BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 26.11.2010, 20.15 Uhr Helen Schneider Sängerin und Schauspielerin im Gespräch mit Roland Spiegel Spiegel: Herzlich willkommen beim alpha-Forum. Ich freue mich, dass wir heute eine Sängerin zu Gast haben, die zu den aufregendsten gehört, die ich je gehört habe: Helen Schneider. Und sie singt auch gleich ein Stück für Sie. (Helen Schneider singt den Song "L.O.V.E.") Spiegel: "L.O.V.E.", ein Lied über vier magische Buchstaben, die zusammen das Wort "Liebe" ergeben: Helen Schneider und Jo Ambros. Schneider: High, Roland. Spiegel: Herzlich willkommen. Schneider: Danke, ich freue mich. Spiegel: Helen Schneider, es ist sehr ungewöhnlich, dich in diesem ganz intimen Rahmen mit nur einer akustischen Gitarre als Begleitung zu hören: a voice and a guitar. Das ist ein Lied von Bert Kaempfert, einem deutschen Komponisten und Arrangeur, der auch ganz andere Klänge, nämlich orchestrale Klänge geliebt hat. Schneider: Ja, das stimmt. Ich singe seit über acht Jahren zusammen mit einem Trio, mit Jo Ambros an der Gitarre, mit Mini Schulz am Kontrabass und Obi Jenne am Schlagzeug. Wenn man so etwas Intimes wie diese Sendung hier macht, dann dachten wir uns, es wäre doch ganz passend, das nur mit Gitarre und Stimme zu machen. Spiegel: Ja, ich finde das ganz wunderbar – und wir hätten auch schlecht eine Big Band hier in dieses Studio stellen können. Was ist denn für dich der Unterschied, wenn du in dieser Zweierkombination oder mit dem Trio auftrittst oder wenn du dasselbe Lied mit einer Big Band singst? Ist das dann ein ganz anderes Lied? Schneider: Das ist eine interessante Frage, denn in diesem Fall ist das überhaupt nicht so. Chris Walden hat diese neue CD mit den Songs von Bert Kaempfert produziert und arrangiert, die demnächst herauskommt. Chris hat für dieses Lied trotz der Big Band im Hintergrund eine sehr intime Struktur für Jo und mich geschaffen. Spiegel: Bert Kaempfert, der dieses Lied geschrieben hat, hat einmal gesagt, er möchte gerne Musik machen, die niemanden stört. Ist das ein Satz, mit dem du leben kannst? Schneider: Ich höre diesen Satz von Bert Kaempfert immer wieder, alle sprechen mich darauf an. Aber jedes Zitat hat seine Zeit, sein Umfeld und ist mit dem jeweiligen Zeitgeist verbunden. Ich bin ganz sicher: Als Herr Kaempfert das gesagt hat, war das sicherlich völlig in Ordnung. Das war ja auch der Anfang dessen, was man Easy Listening genannt hat. In meiner Generation dann wurde diese Bezeichnung fast zu einem Schimpfwort. Ich versuche nun zurechtzukommen mit diesem Begriff des Easy Listening und den dabei entstehenden Assoziationen. Bert Kaempfert hat jedenfalls schöne Melodien mit angenehmen Themen geschaffen, denen man in der Tat leicht zuhören und mit denen man die eigene Stimmung beruhigen konnte. Heute haben wir jedoch ganz andere Wörter für solche Sachen und solche Musik. Spiegel: Du hast eine ganze CD diesem Komponisten Bert Kaempfert gewidmet. Sie trägt den Titel "The World We Knew" nach einem Stück von ihm. Das heißt, auf dieser CD finden sich ausschließlich Stücke von ihm. Schneider: Ja. Ich bin ein großer Fan davon, richtige Projekte zu machen und sich dafür einen einzigen Komponisten vorzunehmen. Das gibt mir zuerst einmal einen "Schirm": Das hält alles zusammen, die CD bekommt einen ganz bestimmten Klang usw. So etwas liebe ich vor allem auf der Bühne, und diese CD ist nun die erste, bei der ich das auch auf einer CD so gemacht habe – außer der CD damals mit den Songs von Kurt Weill. Spiegel: Kurt Weill, der im Jahr 1900 geboren wurde, ist ja ebenfalls ein deutscher Komponist. Schneider: Ja, das stimmt. Wieso bin ich auf Bert Kaempfert gekommen? Ich hatte davor eine CD mit dem Titel "Dream A Little Dream" gemacht, die so eher dazwischen lag: Die Begleitung war nicht nur eine Gitarre, aber die Besetzung war doch relativ klein, sodass auf der gesamten CD insgesamt eine sehr intime Stimmung rübergekommen ist. Das war der Beginn meiner Untersuchung zur Popmusik meiner Mutter. Denn die Popmusik meiner Mutter damals war auch gleichzeitig meine erste Möglichkeit, meine Seele auszudrücken. Wenn meine Mutter in unserem Haus herumlief, hat sie ständig diese Lieder gesungen. Und manchmal saß sie auch am Klavier und hat sich selbst mit dem Klavier begleitet, wenn sie diese Lieder gesungen hat. Ich habe das einfach nur nachgemacht. Und deswegen waren das wirklich meine ersten Erfahrungen mit Liedern, mit denen ich meine eigenen Gefühle ausdrücken konnte. Ich hatte dann so viel Spaß beim Produzieren dieser CD "Dream A Little Dream", dass ich mir gedacht habe, das noch ein wenig ausbauen zu können. Als ich das meiner Plattenfirma "edel music" erzählte, sagte man mir dort: "Was hältst du von Bert Kaempfert? Bert Kaempfert hat nämlich erstens sehr viel mit dieser Zeit zu tun, als deine Mutter und dein Vater jung waren. Zweitens ist es so, dass demnächst für Bert Kaempfert ein großer Geburtstag kommen wird." Hinzu kam, dass ich schon lange den Wunsch hatte, eine CD mit der SWR Big Band zu machen. Das kam also alles zusammen und dann kam eben auch noch Chris Walden ins Spiel. Spiegel: Chris Walden hat auf dieser CD mit den Songs von Bert Kaempfert alle Stücke arrangiert. Schneider: Genau. Ich hatte schon einmal mit Chris gearbeitet, aber das war mindestens 15 Jahre her. Wir hatten damals sehr viel Spaß zusammen. Chris wohnt heute in Los Angeles, und deswegen sind wir uns seit damals nicht mehr begegnet. Als dann im Zusammenhang mit diesem Projekt der Name von Chris erwähnt wurde, bin ich vor Freude in die Luft gesprungen. Das hat dann auch wirklich geklappt und es war super. Spiegel: Chris Walden ist ebenfalls ein deutscher Musiker, der in die USA gegangen ist. Schneider: Ja, er machte genau das Gegenteil von mir: Er wohnt heute in Los Angeles und ich wohne nun in Berlin. Aber Bert Kaempfert war jetzt das verbindende Element zwischen uns beiden. Ich weiß nicht, ob das so viele Deutsche wissen, aber Bert Kaempfert war auch in den USA sehr, sehr bekannt. Spiegel: Er war der einzige Arrangeur überhaupt, der sowohl für Elvis Presley wie auch für Frank Sinatra gearbeitet hat. Schneider: Genau. Er hatte aber auch eine eigene Big Band, die Bert Kaempfert Big Band, mit der er oft im amerikanischen Fernsehen aufgetreten ist. Er war daher in den USA wirklich ein populärer Musiker. Bei dieser CD nun sind all diese musikalischen Brücken und Verbindungsstücke zwischen den USA und Deutschland zusammengekommen. Und genau das hat mir dabei sehr gut gefallen. Spiegel: Ich würde nun ganz gerne zu den frühesten "Brücken" in deinem Leben kommen. Du bist ja, als du 17 Jahre alt warst, von zu Hause ausgerissen. Schneider: Ja, das stimmt. Spiegel: Etliche Jahre später bist du dann auch das erste Mal in Deutschland aufgetreten, aber darauf kommen wir später zu sprechen. Warum bist du damals von zu Hause weg? Schneider: Manchmal schaue ich mir heute meinen Vater an und frage mich, warum es damals für mich so wichtig gewesen ist, von ihm wegzulaufen. Aber ich wollte einfach unbedingt die Musik zu meinem Beruf machen – ich war damals wirklich sehr wild –, was jedoch für meinen Vater eine unerträgliche Vorstellung bedeutete. Er stammt aus einer Generation, die den Krieg und die Depression miterlebt hat: Aus diesem Grund wollte er für mich einfach mehr Sicherheit haben. Er wollte unbedingt, dass ich mein reguläres Musikstudium weitermache – eine Sache, die ich ihm nun wirklich nicht zum Vorwurf machen kann. Spiegel: Du hast vorher Klavier gelernt. Schneider: Ja, ich war Pianistin und klassisch ausgebildet und hatte sogar ein Stipendium für die Juilliard School gewonnen. Für meinen Vater war meine Idee, mit einer Band zu spielen, mit ihr durch die Welt zu tingeln und aufzutreten, ein entsetzlicher Gedanke. Heute, da ich selbst die 50 überschritten habe, ist mir ganz klar, wie er sich damals gefühlt hat. Für mich war das Weitermachen meiner klassischen Ausbildung jedoch überhaupt kein Thema. Ich habe das aber nicht auf den Tisch gebracht, d. h. ich wollte nicht kämpfen und streiten, sondern ich bin einfach weggegangen. Spiegel: Du hast dann diese klassische Klavierausbildung, die wohl am besten in eine Karriere als Konzertpianistin hätte münden sollen, an den Nagel gehängt. Schneider: Ja, für meinen Vater war das die bessere Möglichkeit. Hinzu kam für ihn, dass ich aufgrund einer solchen Ausbildung dann auch die Möglichkeit gehabt hätte, irgendwo eine Musikprofessur zu bekommen, was natürlich eine ziemliche finanzielle Sicherheit bedeutet hätte. Sicherheit war jedenfalls das, was sich mein Vater für mich als Erstes vorstellte. Und er war eben selbst Wissenschaftler. Spiegel: Welcher Art? Schneider: Er hatte mit Textilien zu tun. Für meinen Vater war es dann so, dass ich mit dieser Flucht quasi intellektuellen Selbstmord verübt habe. Heute, als erwachsener Mensch, kann ich das alles sehr gut verstehen. Er ist, wie ich sagen muss, heute mein bester Freund, mein bester Berater. Wir sehen uns auch sehr oft und telefonieren ständig miteinander. Er hat mir inzwischen alles verziehen – und ich ihm natürlich auch. Das heißt, wir haben mit der Zeit eine große Brücke zwischen uns beiden bauen können. Spiegel: Du hast also damals wirklich alles stehen und liegen lassen und bist von einem Tag auf den anderen von zu Hause weg? Schneider: Ich war ein bisschen tricky, als ich das gemacht habe. Ich war eingeladen in ein Music Summer Camp und ich tat so, als würde ich dorthin gehen und dann auch wieder nach Hause kommen. Aber in Wirklichkeit war es so, dass ich nie mehr zurückgekommen bin. Ich habe das also durchaus mit Bewusstsein gemacht: Ich wusste, ich werde nie wiederkommen, ich war endlich draußen – also "good bye"! Spiegel: Wie hat dann dein Leben ausgesehen nach diesem Summer Camp? Schneider: Ich ging bereits mit einer Bluesband zu diesem Summer Camp: Das waren Kollegen aus meiner Schule und wir fingen dann an, uns eine Karriere aufzubauen.
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