Baptria Tibiale (Esper, 1804) – Ein Juwel in Der Mitte Deutschlands (Lepidoptera: Geometridae)

Baptria Tibiale (Esper, 1804) – Ein Juwel in Der Mitte Deutschlands (Lepidoptera: Geometridae)

Sven Erlacher, Der Trauerspanner – ein Juwel in der Mitte Deutschlands Der Trauerspanner Baptria tibiale (Esper, 1804) – ein Juwel in der Mitte Deutschlands (Lepidoptera: Geometridae) ● Sven Erlacher südliche Sibirien bis nach Korea, Japan, Abstract. Since 2002 Baptria tibiale (Es- Zusammenfassung. Seit 2002 wird der den Kurilen und Sachalin. Isolierte, wahr- per, 1804) has been regularly found in Trauerspanner, Baptria tibiale Esper, scheinlich glacial-reliktische, europäische a side valley of the river Werra in Thur- 1804, in einem Seitental der Werra in Vorkommen außerhalb der Alpen gibt es ingia. In addition to a brief explanation Thüringen wieder regelmäßig beobach- in den Pyrenäen, in Deutschland, im zen- of the overall distribution of B. tibiale, tet. Neben einer Darstellung der Ge- tralen und nordöstlichen Tiefland Polens the population dynamics in Germany as samtverbreitung von B. tibiale, der Be- (Buszko & Nowacki 2000), in den balti- well as the historical records in Lower standssituation in Deutschland sowie schen Ländern, der Slowakei, der Ukraine, Saxony, Hesse, and Thuringia are being der historischen Funde in Niedersach- Bulgarien, Rumänien (Karpaten) und thoroughly discussed. Furthermore, the sen, Hessen und Thüringen wird das Montenegro (Skou 1986, Hausmann & current occurrence in Thuringia is pre- aktuelle Vorkommen in Thüringen aus- Viidalepp 2012). sented in detail. Information on the ver- führlich besprochen. Außerdem werden tical distribution and phenology as well Angaben zur vertikalen Verbreitung und In Deutschland wurde B. tibiale „ziemlich as on the habitat and life history are Phänologie sowie zum Lebensraum, zur verbreitet“ in den Nördlichen Kalkalpen given. The endangered status is de- Lebensweise, Gefährdung und zum und „ganz lokal“ im bayerischen Alpen- scribed including the need for biotope Schutz des Lebensraums dieser Spanne- vorland gefunden (Osthelder 1929: protection of the moth species. Baptria rart mitgeteilt. Baptria tibiale benötigt 402), aktuell in den Berchtesgadener und tibiale inhabits a combination of warm zum Überleben die Kombination aus Chiemgauer Alpen (A. Haslberger pers. woodland with the caterpillar’s food wärmebegünstigtem Wald mit dem Mitt. 2014, A. Segerer pers. Mitt. 2014). plant, Actaea spicata, and attached open Vorkom men der Raupen-Futterpflanze, Neuere Funde in Bayern außerhalb der areas containing flowering plants as Actaea spicata, sowie Offenflächen mit Alpen sind nicht bekannt (R. Bolz pers. nectar sources for the adult specimens. dem entsprechenden Nahrungsangebot Mitt. 2014, W. Wolf pers. Mitt. 2014). Die für die Imagines. Angaben für Baden-Württemberg werden angezweifelt, da sie nicht belegt werden Key words. Baptria tibiale, Thuringia, Lower Saxony, Hesse, Germany, Palaearctic konnten (Ebert 2003). Ebenso gilt die Region, historic records, distribution, phenology, ecology, life history, nature pro- Herkunft eines Exemplars aus dem Saar- tection. land heute als unsicher (Werno 1992, A. Werno pers. Mitt. 2014). Für den Harz in Sachsen-Anhalt gibt es zwei wahr- scheinlich unabhängige Angaben aus dem Einleitung südlichen Randgebiet: „im Unterharz“ Es gibt nur wenig bekanntere Spannerfal- Zeit seiner Entdeckung „eine der vorzüg- (Bergmann 1955: 211) und „bei Stolberg“ ter als den Trauerspanner, Baptria tibiale lichsten Seltenheiten“ (Esper 1804: 568). (Bornemann 1912: 210). Während Berg- (Esper, 1804). Mit seiner kontrastreichen Die Raupen fressen, zumindest in Mittel- mann einerseits die Information aus einer schwarz-weißen Zeichnung gilt er als ein deutschland, an den Blättern des Ährigen handschriftlichen Liste des achtzigjäh- Juwel der heimischen Fauna. Die Zeit- Christophskrauts (Actaea spicata), ein rigen Otto Wagner aus Artern von 1938 schrift der „Lepidopterological Society of Hahnenfußgewächs (Ranunculaceae). Es offensichtlich anzweifelte – was in dem Finland“ trägt seinen Namen, eine finni- kommt in krautreichen Laubwäldern vor, Zusatz „will gefangen haben“ nur allzu sche Briefmarke zeigt sein Bild und zahl- besonders in Schlucht- und Hangwäldern deutlich zum Ausdruck kommt – versäumt reiche Publikationen zeugen von einer über frischen, kalk- und nährstoffreichen er es andererseits, das Verzeichnis Borne- fortwährenden Beschäftigung mit diesem Lehmböden (Zünddorf et al. 2006). In manns (1912) überhaupt zu erwähnen. Schmetterling. Dabei soll ihn die für uns Skandinavien wurden die Raupen von Letztlich können aber auch die Angaben auffällige Zeichnung in seiner natürlichen B. tibiale außerdem am Rotfrüchtigen für Sachsen-Anhalt als unsicher betrachtet Umgebung eigentlich unsichtbar machen. Christophskraut (Actaea erythrocarpa) werden, da weder Belege noch weitere Sein wissenschaftlicher Name „tibiale“ gefunden (Skou 1986). Meldungen vorliegen. nimmt Bezug auf das eigenartige Muster der Vorderflügel: ein weißer Strich auf Die Gesamtverbreitung des boreo-konti- Indessen gab es zahlreiche sichere Beob- schwarzem Grund in der Form eines Bei- nentalen Trauerspanners B. tibiale ist pa- achtungen östlich und südöstlich von Göt- nes (Abb. 1). Doch die wenigsten Entomo- läarktisch. Sie reicht von den Alpen über tingen in Südniedersachsen (L. Finke logen haben den „Beinspanner“ (so seine die Karpaten, von Fennoskandien und 1902, 1912, C. Finke 1934, 1938, Berg- deutsche Entsprechung) bereits einmal dem nordwestlichen europäischen Russ- mann 1955) sowie im Werratal in Nord- lebend gesehen, war er doch schon zur land bis zum Ural und von dort über das westthüringen (Keferstein 1871, Preiss 139 Entomologische Zeitschrift · Stuttgart · 124 (3) 2014 de Fundorte auf: „im Göttinger Wald im Gosselgrund am Lengder Berg [sic!] und an der Bruck“. Nach den Aufzeichnungen von Otto Rapp im Naturkundemuseum Erfurt erhielt Petry diese Angaben von J. Stock aus Eckartsberga. Seitdem gibt es keine Meldungen mehr über B. tibiale im Göttinger Raum (T. Meineke pers. Mitt. 2014). Brockmann (1990) erwähnt, dass die Sammlung von C. Finke mit ihren fau- nistisch bedeutsamen Belegen vereinzelt wurde. In einer seiner „Entomologischen Plaude- reien“ berichtet Keferstein (1871: 326): „Herr Knappe [gemeint ist Friedrich Knapp aus Gotha] hat vor ein paar Jahren dieses Thier einzeln im Werrathale bei Nazza gefunden“. Dies ist die erste Mittei- lung über ein Vorkommen von B. tibiale in Thüringen. Dagegen ist die Angabe „Eise- nach: In der Drachenschlucht“ bei Berg- mann (1955: 211) unter Bezugnahme auf Abb. 1. Männchen von Baptria tibiale (Esper, 1804) an Giersch (Fundort: Thüringen, Falken/Werra, Hölltal, 300 m, 24.VI.2006) (Dieses und alle folgenden Fotos: S. Erlacher). Keferstein (1871) zu streichen, da sie sich nicht auf B. tibiale, sondern auf die heuti- ge Venusia blomeri (Curtis, 1832) bezieht. 1934, 1936, Zukowsky 1944, Bergmann begrüssen“. Die Suche sei „eine gefährli- Knapp selbst nennt als Fundorte den „Hai- 1955, Rommel 2002). Jahrzehntelang wa- che und saure Arbeit, da Sträucher und nichswalde zwischen Nazza u. [der ca. ren diese hochisolierten mitteldeutschen Stauden keine Wurzelfestigkeit“ besäßen drei Kilometer östlich von Nazza gelege- Vorkommen von B. tibiale die umfang- und man in Gefahr käme, „eine unfreiwil- nen Wüstung] Ihlefeld u. Wintersteiner reichsten und stabilsten in Deutschland lige ‚Bergrutschparthie‘ … zu genießen“ Forst, nach d. Inselsbg. zu“ (Knapp 1887: außerhalb der Alpen (Hausmann & Viida- (Finke 1902: 10). Später hielt er die ge- 387). Bergmann (1955: 211) interpretier- lepp 2012). Später war die Art auch hier nauen Fundorte von B. tibiale geheim. te dies als „Wintersteiner Forst am Insels- verschollen, bis sie nach einem halben Angeblich geschah dies zum Schutz vor berg“, doch gibt es etwa vier Kilometer Jahrhundert im Jahr 2002 bei Falken im Ausrottung, wahrscheinlich aber auch aus nordnordöstlich von Nazza, auf der Höhe thüringischen Werratal wiederentdeckt kommerziellen Gründen, wie seine zahl- von Hallungen, ein Felsgebiet namens wurde. reichen Anzeigen in der Entomologischen Winterstein (gegenüber dem Sommer- Zeitschrift jener Jahre zum Verkauf von stein), dessen Südabdachung (nach dem „Freilandmaterial“ erahnen lassen. Wei- Inselsberg zu) wahrscheinlich gemeint ist. Historische und aktuelle tere Orte, an denen er die Raupen zumin- Nach dieser Lesart wäre auch die zweite Beobachtungen in Nieder- dest gesucht hat, sind „Hainberg“ und von drei Fundangaben aus dem nordwest- sachsen, Hessen und Thüringen „Lengder Burg“ (Finke 1912: 219). Zwei lichen Thüringer Wald zu streichen. Die Jahrzehnte später schrieb sein Sohn Carl Mitteilungen „Tabarz“ (1 Exemplar, leg. In der geografischen Mitte Deutschlands Finke (1934) nur noch von einer „einzigen G. Jenner) und „Mühlhausen am Spittel- wurde Baptria tibiale erstmals im Juli 1850 hier bekannten Fundstelle“ (S. 138) sowie brunnen“ (1 Exemplar, leg. F. Ochs) in vom Bibliothekar Strohmeier aus Göttin- einem „an und für sich eng begrenzte[n] Bergmann (1955: 211) erhielt dieser noch gen nachgewiesen. Über einem Zeitraum Fundort“, der „nicht allgemein bekannt- von Petry, der zumindest das Mühlhäuser von fast 30 Jahren soll dieser nur wenige gegeben“ werden sollte (S. 140). Die Exemplar nach den oben genannten Auf- Falter gefunden haben, was Finke (1912) „Nachforschungen an den von Stroh- zeichnungen von Rapp im Jahr 1910 selbst dem heute nicht mehr vorhandenen Zet- meier [in dessen Zettelkatalog] angege- gesehen haben soll. Überdies fing H. Popp telkatalog Strohmeiers am Zoologischen benen Fundorten im Göttinger Walde“ vor 1934 ein Exemplar von B. tibiale im Museum der Universität Göttingen ent- seien erfolglos

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