Die Schweiz Im Ausnahmezustand: Expansion Und Grenzen Von Staatlichkeit Im Vollmachtenregime Des Ersten Weltkriegs, 1914-1919

Die Schweiz Im Ausnahmezustand: Expansion Und Grenzen Von Staatlichkeit Im Vollmachtenregime Des Ersten Weltkriegs, 1914-1919

Zurich Open Repository and Archive University of Zurich Main Library Strickhofstrasse 39 CH-8057 Zurich www.zora.uzh.ch Year: 2019 Die Schweiz im Ausnahmezustand: Expansion und Grenzen von Staatlichkeit im Vollmachtenregime des Ersten Weltkriegs, 1914-1919 Schneider, Oliver Abstract: Wer Schweizer Politik hört, denkt heute an Demokratie, Gewaltenteilung, Volksabstimmungen und sorgsam austarierte Interessen. Fast vergessen ist hingegen, dass die Schweiz im 20. Jahrhundert während Jahrzehnten mit Notrecht regiert wurde, das seinen Ursprung im Ersten Weltkrieg hatte. Denn dieser Krieg fand nicht nur in den Schützengräben und auf den Weltmeeren statt, er erfasste auch die Amtsstuben und Regierungsgebäude. Über Jahre mussten Armeen unterhalten, Wirtschaften auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt und Engpässe bei der Versorgung bewältigt werden. Die Schweiz bildete hierbei keine Ausnahme. Im August 1914 stattete das Parlament den Bundesrat in einem bislang beispiellosen Akt mit legislativen Kompetenzen aus. Es legte so den Grundstein für das sogenannte Vollmachtenregime, um das sich dieses Buch dreht. Neben den Parlamentariern und dem Volk machten nun Beamte die Gesetze, Militärgerichte dehnten ihre Befugnisse in die Zivilgesellschaft aus und staatliche Institutionen begannen in Wirtschaft und Alltag einzugreifen. Dieses Buch geht den Entscheidungen, Akteuren und Konflikten des Vollmachtenregimes nach. Es stellt die Frage, wie sich die politische Schweiz unter dem Einfluss des Grossen Krieges veränderte. DOI: https://doi.org/10.33057/chronos.1506 Posted at the Zurich Open Repository and Archive, University of Zurich ZORA URL: https://doi.org/10.5167/uzh-170707 Monograph Published Version The following work is licensed under a Creative Commons: Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0) License. Originally published at: Schneider, Oliver (2019). Die Schweiz im Ausnahmezustand: Expansion und Grenzen von Staatlichkeit im Vollmachtenregime des Ersten Weltkriegs, 1914-1919. Zürich: Chronos. DOI: https://doi.org/10.33057/chronos.1506 Oliver Schneider zurück Die Schweiz im Ausnahmezustand Expansion und Grenzen von Staatlichkeit im Vollmachtenregime des Ersten Weltkriegs, 1914–1919 Die Schweiz im Ersten Weltkrieg 5 / La Suisse pendant la Première Guerre mondiale 5 zurück Die Schweiz im Ersten Weltkrieg 5 La Suisse pendant la Première Guerre mondiale 5 zurück Oliver Schneider Die Schweiz im Ausnahmezustand Expansion und Grenzen von Staatlichkeit im Vollmachtenregime des Ersten Weltkriegs, 1914–1919 zurück PubliziertDie Druckvorstufe mit Unterstützung dieser Publikation des Schweizerischen wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zurNationalfonds Förderung zurder Förderungwissenschaftlichen der wissenschaftlichen Forschung Forschung sowieunterstützt. von der Burgergemeinde Bern. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2017 auf Antrag der Promotions- kommission Prof. Dr. Jakob Tanner (hauptverantwortliche Betreuungs- person) und Prof. Dr. Aram Mattioli als Dissertation angenommen. Weitere Informationen zum Verlagsprogramm: www.chronos-verlag.ch Umschlagbild: Die Mitglieder des Bundesrats und der Generalstab beim Defilee in Bern, um 1914, BAR, E27#1000/721#14095#1853*. © 2019 Chronos Verlag, Zürich Print: ISBN 978-3-0340-1506-6 E-Book (PDF): DOI 10.33057/chronos.1506 5 zurückzurück Die Schweiz im Ersten Weltkrieg Die vorliegende Dissertation ist Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds in den Jahren 2012–2016 an den Universitäten Zürich, Bern, Genf und Luzern geförderten Forschungsprojektes. Unter dem Titel «Die Schweiz im Ersten Weltkrieg: Transnationale Perspektiven auf einen Kleinstaat im totalen Krieg» entstanden in den letzten Jahren insgesamt sechs Dissertationen mit vielfältigen gegenseitigen Bezügen. Neben den Aussenwirtschaftsbeziehungen, dem Voll- machtenregime und der teilweise prekären Lebensmittelversorgung wurden in diesem Projekt auch die Bedeutung der humanitären Diplomatie, Veränderungen in den Migrationsbewegungen sowie die umstrittene Rolle der schweizerischen Militärjustiz untersucht. Die Studien erforschen in unterschiedlicher Weise die Auswirkungen des Krieges und den wachsenden Einfluss der Krieg führenden Länder auf die Politik, Wirtschaft und Kultur eines neutralen Kleinstaates sowie dessen Handlungsspielräume nach innen und aussen. Hundert Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 – und eingebettet in eine Viel- zahl nationaler und internationaler Forschungsprojekte – erhält dieses zentrale Transformationsereignis des 20. Jahrhunderts auch in der schweizerischen Ge- schichtsforschung die ihm schon lange zustehende Aufmerksamkeit. Zürich, Bern, Genf und Luzern im Sommer 2016 Jakob Tanner, Irène Herrmann, Aram Mattioli, Roman Rossfeld und Daniel Marc Segesser 7 zurückzurück Inhalt 1 Die Schweiz, der Weltkrieg und der Ausnahmezustand 9 1.1 Auftakt: Das Urteil der Geschichte 9 1.2 Untersuchungsgegenstand 11 1.3 Fragestellungen 15 1.4 Theoretische Ansätze 17 1.5 Forschungsstand 20 1.6 Quellenlage 23 1.7 Untersuchungszeitraum 26 2 Der Weg der Schweiz ins Vollmachtenregime 29 2.1 Der Erste Weltkrieg als Zäsur 29 2.2 Die Eidgenossenschaft wird zum Staat 32 2.3 Wachstum und Widerstände 37 2.4 Zwischen republikanischem Ideal und interessenpolitischer Realität 42 2.5 Krise und Vertrauensverlust 47 2.6 Kriegsbereitschaft 55 3 Die Vollmachten im Dienst der Neutralität, Juli 1914 bis März 1916 69 3.1 «Diskussionslos angenommen»: Kriegsausbruch und Vollmachtenbeschluss 69 3.2 Belagerungszustände 83 3.3 Das Vollmachtenregime entsteht 89 3.4 Formen der Einflussnahme auf die Notgesetzgebung 96 3.5 Militarisierung der Politik zwischen Krieg und Frieden 105 4 Ausnahmezustand zwischen Expansion und Opposition, April 1916 bis Juni 1917 117 4.1 «Business mainly as usual»? Das Vollmachtenregime im Weltwirtschaftskrieg 117 4.2 Die Suche nach Regeln für die neutrale Kriegswirtschaft 123 4.3 «A bas les pleins pouvoirs!» Kantone und Klassenkampf gegen die Vollmachten 143 4.4 Militär- und Zivilgewalt im «Jahr der Affären» 158 5 «A Wonderful Government»?, Juli 1917 bis Oktober 1918 169 5.1 Mobilisierung des ökonomischen Potenzials für den Krieg 169 5.2 Rationieren, sparen, steigern – neue Methoden der Kriegswirtschaft ab 1917 180 5.3 Vom «System Hoffmann» zur «Ära Schulthess» 196 5.4 «Unbegrenzter Kredit» 218 zurückzurück 8 6 Kriegszustand ohne Krieg, November 1918 bis Mai 1919 229 6.1 Ambivalenz des Ausnahmezustands 229 6.2 Mit Notrecht gegen Dissidenz 245 6.3 Der juristische Standpunkt und die Suche nach Ordnung im Vollmachtenregime 254 6.4 Ausnahmsweise Massnahmen – unumgänglich notwendig 265 7 Schlussbetrachtung 289 7.1 Zusammenfassung: Das Vollmachtenregime des Bundesrats im Ersten Weltkrieg 289 7.2 Vom Ausnahme- zum Normalzustand? 295 Dank 302 Anmerkungen 303 8 Anhang 391 8.1 Abkürzungen 391 8.2 Abbildungen 392 8.3 Grafiken 393 8.3 Tabellenverzeichnis 394 8.4 Daten zu den Grafiken im Text 395 9 Quellen und Literatur 401 9.1 Ungedruckte Quellen 401 9.2 Gedruckte Quellen und Literatur bis 1945 402 9.3 Elektronische Quellen 416 9.4 Online publizierte Quellen und Periodika 416 9.5 Gedruckte Zeitungen 417 9.6 Literatur 418 9 zurückzurück 1 Die Schweiz, der Weltkrieg und der Ausnahmezustand 1.1 Auftakt: Das Urteil der Geschichte Bern im März 1916. Während um das französische Städtchen Verdun eine der bislang heftigsten Schlachten des Ersten Weltkriegs wütet, versammelt sich der schweizerische Nationalrat im Bundeshaus, um über den zweiten «Neutralitäts- bericht» der Landesregierung zu debattieren.1 In angespannter Atmosphäre hält der Tessiner Bundesrat Giuseppe Motta vor den aus allen Landesteilen angereis- ten Parlamentariern eine «magistrale Rede», die nicht nur die inneren Wogen glät- ten und das angeschlagene Vertrauen in die Exekutive wiederherstellen, sondern überdies der Geschichtswissenschaft eine Menge Arbeit ersparen soll.2 Motta, seit 1912 Vorsteher des Eidgenössischen Finanz- und Zolldepartements, entwirft nämlich bereits jetzt eine selbstbewusste Vision, wie in genau einem Jahrhundert das «Urteil der Geschichte» über die Entwicklung der Schweiz während des Ers- ten Weltkriegs ausfallen werde: «Inmitten von Europa ist ein kleines, aus drei Rassen zusammengesetztes und drei Idiome sprechendes Volk. Seine Gesetze und seine Sitten sind die de- mokratischsten der Welt. Als der im Jahre 1914 entfesselte Krieg alle es um- gebenden Staaten und noch andre dazu mit Feuer und Blut überzog, erklärte es, seine Haltung in diesem Konflikte sei die der wohlwollenden, aber bewaff- neten Neutralität gegen alle. […] In dem es umtobenden riesigen Kampfe, wie man ihn noch nie erlebt hat, schien die Kraft allein zu zählen; das internatio- nale Recht war ganz kleinlaut geworden und hielt sich abseits; trotzdem lebten alle kriegführenden Staaten mit diesem kleinen Volke auf freundschaftlichem Fusse und schlossen mit ihm wirtschaftliche Abkommen ab, die, wenn sie auch nicht all seinen anerkannten Interessen Rechnung trugen, doch wenigs- tens seine politische Unabhängigkeit und seine Ehre unangetastet liessen. Die- ses kleine Volk wurde durch bedrohliche innere Krisen erschüttert. Es hatte seiner Regierung unbeschränkte Vollmachten erteilt; seine Gemütsart und seine Ueberlieferungen sträubten sich gegen die unumschränkte Herrschaft, aber es wusste sich zu unterziehen, indem es zeitweise einen Teil seiner Frei- heiten den Lebensbedürfnissen opferte. […] Als die Friedensverhandlungen begannen, wurde [seine] Stimme mit Achtung angehört,

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