„Wir Wollen an Die Front!“ Nach Der Ausbildung Bei Palästinensern Versuchten Die Gründer Der RAF, Ihr „Konzept Stadtguerilla“ Umzusetzen

„Wir Wollen an Die Front!“ Nach Der Ausbildung Bei Palästinensern Versuchten Die Gründer Der RAF, Ihr „Konzept Stadtguerilla“ Umzusetzen

Serie (IV): Im Untergrund „Wir wollen an die Front!“ Nach der Ausbildung bei Palästinensern versuchten die Gründer der RAF, ihr „Konzept Stadtguerilla“ umzusetzen. Im Mai 1972 starteten sie eine Serie von Anschlägen – doch schon kurz darauf saßen sie vollzählig hinter Gittern. Von Michael Sontheimer SPIEGEL TV (L.) RAF-Mitgründerin Meinhof, inhaftierter Baader (1969): „Ficken und Schießen ist ein Ding“ m 8. Juni 1970 machte sich in West- schrieben, „war auch kein Deckchen- Wunschgemäß brachten die Palästinen- Berlin eine Reisegesellschaft der be- sticken.“ Wohl wahr. Das Befreiungskom- ser sie in ein Fatah-Lager unweit von Am- Asonderen Art auf den Weg. Der An- mando hatte in Berlin einen Mann ange- man, in dem sich bald auch der Rest der führer der Gruppe war der Rechtsanwalt schossen und lebensgefährlich verletzt. Auf Berliner einfand. Nun standen für die 14 Horst Mahler, der wegen der Befreiung allen fünf Beteiligten lastete deshalb der Lehrlinge der Weltrevolution Dauerlauf, Andreas Baaders von der Polizei gesucht Vorwurf des versuchten Mordes; Meinhofs Schießübungen und Nahkampf auf dem wurde. Mit ihm fuhren je zwei junge Män- Steckbrief prangte an den West-Berliner Ausbildungsprogramm. „Horst Mahler war ner und Frauen zum Ost-Berliner Flugha- Litfaßsäulen. Die Reise in den Nahen Os- so eifrig dabei“, erinnert sich ein Teilneh- fen Schönefeld. Sie sollten sich bald als ten war eine Flucht aus Berlin. mer, „als ob er schon immer Soldat werden „anarchistische Gewalttäter“ auf den Fahn- Nach einem ungeplanten Zwischenstopp wollte.“ Andreas Baader habe, wie üblich, dungsplakaten der Polizei wiederfinden. in Beirut brachten Palästinenser die Vor- gleich angefangen zu motzen. Er fand es Das Quintett mit dem vergleichsweise ausabteilung aus Berlin in die jordanische für angehende Stadtguerilleros sinnlos, exotischen Reiseziel Damaskus war die Hauptstadt Amman. Die Vertreter der Fa- Nahkampf mit dem Bajonett zu üben. Vorhut jener Truppe, die sieben Jahre spä- tah, des bewaffneten Arms von Jassir Ara- Die Führung der Gruppe bestand aus ter die Bundesrepublik an den Rand des fats PLO, organisierten für ihre Gäste ein zwei Männern und zwei Frauen: dem Bo- Staatsnotstands bringen sollte: der RAF. Polit-Touristen-Programm. Die aber er- hemien Andreas Baader und dem Anwalt Ihre Gründer verstanden sich als Revo- klärten nach den obligatorischen Besuchen Horst Mahler, der Doktorandin Gudrun lutionäre, sie begriffen sich als Avantgarde in Flüchtlingslagern und Waisenhäusern: Ensslin und der Journalistin Ulrike Mein- der Arbeiterklasse. Vor allem aber sahen „Das ist ja alles sehr interessant, aber wir hof. Der Ex-Freund Meinhofs, Peter Ho- sie sich in einer antiimperialistischen Front wollen eine Ausbildung. Wir wollen Waf- mann, begann bald, gegen Baader und sein mit den Vietcong in Vietnam, den Tupa- fen. Wir wollen an die Front!“ Chefgehabe zu opponieren. Nach einer maros in Uruguay oder den Black Panthers in den USA. Sie meinten es ernst. „Die Baader-Be- Meinhof: „Die Baader-Befreiungsaktion war freiungs-Aktion“, hatte Ulrike Meinhof ge- auch kein Deckchensticken.” 74 der spiegel 40/2007 Schlägerei zwischen den beiden wurde der auf „50 bis 100 Personen zu verstärken“, diese Unterstützung hätte die RAF nicht so Dissident von den Palästinensern nach Polizei und Justiz „zu demoralisieren“ und lange existieren können. Hause geschickt. das Volk „durch Schockwirkungen auf- Als die Gründer sich im August 1970 wie- Jürgen Bäcker, der einstige Geschäfts- zurütteln“. der in West-Berlin gesammelt hatten, muss- führer des Republikanischen Clubs in Ber- Kaum gegründet, hatte sich die RAF te endlich ein Name für die Gruppe her. lin und von RAF-Leuten später als Verräter schon in der Schattenwelt der Geheim- Horst Mahler plädierte für „Des Geyers verdächtigt (siehe seite 78), wurde in der dienste verstrickt, aus der sie sich nie mehr schwarzer Haufen“ – in Anlehnung an Flo- Heimat noch nicht von der Polizei gesucht. völlig befreien sollte. rian Geyer, einen Führer in den Bauernkrie- Er reiste deshalb nach dem Ende der knapp Besonders die Stasi, die exzellente Ver- gen des 16. Jahrhunderts. Das fanden die achtwöchigen Ausbildung als Erster zurück. bindungen zu arabischen Geheimdiensten meisten absurd. Da sie sich als Kommu- Er sollte herausfinden, ob die Route sicher und den Palästinensern hatte, war über nisten in der Tradition Lenins verstanden, ist. Doch auf dem Ost-Berliner Flughafen lange Phasen bestens über die Gruppe in- wurde schließlich Ensslins und Meinhofs Schönefeld wurde er festgenommen und formiert. Mielkes Männer wussten oft, wo Vorschlag angenommen: „Rote Armee“. INTERFOTO (L.); KEYSTONE (R.) (L.); KEYSTONE INTERFOTO Polizei-Steckbrief, PLO-Führer Arafat*: „In der selbständigen Herstellung von Spreng- und Brandsätzen unterrichtet“ an die Staatssicherheit übergeben. „Damit sich die RAF-Kader versteckten, während Den Zusatz „Fraktion“ wählten die Rot- Sie uns keinen Unsinn erzählen“, empfing die bundesdeutschen Terrorfahnder im armisten, um klarzumachen, dass die ihn ein Stasi-Vernehmer, „geben ich Ihnen Dunkeln tappten. Gruppe der bewaffnete Arm einer noch mal ein Beispiel, was wir über Ihre Truppe Nachdem die Stasi-Offiziere Bäcker 24 nicht existierenden, machtvollen kommu- wissen.“ Er nannte Bäcker den Deckna- Stunden lang verhört hatten, brachten sie nistischen Partei sei. men, den dieser gerade erst im Fatah-Lager ihn zum Bahnhof Friedrichstraße und Dass die Abkürzung RAF die meisten äl- bekommen hatte. schoben ihn durch eine Geheimtür auf teren Deutschen an die Royal Air Force „Harp“ alias Bäcker klärte daraufhin die einen Bahnsteig, der nur von West-Berlin und an die Zerstörung von Dresden und Vernehmer der Stasi ausführlich auf. Was aus zu erreichen war. Zu seinem Ärger hat- den Bombenkrieg der Briten erinnerte, die Gruppe damals plante, geht aus dem ten die Stasi-Männer ihm die Pistole, die er daran dachte niemand. bislang unbekannten Vernehmungsproto- in Amman gekauft hatte, und 25 Schuss Als Vorbilder dienten den RAF-Grün- koll hervor. Die RAF beabsichtigte, „ei- Munition nicht zurückgegeben. dern weniger die Palästinenser, sondern nen Anschlag gegen das Hauptquartier der Die RAF-Gründer hatten fast alle spani- Guerilla-Gruppen aus Südamerika, die US-Besatzungstruppen in der Clayallee, sche „Llama Especial“-Pistolen des Kali- dort einen Kleinkrieg gegen korrupte Dik- und zwar Sprengstoffanschläge gegen dort bers 9 mm erworben und von den Fatah- taturen aufgenommen hatten. Besonders stationierte Panzer, zu unternehmen“. Genossen passende Munition geschenkt imponierte ihnen der brasilianische Revo- Man sei im Fatah-Lager „in der selbständi- bekommen. Sie zerlegten die Waffen in lutionär Carlos Marighella. „Das Mini- gen Herstellung von Spreng- und Brand- ihre Einzelteile und schmuggelten sie über handbuch des Stadtguerillero von Mari- sätzen unterrichtet worden“. die DDR nach West-Berlin. ghella war die Bibel der RAF“, so ein Ein Brandsatz solle im Büro der US- Nur einen Monat aktiv, hatte die RAF Gründungsmitglied, „und ihr Laienpredi- Fluggesellschaft Pan Am gelegt werden, da schon ihre wichtigste strategische Allianz ger war Andreas Baader.“ sich dort ein „getarntes Büro der CIA be- geschlossen: die mit palästinensischen Ter- In der Anleitung heißt es: „Die Logistik findet“. Es sei zudem geplant, die Gruppe rorgruppen. In den folgenden Jahren konn- des Stadtguerilleros, der bei null anfängt ten RAF-Kader immer wieder im Nahen und zunächst über keine Stütze verfügt, * Im November 1971 in Ost-Berlin. Osten untertauchen und trainieren. Ohne kann mit der Formel ,M G W M S‘ be- der spiegel 40/2007 75 RAF-Serie (IV): Im Untergrund DPA (L.); KLAUS MEHNER (R.) DPA Brief Baaders (1972), festgenommene RAF-Frau Goergens (1970): „Ihr Pigs könnt zufrieden sein, dass ich nicht zum Schießen gekommen bin“ schrieben werden: Motorisierung, Geld, Die Beute der RAF, über 209000 Mark, te einem Polizisten: „Ihr Pigs könnt zu- Waffen, Munition, Sprengstoff.“ nahm Gudrun Ensslin als Kassenverwalte- frieden sein, dass ich nicht zum Schießen Für Motorisierung sorgten die RAF- rin in Verwahrung. Die Gruppenmitglie- gekommen bin.“ Gründer auf zweierlei Weise. Zum einen der hatten – Ordnung musste sein – bei ihr Nach nicht mal fünf Monaten des be- mietete eine vormalige Rechtsreferenda- Listen mit ihren Ausgaben einzureichen. waffneten Kampfes hatte die RAF mit ei- rin in Nordrhein-Westfalen unter falschem Ulrike Meinhof regte sich immer wieder nem Schlag mehr als ein Viertel ihrer Mit- Namen acht Autos. Die Wagen wurden auf, wenn „Revolutionsgeld“ verschwendet glieder verloren, darunter den Strategen nach Berlin gebracht und mit gefälschten wurde. und eigentlichen Gründer der Gruppe, Nummernschildern ausgerüstet, vorzugs- Welch hohes Risiko die selbsternannten Horst Mahler. Noch am selben Tag ent- weise mit Doubletten von Autos gleichen Guerilleros eingingen, darüber dachten sie deckte die Polizei das Hauptquartier in Typs. Zum anderen wurden Wagen ge- nicht nach. Sie waren jung, das Durch- Berlin-Schöneberg. Die Fenster des Unter- stohlen, wobei zunächst Mercedes-Limou- schnittsalter lag bei 27 Jahren. „Dass wir schlupfs waren mit Alufolie zugeklebt, an sinen der Typen 220 oder 230 besonders uns bis zu 20 Jahre Knast einhandeln konn- den Wänden hingen Landkarten. beliebt waren. ten“, sagt eine von ihnen heute, „das ha- Da der Boden in West-Berlin zu heiß ge- „Baader war ein Kind seiner Zeit“, sagt ben wir verdrängt.“ Dass sie unter Um- worden war, verlagerte die RAF ihr Ak- Astrid Proll. „Er liebte schnelle Autos.“ ständen den bewaffneten Kampf

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