Titel Erst Ostalgieverbot, dann Zwangsgemeinsamkeit: Rot-Weiss Essen – Energie Cottbus (2004/2005) Foto: Stadionwelt Warten auf die Fan-Wiedervereinigung Das Verhältnis zwischen Fans aus West- und Ostdeutschland war und ist ein Spiegel- bild der Gesellschaft – ein Reise durch die letzten zwei Jahrzehnte. in Blick zurück in die Zeit vor (39) ergänzt: „Fast jeder hatte damals liga hat doch niemanden interessiert, 1990, ins geteilte Deutschland. Es auch einen Schal eines Westvereins. Die aber die Reisen dorthin waren ein beson- Egibt eine Bundesliga im Westen, wurden in Polen hergestellt, und so sind deres Abenteuer: Die Busse wurden im- eine Oberliga im Osten. Beide sind eta- wir daran gekommen.“ mer von Stasi-Of zieren begleitet, man bliert und populär, doch es gibt einen konnte auf den Transit-Strecken nicht Unterschied: Fast jeder Fan im Osten hat Vorwendezeit: Kontakt verboten zum Pinkeln aussteigen und die Foto- neben seinem Club zudem noch einen apparate wurden einem abgenommen. Verein aus der Bundesliga, dem er die Die Frage, ob es neben der Symapthie Dafür zahlten wir 25 West-Mark Eintritt Daumen drückt. „Bayern und HSV, das für diverse West-Clubs auch Abneigung und die Einheimischen 40 Ost-Pfennig.“ waren die mit den meisten Sympathisan- gegenüber einigen Vereinen gegeben Begegnungen im Westen konnten ten“, erklärt Dynamo Dresden-Fan Axel habe, beantwortet Matthees: „Eine rich- ein gewisses besonderes Flair entfalten, Matthees (39), dessen Herz auch für 1860 tige Rivalität konnte ja nicht zustande waren aber längst nicht vergleichbar mit schlug. „Bei mir war es Borussia Mön- kommen, daher empfand vielleicht der den großen West-Duellen. KFC Uerdin- chengladbach“, sagt hingegen Udo Kie- eine oder andere höchstens etwas An- gen-Fan Harald Grassen berichtet von sewetter (45), ein Fan von Lok Leipzig, tipathie.“ Opitz: „Wir hatten unsere der vielleicht legendärsten deutsch- „wir hatten Westfernsehen, und was wir Feindbilder damals im Osten, denn das deutschen Begegnung, von dem 7:3 Bay- von denen in der Sportschau gesehen ‚Preußen gegen Sachsen’ hatte weitaus er Uerdingens gegen Dynamo Dresden haben, das war Fußball wie von einem mehr Bedeutung.“ 1986: „Es waren rund 1.000 Fans da, die anderen Stern, weil wir ihn wegen der Fast keine Beachtung fand der Ost- mit Dynamo sympathisierten, davon aber Mauer nie real sehen konnten. Hinzu Fußball im Westen. Dass es überhaupt die meisten, die schon vorher irgendwie kam, dass der DDR-Fußball ja relativ ein anderes Fußballdeutschland gab, dem Osten den Rücken gekehrt hatten. schwach war. Zwar ist Lok zweimal, ge- merkte man höchstens in dem Anti- Die Stimmung war friedlich, denn für gen Bremen und Düsseldorf, im Europa- Hertha-Song „Und wir schenken Berlin die war es ein echtes Happening.“ Vie- cup weitergekommen, sonst hat das nur der DDR“. Mike Redmann (42) hat seinen le Uerdinger Fans erlebten die Sensation Magdeburg geschafft, der Rest ist jedoch SV Werder Bremen schon in den 80ern aber seinerzeit nicht mit. „Die meisten in schöner Regelmäßigkeit rausge o- zu Spielen bei Vorwärts Frankfurt/Oder sind schon beim 1:3 zur Halbzeit gegan- gen.“ Union Berlin-Fan Roberto Opitz und Dynamo Berlin begleitet: „Die Ober- gen, weil doch alles entschieden war.“ 28 Stadionwelt 04/2005 s022-034_titel ost-west.indd Abs1:28 21.03.2005 06:00:23 Titel Titel Möglichkeiten, bei den Spielen in der umbenennungen, eine mit 20 Vereinen einzigen Saison mit zwei sächsischen DDR mit Fans der Ost-Clubs in Kontakt spielende Bundesliga, eine zweigeteilte Erstligisten, im Zentralstadion die wohl zu treten, gab es so gut wie keine. Wenn Zweite Liga und zehn deutsche Starter schwersten Ausschreitungen in diesem Teams aus der Bundesliga zu Europa- im Europacup, darunter sogar Stahl Ei- Bundesliga-Jahrzehnt. „Die Dresdner cup-Spielen in die DDR reisten, konnten senhüttenstadt als Drittligist. haben alles zerlegt und keine einzige der sie kaum einen Schritt tun, den die Stasi In dieser Zeit erfolgte eine schicksals- maroden Holzbänke war am Ende noch nicht bemerkt hätte. Gelegentlich wur- hafte Weichenstellung für viele Vereine an ihrem Platz.“ den sogar komplette Gaststätten für die auf beiden Seiten. Hierbei waren die aus Im Westen hingegen war die Entwick- einheimischen Bürger gesperrt, damit dem Osten weitaus mehr betroffen: Stahl lung zu friedfertigeren Fußball-Szena- sich die Fans aus dem Westen darin auf- Eisenhüttenstadt, der 1. FC Magdeburg, rios bereits eingeleitet. halten konnten. „Wir hätten ja auf dum- der FC Berlin und Sachsen Leipzig schaf- Touren in die DDR waren deshalb me Gedanken können“, meint Kiesewet- fen den Klassenhalt in der höchstens nicht nur für die Stadion-, sondern vor ter. „Als wir damals die Hertha in Prag DDR-Spielklasse, mussten nun aber in allem auch für die Krawallhopper inter- unterstützen wollten, hat man uns sogar die gesamtdeutsche Drittklassigkeit, wie essant. „In den Anfangsjahren war die aus dem Zug geholt“, erinnert sich Uni- Union Berlin und der FSV Zwickau, die Polizei dort völlig orientierungslos und on Berlin-Fan Roberto Opitz. ein Jahr zuvor als Sieger der beiden Zweit- wusste gar nicht, wie sie agieren soll. An Spiele im Westen war für Ost- liga-Staffeln der DDR den Aufstieg noch Vermutlich gab es zu wenige Anweisun- Fans ohnehin nicht zu denken, denn wer geschafft hätten. Ähnlich erging es im gen und wenn es zu Ausschreitungen mitreisen durfte, darüber entschieden Westen aber auch dem SV Meppen und kam, haben die lieber in Ruhe ihre Brat- Parteifunktionäre. Nur wer linientreu Rot-Weiss Essen, die in der Abschluss- wurst zu Ende gegessen“, erinnert sich oder ein verdienstvoller Funktionär war, tabelle der 2. Bundesliga ebenfalls einen Redmann. wen die SED nicht als republik uchtan- Platz erreicht hatten, der ursprünglich Und durch ihre offensiv vorgetrage- fällig einstufte, durfte zu den Spielen in zum Klassenerhalt genügt hätte. nen politischen Bekenntnisse hatten die den Westen reisen. „Meist war das dann Fans des FC St. Pauli oder auch die von eine Ü40- oder Ü50-Reise, die ironischer- Krawalle TeBe Berlin bei ihren Spielen im Osten weise von ‚Jugendtourist’ durchgeführt mehr als einmal Probleme. Beim Gros wurde“, erinnert sich Matthees. „Die Neben den Zusammenlegungsmo- der westlichen Fanszenen herrschte Erst Ostalgieverbot, dann Zwangsgemeinsamkeit: Rot-Weiss Essen – Energie Cottbus (2004/2005) Foto: Stadionwelt Busfahrer waren immer froh, wenn sie dalitäten wirkten allerdings weitere hingegen mittlerweile ein „Keine-Poli- alle Mann wieder an Bord hatten, denn Krisenfaktoren: Vereine, die mit einer tik-im-Stadion“-Konsenz, wodurch ein dann konnten sie sicher sein, nicht von geringeren Wirtschaftskraft als viele entscheidender Stressfaktor ent el. Für der Stasi ausgefragt zu werden. Beim Westclubs ausgestattet waren, rutsch- sie waren Ost-Spiele eher eine Reise in Warten auf die Dynamo-Spiel in Stuttgart sind damals ten nach und nach in der Liga-Pyramide eine exotische Welt. Durchgeschüttelt in aber vier Fans abgehauen und im Wes- ab. Bereits Mitte der 90er Jahre erinnerte Bussen auf Autobahnen, die aus schlecht ten geblieben.“ Bei Union Berlin, deren die Zusammensetzung der Regionalliga verfugten Betonplatten zusammenge- Fan-Wiedervereinigung Anhänger in der Vorwendezeit als rebel- Ost, die später zum Bestandteil der Re- setzt waren, verloren die wenigsten ih- lisch galten, wurde sogar einmal allen gionalliga Nord wurde, stark an die alte ren Humor und gaben auf den langen Das Verhältnis zwischen Fans aus West- und Ostdeutschland war und ist ein Spiegel- Fans die Reise zu einem Intertoto-Spiel DDR-Oberliga. Es gab die gleichen Duel- Fahrten ihr komplettes Witze-Repertoire nach Uerdingen untersagt. le wie noch zehn Jahre zuvor - und somit zum Besten, das sich etwa um Bananen bild der Gesellschaft – ein Reise durch die letzten zwei Jahrzehnte. Den Anhängern von Carl Zeiss Jena die gleiche Brisanz - eine Fußballkultur, und Stone-washed-Jeans drehte. in Blick zurück in die Zeit vor (39) ergänzt: „Fast jeder hatte damals liga hat doch niemanden interessiert, und Union Berlin stellt sich 1968 nicht die im Westen schon als ausgestorben Gewinner der sportlichen Abwärts- 1990, ins geteilte Deutschland. Es auch einen Schal eines Westvereins. Die aber die Reisen dorthin waren ein beson- einmal diese Frage. Denn die Politik galt inklusive aller Begleiterscheinun- entwicklung waren die wenigen Verei- Egibt eine Bundesliga im Westen, wurden in Polen hergestellt, und so sind deres Abenteuer: Die Busse wurden im- des Kalten Kriegs und die gesellschaft- gen: Beim Spiel des VfB Leipzig gegen ne, die sich höherklassig durchsetzen eine Oberliga im Osten. Beide sind eta- wir daran gekommen.“ mer von Stasi-Of zieren begleitet, man lichen Ideologien machten in dieser Zeit Dynamo Dresden gab es 93/94, in der konnten. Allen voran der einzige Ost- bliert und populär, doch es gibt einen konnte auf den Transit-Strecken nicht auch vor dem Fußball nicht Halt. Nach- Unterschied: Fast jeder Fan im Osten hat Vorwendezeit: Kontakt verboten zum Pinkeln aussteigen und die Foto- dem sowjetische Truppen in Prag ein- neben seinem Club zudem noch einen apparate wurden einem abgenommen. marschiert waren und die Spannungen Verein aus der Bundesliga, dem er die Die Frage, ob es neben der Symapthie Dafür zahlten wir 25 West-Mark Eintritt zwischen NATO und Warschauer Pakt Daumen drückt. „Bayern und HSV, das für diverse West-Clubs auch Abneigung und die Einheimischen 40 Ost-Pfennig.“ bedenklich zunahmen, wurden dem am- waren die mit den meisten Sympathisan- gegenüber einigen Vereinen gegeben Begegnungen
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