Genregeschichte im Hollywoodkino Anja Peltzer Inhalt 1 Einleitung: Hollywoods Genrekino aus historisch-ökonomischer Perspektive ............. 2 2 Hollywood – Absolute Beginner ............................................................. 2 3 Das Studiosystem – Absolute Kontrolle ..................................................... 3 4 Blockbuster – Absolutes Spektakel .......................................................... 11 5 Fazit: Genrekino aus Hollywood – Absolute Wiederholung? ............................... 15 Literatur ........................................................................................... 17 Zusammenfassung Die Geschichte des Genrekinos aus Hollywood steht zum einen für die Etablie- rung eines ästhetischen Repertoires aus filmischen Mustern, die immer wieder und immer wieder neu in Szene gesetzt werden. Gleichzeitig steht sie auch für die Entwicklung einer hoch effizienten Industrie, die durch die standardisierte und radikal am Markt orientierte Filmproduktion maximale Gewinne erwirtschaften konnte. Um die Genregeschichte im Hollywoodkino nachzeichnen zu können, muss daher auch eine historisch-ökonomische Perspektive eingenommen werden. Dies ist Aufgabe und Ziel des vorliegenden Artikels, der zu diesem Zweck bei den Entstehungsjahren der Filmindustrie in Hollywood beginnt, anschließend auf die Etablierung und den Zerfall des Studiosystems eingeht, bevor dann auf das global erfolgreiche Megagenre ‚Blockbuster‘ eingegangen wird. Der Artikel schließt mit einem Blick auf das Verhältnis von Genrekino und Gesellschaft. Schlüsselwörter Hollywood · Genre · Studiosystem · Blockbuster · Medienökonomie A. Peltzer (*) Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft, Universität Mannheim, Mannheim, Deutschland E-Mail: [email protected] # Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 1 M. Stiglegger (Hrsg.), Handbuch Filmgenre, Springer Reference Geisteswissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-09631-1_16-1 2 A. Peltzer 1 Einleitung: Hollywoods Genrekino aus historisch- ökonomischer Perspektive Zu der Geschichte des Genrekinos in Hollywood gehört neben den vielen verschie- denen filmischen Genrebegründern und den nicht minder zahlreichen Filmen, die mit etablierten Genreregeln gebrochen und damit wiederum Genregeschichte geschrieben haben, vor allen Dingen auch die Entwicklung Hollywoods zu einem der weltweit erfolgreichsten Produktionsstandorten der Filmbranche. Denn unab- hängig davon, von welchen Genres noch die Rede sein wird, gilt immer: „The only thing Hollywood likes more than a good movie is a good deal“ (Robb 2004, S. 25). Die Genregeschichte im Hollywoodkino nachzuzeichnen, heißt somit zum einen den Blick auf die einzelnen Genres zu richten, wie es in diesem Band u. a. geschieht und zum anderen auch die Produktionsgeschichte Hollywoods zu fokussieren und damit eine historisch-ökonomische Perspektive einzunehmen. Letzteres ist Aufgabe und Ziel des vorliegenden Artikels, der zu diesem Zweck bei einigen wenigen Filmema- chern beginnt, die sich um 1900 nach Hollywood aufmachten, um dort Filme jenseits des bis dato etablierten Mainstreams drehen zu können (Abschn. 1). An- schließend wird auf die Etablierung und den Zerfall des Studiosystems eingegangen, innerhalb dessen der Genrefilm zur Höchstform aufgelaufen ist (Abschn. 2), bevor dann die Entwicklung des global erfolgreichen Megagenres ‚Blockbuster‘ skizziert wird (Abschn. 3). Das Fazit (Abschn. 4) schließt den Artikel ab und hinterfragt das Verhältnis von Zeitgeist und (global) erfolgreichem Kino. 2 Hollywood – Absolute Beginner Ausgerechnet die Frau eines Prohibitionisten, der für den gemeinsamen Lebens- abend ca. 48 Hektar in der Nähe von Los Angeles erstanden hatte, taufte den Ort auf den Namen ‚Hollywood‘. Als sich das Paar dort 1894 niederließ, lebten dort vielleicht einige hundert Menschen. Dies sollte sich jedoch rasch ändern. Den Anfang macht Regisseur Francis Boggs, der dort 1907 mit seinem Filmteam auf- tauchte. Das milde Klima lockte ihn, in der Hoffnung dort verlässlicher und weniger aufwendig arbeiten zu können. 1909 folgte ihm sein Kollege D. W. Griffith und 1911 eröffnete die Firma Nestor das erste Studio am noch recht einsamen Sunset Boule- vard und produzierte – dank des stabilen und milden Klimas – einen Film nach dem anderen. Ihrem Beispiel folgten andere Filmemacher und nach nur wenigen Monaten drehten immerhin schon 15 Firmen in Hollywood ihre Filme (Brownlow 1997, S. 54–55) und 1919 entstanden bereits 80 % der amerikanischen Filme im Süden Kaliforniens (Grob 2002, S. 258). Die Flucht nach Kalifornien war allerdings nicht nur der Suche nach besseren Produktionsbedingungen geschuldet, sondern man wollte auch dem immensen Einfluss der in New York ansässigen Motion Picture Patents Company (MPPC) entweichen. Die MPPC war ein monopolistisches Kon- sortium aus den neun damalig größten Filmproduzenten: Edison, Biograph, Vita- graph, Essanay, Selig, Kalem, Méliès und Pathé. Keiner von ihnen überlebte die zwanziger Jahre. Genregeschichte im Hollywoodkino 3 Diese ersten Jahre (1907–1928), von den ersten Produktionen in Hollywood bis zur Einführung des Tonfilms, werden auch das ‚Golden Age‘ von Hollywood genannt. Hier entstanden Chaplins Tramp Abenteuer (The Kid/Der Vagabund und das Kind oder nur Das Kind 1921, The Gold Rush/Goldrausch 1925), Griffiths überlange Filme wie Birth of a Nation (Die Geburt einer Nation, 1915) und Intolerance (Intoleranz: Die Tragödie der Menschheit, 1916) sowie John Fords erste Western wie The Iron Horse (Das eiserne Pferd, 1924) oder Four Sons (Vier Söhne, 1927). Diese Filme sind die Ergebnisse einer Zeit in Hollywood, in der viel expe- rimentiert wurde und in welcher der Regisseur relativ unabhängig arbeiten konnte. Die jungen Filmstudios zeigten sich innovativ in der Nutzung des neuen Mediums. Sie griffen das Konzept europäischer Filmemacher auf und produzierten längere Filme, die differenziertere Geschichten erzählten und wandten sich damit von der bis dahin üblichen Form des bewährten, kurzen Ein- oder auch Zweiakters ab, an welcher die MPPC festhielt. Die Einspielergebnisse von D.W. Griffiths Birth of a Nation lieferten den eindeutigen Beweis, dass dem Konzept des abendfüllenden narrativen Spielfilms die Zukunft des Kinos gehörte. Die große filmische Freiheit auf der einen Seite und der immense Erfolg der Filme beim Publikum auf der anderen Seite, lies Hollywood schnell an Umfang und Macht zunehmen. Aber auch wenn die abendfüllenden Spielfilme mehr Geld als die Einakter einspielten, so kosteten sie in ihrer Herstellung natürlich auch erheblich mehr. Folglich wuchs der Druck auf die Regisseure Filme zu produzieren, die auch das investierte Geld wieder einspielen sollten. Hollywood, das in den frühen dreißiger Jahren von der Depression eingeholt worden war und immense Verluste an den Kinokassen hinnehmen musste, begegnete dem Absatzrisiko der Spielfilme mit einer stetig zunehmenden Standardisierung des Filmemachens, was die Etablierung von Genrefilmen enorm vorantreiben sollte. Spielfilme wurden gewissermaßen in Serie produziert. Lief ein Film erfolgreich, so wurde er direkt zur Vorlage für weitere Produktionen. Aus der primär marktorien- tierten Herstellung von Filmen bei zentralistischen Managementstrukturen entwi- ckelte sich das sogenannte Studiosystem und der „produktionsdefinierte Genrefilm“ (Altman 2006, S. 258) wurde zu seinem Verkaufsschlager. 3 Das Studiosystem – Absolute Kontrolle Auch wenn die Etablierung einer Genrepraxis keine Erfindung des Studiosystems ist – bereits die Einakter in den Nickelodeons auf den Jahrmärkten firmierten unter Genre-Etiketten wie Melodrama, Western, Comedy (Bowser 1990), die selbst wie- derum Vorläufer in der Unterhaltungsliteratur des 19. Jahrhunderts hatten – so kann aber die Entwicklung und Etablierung eines Produktionsprozesses, der die Standar- disierung und Entwicklung kommerziell erfolgreicher filmischer Stoffe gleicher- maßen vorantrieb, durchaus als die Hervorbringung Hollywoods betrachtet werden. Eine erfolgreiche Genrepraxis in Hollywood kennzeichnet, dass sie die Erwartungen des zahlenden Publikums und die Anforderungen eines Wirtschaftsunternehmens gleichermaßen erfüllt. Das Studiosystem stellte solche Produktionsbedingungen her 4 A. Peltzer und etablierte letztlich neun narrative Grundmuster (Bronfen und Grob 2013, S. 22), die die Studios in den verschiedenen Genres – Western, Musical, Slapstick Comedy, Screwball Comedy, Melodrama, Bio-Pic, Mantel-Degen-Filme, Horrorfilm, Thriller, Krimi, SciFi etc. – stets so zu variieren wussten, dass sie immer wieder ihr Publikum fanden. Zentrale Charakteristika dieser Filmkultur, die den klassischen Hollywood- stil mit seinen Genres hervorbringen sollte, waren neben der Organisation der Studios wie Fabriken, die Stars, die Studiomogule mit ihren Vorstellungen von amerikanischer Kultur, rigide Verleihmethoden und eine strenge Selbstzensur. Wie diese verschiedenen Aspekte ineinandergriffen und welchen einzelnen Beitrag sie jeweils zum weltweiten Erfolg des ‚Classical Hollywood Cinema‘ beitrugen, darum geht es im Folgenden. Aus den jungen Studios, die sich zur Jahrhundertwende in Kalifornien niederge- lassen hatten, entwickelten sich in den dreißiger und vierziger Jahren erfolgreiche Wirtschaftsunternehmen, die fast alle „mit diktatorischen Zugriff regiert [wurden], meist von osteuropäischen Immigranten, die schon in den zehner Jahren (manche noch früher) die kommerziellen Möglichkeiten des Kinos entdeckt hatten“ (Blumen- berg 1978, S. 11). Im Zentrum standen acht Studios, die so genannten
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