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2-2008 1968: Die Konkurrenz von Erinnerungen Der Kampf um „68“ im Lichte seiner Jubiläen Jugendkultur in der Bundesrepublik um 1968 Protestbewegung und politische Bildung 1968: Hoffnung auf Demokratisierung im „realen Sozialismus“ Außerschulische Bildung 2-2008 ISSN 0176-8212 INHALTSVERZEICHNIS ZU DIESEM HEFT 157 ADB-FORUM Paul Ciupke SCHWERPUNKT Verluste und Konstanten Neue Zahlen und einige (auch alte) Albrecht von Lucke Erkenntnisse zur politischen Der Kampf um „68“ – Erwachsenenbildung in NRW 210 im Lichte seiner Jubiläen 158 Detlef Siegfried ADB-JAHRESTHEMA Zwischen Pop und Politik. Jugendkultur in der Bundesrepublik um 1968 165 Homaira Mansury „Auf Augenhöhe – Wie Integration vor Ort Paul Ciupke in der Praxis gelingt“ 212 Die Protestbewegung in den 60er Jahren und die außerschulische politische Bildung 172 INFORMATIONEN Revolte im Gulasch-Kommunismus Ein Interview mit György Dalos 181 Meldungen 216 Anton Sterbling Aus dem AdB 234 Rumänien 1968: Kontext, Geschehnisse und Folgewirkungen 186 Personalien 238 Wolfram Tschiche Bücher 239 Zur historischen Bedeutung des Prager Frühlings 1968 195 Markt 254 Klaus Waldmann Protest und Anpassung im geteilten IMPRESSUM 258 Deutschland der 60er und 70er Jahre Ein Projekt historisch-politischer Jugendbildung 202 Thema des nächsten Heftes: „Problem“- und Zielgruppen der politischen Bildung 155 156 ZU DIESEM HEFT Peter Rühmkorf ist tot, das nem Artikel über Rumänien belegt. Ungarn hinge- „Kursbuch“ wurde einge- gen hatte im Westen schon damals den Ruf, libera- stellt. Vierzig Jahre nach ler zu sein als seine sozialistischen Nachbarn, war 1968 sind die meisten Pro- aber traumatisiert durch die militärische Nieder- tagonist/-innen der 68er schlagung des Aufstands 1956. Im Interview mit Si- Bewegung inzwischen im mone Schmollack berichtet György Dalos, wie er die Rentenalter oder stehen Vorgänge 1968 in Ungarn wahrgenommen hat und unmittelbar davor. Und was sie für ihn bedeuteten. dennoch: So viel 68 wie heute war nie. Als wir uns Das, was damals im Westen geschah, lässt sich nur im Frühling 2007 mit Blick schwer in einen Zusammenhang mit der Entwick- auf das Folgejahr auf ein lung in den Ostblockstaaten bringen. Die unter- Heft zum Thema 1968 einigten, ahnten wir nicht, schiedlichen Erfahrungen aufeinander zu bezie- dass die damalige Studenten- und Jugendrevolte hen, versucht ein Projekt der historisch-politischen rund vierzig Jahre später medial so große Auf- Jugendbildung, das Klaus Waldmann beschreibt. merksamkeit erfahren würde. Der Rummel begann Paul Ciupke zeigt beispielhaft am Arbeitskreis schon im letzten Jahr und will kein Ende nehmen. deutscher Bildungsstätten den Einfluss der 68er Be- Uschi Obermaier, Rainer Langhans und andere po- wegung auf die damaligen Auseinandersetzungen litischere Zeitzeug/-innen touren durch die Talk- in einem Verband der außerschulischen politischen shows und machen sich die Deutungshoheit über Bildung und auf didaktische Entwicklungen. eine kurze, aber in ihrer lebensgeschichtlichen Bedeutung für große Teile der damals jungen Ge- Detlef Siegfried macht deutlich, dass die Jugendre- neration nicht zu unterschätzende Zeitspanne volte 1968 Teil und Ausdruck eines gesellschaft- streitig. Die Zahl der Publikationen zu 1968 ist in- lichen Wandels war, der sich in der Alltagskultur zwischen Legion, und die Bundeszentrale für poli- und im Lebensstil vollzog und nachhaltiger wirkte tische Bildung widmet der 68er Bewegung Veran- als die (zudem nicht einheitlichen und zwischen staltungen und Info-Angebote über das ganze Jahr den verschiedenen Flügeln heiß umkämpften) poli- hinweg. tischen Ziele der 68er. Was also kann man noch mitteilen zu 68, was nicht Was die 68er politisch wollten, lässt sich nicht auf schon längst mehrfach gesagt, erörtert, dokumen- einen Nenner bringen; dass sie damalige Vorstel- tiert wurde? Wir wollen mit diesem Heft den Blick lungen zur Systemveränderung erfolgreich hätten auf Vorgänge und Zusammenhänge richten, die in durchsetzen können, mag angesichts der gegen- der aktuellen öffentlichen Diskussion über 1968 wärtigen politischen und gesellschaftlichen Rea- eher vernachlässigt werden. Dazu gehört die zeit- lität auch niemand glauben. Dennoch haben sie in gleiche aber unter völlig anderen Voraussetzungen den paar Jahren viel bewegt und angestoßen. Of- und Bedingungen verlaufende Entwicklung in den fenkundig beschäftigen sie immer noch die Phan- Staaten des „realen Sozialismus“, die in der zweiten tasie der Menschen und provozieren den Streit Hälfte der 60er Jahre ebenfalls in Fahrt geriet. Sie über die Bewertung ihres historischen Erbes. Al- weckte Hoffnungen auf Änderungen der Verhält- brecht von Lucke, dessen Beitrag dieses Heft einlei- nisse in Ostmitteleuropa, die jedoch mit dem Ein- tet, analysiert die bisherigen „Jubiläen“ zu 68 mit marsch der Sowjetunion und anderer Staaten des dem Ziel, herauszufinden, was die sich verändern- Warschauer Pakts in die CSSR im August 1968 brutal den Erinnerungsschwerpunkte und Deutungsver- zerstört wurden. Wolfram Tschiche erinnert an den suche über den jeweiligen Zustand der bundesre- „Prager Frühling“ und die dramatischen Ereignisse publikanischen Politik und Gesellschaft aussagen. in jenem Sommer, die er als Jugendlicher in der DDR Man kann gespannt darauf sein, wie im Jahr 2018 mit Bangen und Hoffen verfolgte. Aber auch in an- an 1968 erinnert werden wird. deren Ländern des sogenannten Ostblocks gab es Li- beralisierungstendenzen, wie Anton Sterbling in sei- Ingeborg Pistohl 157 SCHWERPUNKT Der Kampf um „68“ – im Lichte seiner Jubiläen Albrecht von Lucke Albrecht von Lucke sieht in den unterschied- Ein Jahr zuvor hatten die von der sogenannten lichen Zugängen zur Erinnerung an die mit der zweiten Generation der RAF verübten Mordan- Chiffre 1968 bezeichneten Zeiträume wechselnde schläge das ganze Land regelrecht in einen Schock- Schwerpunkte der politischen Auseinandersetzung zustand versetzt. Dennoch begann bereits damals in Deutschland. Die Jubiläen im Zehn-Jahres-Rhyt- das bürgerliche Feuilleton, sich für die 1968 verlo- mus werden unter dem Aspekt beleuchtet, was sie ren gegangenen Kinder weit zu öffnen. In den aussagen über die jeweils aktuellen politischen Kon- zehn Jahren seit der Revolte war die Schärfe der flikte und die Ziele, die im Kampf um die Deu- Auseinandersetzung einem versöhnlicheren Ton tungshoheit über '68 verfolgt werden. Dabei hat gewichen. Viel Verständnis brachte etwa die libe- sich der Streit mit wachsendem zeitlichen Abstand rale „ZEIT“ der Generation der verlorenen Bürger- zu den damaligen Vorgängen sogar noch ver- kinder entgegen, die „in eine vorgeblich endlich schärft. An herausragenden Beispielen verdeutlicht aufgeräumte Welt hineinerzogen wurde und beim von Lucke den Zusammenhang zwischen Interpre- Erwachsenwerden schockartig herausfand, wie sehr tationen der Vorgänge um 1968 und politischen diese aufgeräumte Welt noch in Unordnung ist.“2 Interessen der jeweiligen Gegenwart. Mehr und mehr wird die große moralische „lnfra- 40 Jahre liegen die Ereignisse von 1968 mittlerweile gestellung“ der Nachkriegsrepublik durch „68“ gut zurück – also eigentlich der richtige Zeitpunkt für ei- geheißen: 68 stand nun für das moralische Aufbe- ne gelassene Bilanzierung. Und doch löst auch in die- gehren der Nachkriegskinder gegen ihre Nazi- sem Jubiläumsjahr die Chiffre „68“ wieder heftige Eltern und für den Wunsch nach Verarbeitung Reaktionen aus. Anders der NS-Zeit. Dieser ge- In diesem Jahr wird als von jenen, die für ei- Mehr und mehr wird meinsame Grundimpuls, so erbittert um die ne stärkere Historisierung die große moralische so die herrschende Les- Bedeutung von „68“ plädiert hatten, erwartet „lnfragestellung“ art, war von den mörde- gestritten wie seit und erhofft, erlebt das der Nachkriegsrepublik rischen Exzessen der RAF Jahren nicht mehr Land eine erstaunliche durch „68“ gut unberührt geblieben. La- Politisierung und Zuspit- geheißen gerübergreifend wurde zung der Debatte. Maßgeblich ausgelöst durch „Un- inzwischen dem Ereignis ser Kampf“, das sensationsheischende Buch des His- „68“ vor allem eine moralische Qualität zugespro- torikers und einstigen APO-Aktivisten Götz Aly, wird chen – was auch dazu führte, dass die damaligen in diesem Jahr so erbittert um die Bedeutung von Akteure sich zunehmend selbstbewusst als 68er „68“ gestritten wie seit Jahren nicht mehr. und Angehörige einer gemeinsamen Generation begriffen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Im Gegensatz zu anderen Jubiläen verbergen sich bis heute hinter Was die 68er zum Ende der 70er Jahre, mit dem En- „68“ und der dazugehörigen 68er-Generation stets de der bleiernen Zeit und dem Aufblühen neuer, auch die Kämpfe um die kulturelle Deutungshoheit grün-bunter Hoffnungen, allerdings noch nicht in der Bundesrepublik – und damit die Auseinander- vorhersahen, war die Tatsache, dass sie sich, indem setzung nicht nur über die Vergangenheit, sondern sie sich selbst als „68er-Generation“ definierten, auch über Gegenwart und Zukunft dieses Landes.1 dem Datum 1968 und seiner jeweiligen Wertung Deshalb setzt die Frage, wofür die „Chiffre 68“ steht, auslieferten. „68“ war damit zur „historischen bis heute gewaltige emotionale Energien frei. Das ist Kennziffer einer Generation“ geworden.3 Gleich- in diesem Jubiläumsjahr nicht anders als in den ver- zeitig war die Generation damit in Zukunft abhän- gangenen. Stets war das Erinnern hochgradig von gig von den Prämien, die die öffentliche Meinung der jeweiligen politischen Situation abhängig. für das Jahr 1968 vergeben würde. 1978 – Bürgerliche Annäherung im Schatten 1988
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