Genug Der Sühne? Bundespräsident Köhler Erwägt Die Begnadigung Des Ex-Terroristen Christian Klar

Genug Der Sühne? Bundespräsident Köhler Erwägt Die Begnadigung Des Ex-Terroristen Christian Klar

Titel Ex-RAF-MItglied Klar (1992 in Stammheim) RAF-Opfer Schleyer (während seiner Entführung im Oktober 1977) Genug der Sühne? Bundespräsident Köhler erwägt die Begnadigung des Ex-Terroristen Christian Klar. Er könnte so einen Schlussstrich unter ein blutiges Kapitel deutscher Geschichte ziehen. Doch auch 30 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ spaltet die Frage nach dem Umgang mit der RAF Politik und Gesellschaft. er junge Mann, der mit einer klei- senwald bei Hamburg verhaftet wurde, nen Schaufel durch den Sachsen- hieß Christian Klar. Er zählte zu den meist- Dwald lief, war ein Schatzsucher gesuchten Männern der Republik, galt spezieller Art. Sein Ziel war ein Erddepot Ermittlern als Top-Terrorist. Er war eine mit dem Codenamen „Daphne“, in dem treibende Kraft der Roten Armee Fraktion 11000 Mark versteckt waren. Er bemerkte (RAF). nicht, dass 15 Polizisten im Unterholz auf Heute ist Klar, 54, neben Brigitte Mohn- der Lauer lagen. Und noch bevor er mit haupt, 57, Eva Haule, 52, und Birgit Ho- dem Graben beginnen konnte, schnappte gefeld, 50, eines von vier ehemaligen die Falle zu. Statt seinen durchgeladenen RAF-Mitgliedern, die nach wie vor hinter Colt Combat Commander zu ziehen, warf Gittern für ihre Morde büßen. Bis vor der Umzingelte sich angesichts der Über- wenigen Wochen erschienen die letzten macht auf den Boden und schrie: „Nicht Gefangenen der RAF wie Vergessene aus schießen!“ einer längst vergangenen Zeit. Er selbst hatte in den Jahren zuvor mehr als einmal geschossen, gnadenlos. Der Staatsoberhaupt Köhler Mann, der am 16. November 1982 im Sach- DARCHINGER MARC Positives Gutachten 20 1998 in einem gemeinsamen Schreiben quasi offiziell auflöste, inzwischen Historie ist – ganz bewältigt ist die dramatischste in- nenpolitische Krise in der Geschichte der Republik offenbar nicht. Zwar erscheint der „Krieg der Sechs ge- gen sechzig Millionen“ (Heinrich Böll), er- scheint diese „Bleierne Zeit“ (Margarethe von Trotta) umso fremder und irrealer, je länger sie zurückliegt: Ausgerechnet im rei- chen Westdeutschland ernannten sich pri- vilegierte Bürgerkinder zur bewaffneten Avantgarde einer kommunistischen Welt- revolution und erklärten einem demokra- tischen Staat einen blutigen Krieg. Umso realer war der Feldzug der RAF für die Familien der Opfer – und ist es bis heute. Die Terrorgruppe hat insgesamt 34 Menschen ermordet: Mächtige, aber auch Fahrer, Polizisten, Leibwächter. In den eigenen Reihen wiederum bezahlten 26 RAF-Mitglieder den bewaffneten Kampf mit ihrem Leben. Insgesamt 26 Terroristen wurden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Nun stehen gleichermaßen schwierige wie brisante Fragen zur Diskussion: Kann und soll, 30 Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ 1977, ein Schlussstrich unter das deprimierende Kapitel gezogen, sollen die RAF-Leute freigelassen werden? Ist der Sühne Genüge getan? Dürfen Menschen, die gnadenlos getötet haben, in den Ge- nuss von Gnade kommen? Müssen sie dafür zuvor Reue zeigen – und wenn ja, ULLSTEIN BILD / DPA (L.); AP (M.); NORBERT FÖRSTERLING / PICTURE-ALLIANCE/ DPA (R.) DPA / PICTURE-ALLIANCE/ FÖRSTERLING (L.); AP (M.); NORBERT / DPA BILD ULLSTEIN wie soll diese aussehen? Ist den Angehö- Ex-Terroristin Mohnhaupt (auf dem Weg zum Gerichtssaal im Juli 1993) rigen der Opfer eine Begnadigung zu- zumuten – und darf diese Frage wichtig sein? Es war ein juristischer Routine-Vorgang, Es handelt sich in beiden Fällen um Klar wird Anfang 2009 seine gerichtlich der das vergangen Geglaubte jetzt un- schlichte juristische Vorgänge – doch sie angeordnete Mindeststrafe verbüßt haben; vermittelt in die Gegenwart katapultier- provozieren eine kontroverse, ebenso mo- spätestens dann käme wohl auch er auf te: ein Antrag auf Entlassung zur Be- ral- wie geschichtsträchtige Debatte. Denn Bewährung frei. Es scheint also nur darum währung. In diesem Fall aber stellte die Stuttgarter Richter wie auch der Berli- zu gehen, ob ein Mann, der bereits 24 Jah- nicht ein unbekannter Häftling den An- ner Präsident werden – ob sie es wollen re gesessen hat, noch zwei weitere sitzen trag beim Oberlandesgericht Stuttgart, oder nicht – über den Umgang mit einem soll. Aber die öffentliche Aufregung zeigt, sondern Brigitte Mohnhaupt, die Anfüh- der dunkelsten Kapitel der Geschichte um wie viel mehr es in Wahrheit geht: Ist rerin der RAF in den blutigen Jahren Westdeutschlands entscheiden. der Rechtsstaat auch ein Rächer-Staat, darf 1977 bis 1982. Sie hat ihre vom Gericht an- Denn obwohl die RAF, die 1993 ihren er das sein? geordnete Mindeststrafe fast abgesessen. letzten Anschlag verübte und sich im April Über gewöhnliche Verbrecher richten Aller Wahrscheinlichkeit nach kommt die aus guten Gründen nicht Opfer oder deren einstige Terroristin, die nur fünf Tage vor UMFRAGE: BEGNADIGUNG Hinterbliebene. Es entscheidet die unab- Christian Klar verhaftet worden war, im hängige Justiz. Die Terroristen aber nah- März frei. „Sollte Bundespräsident men die Repräsentanten des Staates ins Fast zeitgleich mit dem Gericht in Stutt- Horst Köhler den RAF-Häftling Visier – der Rechtsstaat selbst war ein Ziel gart wird Bundespräsident Horst Köhler des Terrors. Gemeint waren nicht in erster über das Schicksal Christian Klars ent- Christian Klar, der seit 24 Jahren Linie die Menschen Jürgen Ponto, Sieg- scheiden, über ein Gnadengesuch dieses seine Strafe absitzt, begnadigen, fried Buback, Hanns Martin Schleyer; es einst gnadenlosen Mannes. Und das ist al- auch wenn dieser bislang öffent- ging um ihre Funktionen: der Bankchef, les andere als ein Routine-Vorgang. lich keine Reue gezeigt hat?“ der Generalbundesanwalt, der Arbeitge- Denn es gibt zwar ein Gnadenrecht, berpräsident. Auch der Staat war also aber kein Recht auf Gnade. Dass das JA 20 % Opfer, hat er nun das Recht oder gar die Staatsoberhaupt ein Gerichtsurteil quasi Pflicht zu verzeihen? abwandeln kann, läuft dem Grundgedan- Der dramatische Höhepunkt je- ken des Rechtsstaates sogar zuwider, es ist NEIN 71 % ner Epoche, die die Bundesrepu- ein Relikt aus der Zeit des Feudalismus. blik zeichnete, ist 30 Jahre vergan- Für den Philosophen Immanuel Kant war TNS Forschung für den SPIEGEL vom 24. und 25. Januar 2007; gen. Mohnhaupt und Klar gehörten damals das Gnadenrecht „wohl unter allen Rech- rund 1000 Befragte; an 100 fehlende Prozent: „weiß nicht“/ zur sogenannten Zweiten Generation der keine Angabe ten des Souveräns das schlüpfrigste“. RAF, die mit ihrer „Offensive 77“ die Bun- der spiegel 5/2007 21 SPIEGEL TV (L.); NIEHUES / ADVANTAGE (R.) SPIEGEL TV (L.); NIEHUES / ADVANTAGE Schleyer-Attentat (1977) Schleyer-Witwe Waltrude desrepublik an den Rand des Staatsnot- Gruppe, die mit deutscher Endsieg-Men- gungsrecht aus“, heißt es knapp in Artikel stands brachte. talität auch in hoffnungsloser Lage wei- 60 des Grundgesetzes. Soll er dieses Recht Eingebrannt ins Gedächtnis der Nation terkämpfte. nutzen, um ein Zeichen zu setzen? Das haben sich die brutalen Bilder; die Schock- Gründlich bestraft wurde der Mann „menschliche Schicksal“ des Inhaftierten welle des Terrors hat einen Teil der poli- dafür: Das für Klar zuständige Oberlan- beschäftige ihn, hat er einmal gesagt – und tischen Klasse traumatisiert: Über Wochen desgericht Stuttgart entschied, dass er we- er hat mehrmals erkennen lassen, dass er hielt die RAF damals im „Deutschen gen der „besonderen Schwere der Schuld“ den Schlussstrich gern ziehen würde. Herbst“ mit der Entführung Schleyers nicht vor dem 3. Januar 2009 entlassen Doch er zögert, und er hat gute Gründe die Regierung unter SPD-Kanzler Hel- werden dürfe. Seine Hoffnung auf eine dafür. Denn der ansonsten interventions- mut Schmidt im Würgegriff. Eine nur vorzeitige Freilassung ruht deshalb einzig freudige Präsident, der schon zwei Gesetze 20-köpfige Truppe zum Letzten ent- und allein auf dem höchsten Repräsentan- stoppte, steht vor einer der schwierigsten, schlossener Terroristen wollte so die ten jenes Staates, den er einst mit Waffen- in jedem Fall kontroversesten Entschei- Freilassung der inhaftierten RAF-Gründer gewalt zerstören wollte. dungen seiner bisherigen Amtszeit. Eine erzwingen. Ausgerechnet Köhler, der als Direktor deutliche Mehrheit von 71 Prozent der Bür- Der nervenaufreibende Kampf eskalier- des Internationalen Währungsfonds jenes ger ist laut einer Umfrage im Auftrag des te mit der Erstürmung der Lufthansa-Ma- „imperialistische Schweinesystem“ (RAF- SPIEGEL gegen die Begnadigung Klars. schine „Landshut“ in Mogadischu, die ein Jargon) vertrat, das Klar so hasste und Was eine sowohl nüchterne als auch mo- mit der RAF verbündetes Palästinenser- bekämpfte, hat die Prüfung seines Gna- ralisch vertretbare Entscheidung über Klars kommando entführt hatte. Unmittelbar dengesuchs eingeleitet. Der Bundespräsi- Schicksal noch weiter erschwert: Horst darauf begingen die RAF-Führer Andreas dent und seine Beamten beschäftigen sich Köhler weiß, dass er sich auf einem Mi- Baader und Gudrun Ensslin sowie Jan-Carl seit einem halben Jahr mit dem Antrag des nenfeld aus Traumata, Tabus und Mythen Raspe im Hochsicherheitsgefängnis Stutt- einstigen Terroristen. Köhlers Vorgänger bewegt. Fast so, als wäre die RAF nach wie gart-Stammheim Selbstmord. Daraufhin haben bereits diesen Weg zur Versöhnung vor „Staatsfeind Nummer eins“, diskutie- erschoss ein RAF-Mann, dessen Identität beschritten: Richard von Weizsäcker und ren nun Politiker aller Parteien über die bis heute nicht zweifelsfrei geklärt ist, in ei- Roman Herzog haben jeweils drei, Johannes Frage, ob und unter welchen Bedingungen nem Wald in Frankreich hinterrücks den Rau hat zwei zu lebenslanger Freiheitsstra- noch einsitzende

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