Carpaccio Statt Grüner Soße

Carpaccio Statt Grüner Soße

Deutschland schen sich Altlinke wie der Bundestagsab- geordnete Hans-Christian Ströbele unter KOALITION die Montagsdemonstranten vor der SPD- Parteizentrale. Dass Parteichef Reinhard Bütikofer vergangene Woche auch noch Carpaccio statt grüner Soße behauptete, die Grünen seien „das soziale und ökologische Gewissen der Nation“, Die SPD hat die Ursache für ihr Dauertief in den empfanden die Genossen als Hohn. Harte Vorwürfe wurden laut. Der Vize- Umfragen gefunden: Schuld ist der grüne Koalitionspartner – weil kanzler sei „total abgetaucht“, schimpfte dessen Klientel zu reich und dessen Führung zu lahm ist. der mecklenburg-vorpommersche Minis- terpräsident Harald Ringstorff. „Die Grü- nen segeln in den letzten Wochen irgend- wie im Windschatten mit, Fischer thront darüber, mischt sich aber nicht ein“, mo- nierte der Sozialdemokrat. Früher hätten die Grünen noch tiefere Einschnitte verlangt, beschwert sich die SPD-Linke Andrea Nahles. „Jetzt, wo wir mit Eiern beworfen werden, sind die weg.“ Prompt stürzte sich der Außenminister in den Landtagswahlkampf an der Saar und meldete sich in der Innenpolitik zu- rück (siehe SPIEGEL-Gespräch Seite 33). Die Stimmung in der Koalition bleibt mies. „Wenn ich Katrin Göring-Eckardt höre, die mit evangelisch-pietistischem Un- terton in der Stimme härtere Einschnitte fordert, kriege ich zu viel“, giftet SPD- Fraktionsvize Michael Müller über die Vor- sitzende der Grünen im Bundestag. Der Regierungspartner habe sich „hinter der SPD versteckt“, stellt der Bremer His- KAI-UWE KNOTH / DDP KAI-UWE KNOTH toriker und Essayist Paul Nolte fest. Die Kanzler Schröder, Grünen-Politiker*: Immun gegen Wutwellen Öko-Partei werde „mit den harten Be- schlüssen nicht identifiziert“. m dunklen Anzug betrat Joschka Fi- alition. Vom selbst ernannten „Reform- Ein Grund: Ihre Wähler sind zu wohl- scher die Bühne des Saarbrücker Kul- motor“, so finden die Sozialdemokraten, habend, um sich vor der „Armutsfalle Iturzentrums „Garage“. Rund 500 Zu- sei wenig zu spüren. Hartz“ (PDS) ernsthaft zu fürchten. Eine schauer begrüßten ihn mit freundlichem Wolfgang Clement kämpft sich durch die Studie des Mainzer Politikwissenschaftlers Applaus. Halbherzig stieß einer in die Tril- Wutwelle über Hartz IV, Hans Eichel blickt Jürger Falter ergab, dass die Grünen die lerpfeife, der Außenminister war elektri- in leere Kassen, und Ulla Schmidt muss FDP nicht nur im Wettrennen um den drit- siert. „Ja, das rettet mich“, rief er. „Wenn’s sich mit den Details ihrer Gesundheitsre- ten Platz im Parteienspektrum überrundet keinen Protest gibt, kriege ich Schwierig- form herumärgern. haben, sondern auch in puncto Wohlstand. keiten.“ Schließlich seien Beobachter aus Und die Grünen? Hatten einen schönen Beim Anteil der Wähler, die über ein Net- dem fernen Berlin angereist, um zu prüfen, Urlaub – oder demonstrierten gegen Hartz. toeinkommen von mindestens 3000 Euro ob er für die Arbeitsmarktreform der rot- In Bochum ging die Ratsfraktion mit ihrem im Monat verfügen, liegen sie sogar an der grünen Regierung so viel Kritik einstecken OB-Kandidaten Wolfgang Cordes vergan- Spitze (siehe Grafik). müsse wie der Kanzler. „Warum pfeifst du gene Woche gegen die neuen Arbeits- Mit dem sozialen Status wuchs die poli- jetzt nicht?“, flehte der Minister. marktgesetze auf die Straße. In Berlin mi- tische Immunität gegen Wutwellen aller Doch so kampfeslustig Fischer sich am Art. Im grünen Milieu herrscht durchaus vergangenen Mittwoch auch gab – es flogen aufgekratzte Stimmung. keine Eier, die Trillerpfeife blieb stumm. Ökologie und Ökonomie „Birkenstock trage ich in meiner Frei- Nur eine einzelne Frau schimpfte über die Wähler mit einem monatlichen Haushalts- zeit“, flachst der Unternehmer Frank As- „Umverteilung von unten nach oben“. nettoeinkommen von 3000 Euro und mehr beck, „weil man sich auf dem Weg zum Gerhard Schröder und sein Vize, die SPD Prozentanteil in der jeweiligen Wählerschaft Erfolg Plattfüße läuft.“ Asbeck ist das Mus- und die Grünen, sie leben derzeit nicht im bei der Bundestagswahl 2002 terbild eines grünen Besserverdienenden. selben Land. Während die SPD um ihre poli- Er ist Vorstandschef der Bonner Solarworld tische Zukunft ringt, erreichen die Grünen Grüne 32,4 AG, eines Unternehmens mit 500 Beschäf- Rekordmarken in den Umfragen. Hartz- tigten und einem Umsatz von 91 Millionen CDU/ Frust und Zukunftssorgen können der Öko- 25,9 Euro im ersten Halbjahr 2004. Aktive Poli- partei offenbar nichts anhaben. CSU tik macht er zwar seit Jahren schon nicht Der Erfolg des Juniorpartners ärgert die FDP 20,4 mehr, aber an seinem grünen Mitglieds- SPD inzwischen fast mehr als der eigene ausweis hält er fest („mein Talisman“). Misserfolg – und schürt Unruhe in der Ko- PDS 18,3 Thorwald Ahlborn kennt die Reichen und Schönen aus der Nähe. Seit 33 Jahren massiert und kuriert der 66-jährige Bade- * Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt und SPD 16,6 arzt von Kampen die müden Glieder der Parteichef Reinhard Bütikofer, bei der Nachfeier zu Ger- Quelle: Uni Mainz hard Schröders 60. Geburtstag am 16. April in Hannover. High Society auf Sylt. Ahlborn selbst ist 28 der spiegel 36/2004 Deutschland „qua Geburt reich“: Von seinen Eltern Die soziokulturelle Heimat des Außen- eine freie Gesellschaft undenkbar ist. Von habe er geerbt – „deshalb bin ich Millionär, ministers war einst das Frankfurter Nord- bloßen Pragmatikern verlangen sie, Refor- aber nur auf dem Papier, weil hier alles so end. Hier trifft man sich zwar immer noch men nicht als Selbstzweck zu betrachten, teuer ist“, sagt Ahlborn. gern im Café Größenwahn, wo Joschka Fi- sondern sie daran zu messen, ob sie die Ge- Einmal im Jahr kurt Michael Merkel, 52, scher einst als Streetfighter in der Leder- sellschaft gerechter machen. bei Doktor Ahlborn. Merkel ist Mitglied jacke Machosprüche klopfte. Doch wie er In Freiburg, der ersten deutschen Groß- im Rotary-Club, er spielt Golf und fährt hat sich auch seine einstige Wirkungsstät- stadt mit einem grünen Oberbürgermeister, BMW. Die meiste Zeit des Jahres jettet der te gewandelt: Der Flipper ist abgeschafft, lehrt der Politikwissenschaftler Ulrich Eith. Leipziger durch die Welt. Er berät Unter- die Wände sind gestrichen, die Gäste tra- Den Befund, dass sich die einstige Protest- nehmen, investiert, steigt wieder aus. gen Anzug, und das Carpaccio vom Tun- organisation zu einer Partei der Besser- Auf der Insel, erzählt Merkel, gebe es ein fisch erscheint inzwischen vielen ver- verdienenden gewandelt hat, interpretiert Sprichwort: „Jeder anständige Sylter ist lockender als die traditionelle Frankfurter Eith so: „Das Selbstverständnis definiert entweder Mitglied der Grünen oder der „grüne Soße“. sich nicht über das Einkommen, sondern CDU. Wer sein Haus verkaufen will, ist in Fischer, 56, und seine Freunde aus den entlang von Wertvorstellungen.“ Das un- der CDU. Wer schon verkauft hat, ist bei wilden Jahren werden unaufhaltsam zu terscheide die Grünen von der FDP. den Grünen.“ Ahlborn und Merkel sind Anwärtern für die Senioren-Organisation Eigenverantwortung, Nachhaltigkeit und bei den Grünen. der Grünen, die am vergangenen Wo- Selbstverwaltung sind Begriffe, die Öko- Freunde als Ziel und nicht als Zumutung verstehen. Ihr Bildungsgrad ist hoch, ihr Selbstvertrauen auch. „Unsere Leute krie- gen keine Angst, wenn sie Post von einer Behörde bekommen, und sie haben weni- ger Schwierigkeiten, komplizierte Frage- bögen auszufüllen“, sagt der Freiburger Bundestagsabgeordnete Alexander Bonde. Bei den wöchentlichen Diskussionsfo- ren der „Grünen Jugend“ in Berlin wird derzeit viel über Bürgerversicherung, Bei- tragsbemessungsgrenzen, Mindestlöhne oder „Ein-Euro-Jobs“ diskutiert. Doch die HOLGER WIDERA HOLGER Empörung fällt deutlich geringer aus als Grüner Millionär Ahlborn bei vergleichbaren SPD-Veranstaltungen. „Qua Geburt reich“ „Jede Arbeit ist für jeden zumutbar“, sagt Benjamin Gollme, der das Fachforum Wirt- schaft im Landesvorstand leitet. Ein Per- sonalchef mit akademischer Ausbildung beispielsweise, befindet der angehende Be- triebswirt, „kann auch als Landschafts- gärtner arbeiten“. Das klingt reichlich keck für einen 21- Jährigen, der selbst noch keine feste Stel- le im Leben hatte. Doch Gollme ist auch ein Beispiel für Eigeninitiative: Von seinen Eltern bekommt er 154 Euro Kindergeld plus 15 Euro als Zuschuss. Was er sonst zum Leben braucht – oder will –, verdient er sich dazu. Er wertet Zeitschriften für eine wissenschaftliche Stiftung aus, ver- WOLFGANG M. WEBER WOLFGANG RAINER UNKEL RAINER dingt sich als Komparse, organisiert Feten, Grüner Unternehmer Asbeck, Grünen-Hochburg Freiburg: Aufgekratzte Stimmung verkauft Eis in Freizeitparks oder steht als Moderator bei der Grünen Woche auf Wohl kaum ein Unternehmen macht das chenende in Berlin gegründet wurde. Das der Bühne. grüne Lebensgefühl so anschaulich wie das Gesicht der hessischen Ökos hingegen prä- Parteipatriarch Fischer findet durchaus Nobel-Versandhaus „Manufactum“: Die gen heute Leute wie der grüne Agrar- Gefallen an ehrgeizigen Youngstern. Auch schwarzen Pappkoffer mit den Edelstahl- Staatssekretär Matthias Berninger, 33, oder er hat sich ja noch nie gern weggeduckt. beschlägen kennt man von Omas Dachbo- Olaf Cunitz, 36, Frankfurter Kreisvorsit- Für eine Reihe von Wahlkampfauftritten den, der Korkenzieher aus Messing und zender und Projektleiter eines mittelstän- zieht es ihn im September in den ganz na- Stahl („schwergewichtig und bemerkens- dischen Marktforschungsinstituts mit Kun- hen Osten, vier Termine sind fest gebucht. wert“) passt zum edlen Rotwein, und auch den in der Pharmaindustrie. Die Einladung

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