Zum Lebenswerk Des Sozialwissenschaftlers, Politikers Und Pädagogen Professor Dr

Zum Lebenswerk Des Sozialwissenschaftlers, Politikers Und Pädagogen Professor Dr

Zum Lebenswerk des Sozialwissenschaftlers, Politikers und Pädagogen Professor Dr. Dr. h.c. Gerhard Weisser (1898-1989)* Werner Wilhelm Engelhardt I. Lehr- und Prüfungstätigkeit an der Universität zu Köln Gerhard Weisser war nach Annahme seines Rufs an die Universität zu Köln im Jahre 1950 für gut anderthalb Jahrzehnte fast eine Institution dieser Hoch- schule. Als Lehrstuhlinhaber und zeitweiliger Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät repräsentierte er wie Theodor Wessels, Günter Schmölders, Erich Gutenberg, René König – um nur diese Namen von Kollegen zu nennen – wichtige Impulse des Aufbruchs nach der NS-Periode und den schwierigen ersten Nachkriegsjahren. Übrigens ähnlich einem seiner sozial- und kommunalpolitischen Vorgänger aus der Weimarer Republik, dem Honorarprofessor und nicht zuletzt wegen des im „Dritten Reich“ erlit- tenen Unrechts mit der Ehrendoktorwürde der Wiso-Fakultät der Universität * Ergänzte, in Einzelheiten korrigierte und mit Fußnoten versehene Fassung eines Fest- vortrags, der aus Anlaß der 100. Wiederkehr des Geburtstages von Gerhard Weisser an der Universität zu Köln gehalten wurde. Der Wortlaut des Referats und der vorausge- gangenen Würdigungen Weissers durch den Rektor der Universität, den Staatssekretär des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung NRW und den Dekan der Wiso- Fakultät wurden durch die Fakultät in einer Broschüre unter dem Titel "Akademische Gedenkfeier zum 100. Geburtstag von Professor Dr. Dr. h.c. Gerhard Weisser in der U- niversität zu Köln am 9.2.1998", Kölner Universitätsreden, Heft 78, 1998, veröffentlicht. Eine andere Fassung des Vortrags ohne Fußnoten erschien in der Zeitschrift "Soziale Si- cherheit", 47. Jg. (1998), Heft 4, S. 142 ff. Engelha1.doc, 02.07.1998 7:55 16 Werner Wilhelm Engelhardt zu Köln ausgezeichneten Carl Hugo Lindemann1, auch in durchaus ähnlicher Gesinnung wie dieser arbeitend. Die von Weisser wahrzunehmenden und auch voll erfüllten Lehr- und Prüfungsaufgaben erstreckten sich in erster Linie – der Berufungsurkunde entsprechend – auf das verzweigte Gebiet der Sozial- bzw. Gesellschaftspoli- tik. Die Vorlesungsverzeichnisse der fünfziger und sechziger Jahre weisen dies ebenso aus wie seine bald nach Kriegsende beginnenden Arbeiten zum sozialen Wohnungsbau, zur Bodenreform, zum Lastenausgleich und auch zur Währungsreform. Freilich interessierten ihn, dem vormaligen Finanzstaats- sekretär und Ministerstellvertreter zunächst der Braunschweigischen Landes- regierung von 1945 und später von Nordrhein-Westfalen2, von Anfang an die interdisziplinären Grundlagen des Fachs und deren Verbindungen zur Fi- nanz-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mehr noch als Fragen der sozial- politischen und sozialrechtlichen Details, etwa der Sozialversicherungen. Diese wußte er bei den Kollegen Heyde und Schreiber oder später auch bei der eigenen Nachwuchskraft, dem bereits verstorbenen Kollegen Otto Blume, in guter Obhut. Ich erinnere mich – was Weissers Interessen an Grundlagenfragen be- trifft – an unser erstes Gespräch im Dezember 1950 nach meinem Weggang von der Universität Halle-Wittenberg über die damals noch unbefestigte in- nerdeutsche Grenze. Ich sprach Professor Weisser im Anschluß an seine Vor- lesung im WS 1950/1951 zum Thema „Erkenntniskritik der Sozialwissen- schaften, insbesondere der Politischen Wissenschaften“ an. So hieß das mich nach spezifischen Hallenser Erfahrungen faszinierende Thema. Es stand am Anfang meiner jahrzehntelangen Zuarbeit, unserer freilich nicht immer unge- trübten engen Zusammenarbeit. Mit der Kölner Sozialpolitikprofessur war ein Lehrauftrag für Genossen- schaftswesen und damit nach den Diplomordnungen der Fakultät auch ein entsprechender Prüfungsauftrag verbunden, wie es ja noch heute bei den Kol- legen Zerche, Rösner und Schulz-Nieswandt der Fall ist. Professor Weisser hat dazu das in der NS Zeit stillgelegte Seminar für Genossenschaftswesen ab Frühjahr 1951 reaktiviert. Er widmete sich daher im Vorlesungs- und Semi- narbetrieb an zweiter Stelle, aber keineswegs minder interessiert Fragen des 1 Vgl. Werner Wilhelm Engelhardt, Professor Dr. Dr. h.c. Hugo Lindemann, ein Kom- munal- und Sozialpolitikwissenschaftler der ersten Stunde, in: Z. f. Sozialreform, 34. Jg. (1988), S. 253 ff. 2 Zur Biographie Weissers siehe außer Kürschners deutschen Gelehrten-Kalender, 1o. Aufl. 1966, S. 2653 f., den Überblick bei Guntram Philipp, Weisser, Gerhard, Politiker, Wissenschaftler, Pädagoge, in: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen (Hrsg.), Ost- deutsche Gedenktage 1998, Bonn 1997, S. 73 ff. Zum Lebenswerk Gerhard Weissers 17 gesamten Genossenschaftswesens. Die vielfältigen Organisationen der von Kartellen unterschiedenen Selbsthilfewirtschaft wurden dabei voll einbezo- gen. Zweifellos kam ihm dabei zugute, daß er auch auf diesem Gebiet aus rei- chen praktischen Erfahrungen schöpfen konnte. Er war ja während seiner Tä- tigkeit als Leiter des Wohnungsamts der Stadt Magdeburg nach 1923, als Verbandsdirektor des Verbandes mitteldeutscher Wohnungsunternehmen von 1924-1930 und als Zweiter Bürgermeister von Hagen in den Jahren 1930- 1933 zum Mitbegründer sowohl von Wohnungs- als auch von Konsumgenos- senschaften sowie von Kommunalbetrieben geworden. Von 1946-1956 fun- gierte Weisser als Präsident des Verwaltungsbeirats des Gesamtverbandes gemeinnütziger Wohnungsunternehmen in Köln3. Als früherer Angehöriger der Jugendbewegung standen ihm auch Erfahrungen mit produktivgenossen- schaftsähnlichen Gemeinschaftssiedlungen vor Augen. Auch war ihm als ausgewiesenem Finanz-und Verwaltungsfachmann natürlich stets die enge Verbindung assoziativ-korporativistischer Verhaltensweisen mit den staats- entlastenden Funktionen von Parafisci bewußt, die beide in einem mehr oder weniger frei-gemeinnützigen Geiste arbeiten. Das dritte Lehrgebiet, auf dem Professor Weisser in Köln – diesmal frei- lich ohne Prüfungsverpflichtungen – von Anfang an recht intensiv gearbeitet hat, betraf die Wohnungswirtschaft. Seine Aktivitäten ergaben sich in diesem Falle – gestützt auf seine Erfahrungen gerade auf diesem Gebiet – daraus, daß er an unserer Hochschule eben nicht nur Direktor der Seminare für Sozialpo- litik und Genossenschaftswesen sowie Mitdirektor des Forschungsinstituts für Sozial- und Verwaltungswissenschaften neben Leopold von Wiese, Hans Carl Nipperdey und Hans Peters geworden war, sondern ab WS 1951/52 gleichzeitig auch Mitdirektor des Instituts für Wohnungsrecht und Woh- nungswirtschaft an der Universität zu Köln, dies neben Hans Carl Nipperdey und dem damaligen Landgerichtsrat und späteren Kölner Oberstadtdirektor Heinz Mohnen. In diesem Bereich wurde er nicht nur durch seinen engen ersten Mitarbei- ter Ulrich Pagenstecher sowie später durch Heiner Flohr und Bertel Faßnacht, sondern zeitweise auch durch Lehrbeauftragte aus dem Gemeinnützigen Wohnungswesen unterstützt. Ich nenne in diesem Zusammenhang für die An- fangszeit die Justitiarin des Gesamtverbands gemeinnütziger Wohnungsun- 3 Zu einigen Details der genossenschaftlichen und wohnungswirtschaftlichen Aktivitäten Weissers vgl. Alice Riebandt-Korfmacher, Die genossenschaftlichen Ideen prägten sein politisches Denken, in: Die Wohnungswirtschaft, 51. Jg. (1998), S. 6 f. 18 Werner Wilhelm Engelhardt ternehmen, Rechtsanwalt Alice Riebandt-Korfmacher, und später die Ver- bandsdirektoren Julius Brecht und August Flender. II. Überblick über Forschungsaktivitäten seit den zwanziger Jahren Unter den Forschungsaktivitäten Professor Weissers, denen ich mich nun zu- wenden möchte, sind die auf die Wohnungswirtschaft bezogenen die ältesten, jedenfalls wenn primär auf die veröffentlichten Arbeiten abgestellt wird. Die Publikationen gehen nämlich bis auf das Jahr 1927 zurück. Sie kulminieren von 1938 bis in die sechziger Jahre in zahlreichen Monographien und vielen Handwörterbuch-Artikeln über Unternehmensformen, Wirtschaftsssysteme, Ordnungs- und Verfassungsprobleme sowie Stilfragen der Wohnungswirt- schaft4. Zu den bemerkenswertesten Publikationen auf diesem Gebiet dürften die kleinen Schriften „Stilwandlungen der Wohnungsgenossenschaften“ von 1953 und „Gemeinnützigkeit heute“ von 1964 gehören. In der zuerstgenann- ten Broschüre geht es zunächst um Größenwachstum und Konzentrations- probleme dieser Kooperativen. Weisser behandelt aber auch die Frage, was geschehen sollte, wenn ein Zusammenschluß im Sinne einer Genossenschaft ihr „kulturelles Größenoptimum“ überschreitet und die Fähigkeit verliert, in den Gemeinden zur Bildung von Gemeinschaft beizutragen5. Noch vor den ersten wohnungswirtschaftlichen Artikeln entstand freilich die bei Robert Wilbrandt in Tübingen vorgelegte Dissertation über das The- ma „Wirtschaftspolitik als Wissenschaft“. Dazu muß man zum wissenschaft- lichen Werdegang des Autors beachten, daß der junge Gerhard Weisser be- 4 Vgl. zuerst Gerhard Weisser zusammen mit Conrad Rühl, Das Wohnungswesen der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1927; Ders., Unternehmungsformen, Wirtschaftssysteme, Wirtschaftsformen in der Wohnungswirtschaft, in: Alfred Enskat et al. (Hrsg.), Wörter- buch der Wohnungs- und Siedlungswirtschaft, Berlin 1938, S. 1093 ff., 1197 u. 1201 f.; Ders., Wirtschaftsverfassungspolitik am Beispiel der Wohnungswirtschaft erörtert, in: Finanzarchiv NF, Bd. 7 (1939), S. 100 ff. Nach dem Kriege erschien zunächst die Bro- schüre von Ders., Gemeinnützige Wohnungswirtschaft, Berlin/Buxtehude 1948. 5 Siehe dazu zuletzt Werner Wilhelm Engelhardt, Gerhard Weisser als Genossen- schaftswissenschaftler. Anmerkungen zu seinem Werk, in: ZfgG, Bd. 48 (1998), H. 1, S. 56 ff. Grundsätzliche

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