Natur- Und Landeskunde, 117

Natur- Und Landeskunde, 117

Natur- und Zeitschrift für Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg Landeskunde Nr. 4 –6 · 1 20 . Jahrgang · Husum, April –Juni 2013 Wolfgang Hassenpflug Zu Verbreitung und Erscheinungsformen von Polygonmustern in Schleswig-Holstein – eine luftbild- gestützte Erfassung Einleitung tern wie eiskeil, polygon und dergleichen im Internet sucht, kann sich ein Bild davon Wenn man heutzutage zu bestimmten Zei - machen, etwa von den forschungsprojekten ten über schleswig-Holstein fliegt, kann des alfred-Wegener-Instituts in Bremerha - man auf den feldern an bestimmten stellen ven. in der Vegetation polygonale Muster mit Im folgenden werden Verbreitung und er - Maschenweiten um die 15 m entdecken. es scheinungsbild der formen bzw. Muster sind dies spuren des eiszeitlichen frostkli - vorgestellt und diskutiert. mas, die bis heute sichtbar geblieben sind. unter solchen Mustern befinden sich im heutigen frostklima der subpolaren gebiete Allgemeines mächtige eiskeile im Dauerfrostboden. Während der Weichsel-Kaltzeit waren sie Polygonmuster und periglaziale Bodenfor - auch bei uns ausgebildet. noch heute, Jahr - mung tausende nach ihrem abschmelzen und ihrer Verfüllung mit eingespülten und ein - polygonmuster treten großräumig in den gewehten sedimenten, prägen diese Dis - periglazialgebieten nordasiens und nord - kontinuitäten im untergrund den standort amerikas im Bereich der sogenannten Dau - und das pflanzenwachstum darauf und bil - erfrostböden auf (abb. 3). Wenn diese Dau - den sich oberflächlich – allerdings nur in erfrostböden im Wechsel der Jahreszeiten Dürrezeiten und aus der luft fassbar – über oberflächlich auftauen und wieder gefrieren, Wuchsunterschiede ab. Das ist schon faszi - wird die auftauschicht in vielfältiger Weise nierend. ge- und zerpresst (Kryoturbation); die Re - Die zunächst sehr akademisch erscheinende sultate dieser prozesse sind in schleswig- Thematik hat durch ihre Verknüpfung mit holsteinischen Kiesgruben immer wieder zu problemen der globalen erwärmung ak - beobachten (s. etwa sTReHl 2010, s. 102). tuelle akzente erhalten. aktuelle Verbrei - Verbunden damit sind Bodenrisse, die – ver - tungsgebiete von polygonmustern etwa im gleichbar heutigen Trockenrissen auf toni - nördlichen sibirien können heute mittels gen oberflächen – etliche Meter in die Tiefe kombinierter satellitenfernerkundung und gewachsen und meist keilförmig mit eis er - Vor-ort-erkundung genauer erfasst und er - füllt sind und die beim nacheiszeitlichen forscht werden. Wer heute mit schlagwör - abtauen in schleswig-Holstein mit einge - 49 Abb. 1: Karte der Polygonmuster-Fundstellen in Schleswig-Holstein. Nachgewiesene Polygonmuster, diffe - renziert nach positiven und negativen Wuchsmerkmalen; Naturräume der Geest, differenziert nach Hoher Geest (beige) und Niederer Geest (braun); Ziffern: Naturraum-Nummern nach Meynen/Schmithüsen; dicke Linien: Küsten und Kreisgrenzen. Der Autor dankt Dipl.-Geogr. Bianca Willie und Christian Knechtel für die digitale Gestaltung der Karte. wehtem und/oder eingespültem sediment Zum Verbreitungsgebiet der Vorkommen verfüllt worden sind und sozusagen die Tie - fenverankerung dieser polygonmuster dar - Da die ausbildung der eiskeile und damit stellen und als eiskeil-pseudomorphosen auch der polygonmusternetze eine anhal - bezeichnet werden (vgl. dazu eHleRs 2011, tende Zeit des frostklimas benötigt (ohne insbesondere die seiten 185ff.). dass sich in der literatur konkretere Zeit - Die Ähnlichkeit der heute noch aktiven for - spannen dazu finden), sind polygonmuster - men (abb. 3) mit den heute fossilen Mus - vorkommen in schleswig-Holstein nur dort tern in schleswig-Holstein (abb. 5 ff.) ist zu finden, wo diese Voraussetzungen gege - verblüffend. Man denke sich dazu nur in ben waren. den luftbildern alle vom Menschen ge - am ende der letzten Kaltzeit, der Weichsel- schaffenen strukturen wie Wege und He - Kaltzeit, erstreckte sich das Inlandeis bis zu cken hinweg! einer linie, die heute durch die grenze zwi - Zwei extreme sind hier miteinander ver - schen den naturräumen des Östlichen Hü - bunden, die oberflächlichsten, meist un - gellandes und der geest nachgezeichnet sichtbaren und nur aus der luft und dann wird. auch nur gelegentlich erkennbaren und In den jungen ablagerungen des abschmel - überschaubaren Muster sowie die am tiefs- zenden eises selbst, der Jungmoräne, konn - ten in den untergrund reichenden struktu - ten sie sich nicht ausbilden, die Zeit dafür ren der eiskeil-pseudomorphosen. war zu kurz und das Klima zu rasch wär - 50 mer werdend. so sind sie im heutigen na - den und die den heutigen naturraum der turraum Östliches Hügelland bzw. für den Vorgeest bilden, auch niedere geest oder landesteil schleswig in dessen Teilnatur - sandergeest genannt, konnten sich die eis - raum angeln nicht zu erwarten. keil-polygone aus gleichen gründen nicht In den schmelzwassersanden, die beim ab - ausbilden. schmelzen des eises westlich dieser linie in nur in den ablagerungen der vorletzten riesigen schwemmfächern abgelagert wur - Kaltzeit, für die der sammelbegriff altmo - (7) Fotobelege (8) (2) mittl. (4) (5) (6) (JJJJMMTT) Aus- (1) geogr. (3) Natur- NN Wuchs- T = terrestr- dehnung (9) Vorkommen Koordinaten TK25 Raum (m) merkmale = o.B. Kommentare/Infos 54° 11.600'N 2003 08 09 Brammer 9° 45.829'E 1824 693 20 pos 2008 06 05 + 54° 29.083'N Ellingstedt 9° 25.341'E 1522 697 16 neg 2008 06 05 ++ 1992 05 26 54° 08.612'N 2008 06 05 Gnutz Nord 9° 50.101'E 1824 698 30 neg 2008 06 10 T +++ plus TK1825 1992 05 26 54° 07.127'N 2008 06 05 Gnutz Süd 9° 49.583'E 1824 698 23 pos 2008 06 10 T +++ plus TK 1825 1983 08 28 1992 05 26 NR Östl. Hügelland Großsoltbrück 54° 42.594'N 1992 07 11 T (alt: Kleinsoltholz) 9° 29.979'E 1222 700 46 neg 2003 08 09 - ++ plus TK1223 1983 08 28 1992 05 26 1992 07 08 T 2003 08 09 2003 08 18 T 54° 33.788'N 2008 06 05 einziger Ort mit Hoxtrup 1) 9° 7.967'E 1420 691 4 pos 2011 05 09 - +++ Vierecken 54° 32.097'N 1992 05 26 Immenstedt 9° 9.507'E 1420 691 21 neg 2008 06 05 +++ 1992 05 26 2003 08 18 54° 28.374'N 2008 06 05 Ipernstedt 9° 9.334'E 1520 691 13 neg 2011 05 09 - +++ 54°49'30,41"N Altmoräne, Karlum 8°58'17,97"E 1119 690 20 neg 1992 05 26 + nahe Kiesgrube 54° 36.766'N 1992 05 26 Kolkerheide 9° 7.292'E 1320 691 15 pos + 54°45'3.25"N 1992 05 26 Kornkoog Niebüll 8°51'38.80"E 1218 682 0 pos + NR Marsch 1992 05 26 2008 06 05 54° 26.296'N 2008 05 21 T Oldersbek 9° 9.948'E 1521 691 12 neg 2011 05 09 - +++ 1992 05 26 54° 07.635'N 2008 06 05 Timmaspe 9° 51.116'E 1825 698 22 neg 2008 05 21 T +++ 1976 08 08 1983 08 28 1992 05 26 54° 48.623'N 2003 08 09 Tinningstedt-Dorf 8° 55.565'E 1119 690 10 neg 2011 05 09 - +++ 1983 08 28 1987 10 01 T 1992 05 26 2003 08 09 Tinnngstedt 54° 48.264'N 2003 08 18 T Neulandshof 1) 8° 57.523'E 1119 690 10 pos 2011 05 09 - +++ 54° 50.647'N Westrefeld 8° 58.064'E 1119 690 17 neg 1992 + Keine Polygone 2011 05 09 sichtbar Abb. 2 : Tabelle zu den Polygonfundstellen in Schleswig-Holstein. Anmerkung: Die Namen der Vorkommen Tin - ningstedt-Neulandshof und Hoxtrup sind im Artikel Hassenpflug 1988 in den Abb. 1 und 2 vertauscht worden. 51 Abb. 3: Polygonale Tundra im Lena-Mündungsbereich, Nordsibirien 2000. Aufnahme: Konstanze Piel, Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven Kurve 1: Wasserkapazität + hoch , Kurve 2: Wasserkapazität niedriger A, B, C: Wuchsdifferenzen bei normaler, fortge - schrittener und extremer Boden- austrocknung Abb. 4: Wuchsunterschiede zwischen Standorten unterschiedlicher Wasserkapazität bei fortschreitender Bodenaustrocknung – schematisch. 52 räne üblich ist, hatten sie die ganze letzte sein. In der Regel dominiert eine einzige Kaltzeit über Zeit und Klima für ihre aus - ausprägung die ganze Örtlichkeit. bildung; dort also sind sie vorzugsweise zu Trockenzeiten und Dürren, durch die die finden (s. abb. 1). polygonmuster sichtbar wurden, hat es in Hassenpflug hat 1988 erstmalig auf der schleswig-Holstein in den vergangenen grundlage eigener großmaßstäbiger farb- Jahrzehnten etliche gegeben. Hier (vgl. auch schrägluftbilder von 1983 polygonmuster- abb. 2, spalte 7) sind nur diejenigen aufge - Vorkommen auf der schleswiger geest be - führt, deren sichtbarmachende effekte im schrieben, und zwar aufgrund von Wuchs - luftbild dokumentiert werden konnten. merkmalen, nachdem schon svensson 1976 an folgenden Tagen waren polygonmuster und Jacob und lamp 1980 sie auf der grund - aus der luft erkennbar; allerdings wurden lage schwarzweißer senkrecht-luftbilder nicht an allen Tagen alle bekannten positio - des landesvermessungsamtes und darin nen abgeflogen: anhand von Bodenmerkmalen entdeckt hat - 8. August 1976 ten. Die Vorkommen von 1983 konnten dann an diesem Tag wurde das luftbild von Tin - auf weiteren luftbildflügen in den folgenden ningstedt aufgenommen ( HIngsT und Muuss Jahrzehnten bestätigt und durch neu ent - 1978, s. 57, am unterem Bildrand links der deckte ergänzt werden, die insgesamt in Mitte), auf dem polygonmuster deutlich zu Karte (abb. 1) und Tabelle (abb. 2) zu - sehen, aber bisher von keinem erkannt wor - sammengefasst sind. den sind. 28. August 1983 Zur Erkennbarkeit aufgrund von Wuchs - an diesem Tag wurden nicht nur die Vor - merkmalen kommen in Tinningstedt und Hoxtrup er - fasst, sondern auch das aufschlussreiche polygonmuster sind in schleswig-Holstein von großsoltbrück, das hier zum ersten Mal Jahrtausende nach ihrer Bildung naturge - vorgestellt wird. mäß nicht mehr an ihren oberflächenfor - 26. Mai 1992 men zu erkennen – abb. 3 zeigt, wie aktive Dieser aufnahmezeitpunkt liegt inmitten polygone höher liegen als die wasserbe - einer noch weiter anhaltendenTrockenheit, deckten Zwischenräume – , das ist nach der die sich zur schlimmsten Dürre des 20. Jahr - langen nacheiszeitlichen Zeit des aus - hunderts entwickelt haben soll. Viele Ört - gleichs, nicht zuletzt durch die ackernut - lichkeiten konnten neu entdeckt und alte zung, auch nicht zu erwarten. aber durch bestätigt werden (vgl. abb. 2, spalte 6). Wuchsmerkmale, also durch Wuchsunter - 9. August 2003 schiede innerhalb einer Vegetationsdecke polygone an mehreren positionen erkenn - aufgrund unterschiedlicher Bodenbeschaf - bar (vgl. abb. 2, spalte 6). fenheit, konnten viele von ihnen entdeckt 5.

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