Carl Einstein - Porträtiert Von Benno Elkan

Carl Einstein - Porträtiert Von Benno Elkan

Originalveröffentlichung in: Bruckmanns Pantheon 43 (1985), S. 144-154 144 Dietrich Schubert Carl Einstein - porträtiert von Benno Elkan »Assez des Cocktails vides de l'absolu.« rismus, über seine Emigration nach Paris Während Thomas Mann mit Reden und Essays (Carl Einstein, 1929) (1928), bis zu seinem aktiven Kampf gegen die gegen den Faschismus arbeitete, schloß sich »... und wie sollte ich diese Kraft, Faschisten (zusammen mit seiner zweiten Frau Einstein ­ wie Ludwig Renn ­ den internatio­ die mich vernichtet, leugnen ?« Lyda Guevrekian, die als Krankenschwester nalen republikanischen Brigaden in Spanien (Albert Camus, Sisyphos) arbeitete) 1936/37 in Spanien und ­ nach dem an, die die spanische Republik gegen die Fran­ Aufenthalt im Internierungslager bei Gurs ­ co­Armee verteidigten. Er kämpfte in der be­ bis zu seinem verzweifelten Selbstmord in der rühmten Kolonne des Italieners Durruti und Der Autor des revolutionären Prosatextes »Be­ Nähe von Mont­de­Marsan im Juli des Jahres hielt nach dessen Tod im Rundfunk von Barce­ 3 buquin«, Carl Einstein (Abb. 1), der jenen 1940 . lona die Gedächtnisrede. Deshalb war Einstein Text »absoluter Prosa« (Gottfried Benn) von Als die Faschisten sich in Europa ausbreiteten, auch nach dem Sieg der Frankisten und dem 1906/07 in Franz Pfemferts Zeitschrift »Die warf Einstein der Kultur und den Intellektuel­ Vordringen der Nazi­Deutschen in Frankreich Aktion« im Jahre 1912 in mehreren Folgen len der »Moderne« in einem Text von um 1934 der Fluchtweg über die Pyrenäen versperrt. und dann als Büchlein in der Aktions­Biblio­ vor: »[...] das träumt über Südsee und Neolith Einsteins Entwicklung nach 1914, seit der Po­ 1 thek veröffentlichte , wurde in den Jahren vor [...] das ersann Abänderung des Traums und lemik gegen Stefan George (»Die Verkündi­ und nach dem Ersten Weltkrieg als Dichter des Raums und ergreiste in eine Moderne, die gung« 1911), seit dem Aufsatz »Totalität« und Kunstschriftsteller eine der zentralen Ge­ sinnlos sein wollte, nur sich selbst bedeuten sol­ (1914, in: Die Aktion), seit dem Erleben des stalten im geistig­kulturellen Leben in Berlin le wie reine Idee, während Straße und Buden Weltkrieges, der Herausgabe des Buches »Ne­ und in der Wechselspannung zwischen Berlin klagten und die Jugend nach dem Sinn ihres gerplastik« (1915), das ihn über »Bebuquin« und Paris. verrinnenden Lebens antwortlos fragte. einem breiteren Publikum schlagartig bekannt Die von Friedrich Nietzsches Frühschriften Da war eine große Idee: die Gemeinschaft, machte (von Ernst Bloch besprochen in: Argo­ (»Unzeitgemäße Betrachtungen«), der »Fröh­ aber niemand wußte, wie sie organisieren. nauten, 2. Jg, 1915, S. 10­20), sein Aufenthalt 4 lichen Wissenschaft«, dem »Ecce Homo« und [...]« (»Wir treiben eine Politik des Todes«) nach April 1916 bei der Zivilverwaltung des anderen zur Idee einer neuen Kultur inspirier­ Hier sprach Carl Einstein jene expressioni­ General­Gouvernements in Brüssel und die ten geistigen Arbeiter nahmen in ihrem Den­ stisch­sozialistische Idee der »neuen Gemein­ dortigen Kontakte zu Flake, zu Hausenstein, ken und Schaffen eine Gemeinschaft vorweg, schaft« an, die um 1919/20 das Ziel zum Bei­ Benn (den er bereits aus Berlin kannte), zu die diejenige alte des wilhelminischen Unterta­ spiel des Berliner Arbeitsrates für Kunst (um Paul Westheim, Kasack, zu Thea und Carl 7 nen und der historistisch gesonnenen »Phili­ Bruno Taut und Walter Gropius) war, die die Sternheim , sodann Einsteins Rolle im soziali­ ster« verwarf. sozialistischen Expressionisten wie Ernst Tol­ stischen Soldaten­Rat Brüssel während der 2 Heinrich Manns Essay »Geist und Tat« von ler (»Die Wandlung«, 1919 uraufgeführt) oder Novemberrevolution, sein späterer Aufstieg 1910 wirkte zentral, ebenso verschiedene ex­ Ludwig Rubiner zu Dramen oder ekstatischen zum bedeutenden Kritiker, Mitarbeiter der pressionistische Zeitschriften wie »Die Ak­ Hymnen inspirierte: »Die Gemeinschaft ­ Do­ »Pleite« (hg. v. W. Herzfelde, Idee von Ein­ tion« (seit Februar 1911) oder die des Lyrikers kumente der geistigen Weltwende« (Potsdam stein) und zum Herausgeber des »Blutigen Ernst Blass, an der unter anderem Bloch, Sche­ 1920), eine Textsammlung, die Rubiner 1919 Ernst« 1919 (zusammen mit George Grosz) ­ ler, Benjamin, Musil, Burschell, Franz Jung vor seinem frühen Tod besorgte und die Stim­ dies kann hier alles nicht dargestellt werden. und Radbruch mitarbeiteten, »Die Argonau­ men von Marat, Marx, Barbusse, Wilhelm Im Juli 1921 veröffentlichte Einstein das Stück ten« (1914/15, Heidelberg) mögen als Beispiele Herzog, Jouve, Guilbeaux, Tolstoi, Kropot­ »Die Schlimme Botschaft«, das ihm einen Got­ 8 für jene Tendenzen stehen. Freilich kam die kin, Leonhard Frank, Gustav Landauer, Ge­ teslästerungs­Prozeß nach § 166 einbrachte . Stunde der Verwirklichung dieser neuen Ge­ org Kaiser, Hedwig Lachmann und anderer Diese zwanzig Passionsszenen gegen den 5 sellschaft und des »neuen Menschen« (also der vereinte . Auch Carl Einstein war in dieser Krieg gehen auf ein Kriegserlebnis zurück, das Vision der Erneuerung des Menschen, wie sie zweiten Textsammlung (neben »Kameraden Nico Rost überlieferte ­ bei dem Einstein vor 1918 G. Kaiser kennzeichnete) erst aus dem der Menschheit«) mit dem Aufsatz »Zur pri­ Verdun einem verstörten Kaplan begegnete, Grauen des Völkermordens nach 1914, aus der mitiven Kunst« vertreten. den das sinnlose Kriegssterben verwirrt hatte. pazifistischen Bewegung nach 1916 und mit Die große Idee der humanen europäischen Ge­ Einstein erfuhr während dieser Begegnung die den Jahren 1918/19, also der Novemberrevolu­ meinschaft, die Einstein 1934 rückblickend an­ Vision des wiederkehrenden Christus: »Mei­ tion und der Hoffnung auf eine sozialistische sprach, wird der Leser nicht verwechseln mit ner Ansicht nach würde er heute (genau so wie Demokratie; sie wurde aber durch das Bündnis der faschistischen Gemeinschafts­Vorstellung damals) ermordet. Ich habe Christus nicht lä­ der Ebert­Regierung mit den kaiserlichen Be­ und Gemeinschafts­Diktatur und deren völki­ cherlich gemacht, sondern gezeigt, daß er an amten und den Generälen Wilhelms II. wieder schen und nationalistischen Inhalten (die Mord der heutigen Gesellschaft zugrundegehen müß­ vereitelt und durch den erstarkenden Faschis­ und Krieg implizierten), die Thomas Mann da­ te, weil wir uns zwar oft als Christen bezeich­ mus und Nazismus endgültig ausgelöscht. ­ zu brachten, in dem Essay »Vom kommenden nen, aber bestimmt keine Christen sind.«'' Auch Einsteins Schicksal ist eng mit diesen Sieg der Demokratie« (1938) darzustellen, daß Entwicklungen verbunden, hoffte er doch als die Begriffe Sozialismus und Nationalismus guter Europäer auf eine Versöhnung der Na­ unvereinbar sind und folglich der Terminus 1 Benno Elkan Der Dichter Carl Einstein, 1913/14; tionen und auf Frieden: über seinen Abscheu »Nationalsozialismus« eine schlimme Wort­ Bronze, Höhe 30,5 cm. 6 vor dem deutschen Nationalismus und Milita­ lüge bedeutet . Dortmund, Museum am Ostwall CARL EINSTEIN - PORTRÄTIERT VON BENNO ELKAN 146 CARL EINSTEIN - PORTRÄTIERT VON BENNO ELKAN Schon im Jahre 1922 erhielt Einstein den Auf­ die Einordnung der isolierten Erlebnisse in kol­ arbeitete an »meinem Roman. Er erscheint zu­ trag für das umfassende Buch »Die Kunst des lektiv gültige Zeichen; erst in Amerika. Ich hoffe auch meine Aesthe­ 20. Jahrhunderts« innerhalb der Reihe der 3. die Identifikation mit einer neuen Gestalt, tik d. h. eben einzelne Beiträge [...]« (Brief an Propyläen­Kunstgeschichte; er berichtet um also die metamorphotische Kraft. Ewald Wasmuth)17 Neujahr 1923 an Tony Simon­Wolfskehl, die [...] Kandinsky glaubte, es genüge, diese Welt Mit letzterem war der Band »Reflexions« ge­ er bei Benno Elkan in Frankfurt kennengelernt asketisch zu verwerfen und statt dessen lyrische meint, der in Paris und New York erscheinen hatte, von seiner Lektüre der Briefe von Franz Ornamente aufzuzeichnen.« (1931, S. 211) sollte, aber heute nicht mehr zu ermitteln ist: Marc aus dem Kriege, die er für jenes Buch­ Für die Arbeiten an der Propyläen­Kunstge­ »[...] mein buch erscheint nächsten monat etc. projekt las10. schichte führte Einstein zahlreiche Atelierbe­ aber ich sitze an einem roman; ich will den ge­ In dieser Zeit besuchte Einstein auch Max suche durch als auch einen Briefwechsel, von gen alle krise durchdruecken. was Sie mir von Beckmann in Frankfurt und andere Künstler in dem freilich nur mehr Fragmente erhalten Heidegger schreiben, ueberrascht micht nicht, ihren Ateliers, korrespondierte mit Paul Klee, sind14, das heißt, diese Briefe von und an Ein­ nachdem ich in sein leeres wesen vom gründe Ernst Ludwig Kirchner und anderen, erhielt stein sind noch nicht systematisch gesucht hineingeschaut habe [...]« (24. September auf Anfrage Briefe von den in Paris lebenden worden. ­ Trotz mancher Polemik und man­ 1932 an E. Wasmuth). Einstein arbeitete ferner Malern und Plastikern mit Informationen über cher Abwertung als »Dekoration« ­ zum Bei­ an der größeren Dichtung »Entwurf einer ihre Arbeiten für seine »Kunst des 20. Jahr­ spiel die Geringschätzung von Constantin Landschaft« (erschienen Paris 1930) und an hunderts«. Die französischen Maler Henri Brancusi ­ stellte seine »Kunst des 20. Jahr­ dem Prosawerk »Laurenz ­ oder Schweissfuss Matisse, Georges Braque und Pablo Picasso hunderts« ein Standardwerk dar und wird die­ klagt gegen Pfurz in trueber Nacht« (erschie­ kannte er bereits aus den Jahren vor dem Er­ sen Rang wiedergewinnen, nicht zuletzt wegen nen in der Zeitschrift »Front«, Den Haag, sten Weltkrieg, ebenso Moise

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