Auf den Spuren der ältesten Bauern- häuser im mittleren Oberschwaben Das Gebäude Wilhelm-Schussen-Straße 46 in Bad Schussenried Stefan Uhl ■ 1 Bad Schussenried, Wilhelm-Schussen- Straße 46, Gesamtansicht von Südosten. Im freien Spiel der ökonomischen Kräfte hat ein altersgeschwächtes Kultur- denkmal gegenüber hochfliegenden Investitionsplänen oftmals keine Chance. Auch Paragraphen vermögen dann keine Rettung mehr zu bewirken. Allenfalls kann die Erkenntnis der kulturgeschichtlichen Werte, die dabei auf dem Spiel stehen, bei der Interessenabwägung eine Rolle spielen, wenn sie die Entschei- dungsträger zu überzeugen vermag. Diese Erkenntnis zu vermitteln, ist Aufgabe der Denkmalforschung, die insofern neben den gesetzlichen Vorschriften eine wesentliche Grundlage allen Denkmalschutzes darstellt. Die Hauslandschaft des mittleren bliebenen Beispiele dieses Haustypes Oberschwaben - d.h. die Region zwi- in Wirklichkeit nicht in die Zeit vor schen Ravensburg und Biberach/Riß - dem Dreißigjährigen Krieg zurückrei- wird hinsichtlich des ländlichen Bau- chen - ganz entgegen den Verhältnis- wesens der Frühen Neuzeit in erster sen in den nördlicn und westlich an- Linie vom Typus des sogenannten renzenden Regionen Oberschwa- „Altoberschwäbischen Bauernhau- ens, in denen sich auch ein umfang- ses" geprägt. Während im Baube- reicher dörflicher Baubestand des 16. stand der städtischen Ansiedlungen Jahrhunderts nachweisen läßt, oder noch eine beträchtliche Fülle an der Bodenseelandschaft, in der sich mittelalterlichen Hauskonstruktionen vereinzelt gar noch spätmittelalterli- erhalten geblieben ist, setzt die dingli- che Wirtscnaftsbauten erhalten ha- che Überlieferung des ländlichen ben. Aufgrund des altertümlichen Hausbaues in der betreffenden Re- Charakters seiner Bauweise konnte gion erst deutlich später, nämlich in dennoch bislang mit einigem Recht der Frühen Neuzeit ein. Das hier den angenommen werden, daß Formen Baubestand dominierende „Altober- des „Altoberschwäbischen Bauern- schwäbische Bauernhaus" wurde bis- hauses" auch die ländliche Hausland- her als der älteste, zumindest in das schaft des mittleren Oberschwabens 16. Jahrhundert zurückgehende und in der Zeit vor dem Dreißigjährigen auf älteren Wurzeln fußende Bauty- Krieg dominiert haben könnten. pus angesehen. Neuere dendrochro- nologische Datierungen haben aller- Eine intensivierte Forschung hat in- dings ergeben, daß die erhalten ge- dessen mittlerweile darauf aufmerk- 89 sam machen können, daß das trotz Wilhelm-Schussen-Straße. Es handelt vielfacher Anfeindungen in baukon- sich um ein zweigeschossiges Bau- struktiver Hinsicht als Typenbezeich- ernhaus mit mäßig steil geneigtem nung durchaus verwendungsfähige Vollwalmdach über längsrechtecki- Bild des „Altoberschwäbischen Bau- gem Grundriß, das mit der westli- ernhauses" zwar den Bereich des chen, rückwärtigen Schmalseite zur größeren ländlichen Bauernhauses Straße hin orientiert ist. Der östlich ge- im mittleren Oberschwaben für das legene Wohnteii zeigt eine große späte 17 und das frühe 18. Jahrhun- Stube, eine rückwärtige Kammer und dert relativ gut abdeckt, daß jedoch einen daran anschließenden Trep- etwa in minder- oder halbstädtischen, penflur im Erdgeschoß sowie drei nicht rein agrarisch strukturierten Kammern und einen Flur im Oberge- Siedlungen sowie im Bereich der so- schoß. Westlich schließtsich daran ein genannten Sonderbauten (Schulen, gleichzeitiger Okonomiebereich mit Rathäuser, Amts- und Pfarrhäuser u.a.) Tenne, Stall und Schopf an, der ganz andere Bautypen existieren, die zeit- im Westen zur Straße hin durch einen lich parallel zum „Altoberschwäbi- späteren Wohnungsanbau des 19. schen Haus" auftreten und somit der Jahrhunderts abgegrenzt wird. Der an ländlichen Hauslandschaft des mittle- den Außenfronten weitgehend ver- ren Oberschwaben eine weitaus putzte und teilweise massiv ersetzte größere Spannbreite verleihen. Hausunterbau ließ zunächst kaum mehr größere Reste der einstigen Trotz alledem war es eine Überra- Fachwerkkonstruktion vermuten, schung, als kürzlich in Bad Schussen- doch mochte man aufgrund der im ried - im Herzen des betrachteten Inneren freiliegenden atypischen Gebietes - mit dem Gebäude Wil- Dachkonstruktion schon früh eine helm-Schussen-Straße 46 ein Bauern- bauliche Sonderstellung des Hauses haus entdeckt wurde, das sich in zeit- erwarten. licher Hinsicht als das älteste bislang bekannte außerstädtische Bauern- Nur noch Fragmente: haus jener Gegend entpuppte, ohne dabei jedoch in konstruktiver Hinsicht Die Fachwerkkonstruktion einem der bislang bekannten Bauty- des FHausunterbaues pen exakt zu entsprechen. Der Unterbau des Gebäudes um- „Das älteste Schussenrieder schließt die Reste einer zweigeschos- sigen Fachwerkkonstruktion aus der Bauernanwesen" Eroauungszeit des Gebäudes. Die ur- Das Gebäude Wilhelm-Schussen- sprüngliche, vor allem im Oberge- Straße 46 war der Schussenrieder Lo- schoßbereich noch erhaltene Kon- kalgeschichte schon immer als das äl- struktion ist in Nadelholz abgezim- teste Bauernanwesen des bis ins 19. mert und besitzt zweigeschoßhohe Jahrhundert hinein nur kleinen Klo- Bundständer, die einen zweischiffi- sterortes bekannt. Archivalisch läßt gen, fünfzonigen Grundriß festlegen. sich die Hofstätte bis in das Jahr 1572 Zwischen den Ständern auf halber zurückverfolgen, als sie sich als Voll- Höhe eingezapfte Geschoßriegel tra- bauerngut lenensweise im Besitz ei- gen streckenweise ein Zwischen- nes Matthäus Kaufmann befand. Im deckengebälk zur Untergliederung Jahre 1644 ging das Anwesen an den des Innenraumes. Die Aussteifung Schneidermeister Gnahn über, dem des Fachwerkgerüstes erfolgt in den es seine volksmundliche Bezeich- Außenwänden sowie in den mit einer nung als „Schneiderbauer" verdanken Wandbildung versehenen Abschnit- dürfte, während es amtlicherseits ten der Innenwände durch wand- nach dem Hauspatron St. dementi us hohe Streben, im Wirtschaftsbereich benannt wurde. Im 18. Jahrhundert in den wandlosen Bereichen dagegen gehörte zum Anwesen nur noch ein überwiegend durch teilweise verdop- relativ geringer Grundbesitz, doch pelte, flach geneigte Kopfbänder. Der rühmt noch ein Lagerbuch von 1758 Wandbildung dient - soweit erkenn- ein „groß erbautes Haus, dabei ein bar - eine einfache Verriegelung mit Rohrbrunnen in seiner Hofraite, und Backsteinausfachung. ein Baumgarten, dazwischen das Haus steht". Die Erbauung des heuti- Im Erdgeschoß haben sich in der Süd- gen Gebäudes wurde dagegen bis- ostecke mit einer flach gespannten lang in die 2. Hälfte des 17. Jahrhun- Bretter-Balken-Decke die Reste einer derts - in die Zeit des Wiederaufbaues geräumigen Wohnstube erhalten. In des Ortes nach den Verwüstungen der Nordostecke kann für den ur- und Plünderungen des Dreißig- sprünglichen Zustand eine Küche an- jährigen Krieges - datiert. genommen werden, während die westlich anschließende, deutlich Das Gebäude liegt etwas abseits des schmälere Zone Flur und Treppen- Marktplatzes an der Ostseite der die haus aufnahm. Im Obergeschoß des Hauptstraße des Ortes bildenden Wohnteiles zeigen die Außen- und 90 ■ 2 Grundriß des Obergeschosses. Der Be- stand des 16. Jahrhunderts ist grau dargestellt ■ 3 Grundriß der Dachkonstruktion. Der Bestand des 16. Jahrhunderts ist grau darge- stellt. ■ 4 Querschnitt durch den Tennenbereich (Systemdarstellung). i i 91 ner späteren Bauphase um das Jahr 1843, für den ursprünglichen Zustand kann dagegen von einer lediglich durch einen kleinen Krüppelwalm unterbrochenen Giebelscheibe aus- gegangen werden. Der Dachraum über dem Wirtschafts- teil umfaßt drei Zonen in konstruktiv gleichartiger Ausbildung. Der lie- gende Dachstuhl weist hier verblat- tete Stuhlbänder auf, der Windaus- steifung dienen verblattete Windstre- ben unter der Sparrenebene. Interes- santerweise ist das Kehlgebälk nur in den Binderachsen vollständig durch- geführt, in den dazwischenliegenden Bereichen wird es unmittelbar seitlich derZwischenpfetten durch einen ver- blatteten Sparrenschuh abgefangen, so daß sich der Raum des ersten Dachgeschosses frei in jenen des zweiten Dachgeschosses hinein öff- net. ■ 5 Blick in den Dachraum mit dem i- Innenwände sowie die Trennwand werk der Zeit um 1570. zum Ökonomiebereich zumeist noch An der westlichen Schmalseite des das bauzeitliche Fachwerk. An der Dachwerkes ist die ursprüngliche östlichen Stirnseite des Gebäudes la- Giebelscheibe inzwischen abgegan- gen hier im ursprünglichen Zustand gen. Am letzten inneren Sparrenpaar zwei große Kammern, an die sich des Originalbestands ist knapp unter westlich wiederum ein schmaler Flur- dem Firstpunkt ein sogenannter Hah- bereich anschloß. Kantenabfasungen nenbalken angeblattet, derfürden ur- an Rähmen und Unterzügen, sorgfäl- sprünglichen Zustand einen einstigen tige Detailausbildung sowie beachtli- Krüppelwalm belegt. Im 19. Jahrhun- che Raumabmessungen weisen auf dert wurde dann der ursprünglichen den Wunsch nach einer aufwendige- Giebelscheibe der straßenseitige ren Gestaltung der ansonsten einfa- zweite Wohnteil vorgelegt, so daß das chen Baukonstruktion hin. Gebäude nun - da auch die östliche Giebelseite schon abgewalmt war - Im Wirtschaftsbereich des Gebäudes ein beidseitiges Vollwalmdach auf- treffen wir auf eine an den Wohnteil wies. anschließende, zweigeschoßhohe Tenne. In der westlich folgenden vier- Eine Überraschung: ten und fünften Zone können Stall- und Schopfgefach angenommen Die Datierung werden, wobei in der fünften Zone Für die ursprüngliche Baukonstruk- das Dachgebälk in der bei Heula- tion konnte durch eine dendrochro- gerräumen üblichen Weise durch nologische Datierung das
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