht zwar immer sein.4 Auch Rolf Bollmann beklagt sich Schaden für die «BaZ» selbst, es ist vor der Stadt kaum mehr gemeinsame Per- noch eine positive Bilanz über seine über Basel. In einem Interview mit allem auch ein Schaden für die Region spektiven gibt. Mit der Zeit wird des- Arbeit in der «Basler Zeitung» und «Vice» sagte er diese Woche: Mit der Basel – und deshalb alles andere als halb auch die Verständigung schwierig, sagt gegenüber Radio SRF, die «BaZ» Basler Mentalität konnte ich mich nie ein Grund zur Schadenfreude. Das es kommt quasi zu babylonischen Ver- sei publizistisch ein sehr gutes Produkt anfreunden. Ich habe mich nie willkom- Schrumpfen der Tageszeitungen führt hältnissen. Anders gesagt: Wenn Medi- geworden, und auch wirtschaftlich men gefühlt.5 nämlich dazu, dass es in Basel so etwas en der Sauerstoff der Demokratie sind, recht erfolgreich.1 Wie Alt-Bundesrat wie eine Öffentlichkeit heute kaum dann hat Basel in den letzten Jahren Christoph Blocher behauptet er auch, Der Zürcher Pendler, der mehr gibt. Es gibt nur noch immer die Luft angehalten – und das geht auf «Tages-Anzeiger», «Blick» oder «NZZ» Basel nicht verstand kleinere Teilöffentlichkeiten. Wenn Dauer nicht gut. hätten in den letzten Jahren allesamt Auch Markus Somm wurde mit Basel vor, sagen wir, 20 Jahren etwas in der mehr Leser verloren als die «BaZ». Das nie warm. Er blieb ein Zürcher Pendler, lokalen Zeitung stand, dann konnte Jetzt sagen Sie vielleicht: Was trauert ist nachweislich falsch. Markus Knöpf- der die Stadt letztlich nicht verstand. man mit Fug und Recht behaupten, der einer ollen Papierzeitung nach, li hat nachgewiesen, dass die «BaZ» Anders lassen sich seine Kommentare dass es die ganze Stadt erfuhr und heute nutzt man eben digitale Medien. © MatthiasZehnder.ch AG Alle Rechte vorbehalten. Für Privatgebrauch sind Ausdruck und Kopie erwünscht, neue Kommentare wöchentlich unter www.matthiaszehnder.ch Abo unter www.matthiaszehnder.ch/abo Seite 1/2 Die Zahl der Facebook-Benutzer in Ziel ist dabei nicht unbedingt, die Welt ser Welt steht. Facebook ist also eine Quellen: Basel ist heute mit Sicherheit grösser zu einem besseren Ort zu machen, wie Art ptolemäisches Medium. 1 Vgl. https://www.srf.ch/news/ als die Zahl der Leser aller Zeitungen das Facebook-Chef Mark Zuckerberg schweiz/tamedia-uebernimmt-baz- zusammengenommen. Also nimmt vor dem amerikanischen Kongress Gute, frische Luft für die herr-somm-haben-sie-es-bei-der- heut halt Facebook die Rolle ein, die behauptete, sondern die Benutzer so Demokratie baz-versiebt früher die Tageszeitung innehatte. Das lang wie möglich auf der Plattform zu Der Misserfolg der «BaZ» und der 2 Vgl. http://www.horizont.net/ stimmt – aber nur was die Zahl der halten und sie zu so vielen Klicks wie Grosserfolg von Facebook führen schweiz/kommentare/Kommen- Nutzer angeht. Denn Facebook funk- möglich zu bringen. deshalb zu demselben Resultat: einer tar-Gut-gebruellt-Bollmann-166337 tioniert völlig anders als eine Tageszei- rapiden Fragmentarisierung, zu einer 3 Im Kommentar zum Artikel auf tung, ein Radio oder ein Fernsehkanal. Darin ist Facebook extrem erfolgreich. babylonischen Gesellschaft. Das ist der http://www.horizont.net/schweiz/ Zeitungen, Radio und Fernsehen sind 2017 war jeder sechste Erdenbürger Grund, warum ich Tamedia mit einer nachrichten/Zeitungstausch-Tamedi- Broadcast-Medien: Sie nehmen einen mindestens einmal pro Tag auf Fa- erneuerten «BaZ» alles erdenklich aBaZ-Serge-Reymond-166409 Inhalt und verbreiten diesen Inhalt an cebook anzutreffen. In der Schweiz Gute wünsche – und warum ich es für 4 Vgl. https://www.srf.ch/news/ alle Empfänger. Alle Empfänger erhal- nutzen heute 3,8 Millionen Menschen die Schweiz als existenziell wichtig er- schweiz/uebernahme-bestaetigt-ta- ten dieselbe Zeitung und sehen (und Facebook. Zwar sind immer weniger achte, dass es einen starken, medialen media-uebernimmt-die-basler-zei- hören) dasselbe Programm – und alle, Menschen unter 30 Jahren auf Face- Service Public gibt. Wenn die Medien tung die einen Beitrag sehen, sind sich be- book aktiv, dafür nimmt die Zahl der weiterhin den Sauerstoff der Demokra- 5 Vgl. https://www.vice.com/de_ch/ wusst, dass alle anderen diesen Beitrag Nutzer rasch zu, die älter sind als 30 tie sein wollen, müssen sie uns allen article/j5anwg/blocher-somm-boll- auch sehen. Auf diese Weise entsteht Jahre (insbesondere jene, die älter sind frische Luft verschaffen. Keine Einzel- mann-verkaufen-baz-an-tamedia- Öffentlichkeit. als 50 Jahre).7 Die jüngeren Benut- dosen wie Facebook und keine Stink- angst-vor-svp-dech zer weichen auf Instagram aus – was bomben wie die «BaZ», sondern gute, 6 Vgl. https://bazonline.ch/basel/ Das wahre Facebook-Problem Facebook egal ist, weil auch dieses frische Luft. in-der-stadt-des-rotgruenen-bieder- Facebook funktioniert völlig anders. Angebot zu Facebook gehört. 3,8 Mil- meiers/story/10199616?track Jeder Benutzer sieht in seiner Chro- lionen Nutzer – das ist fast jeder zweite Basel, 20. April 2018, Matthias Zehn- 7 Zahlen vom März 2018, vgl. https:// nik (wie die Facebook-Timeline auf Schweizer. Facebook erhält zudem von der [email protected] bernet.ch/blog/2018/04/03/face- Deutsch heisst) andere Informationen. allen Onlineangeboten am meisten book-zahlen-schweiz-erneut-weni- Facebook sammelt jede Menge Daten Aufmerksamkeit: Jede sechste Online- ger-u30-nutzer/ über seine Benutzer und kennt sie minute wird auf Facebook verbracht manchmal besser als sie sich selbst. und jede fünfte Minute am Handy Diese Daten nutzt Facebook dazu, um verbringen die Benutzer mit Facebook. seinen Benutzern jene Inhalte (und Weil Facebook aber jedem Nutzer ein jene Werbung) zu zeigen, von der individuelles Angebot zeigt, führt Fa- Facebook aufgrund der gesammelten cebook nicht zu Öffentlichkeit. Jeder Daten ausgehen kann, dass sie die Be- Facebook-Nutzer sieht seine eigene nutzer interessieren. Übergeordnetes Welt, wobei er selbst im Zentrum die- © MatthiasZehnder.ch AG Alle Rechte vorbehalten. Für Privatgebrauch sind Ausdruck und Kopie erwünscht, neue Kommentare wöchentlich unter www.matthiaszehnder.ch Abo unter www.matthiaszehnder.ch/abo Seite 2/2.
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