
CHINA HEUTE XXIII (2004), NR. 6 (136) 195 kumente von einer Krise in der Partei. HU JINTAO sagte so- gar, daß die Krise des Staates ihre Wurzeln in der Partei ha- be. Man stellte fest, daß die Krise unter den Parteikadern „fatal“ sei; Widersprüche wurden konstatiert und eine bes- 訊 息 sere Parteiarbeit und -disziplin gefordert. Gleichzeitig rief das ZK zum Studium der Ideen von MARX, ENGELS, LE- NIN, STALIN, MAO ZEDONG, DENG XIAOPING und JIANG Informationen ZEMIN auf. Materialismus und Atheismus wurden beson- ders hervorgehoben, der Marxismus als die „führende Ide- ologie“ abermals beschworen und eine intensive Arbeit an seiner Verbreitung beschlossen. Im Dezember letzten Jah- Marxismus und Atheismus versus Religionsfreiheit res rief die Volkszeitung (Renmin ribao) in einem Leitarti- kel dazu auf, die kommunistische Propaganda- und Ideo- Tendenzen in der chinesischen Religionspolitik ----------- logiearbeit zu verbessern: Konzepte, Inhalte, Methoden Die Propagandaabteilung der KP Chinas habe bereits im und das administrative System in der Partei sollen im Lich- Mai d.J., so Berichte aus Hongkong, eine vertrauliche In- te der „Drei Vertretungen“ JIANG ZEMINs [sange daibiao, struktion herausgegeben, in der eine intensivere Strategie d.h. die KP Chinas repräsentiert (1) die Entwicklungsbe- zur Eindämmung der Religion und Ausrottung des Aber- dürfnisse der fortschrittlichen Produktivkräfte Chinas, (2) glaubens sowie zur Verbreitung des Atheismus entworfen die Ausrichtung der fortschrittlichen Kultur Chinas und (3) wurde. Das Dokument richtet sich an Partei und Regierung, die fundamentalen Interessen der breiten Bevölkerung Chi- insbesondere an die Erziehungsinstanzen auf allen Ebenen nas] erneuert werden, um dem Aufbau einer „wohlhaben- des Staates. Es gebe, so das achtteilige Parteidokument den Gesellschaft“ (xiaokang shehui) zu dienen. Natürlich „Weitere Hinweise zur Verstärkung der Propaganda und beinhaltete diese Arbeit auch die Verbreitung des Atheis- Erziehung zum marxistischen Atheismus“, das im No- mus und die Beseitigung der Religion. Im Januar 2004 pub- vember d.J. bekannt wurde, „Verwestlichungs- und Des- lizierte die Parteizeitschrift Qiushi (Die Wahrheit suchen) integrationstendenzen“ unter dem Mantel der Religion, so den Artikel „Festhalten am Atheismus, Bekämpfen der daß die Regierung geduldig das Volk, insbesondere junge Pseudo-Wissenschaft“, in dem ein Mitglied des Politbüros Menschen und Parteikader, beeinflussen müsse, um das die Verbreitung eines „Neo-Theismus“ und „Pseudo-qi- Wachstum der Religionen, des Aberglaubens und der „kul- gong“ auch unter den Parteimitgliedern beklagte. Im Au- tischen Organisationen“ zu stoppen und die Entfaltung des gust d.J. fand an der Chinesischen Akademie der Sozialwis- marxistischen Atheismus zu fördern. senschaften in Beijing der Chinesische Philosophiekongreß Besondere Aufmerksamkeit widmet das Dokument den statt (mit 900 Philosophen aus ganz China), auf dem man Bekehrungen unter jungen Menschen und Parteikadern. die Bedeutung der Erforschung des Marxismus und des Um unter diesen Gruppen den Atheismus zu propagieren, marxistischen Atheismus erörterte. Die Themen des Kon- möchte die Partei alle möglichen Mittel nutzen, insbesonde- gresses waren signifikant, u.a. „Tradition oder Moderni- re aber das Internet (das, andererseits, von derselben Partei tät“, „Osten oder Westen“, „Wissenschaft und Technologie nach wie vor enorm restriktiv behandelt wird; von Februar oder Humanismus“. Alle philosophischen Fragen wurden bis August d.J. wurden 1.600 Internetcafés geschlossen; im Lichte der „Drei Vertretungen“ diskutiert, die bereits insgesamt haben die Behörden inzwischen 18.000 Cafés aus seit geraumer Zeit zu einem Leitmotiv aller theoretischen verschiedenen Gründen zugemacht!) und das Fernsehen. Überlegungen in der VR China geworden sind. Das Internet soll eine neue Quelle der ethischen Erziehung Alle diese Bemühungen scheinen aber ohne Ergebnis der jungen Generation werden. Dabei beansprucht die Par- geblieben zu sein, denn ab Mitte 2004 tauchte das Thema tei weiterhin das Monopol auf Erziehung. Man will Nor- der Zugehörigkeit zur Religion erneut auf, und zwar in men, „Dogmen des wissenschaftlichen Denkens“ und den einer restriktiven Form. Materialismus propagieren. Jegliche Form von Aberglau- ben müsse systematisch ausgerottet werden. Die Sozial- Parteimitgliedschaft und Christentum. Die Sorge um die Re- wissenschaften sollen sich intensiver mit den Fragen des ligiosität, insbesondere der Parteimitglieder, scheint in Aberglaubens, der Pseudowissenschaften und der Kulte be- diesem Sommer und Herbst in den Partei- und Regierungs- schäftigen; sie sollen aufzeigen, daß diese Phänomene schäd- gremien einen hohen Stellenwert eingenommen zu haben. lich sind und aus dem Denken der Parteimitglieder und der Diese Sorge weist natürlich sehr deutlich auch auf das Phä- jungen Menschen entfernt werden müssen. In diesem Sinne nomen selbst hin. Daß es unter den Angehörigen der Reli- sollen die Atheismus-Abteilungen an den Universitäten und gionen und religiösen Bewegungen in China (u.a. bei den Akademien der Wissenschaften erneuert und verstärkt ge- christlichen Kirchen oder Sekten genauso wie z.B. bei fa- fördert werden. lungong) Parteimitglieder gibt, ist seit langem bekannt. Diese Anliegen der Partei sind nicht neu. Seit minde- Nach einer früheren Erhebung zur Mitgliederstruktur der stens einem Jahr gibt es Berichte und Dokumente, die die sog. „Jüngergemeinschaft“ (Mentuhui) in einem Kreis der Bemühungen der Partei um eine „korrekte Ideologie“ be- Provinz Sichuan waren rund 5% der Anhänger Parteimit- zeugen. Bereits im November 2003, auf dem Dritten Ple- glieder. Zudem sind in einigen Dörfern ehemalige Partei- num des 16. Zentralkomitees der KP Chinas, sprachen Do- funktionäre der Gemeinschaft beigetreten. In einem Kreis der Provinz Shaanxi waren bereits 1995 rund 100 Partei- INFORMATIONEN 196 CHINA HEUTE XXIII (2004), NR. 6 (136) mitglieder und 80 Abgeordnete des Volkskongresses der sen Aktivitäten teilgenommen haben, d.h. Gläubige (xintu) Provinz Mitglieder der örtlichen „Jüngergemeinschaft“. geworden sind und deshalb aus der Partei ausgeschlossen Offensichtlich ist die Religionszugehörigkeit von Kadern, und/oder aus den Ämtern entlassen bzw. pensioniert wur- die der nationalen Minderheit der Hui angehören (siehe da- den. zu weiter unten). Im Zusammenhang mit der Bekämpfung „Dokument 8.17.“, d.h. vom 17. August d.J.: „Guanyu jiaqiang von falungong hat die Partei selbst auch auf die Zugehörig- dui zongjiao shiwu gongzuo lingdao de ruogan yijian“ 关于加强 keit von Parteimitgliedern zu dieser oder anderen qigong- 对宗教事务工作领导的若干意见 (Einige Ansichten bezüglich Bewegungen hingewiesen. Die religiöse Zugehörigkeit von der Verstärkung der Religionsarbeit der Leitungsgremien). Parteikadern scheint also inzwischen ein Problem von na- Dieses Dokument verpflichtet die Parteileitungen und Lo- tionaler Tragweite darzustellen. kalregierungen, Entwicklung, Aktivitäten und Rahmen etc. Nach Angaben der Zeitschrift Zhengming (September der religiösen Organisationen in der jeweiligen Region 2004, S. 20-22) beträgt die Zahl der katholischen und pro- detailliert zu erfassen und eine langfristige und stabilisie- testantischen Christen zusammen fast 50 Mio. Gläubige. rende Arbeitsstrategie vorzubereiten, um die religiösen Ak- Davon seien 10,6 Mio. Mitglieder der KP Chinas, berichtet tivitäten gut zu verwalten und zu ordnen. Das Dokument die Zeitschrift. Von den über 60 Mio. Mitgliedern der KP formuliert eine zweifache Richtung der Religionspolitik: Chinas sollen 10,6 bis 10,8 Mio. verschiedenen Religionen „Vier Nein“ (si bu) und „Fünf Verbote“ (wu buzhun). angehören. Jährlich treten ca. 300.000 Parteimitglieder in Die „Vier Nein“ sind nach Angaben von Zhengming: 1. die katholische oder protestantische Kirche ein. Man darf nicht mit ausländischen religiösen Organisationen Neue Dokumente. Auch wenn diese Zahlen z.Zt. nicht ve- oder Gruppen (waiguo zongjiao zuzhi, tuanti) Beziehungen rifizierbar sind, ist es doch bemerkenswert, daß die Partei der Unterordnung oder gegenseitigen Abhängigkeit etablie- im August d.J. restriktive Dokumente herausgegeben hat, ren; 2. Man darf nicht mit ausländischen internationalen re- die die Beteiligung von Parteimitgliedern am religiösen Le- ligiös-politischen Organisationen oder Gruppen Beziehun- ben eliminieren sollen. Darüber hinaus ist auf höchster gen oder Verbindungen etablieren; 3. Man darf ausländi- Ebene für diese Zwecke ein Büro entstanden: Zhongyang schen religiösen Organisationen oder Gruppen, die einen zongjiao shiwu gongzuo bangongshi 中央宗教事务工作办 politischen Charakter haben, weder beitreten noch an ihren 公室 (in etwa: Zentrales Büro für die Arbeit an den Religi- religiösen Aktivitäten teilnehmen; 4. Man darf an religiös- onsangelegenheiten; das Verhältnis dieses Büros zum Na- politischen Aktivitäten ausländischer religiöser Organisa- tionalen Büro für Religiöse Angelegenheiten Guojia zong- tionen oder Gruppen weder teilnehmen noch dazu eine jiao shiwuju 国家宗教事务局, im Englischen neuerdings Beziehung haben. bekannt als State Administration for Religious Affairs, Die „Fünf Verbote“ sind: 1. Es ist (chinesischen) religiö- SARA, ist nicht klar). Die Dokumente betreffen natürlich sen Organisationen oder Gruppen verboten, mit fremden, nicht nur die christliche Religion, sondern Religionen bzw. ausländischen religiösen Organisationen oder Gruppen Religiosität im allgemeinen, doch werden die christlichen Beziehungen der Unterordnung oder gegenseitiger Abhän- Kirchen besonders hervorgehoben.
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