Xiong-Stil Taijiquan Beispiel einer umfassenden Überlieferung des frühen Yang-Stils Von Michael A. DeMarco Xiong-Stil ist ein Zweig des Taijiquan, der außerhalb von Taiwan wenig bekannt ist. Er geht auf Xiong Yanghe (1888 – 1981) zurück, bietet jedoch nach den Recherchen von Michael A. DeMarco vor allem einen Einblick in die frühe Überlieferung des Yang-Stils, die hier in umfassender Form fortgeführt wird.Der Autor fasst die soziopolitischen Bedingungen zusammen, unter denen sich das Taijiquan im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in China entwickelt hat, in einer Zeit, die geprägt war von inneren und äußeren Kriegen, Hungersnöten, politischen Unruhen, Demoralisierung – dem Niedergang des einst so mächtigen und kulturell überlegenen chinesischen Reichs. Er macht damit zwei Aspekte deutlich, die für die Entwicklung des Taijiquan ausschlaggebend wurden: die Notwendigkeit einer effektiven Selbstverteidigung und den Wunsch nach allgemeiner Selbststärkung. Taijiquan ist daher sowohl Kampfkunst als auch Gesundheitsübung. Xiong Style Taijiquan - Example of a comprehensive transmission of the early Yang style By Michael A. DeMarco Xiong style is a branch of Taijiquan that is little-known outside Taiwan. It goes back to Xiong Yanghe (1888 – 1981) but according to the research of Michael A. DeMarco it provides above all an insight into the early transmission of the Yang style, which is here continued in a comprehensive form. The author summarises the socio-political conditions under which Taijiquan developed in the 19th century and the first half of the 20th century. This was a time that was marked by civil and inter-nation wars, famines, political unrest and demoralisation – the decay of the once so powerful and culturally superior Chinese empire. In the process he highlights two aspects that were decisive for the development of Taijiquan: the need for effective self-defence and the wish for general self-strengthening. Taijiquan is thus both a martial art and a health practice. In diesem Artikel werden Aspekte der Traditionslinie dargestellt, die eine Rolle spielen bei der Formulierung einer Definition des Taijiquan. Nach einem allgemeinen Überblick über die frühe Linie der Yang-Familie werden wir eingehender die zwei Hauptrichtungen betrachten, die direkt auf den Gründer des Yang-Stils, Yang Luchan (1799 – 1872), sowie seine Söhne und Enkel zurückgehen, die so einflussreich waren bei der ursprünglichen Verbreitung des Taijiquan in China. Da der Fokus auf dem Xiong-Stil liegt, ist es notwendig, Xiong Yanghes Lehrer und die wichtigsten Vorgänger zu betrachten, die den Hauptstamm des Taiji-Stammbaums geformt haben. Frühe Repräsentanten der Yang-Stil-Tradition Chen Changxing (1771~1853) Yang Luchan (1799~1872) Yang Banhou (1837~1890) Yang Jianhou (1839~1917) Yang Shaohou (1862~1930) Yang Chengfu (1883~1936) Yang Luchan wurde 1799 im Bezirk Yongnian in der Provinz Hebei geboren. Obgleich er aus bescheidenen Verhältnissen stammte und nicht lesen konnte, liebte er die Kampfkünste. Wahrscheinlich übte er sich im Shaolin-Faustkampf, als er sehr jung war, später zog es ihn aber nach Chenjiagou in der Provinz Henan mit dem Wunsch, das Taijiquan der Chen-Familie zu lernen. Es gibt eine Reihe von Geschichten in Bezug auf Luchans Studienzeit in Chenjiagou, die wahrscheinlichsten Annahmen dabei sind: • Er arbeitete als Diener und lernte Chen-Taiji unter Chen Changxing (1771 – 1853) ungefähr zehn Jahre lang, wobei er außerordentlich gut wurde in dieser Kunst. • Er kehrte in sein Heimatdorf zurück und unterrichtete dort viele in der Kunst. • Und er zog nach Beijing, wo er den Ruf als „unbesiegbarer Yang“ bekam und die königliche Manchu- Familie sowie die Leibwächter unterrichtete. Natürlich wurde seine besondere Art des Taiji als Yang-Stil bekannt. Ob real oder fiktiv, die Geschichten um Yang Luchan lassen keinen Zweifel daran, dass er höchste Kampfkunstfertigkeiten besaß. Was er unterrichtete und an wen, ist eine andere Sache. Es wäre sicher logisch für ihn, dass er dem althergebrachten Vorbild folgte und die höheren Aspekte der Kunst nur an diejenigen weitergab, die ihm am nächsten standen. Als Yang Luchan 1872 starb, führten zwei seiner Söhne die Taiji-Familientradition weiter. Beide waren von Natur aus sowohl geistig als auch körperlich begabt genug, um die vollständige Überlieferung des Wissens ihres Vaters zu erhalten, und beide übten mit Hingabe unter hohen Trainingsanforderungen. Es zeigte sich, dass die Brüder sehr unterschiedliche Persönlichkeiten hatten. Yang Banhou (1837 – 1890), der ältere Sohn, hatte einen Charakter, der oft als hart und hitzig beschrieben wird, was sich in seiner großen Lust am Kämpfen zeigte. Der jüngere Sohn, Yang Jianhou (1839 – 1917), war freundlich und sanftmütig und zog mit seiner Persönlichkeit eine große Zahl von Schülern an. Obwohl Yang Shaohou (1862 – 1930) der älteste Sohn von Yang Jianhou war, lernte er überwiegend bei seinem Onkel Yang Banhou. Er folgte seinem Onkel im Temperament und im Kampfstil. Beide waren raue Lehrer und es blieb nur eine vergleichsweise kleine Zahl von Schülern auf Dauer bei ihnen. Es scheint, dass sie die kämpferischen Elemente von Yang Luchans Methoden als die wesentliche Richtschnur für ihr eigenes Training nutzten, einschließlich der schnellen Ausführung von Techniken, Sprüngen und verschiedenen Tritten sowie eines psychologischen Einsatzes von Mimik und Lauten. Wie Douglas Wile schreibt: „Schriften, deren Ursprünge auf Yang (Banhou) zurückzuführen sind, sind unsere engste Verbindung zu Yang (Luchan) und zum Reichtum der Kunst, bevor sie unter den Einfluss der dominierenden chinesischen Kultur des 20. Jahrhunderts geriet.“ (Wile 1996, S. 93) Yang Jianhous zweiter Sohn war Yang Chengfu (1883 – 1936). Er und sein Bruder Shaohou unterrichteten Taijiquan am Sportwissenschaftlichen Institut in Beijing von 1914 bis 1928. Sie waren Pioniere in der Vermittlung an eine allgemeine Öffentlichkeit. Chengfu zog 1928 nach Shanghai und hatte viele Schüler. Mit den Jahren wurde Chengfus spezieller Stil der am weitesten verbreitete. Er sonderte einige der kraftvolleren Techniken aus der langen Form aus und lehrte andere, in einem langsamen, gleichmäßigen Tempo zu üben. Obwohl er sicherlich die Lehren seines Vaters, seines Onkels und seines Großvaters bewahrte, wurde sein öffentlicher Stil bekannt durch seine gesundheitsfördernden Wirkungen. Die fünf Mitglieder der Yang-Familie, die hier besprochen wurden, lebten in einer Zeit drastischer Veränderungen in China. Ihre Lebenszeit erstreckt sich über 137 Jahre von der Geburt von Yang Luchan 1799 bis zum Tod von Yang Chengfu 1936. Ein kurzer Überblick über die chinesische Geschichte während dieser Zeit hilft, die Entwicklung des Taijiquan sowie anderer chinesischer Kampfkünste, die sich in der modernen Zeit verbreitet haben, zu verstehen. Was inspirierte Yang Luchan dazu, Kampfkünste zu studieren? Unterschied sich der Faustkampf der Chen-Familie sehr von anderen Familienstilen, die in anderen Dörfern entwickelt wurden? Tatsächlich war es in der zweiten Hälfte der Qing-Dynastie keine Seltenheit, dass eine Gruppe von Dorfbewohnern mit dem gleichen Familiennamen in ihren Höfen Faustkampf übten. Philip Kuhn (1970) beschreibt in seinem exzellenten Werk „Rebellion and Its Enemies in Late Imperial China: Militarization and Social Structure, 1796 – 1864“ detailliert die Entstehung von lokalen Milizen, Rebellen, Verbrecherbanden und Geheimgesellschaften. Chenjiagou ist nur ein Beispiel eines Dorfes, das seine Mauern hochzog und Kampftraditionen pflegte, um sich vor Angriffen und Diebstahl von außen zu schützen. Es gab „... zwei grundlegende Typen von Milizen in der chinesischen Gesellschaft – diejenigen, die auf staatliche Verordnungen zurückgingen, und diejenigen, die aus den Bedürfnissen natürlicher sozialer Gemeinschaften entstanden ...“ (Kuhn, 1970, S. 35). Das Aufkommen von lokalen Verteidigungsgruppen wurde immer wichtiger, da die Qing-Regierung und ihre militärischen und polizeilichen Strukturen unter internem und externem Druck zunehmend auseinanderfielen. Ihr Aufschwung war eine direkte Antwort auf die instabilen sozio-politischen Verhältnisse. Im 18. Jahrhundert wuchs die innere Unzufriedenheit in ganz China aufgrund des Bevölkerungswachstums, das an einen Punkt geriet, an dem die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr mithalten konnte. „Das Bevölkerungswachstum überholte unausweichlich den Anstieg der Nahrungsmittelproduktion und der Lebensstandard begann zu sinken. Verbreitete Korruption und Trägheit innerhalb der Regierung verschlimmerten noch die Gegebenheiten.“(Hucker 1975, S. 302) Abgesehen von den Vorbehalten gegen die Fremdherrschaft der Manchu, die China erobert hatten und von 1644 bis 1911 regierten, machte sich innerhalb der Bevölkerung das Gefühl breit, dass die Regierung das Mandat des Himmels verloren hatte und unfähig war, das Land zu führen. Volksaufstände wurden allgegenwärtig und steigerten sich zu größeren sozialen Umwälzungen wie etwa der Rebellion der Gesellschaft des Weißen Lotus (1793 – 1804). Noch verheerender war die Taiping Rebellion (1851 – 1864), während der 30 Millionen Menschen ums Leben kamen und die 15 Provinzen verwüstete (Wakeman 1977, S. 156). Um die Mitte des 19. Jahrhunderts galten in einigen Provinzen „zwei Drittel der Bevölkerung als tot oder vermisst“ (a. s. O., S. 155). Jahrhundertelang hatte sich China für den zivilisiertesten Staat der Welt gehalten. Aufstände, Hunger und Flutkatastrophen forderten einen hohen Tribut von der Regierung und der Gesellschaft während des 19. Jahrhunderts. Chinas
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