Axel Doßmann Eine Neuverfilmung

Axel Doßmann Eine Neuverfilmung

F I L M K RI T I K ■ Axel Doßmann bei einem Anteil von 13,1 Prozent, etwa jeder Achte war demnach jünger als 50 Jahre.2 Ist die Nackt unter Wölfen, Quote ein Indikator für die Bereitschaft in der eine Neuverfilmung Bevölkerung Deutschlands, sich über die Ver­ brechen des Nationalsozialismus aufklären zu Über die Grenzen emotionaler lassen? Oder erklärt sich die Quote zu großen Erkenntnis und historischer Teilen aus der Neugier jener Ostdeutschen, die Gerechtigkeit im öffentlich- den politischen Abenteuer-Roman und DEFA- rechtlichen Fernsehen Film noch aus sozialistischen Schulzeiten ken­ nen wie auch der Autor dieser Kritik? Im anti­ Laue Filmemacher Michael Kloft ist auch faschistischen Mythos der DDR galt Auschwitz NS-Geschichte im deutschen Fernsehen kein als ein Elendsort für sinnloses Sterben, Buchen­ 77 garantierter Quotenbringer mehr. Es komme wald hingegen wurde 1963 retrospektiv als ein auf die »Idee und Machart« an, mit der diese zukunftsgewisser Kampfplatz der kommunis­ Zeitgeschichte dem Publikum angeboten wird, tischen Internationale entworfen. Im Roman­ insbesondere, wenn eine Zielgruppe unter plot endet die opferreiche Solidarität der kom­ 50 Jahren erreicht werden soll.1 Welche »Ide­ munistischen KZ-Häftlinge zur Rettung eines en« wurden für die Neuverfilmung von Bruno aus Auschwitz nach Buchenwald deportierten Apitz’ Roman Nackt unter Wölfen entwickelt? Waisenkindes mit einem Triumph über die Für welche »Machart« investierte die ARD SS. Aus der suggestiven, erst 1948 geprägten knapp 5 Millionen Euro? Welchen Plot, welche Sprachformel von der »Selbstbefreiung« des La­ Dramaturgie, welche Bildästhetik halten Pro­ gers am 11. April 1945 wurde mit Frank Beyers duzent Nico Hofmann, Drehbuchautor Stefan DEFA-Inszenierung der zum Lagertor stür­ Kolditz und Regisseur Philipp Kadelbach für menden Masse eine Ikone des sozialistischen sinnvoll und nötig, damit sich 70 Jahre nach Realismus.3 Wie setzt im Jahr 2015 das gesamt­ der Befreiung des KZ Buchenwald Millionen deutsche Fernsehen Apitz’ ergreifende Fabel in Menschen freiwillig mit der Geschichte des Szene? Wird es nach den heftigen öffentlichen Nationalsozialismus konfrontieren? Debatten über »rote Kapos« und die Rettungs­ Nackt unter Wölfen sei die »wichtigs­ macht der Politischen durch »Opfertausch« bei te Arbeit« seiner Karriere, behauptete Nico der ARD neue Film-Helden geben? Wie wer­ Hofmann gegenüber dem Magazin der Süd­ den (deutsche) Kommunisten, die Hauptak­ deutschen Zeitung drei Tage vor der Fernseh­ teure des Romans, heute dem internationalen4 premiere. Zur Primetime am 1. April 2015 Fernsehpublikum vorgestellt? Brechen in der sahen dann über 5,4 Millionen (17 Prozent neudeutschen Neuverfilmung amerikanische des Marktanteils) den Film über die fantas­ Panzer durchs Lagertor — anstelle der bewaffne­ tische Rettung eines Kindes im KZ Buchen­ ten Häftlingsmassen im DEFA-Film? wald. (Abb. 1 und 2) Das »junge« Publikum Auf die Frage »Woher kommt Ihr vielbe­ der 14- bis 49-Jährigen lag laut Medienanalyse schworenes Gespür für den Massengeschmack« Abb. 1 und 2: Im Versteck: Die KZ-Kameraden in väterlicher Sorge um »ihr« Kind. WERKSTATT GESCHICHTE I Heft 72 (2016) - Klartext Verlag, Essen S. 77-96 zeigte Nico Hofmann für das SZ-Fotoporträt Für Drehbuchautor Stefan Kolditz war unter dem Schlagwort »Sagen Sie jetzt nichts« das Erscheinen der kritischen Neuedition von auf seinen Bauch.5 Hofmanns ßauchgefühl Apitz’ Roman 2012 der Ausgangspunkt. Der mochte noch vom Quotenerfolg von Unsere DDR-Bestseller stand jetzt nicht länger unter Mütter, unsere Väter (2013) stimuliert worden dem Verdacht, ein Auftragswerk gewesen zu sein, hei dem er ebenfalls Kolditz und Kadel- sein. Tatsächlich hatte Apitz seine Geschich­ bach für Drehbuch und Regie engagiert hatte. te auch gegen die Säuberungspolitik der SED Doch wie lässt sich erklären, dass die ARD im geschrieben. Dieser Befund verwandelte den 25. Jahr des vereinigten Deutschlands ausge­ SED-treuen, 1979 verstorbenen Arbeiter­ rechnet auf Nackt unter Wölfen (1958) setzt, schriftsteller in der öffentlichen Wahrnehmung ein Buch, das Ruth Klüger als sentimenta­ etwas voreilig in eine tragische Figur, die ei­ len und literarturästhetisch unerheblichen ner Rehabilitierung bedürfe. Nico Hofmanns »Kitschroman«6 bezeichnet hat? Historikerin Ufa-Fiction GmbH sicherte sich die Filmver­ Karin Hartewig versteht den Roman zu Recht wertungsrechte, und Kolditz, der 1956 gebore­ als »Parabel des antifaschistischen, kommu­ ne Sohn eines DEFA-Regisseurs, begann seine nistischen Widerstandskampfes« im KZ Bu­ Arbeit am Drehbuch. Erst seine letzte Fassung chenwald,7 Gedenkstättendirektor Volkhard vor den Dreharbeiten reklamiert einschrän­ Knigge hält Roman und DEFA-Film für den kend, »nach Motiven des Romans« entstanden »besten Propaganda-Coup der DDR«.a Um zu zu sein. verstehen, wie dieser bereits im DDR-Sozia- Im Nachwort zur Neuedition arbeitet lismus so erfolgreiche Stoff im Jahr 2015 ein Mitherausgeberin Susanne Hantke mit ihrem Quoten-Tagessieger werden konnte,9 skizziere Vergleich des veröffentlichten Romans mit ich zunächst die Geschichte des Romans, die früheren Versionen wichtige Veränderungen Drehbuchentstehung und die Selbstvermark­ heraus. Apitz wollte mit dem Roman auch tungsstrategien der beteiligten Filmemacher, jene kommunistischen Kameraden aus sei­ bevor ich filmanalytischen Aspekten nachgehe. nen Buchenwald-Jahren verteidigen, die von den aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten SE.D-Führungskadern nachträglich der Kolla­ Selbstzensur und Authentifizierung boration mit der SS verdächtigt und Parteisäu­ des »Buchenwald-Kindes« durch Apitz berungen ausgesetzt worden waren.11 Bis zur Die ARD-Verfilmung ist der dritte deutsche vorletzten Fassung seines Manuskripts hatte Film, der sich auf den gleichnamigen Roman Apitz Einblicke in das »Dschungelgesetz« zu von 1958 bezieht. Apitz selbst wollte aus dem geben versucht, ein ungeschriebenes Lagerge­ Stoff 1955 zunächst ein Drehbuch für die setz, »unter dem wir ja schließlich alle standen DEFA entwickeln. Doch die SED hielt nach und das uns zwang, Handlungen zu begehen, drei Filmen über KPD-Führer Ernst Ihälmann die wir unter normalen Umstände vermieden und die Rolle der Kommunisten im antifaschis­ hätten«, so Apitz in einem Brief an seinen Lek­ tischen Widerstand einen Spielfilm über die tor, dem er die Anderungswiinsche von Walter heldenhafte Rettung eines polnischen Kindes Bartel, dem einstigen Leiter des Buchenwälder für überflüssig. Um so größer war die Genugtu­ Lagerwiderstandes, erläuterte.12 ung für Apitz, dass er nach seinem Romanerfolg Doch am Ende beugte sich Apitz der Kritik und dem Drehbuch für eine erste Verfilmung der Kameraden, die in seinem Roman die »po­ im DDR-Fernsehen (1960) schließlich auch litische Linie« vermissten.15 Er übte Selbstzen­ für die DEFA das Drehbuch schreiben sollte. sur, strich die wenigen unmissverständlich kri­ Der kommunistische Arbeiter, Autodidakt und tischen Szenen, bis von der bitteren Wahrheit Überlebende des KZ Buchenwald übernahm des unbarmherzigen und egoistischen Han­ außerdem die Beratung am Set und gab sich delns in den Grauzonen des Lagers nur wenig selbst eine signifikante Nebenrolle.10 mehr übrig blieb als ein Satz, den er dem Lager- FILMKRITIK ältesten in den Mund legte: »Manchmal denke lichen eine Überlebenschance zu bieten. Die ich, wir sind doch eine verdammt hartgesottene solidarische Hilfe von »Politischen« war der we- Gesellschaft geworden ,..«14 Mit dem veröffent­ sendiche Grund dafür, dass während der letzten lichten Roman gab der Überlebende nicht nur Monate des völlig überfüllten Lagers etwa 900 »den >roten< Kapos von Buchenwald ihr mora­ Kinder und Jugendliche überleben konnten. lisches Ansehen« zurück, sondern überdeckte Wahr ist aber auch, dass der vergleichsweise auch die »schmerzlichen und beunruhigenden wirkungsmächtige internationale Lagerwider­ Aspekte der Vergangenheit«.15 Apitz’ kommu­ stand des KZ Buchenwald die Ermordung von nistische Heilsgeschichte wurde zum richtigen insgesamt etwa 1.600 anderen Kindern und Ju­ Zeitpunkt fertig. Ende der 1950er Jahre war gendlichen durch die SS nicht hat verhindern die Phase der internen Angriffe der SED gegen können — nicht zuletzt, weil der organisierte kommunistische Funktionshäftlinge sowie der Widerstand andere Prioritäten hatte, die mit 79 stalinistischen Parteisäuberungen von 1949/50 dem Grundethos politischer Häftlinge, wenigs­ vorüber, die Moskauer Exil-Kommunisten tens Kinder zu retten, konkurrierten.18 hatten ihre Macht gesichert. Die parteipoliti­ Apitz wollte genau diesen Konflikt als sche Kritik am Verhalten Einzelner wollte oh­ Schriftsteller dramatisch gestalten. Er nahm nehin nicht auf historische Wahrheit oder gar den realhistorischen Terror der Weimarer Ge­ selbstkritische Aufklärung hinaus, die Anfein­ stapo gegen eine Gruppe kommunistischer dungen hatten aber die führenden Köpfe der Funktionshäftlinge, die riskiert hatten, im Au­ Lager-KPD in der DDR in die Selbstverteidi­ gust 1944 im Lager eine Gedenkfeier für den gung gedrängt. Apitz’ ehrende Betonung der ermordeten Ernst Ihälmann abzuhalten, als führenden Rolle der KPD im Lager war für die Vorlage für seine Fiktion, dass die Lager-SS einstigen Funktionshäftlinge eine Genugtuung die internationale Widerstandsorganisation und entsprach auch den vielseitigen Bedürf­ zerschlagen wollte, indem sie »das« Kind als nissen von SED-Politikern nach historischer Hrpressungsmittel einsetzte. In der historischen Sinnstiftung und Legitimation der DDR. Sie Wirklichkeit war es kein verstecktes Kleinkind, sorgten

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