Die Familie Gloger: Eine Orgelbauer-Dynastie zwischen Norddeutschland und Skandinavien Von Dr. Dorothea Schröder Dietrich Christoph Gloger, der Erbauer der Otterndorfer Orgel (1741/42), gehörte einer Orgelbauerfamilie an, die heute – wie viele andere gute Orgelbauer auch – im öffentlichen Bewusstsein im Schatten Arp Schnitgers steht. Schon zu Lebzeiten mussten die Glogers sich mit dieser übermächtigen, stilprägenden Gestalt auseinandersetzen. Im Folgenden soll es nicht so sehr um orgeltechnische Details als vielmehr um die einzelnen Mitglieder der Familie Gloger, ihre Arbeit und die Probleme des Orgelbauer-Alltags in der Barockzeit gehen. Unser heutiges Wissen zum Thema verdanken wir hauptsächlich einer umfassenden, zwischen 1970 und 1972 in einem Orgel- Fachjournal publizierten Forschungsarbeit der ehemaligen Wittinger Kantorin Liselotte Selle. Inzwischen besitzen wir mehr Kenntnis über technische Einzelheiten der Gloger-Orgeln, doch Selles Veröffentlichung bildet noch immer die Grundlage und wurde auch für diesen Aufsatz herangezogen. 18 Die Tätigkeit der Glogers, soweit sie uns bekannt ist, setzt schon im 17. Jahrhundert ein: Vertreter der ersten Generation sind Christoph (1665– 1733) und sein Bruder Johann Heinrich (um 1670–1732). Dessen drei Söhne Johann Wilhelm (1702–1760), Dietrich Christoph (vor 1708– 1773) und Gottfried Heinrich (1710–1799) dehnten den Arbeitsbereich der Familie über Niedersachsen hinaus bis nach Skandinavien aus. Über weitere, ebenfalls im Orgelbau beschäftigte Verwandte liegen nur wenige Dokumente vor – z.B. wird ein Caspar Gloger, der wohl der ersten Generation angehörte, in den bekannten Quellen nur einmal erwähnt (1703). Anlässlich der Hochzeit Johann Heinrich Glogers in Burgdorf bei Hannover im Jahr 1701 wird der Familienname erstmals im niedersächsi- 24 schen Bereich genannt.19 Woher die Glogers kamen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Eine kursorische, bei weitem nicht erschöpfende Namenssuche führt nach Nordosten und Osten: Ein Prediger namens George Heinrich Gloger (?–1763) amtierte 53 Jahre lang im ostpreussischen Goldapp (Goldap, Polen)20, während zwischen etwa 1500 und 1870 vier Maler bzw. Kunsthandwerker mit dem Familiennamen Gloger im heutigen Ungarn, der Slowakei und Polen (Schlesien) nachweisbar sind.21 Ebenfalls in Schlesien lebten der Barockdichter Georg Gloger (1603–1631) und Konstantin Gloger (1745–1814), ein Mitglied des Zisterzienserordens und Abt des Klosters Heinrichsau.22 Nun wirft die Frage nach der Herkunft einer Orgelbauerfamilie ohnehin häufig Probleme auf, da gerade die Meister dieses Handwerks seit dem Mittelalter erstaunlich mobil waren und vielfach im Laufe ihrer Berufskarriere in verschiedenen Regionen oder Ländern arbeiteten. Der Blick auf Ostdeutschland bzw. Ostmitteleuropa hat jedoch seine Berechtigung, denn Christoph und Johann Heinrich Gloger brachten Elemente des mitteldeutschen Orgelbaus nach Niedersachsen. Sie lebten in einer Gegend, die von zwei Stilrichtungen geprägt war: In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts dominierte noch das Ideal der großen norddeutschen Stadtkirchenorgel, die dazu geeignet war, Hunderte von Gläubigen beim Singen zu führen. Die dafür und zum Spiel der Meisterwerke eines Dieterich Buxtehude oder Johann Adam Reincken unentbehrliche »Gravität« bezog das Instrument aus einem stark ausgebauten Pedalwerk. Gleichzeitig stellten Orgeln auch Prestigeobjekte dar, auf die man in wohlhabenden Kleinstädten und Landgemeinden ebensoviel Wert legte wie in den Hansestädten. Während die typische norddeutsche Orgel der Barockzeit von mächtigen Bassregistern und strahlenden Mixturen geprägt war, strebte der mitteldeutsche Orgelbau seit der Spätrenaissance23 nach »Lieblichkeit« des Klanges, die z.B. durch die Einbeziehung von Holzpfeifen erreicht wurde24 und dem um 1730 aufblühenden »galanten Stil« in der Musik sehr entgegenkam. Auf ein Rückpositiv, das zur Gemeinde hin ausgerichtet und mit kräftigen Stimmen zur Führung des Gesangs ausgestattet war, wurde nun verzichtet. Wie stark der mitteldeutsche Orgelbau schließlich auch Norddeutschland beeinflusste, lässt sich paradigmatisch am Bau der Großen Orgel in der Hamburger Hauptkirche St. Michaelis ablesen: Nachdem Arp Schnitgers Söhne die väterliche Werkstatt in die Niederlande verlegt hatten, fand sich an der Alster kein großer Meister mehr, um das von dem Musikschriftsteller Johann Mattheson gestiftete Instrument zu bauen. Man berief Johann Gottfried Hildebrandt (1724 oder 1725–1775) aus Dresden, einen 25 Vertreter der sächsischen Silbermann-Schule, der zwischen 1762 und 1769 im »Michel« eine der größten Orgeln Europas errichtete. Christoph Gloger 1665 (Geburtsort unbekannt) – 1733 Aderstedt Bei welchem Meister er in die Lehre ging, konnte noch nicht festgestellt werden. Sein Schreibstil spricht für eine sehr gute Schulbildung; außerdem war auch als Landvermesser tätig, beherrschte also die Rechen-, Zeichenund Perspektivkunst. Er ließ sich in Halberstadt nieder, wo er um 1685 zusammen mit Henning Weidenbach eine Orgel für die Kirche von Schwanebeck baute. 1698: Dass Christoph in diesem Jahr den Auftrag erhielt, ein Gutachten über die im Bau befindliche Orgel von Zacharias Theißner (auch Thayßner, Thaisner) im Merseburger Dom zu schreiben, belegt das hohe Ansehen, das der 33jährige Meister bereits genoss. Aus seiner Beurteilung spricht hohes Berufsethos; sie zeigt aber auch, dass Orgelbauer keineswegs nur sanftmütige Künstlerpersönlichkeiten, sondern oftmals die härtesten Kritiker ihrer Kollegen waren – bis hin zu Verleumdungen und bösartiger Nachrede. Im Hintergrund stand dabei meistens weniger persönliche Abneigung als vielmehr der harte Konkurrenzkampf und Wettbewerb um lukrative Aufträge, insbesondere in Mitteldeutschland, wo sich viele Orgelbauwerkstätten etabliert hatten. Nach Glogers Ansicht arbeitete Theißner sehr langsam und schlecht, hatte seine Leute nicht im Griff und betrog die Gemeinde. Besonders missfiel es Gloger, […] daß Er [d.h. Theißner] nirgends selber, wie es sich allerdings geziemet, seinen Untergebenen vorgegangen mit unermüdetem Fleiße und eigener Handanlegung; die zu dem Bau benöthigten Speculationes (welche ein rechtschaffener Meister in etlichen Tagen, ja des Nachts im Bette absolviren kann und soll) unterlassen, selten zugegen, oder wenn er zugegen, meistentheils Allotria tractiret und gemachet, oder von den Gesellen hat machen lassen, nämlich: Stativen, Transporteurs, Scheibeninstrumente, geometrische Maßstäbe, Compasse, Lauten, Geigen, Brettspiele, Clavicordia, Spinettgehäuse etc. etc. [...] Hier ist auch sonnenklar und offenbarlich, daß er mit seinen Materialien, vom Kleinsten zum Größten, so umgegangen, daß man sich fast schämet [...] die große verübte Dieberei zu specificiren […]. Überdies habe Theißner 15 Zentner Zinn im Wert von etwa 390 Talern unterschlagen und aus nicht gebrauchtem, aber von der Gemeinde schon 26 bezahltem Ahornholz »Drucker Formen« machen lassen.25 Diese kontraktwidrigen Nebentätigkeiten Theißners lassen darauf schließen, dass auch er unter schwerem finanziellen Druck stand und zeitweilig allein vom Orgelbau nicht leben konnte. Üblicherweise gingen alle Orgelbauer notgedrungen für neue Projekte in Vorleistung (Material- und Lohnkosten), da der größte Teil des Honorars erst nach der erfolgreichen Abnahme gezahlt wurde. Was die Qualität von Theißners Orgel betraf, hatte Christoph Gloger recht: Das Instrument erwies sich tatsächlich als teilweise völlig misslungen und konnte erst nach einer korrigierenden Umgestaltung durch Johann Friedrich Wender (1713–1715) eingeweiht werden. Ihr prachtvoller Prospekt, hinter dem heute eine romantische Orgel von Friedrich Ladegast (1853–1855) steht, beeindruckt jedoch noch immer jeden Besucher des Merseburger Doms. 1707, Aderstedt: In dem Ort nördlich von Halberstadt baute Christoph Gloger eine Orgel mit zwei Manualen und Pedal (28 Register), deren beeindruckendes Gehäuse erhalten ist. Zur Zeit wird die Kirchenaustattung mit Unterstüzung der Deutschen Stiftung Denkmalschutz langfristig restauriert; eine Wiederherstellung der Orgel soll folgen. 1708, Harburg: Die Renovierung der Orgel in der Dreifaltigskeitskirche zog Christoph und seinen Bruder Johann Heinrich (s.u.) erstmals in unsere Region, d.h. in das damalige Kurfürstentum Hannover26. 1710, Lüneburg: Christoph Gloger bewarb sich mit einem Kostenvoranschlag für einen umfangreichen Auftrag der St. Johannis-Kirche. Weil die Arbeit an die Werkstatt von Matthias Dropa vergeben wurde, gab Christoph Gloger letzten Endes sein Handwerk auf. Er wurde Gutsverwalter und Organist der Familie von Veltheim auf Gut Aderstedt (s.o., 1707), wo er 1733 verstarb. Christoph Glogers Werkliste umfasst vier Neubauten (drei große Orgeln, ein Orgelpositiv) sowie etliche Gutachten und Kostenanschläge. Johann Heinrich Gloger um 1670 (Geburtsort unbekannt) – 1732 (Hannoversch Münden) Über die Ausbildung von Christoph Glogers Bruder liegen keine Dokumente vor. Gustav Focks Vermutung, er habe seine Lehre bei Arp Schnitger absolviert, lässt sich im Hinblick auf stilistische Merkmale und die Ereignisse während des Harburger Orgelbaus (s.u.) kaum stützen. Offenbar hielt sich Johann Heinrich Gloger während seiner Wanderjahre in Görlitz 27 auf, besuchte möglicherweise Schlesien, war in Mitteldeutschland unterwegs und zog schließlich nordwärts bis Schweden. Er ist höchstwahrscheinlich identisch mit »Hans Hindrich Glorige«, der um 1690 als Geselle bei Hans Henrich Cahman in Växjö (Småland) arbeitete. Als Geselle von Hans Christoph Fritzsche (Frietzsch), dem Sohn des Dresdener Hoforgelbauers
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