PROJECT EdUCATION OF ROMA | GESCHIChTE ROMA ChILDREN COUNCIL CONSEIL OF EUROPE DE L´EUROPE IN EUROPE DIE NAZIZEIT IN DEN 5.4 BALTISCHEN STAATEN Die Nazizeit in den baltischen Staaten Michael Zimmermann Ein zwiespältiges Merkmal der Verfolgung | Mobile Tötungseinheiten | Lettland | Estland | Auschwitz-Birkenau In den baltischen Staaten begann die Ermordung der Roma unmittelbar nach dem Angriff der Deutschen im Jahr 1941. Die SS („Schutzstaffel“) und das deutsche Militär ermordeten alle Roma, die ihnen in die Hände fielen. Später, als die mobilen Streitmächte in stationäre Einheiten umgewandelt und durch Polizeieinheiten verstärkt worden waren, machten sie mit Unterstützung der zivilen Besatzungsbehörde weiter. In Estland überlebten nur 5 bis 10 Prozent der Vorkriegs-Roma-Bevölkerung die deutsche Besatzung. EINLEITUNG BESETZTE SOWJETUNION TALLINN Front im Herbst 1942 IM HERBST 1942 Routen der 3 Der deutsche Angriff auf die Sowjetuni- Ill. 1 (beruhend auf Kenrick / Puxon 1995, S. 88 und Einsatzgruppen on und die baltischen Staaten im Sommer Zimmermann 1999, S. 141) A, B, C, D 1941 hatte von Anfang an den Charak- ter eines rassistischen Eroberungs- und 1 REICHSKOMMISSARIAT A OSTLAND MOSKAU Vernichtungskriegs. Für diesen Feldzug 3 1 VAZMA wurden vier „Einsatzgruppen“ – mobile REICH MINSK 1 2 Unter deutscher Tötungseinheiten der SS („Schutzstaf- SMOLENSK WARSCHAU Zivilherrschaft fel“) – gegründet. Zusammen mit ande- GENERAL- 3 Unter deutscher ren SS-Einheiten, dem deutschen Militär GOUVERNEMENT GOMEL Militärherrschaft und zivilen Besatzungsbehörden, töteten B 3 diese Einsatzgruppen alle Roma, die ih- ROWNO 2 REICHSKOMMISSARIAT 2 KIEW nen unterkamen. Anfangs suchten sie UkRAINE 3 MILITÄRGEBIETE nicht mit demselben Eifer nach Roma wie nach Juden oder Kommunisten. Als 3.800 Roma umgebracht. In Estland wa- C CHARKOW die Einsatzgruppen jedoch in lokal stati- ren es über 90% der dort lebenden 750- D onierte Einheiten der Sicherheitspolizei 850 Roma. Im Falle Litauens bedarf es umgewandelt wurden und diese durch weiterer Nachforschungen. Historiker OdESSA 2 Einheiten der deutschen Ordnungspo- schätzen aber, dass die große Mehrheit lizei verstärkt wurden, wie es in den der Roma-Bevölkerung erschossen wur- baltischen Staaten geschah, begann die de. Darüber hinaus wurden Anfang 1944 3 systematische Tötung von Roma. Von 2.000 bis 3.000 Roma aus Weißrussland 3 1941 bis 1943 wurde in Lettland wahr- und Litauen nach Auschwitz-Birkenau scheinlich die Hälfte der dort lebenden deportiert. S C H WA R Z E S M EER zwei charakteristische Merkmale: die nicht auf kleine umherreisende Roma- EIN ZWIESPÄLTIGES MERKMAL Hauptzielgruppe der „Zigeuner-Verfol- Gruppen, die nur innerhalb der Gruppe DER VERFOLGUNG gung“ in Deutschland waren Menschen, heirateten und als „rassisch rein“ angese- die für „Zigeuner-Mischlinge“ gehalten hen wurden. In den nach 1939 besetzten Die nationalsozialistische Verfolgung der wurden, also für „Zigeuner“ mit „ge- Gebieten jedoch kam eine gegensätzliche Roma hing mit der Vorstellung zusam- mischtem Blut“, die nach Meinung des Politik zur Anwendung und nomadisie- men, dass das Verhalten sozialer Grup- Rassenhygienikers Robert Ritter von rende Roma befanden sich in viel größe- pen durch biologische und genetische „ihrer ursprünglichen biologischen Na- rer Gefahr als sesshafte Roma. Faktoren bestimmt ist. Was die Roma be- tur“ abgewichen seien. Ursprünglich Dieser zwiespältige Charakter traf, hatte diese rassistische Vorstellung zielte die Politik in Deutschland deshalb der „Zigeuner-Verfolgung“ resultiert aus A Dichotomous Feature of Persecution Mobile Killing Units Latvia Estonia Auschwitz-Birkenau Ill. 2 Ill. 3 Eines der Formulare von Robert Ritter, anhand dessen biologische Da- Ein Bericht der „Einsatzgruppen“, in dem 16.152 getötete Personen ten von Roma aufgenommen wurden. (aus Hancock 2002, S. 44) aufgelistet werden, darunter Roma. (aus Kenrick / Puxon 1995, S. 91) der Betonung unterschiedlicher Facetten terdrückung und Verfolgung führte, die Unter den Opfern der „Einsatzgrup- des feindlichen „Zigeuner“-Gegenübers. schließlich im Genozid endete. Vor allem pen“ und anderer SS-Einheiten auf sowje- Innerhalb des Gebietes des eigentlichen der deutsche Angriff auf die Sowjetunion tischem und baltischem Boden waren auf Deutschen Reiches glaubte man, dass die im Sommer 1941 hatte von Anfang an den jeden Fall auch Roma. Die ursprünglichen größte „rassische“ Bedrohung von den Charakter eines rassistischen Eroberungs- Zielgruppen waren die Juden im Beamten- „Zigeuner-Mischlingen“ ausging, die ei- und Vernichtungskrieges. Für diesen Feld- apparat des Sowjet-Staates und der kom- nen teilweise oder völlig sesshaften Le- zug wurden vier „Einsatzgruppen“ – mobile munistischen Partei, jüdische Intellektuelle bensstil pflegten und denen vorgeworfen Tötungseinheiten der SS („Schutzstaffel“) und alle als widerstandsbereit erachtete Ju- wurde, dass sie durch ihre engen sozialen – geschaffen, die ihre Befehle vom Reichs- den. Doch schon in den ersten Monaten des Kontakte zur Mehrheitsbevölkerung den sicherheitshauptamt erhielten. Insgesamt Sowjet-Feldzuges radikalisierten die „Ein- „Deutschen Volkskörper“ degenerierten. umfassten die vier Einheiten A, B, C und D satzgruppen“ ihre Handlungen. Bald schon Außerhalb des Reiches, besonders in den ungefähr 3.000 Männer. Diese sollten über begannen sie, so viele Juden wie möglich besetzten Gebieten im Osten, wurde vor eine Million Menschen töten. [Ill. 1] zu töten. Gleichzeitig wurde das Morden allem das Bild des „feindlichen Zigeu- Die „Einsatzgruppen“ hielten sich auf die Roma-Bevölkerung ausgeweitet. ner-Spions“ auf nomadisierende Roma bloß an grobe Richtlinien, um die Ziele ihrer In der UdSSR und den baltischen projiziert. Es wurde behauptet, dass ihr Tötungsaktionen auszuwählen, präzise Vor- Staaten waren die deutschen Wehrmacht- „mobiler“ Lebensstil dazu diene, Spio- gaben zur Auswahl waren nicht von Belang. einheiten nicht direkt an der Vernichtung nagetätigkeiten gegen die Deutschen im Die Einheit A, die in den baltischen Staaten der Roma beteiligt. Die Militärpolizei, die Dienste des „Jüdisch-Bolschewistischen und den nördlichen Teilen Russlands für zu- Geheime Militärpolizei und vor allem die Weltfeindes“ zu verschleiern. [Ill. 2] ständig war, zählte bis zum 1. Februar 1942 „Sicherungsdivisionen“ der Wehrmacht 240.410 Opfer. Zusammen mit 218.000 übergaben „herumreisende Zigeuner“ an erschossenen Juden und weiteren 5.000 die Einsatzgruppen, damit diese sie er- MOBILE TÖTUNGSEINHEITEN im Zuge der Pogrome getöteten Personen, schossen. Wehrmachtseinheiten stellten schienen in ihren Todeslisten „Litauer, die für die Exekutionen durch die Einsatz- Historiker, die die Politik der Nationalsozi- die Grenze überquerten, Kommunisten, gruppen beträchtliche organisatorische und alisten gegenüber den Roma untersuchen, Partisanen, geistig Kranke und andere“ technische Hilfsmittel zur Verfügung. Die sind sich einig, dass der Zweite Weltkrieg auf. Die 311 „anderen“ Ermordeten wur- Einsatzgruppen fahndeten zu Beginn nicht – ausgelöst vom Naziregime mit dem An- den nicht weiter spezifiziert. Roma könnten speziell nach Roma, da die oberste Priori- griff auf Polen am 1. September 1939 – zu sowohl unter „Partisanen“ als auch unter tät darin bestand, Juden und Kommunisten einer deutlichen Intensivierung von Un- „anderen“ eingeordnet worden sein. [Ill. 3] aufzuspüren. Als jedoch die mobilen Ein- COUNCIL OF EUROPE ROMA | GESCHIChTE PROJECT EdUCATION OF ROMA ChILDREN IN EUROPE DIE NAZIZEIT IN DEN 5.4 BALTISCHEN STAATEN DAS BILD DES „FEINDES“ Ill. 4 Die Aktivität der Einsatzgruppen und ande- rer SS-Einheiten beruhte auf einer Hierar- chie von Feindbildern: An der Spitze dieser Hierarchie standen Juden und Kommunisten und ihre augenscheinliche Verschmelzung in Form einer „Jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“. In dieser ideologischen Pyramide nahmen „Zigeuner“ einen unter- geordneten, aber dennoch nicht unwichtigen Platz ein. Sie galten als „rassisch minder- wertig“ und „asozial“, als „Partisanen“, „Spione“ und „Agenten“ des imaginären Ill. 5 (aus Zimmermann 1999, S. 143) (Ausschnitt) „jüdischen Weltfeindes“. Die Einsatzgrup- Hinrich Lohses Brief vom Dezember 1941. Beim Versuch, die rassistisch motivierten Tö- pen betrachteten nomadisierende Roma als tungen von Roma in Libau zu begründen, bezeichnet Lohse die „im Lande umherirrenden „fünfte Kolonne“ im Dienste des „jüdischen Zigeuner“ als Träger von infektiösen Erkrankungen, die darüber hinaus „unzuverlässige Bolschewismus“ und töteten sie, wann im- Elemente“ seien, die weder den Anordnungen der deutschen Behörden Folge leisten würden, mer sie von ihrer Existenz erfuhren. Da sie noch dazu bereit wären „nutzbringende Arbeiten auszuführen.“ Weiters behauptete er, es jedoch nur als Gehilfen des „Weltfeindes“ gäbe den wohl begründeten Verdacht, dass sie den Deutschen schadeten, indem sie Informa- betrachtet wurden, hatte ihre Liquidierung tionen weitergaben. Auf diese Weise als Spione, Asoziale und Gefahr für die Gesundheit der nicht oberste Priorität. Menschen ausgewiesen, betrachtete Lohse die „Zigeuner“ als reif für die Hinrichtung: „Ich bestimme daher, dass sie in der Behandlung den Juden gleichgestellt werden.“ satzgruppen in lokal stationierte Einheiten kunden sollte. In diesem Brief erklärte Die Unklarheit über die Definition der „Sicherheitspolizei“ umgewandelt wur- Lohse, dass die „Zigeuner“, die im Land der Mordopfer, die bei Sicherheitspolizei den, die durch Einheiten der „Ordnungspo- „umherirren“, auf die gleiche Art wie die und Ordnungspolizei vorherrschte,
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