Jber. Natf. Ges. Graubünden 116 (2010), Seiten 5 – 58 Der GEO-Tag der Artenvielfalt 2008 am Albulapass Eine 24-Stunden-Aktion zur Erfassung der Biodiversität: Methoden und Resultate von Marion Schmid und Jürg Paul Müller Adresse: Bündner Naturmuseum Masanserstrasse 31 CH-7000 Chur [email protected] [email protected] Unter Mitarbeit von Insgesamt wurden 1535 Arten festgestellt, dar- unter drei Erstnachweise für die Schweiz, elf Erst- Felix Amiet, Ariel Bergamini, Thomas Briner, nachweise für Graubünden und weitere faunisti- Martin Camenisch, Armin Coray, Regula Cornu, sche und floristische Besonderheiten. Ein Vergleich Holger Frick, Michael Geiser, Christoph Germann, mit der Artenvielfalt auf der Alp Flix, die acht Jahre Jean-Paul Haenni, Peter Herger, Martin Kemler, Se- zuvor mit der gleichen Methodik bearbeitet wurde, raina Klopfstein, Matthias Lutz, Jani Marka, Chris- zeigt, dass die Artenzahlen in ähnlichen Bereichen toph Meier-Zwicky, Bruno Peter, Jürg Schmid, Hans liegen. Auf der Alp Flix ist das Mosaik der Lebens- Schmocker, Ulrich E. Schneppat, Norbert Schnyder, räume jedoch noch kleinräumiger und verzahnter, Arno Schwarzer, Eva Sprecher was eine ähnliche Artenzahl auf einer kleineren Fläche ergibt. In beiden Untersuchungsgebieten konnte aber im Vergleich zu Aktionen in Tieflagen Zusammenfassung eine erstaunlich hohe Artenzahl ermittelt werden, was wiederum beweist, dass die Artenzahl im Ge- Am 3. Juni 2008 führten die Stiftung Sammlung birge erst deutlich oberhalb des Waldgrenzenöko- Bündner Naturmuseum, das Management des Parc tons abnimmt. Ela und Bergün-Filisur Tourismus gemeinsam ei- Der GEO-Tag der Artenvielfalt am Albulapass bot nen Tag der Artenvielfalt durch. Das Konzept ba- eine willkommene Gelegenheit, um nicht nur die sierte auf der 24-Stunden-Aktion zur Erfassung ei- Wissenschaft, sondern auch die Bevölkerung auf die ner möglichst grossen Zahl von Pilz-, Pflanzen- und Bedeutung der Biodiversität und deren Erforschung Tierarten, wie sie die Zeitschrift GEO seit 1999 in hinzuweisen. Europa propagiert und durchführt. Das Untersu- chungsgebiet befindet sich am Albulapass in Grau- Schlagworte: Biodiversität, Methoden, Alpenraum, bünden (Schweiz), liegt in einer Höhenlage von Graubünden 1500 bis 2100 m ü. M. und misst 11,4 km2. Die Viel- falt der Lebensräume ist gross. Wälder, Weiden, Wiesen, Felspartien, Geröllhalden, Moore, Gewäs- ser, kleine Siedlungen und Verkehrseinrichtungen wechseln einander ab. 5 Inhalt JB.indd 5 10.05.10 11:40 Jber. Natf. Ges. Graubünden 116 (2010) Summary aufzuzeigen, den man oft gerade vor der eigenen Haustüre findet. Seither werden in vielen Ortschaf- On 3 June 2008, the «Stiftung Sammlung Bünd- ten Europas und teilweise auch auf anderen Konti- ner Naturmuseum», the management of Parc Ela nenten die entsprechenden Aktionen durchgeführt, and the Bergün-Filisur Tourist Office organised a die mehrheitlich von der Zeitschrift GEO begleitet joint Biodiversity Day. In a 24-hour campaign, a werden. Tage der Artenvielfalt und ähnliche Aktio- team of 50 scientists assessed the greatest possible nen sind auch in der Schweiz verschiedentlich number of different species of fungi, plants and ani- durchgeführt worden. Besonders gut dokumentiert mals. This campaign was analogous to those that sind die Untersuchungen im Vallon de Nant (Cherix the magazine GEO has been promoting and orga- & Vittoz, 2009) und die Erfassung der wildlebenden nising in Europe since 1999. The study area on Tiere und Pflanzen im Zoo Basel (Baur et al., 2008). the Albula Pass in Grisons (Switzerland) covered Nachdem das Hauptereignis des 2. GEO-Tages 11,4 km2 and ranged in altitude from 1500 to der Artenvielfalt im Jahre 2000 auf der Alp Flix 2100 m a.s.l. It covered a wide range of different stattgefunden hatte (hänggi & Müller, 2001), ent- habitats – a mosaic of woodland, pastures, mea- schloss sich die Stiftung Sammlung Bündner Natur- dows, rocky areas, scree slopes, mires, rivers and museum im Jahre 2008 wieder einen GEO-Tag der streams, small settlements, roads and railway lines. Artenvielfalt durchzuführen. A total of 1535 different species were identified, Die Wahl des Untersuchungsgebietes fiel relativ including 3 recorded for the first time in Switzer- leicht. Eine Wiederholung auf der Alp Flix, auf der land, 11 for the first time in Grisons and a number seither ein Langzeitprojekt zur Erfassung der ge- of other spectacular plant and animal species. The samten Biodiversität durchgeführt wird, machte observed species number were similar to those of keinen Sinn. Im Raum Mittelbünden bot sich das biodiversity assessments on the Alp Flix 8 years ago. Gebiet um Preda am Albulapass an. Das Gebiet ist On the Alp Flix, the mosaic of habitats is even finer floristisch und faunistisch relativ wenig erforscht. grained, resulting in a similar number of species in Lediglich über die Schmetterlingsfauna ist einiges a smaller study area. In both areas, however, the bekannt, da die Region Ende des 19. Jahrhunderts numbers of identified species were surprisingly regelmässig von Lepidopterologen besucht wurde. high compared with those assessed at lower altitu- Die damaligen Bergüner Conferenzen zur Erfor- des. This in turn shows that the number of species in schung der Insekten waren eine entomologische mountainous areas starts to decrease only at altitu- und gesellschaftliche Attraktion (rühl, 1890). Dank des considerably above the alpine treeline ecotone. der Albulastrasse und der Rhätischen Bahn ist das The GEO Biodiversity Day on the Albula Pass of- Gebiet gut erschlossen. Von der Höhenlage her kann fered a great opportunity to demonstrate the im- es mit der Alp Flix verglichen werden. Auch hier gibt portance and fascination of biodiversity and biodi- es zwischen 1500 und 2100 m ü.M. die typischen versity research to other scientists and the general Lebensräume des Waldgrenzenbereiches. Feucht- public. gebiete und Gewässer sind zahlreich. Natürlich erhoffte man sich bei der Durchfüh- Keywords: biodiversity, methodology, alpine region, rung in diesem Gebiet auch eine gute Werbung für Grisons den Parc Ela. Das Parc Ela Management unter der Leitung von Dieter Müller sowie Bergün-Filisur Tourismus mit dem Geschäftsführer Reto Barblan 1. Einleitung machten sofort mit. Unter der Leitung der Stiftungs- ratspräsidentin Maria von Ballmoos bildete sich Die GEO-Tage der Artenvielfalt sind zu einer In- rasch ein effizientes Organisationskomitee. Wich- stitution geworden. Im Jahre 1999 führte die Zeit- tigste organisatorische Massnahmen waren die Re- schrift GEO des Verlages Gruner und Jahr bei Bre- krutierung der rund 50 Wissenschafterinnen und men erstmals nach dem Vorbild des amerikanischen Wissenschafter und die Sicherstellung der Logistik Biologen E. O. Wilson eine Aktion durch, bei der es wie Unterkunft, Verpflegung und Transporte sowie darum geht, innerhalb von 24 Stunden in einem die Gestaltung und Durchführung eines Rahmen- begrenzten Raum möglichst viele Pilz-, Tier- und programmes für die Öffentlichkeit. Pflanzenarten zu finden. Ziel dieser Aktionen ist es, auf die Artenvielfalt und ihre Bedeutung hinzuwei- sen und gleichzeitig den Reichtum an Lebewesen 6 Inhalt JB.indd 6 10.05.10 11:40 Jber. Natf. Ges. Graubünden 116 (2010) 2. Das Untersuchungsgebiet len mit den entsprechenden Quelltümpeln im Be- reich von Weissenstein zu nennen. Das Albulatal liegt mitten im Alpenkamm und Die Geologie ist geprägt durch die El- und die gehört zum Flusssystem des Rheins (Abb. 1). Das Err-Decke, die zum ostalpinen Deckensystem gehö- Untersuchungsgebiet erstreckte sich vom südlichen ren. Das Tal durchschneidet südlich von Bergün die Dorfausgang von Bergün bis hinauf zum Gebiet Ela-Decke und biegt dann nach Osten ab und folgt oberhalb von Weissenstein. Es umfasste Höhenla- der Grenze zwischen den beiden Decken. Die Ela- gen von 1500 bis maximal 2100 m ü. M. Das Tal ist Decke besteht vorwiegend aus Sedimentgestein. Die mehrheitlich steil und eng. Wälder, Weiden, Lawi- Err-Decke besteht im Gegensatz dazu vorwiegend nenzüge und Rüfen prägen die Landschaft. Etwas aus Albula-Granit. Im Gegensatz zu den hellen Do- flachere Geländeabschnitte bilden die Wiesen und lomitgesteinen ist die Landschaft an der Südseite Weiden am südwestlichen Dorfausgang, dann vor des Tales durch abgerundete Landschaftsformen ge- allem das Plateau zwischen Naz und Preda und kennzeichnet. Im Untersuchungsgebiet kommen schliesslich das Gebiet um Weissenstein. Neben damit Silikat- und Kalkgebiete vor. dem Talfluss und seinen Seitenbächen sind als Ge- Das Angebot an Lebensräumen ist im Untersu- wässer vor allem der Palpougnasee und grosse Quel- chungsgebiet ausserordentlich vielfältig (Abb. 2). In PK50 © swisstopo (DV084291) Abb. 1: Die Lage des Untersuchungsgebietes (rot umrandet) im Albulatal. (Karte R. Mengelt). 7 Inhalt JB.indd 7 10.05.10 11:40 Jber. Natf. Ges. Graubünden 116 (2010) den tiefsten Lagen findet man wärmeliebende Wald- gesellschaften und intensiv genutzte Fettwiesen. In höheren Zonen dominieren magere Wiesen und Weiden sowie Wälder auf Silikat und Kalk. Feucht- standorte findet man vor allem um den Palpougna- see und um Weissenstein. Mehrere Flach- und Hochmoore sind gut ausgebildet, ebenso einige Al- luvionen längs der Albula. Aber auch Geröllhalden und Ruderalflächen bilden interessante Lebensräu- me für Fauna und Flora. Das Albulatal als Ganzes ist ein inneralpines Tro- ckental. Dies bedeutet grössere Temperaturunter- schiede zwischen Sommer und Winter als am Al- penrand. Durch den Regenschatten der umliegenden Gebirgszüge wird die Niederschlagsmenge
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