DCG_Info_08_2018_HR_20180719_DCG_Info 19.07.2018 17:03 Seite 178 Ein 40 Jahre alter Traum wird wahr – Reise in den Lake Malawi National Park Stefan Pierdzig Abb. 1: Küstenabschnitt südlich Otter Point. Egal, ob nun der Portugiese Cardoso im gendtraum erzählte, ermunterte mich, Der folgende Reisebericht erhebt keine Jahr 1846 oder der Afrikaforscher das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die hochwissenschaftlichen Ansprüche, son- David Livingstone anno 1859 für sich beste aller Ehefrauen gab, voller Ver- dern möchte in Bild und Wort die fan- reklamieren können, als erste Europäer ständnis für mein kühnes Vorhaben, grü- tastischen Eindrücke unter und über den Malawisee erreicht zu haben, beide nes Licht, ich überlegte, was ein gutes Wasser wiedergeben und dem einen ahnten sicherlich nicht, welchen biolo- Ziel am See sein könnte (der Lake Ma- oder anderen Mut machen, seinen eige- gischen Schatz der See in Form seiner lawi National Park), organisierte die nen Traum zu verwirklichen. Wir wer- Artenvielfalt birgt. Reise, und Ende Mai 2017 ging‘s los. den nicht jünger! Mir ging es nicht viel anders, als ich als Schüler Ende der 1970er Jahre in einem gigantischen 120-cm-Vollglasaquarium meine ersten „Malawis“ pflegte (heute würde man sagen: quälte) und mir mit Nachzuchten, die ich an das lokale Zoogeschäft verhökerte, Futter und Zu- behör kaufte. Es gab noch kein Internet, der Mergus-Aquarienatlas bot damals nur unzureichende Informationen über die Lebensräume und Haltungsbedin- gungen der Cichliden aus dem See, und nur gelegentlich fand man ein paar Infos in einer Aquarienzeitschrift. Auf alle Fälle nistete sich bei mir damals der Gedanke ein, irgendwann einmal Abb. 2: Blick auf Domwe, der größten Insel im Nationalpark, und Ilala Gap, den etwa 20 m breiten den See zu besuchen. Andreas Spreinat, Kanal zwischen Insel und Festland. An der Küstenlinie der Fischerort Chembe, links hinter den dem ich vor einiger Zeit von diesem Ju- Zweigen ist die Insel Thumbi West erkennbar. 178 DCG-Informationen 49 (8): 178-185 DCG_Info_08_2018_HR_20180719_DCG_Info 19.07.2018 17:03 Seite 179 Der Malawisee Der See? Der Malawisee oder auch Njassasee wie Livingstone ihn nannte, ist mit einer Ausdehnung von 29600 km2, einer Länge von knapp 600 km und einer maximalen Breite von 80 km nach europäischen Maßstäben eher ein Meer: Der Bodensee passt flächenmä- ßig fast 60 mal hinein. Auch seine Tiefe ist mit 700 m im Nordteil beeindru- ckend, der Wasserspiegel liegt zurzeit bei 474 m über NN. Über den Malawisee ist viel geschrieben worden, ich möchte nicht alle weiteren Fakten wiederholen, auf einen Punkt, der mich als Naturwissenschaftler be- sonders interessiert, aber kurz eingehen. Abb. 3: Cichlidengemeinschaft an den Mitande Rocks vor Thumbi West. Der Malawisee liegt wie auch der Tan- ganjikasee im ostafrikanischen Graben- Bezogen auf den heutigen Seespiegel terschiedlichen Mbuna, Copadichromis bruchsystem, einer geologischen Schwäche- gehen in vielen Küstenabschnitten die und Aulonocara besiedelt wurde. zone, die sich von hier aus über das Rote von Mbunas besiedelten Felszonen Meer bis nach Europa in den Rheingra- schon in geringen Tiefen von 5-50 m in Mit geschätzten 1000 Arten – und mög- ben hineinzieht und aus der – Aquarianer, weite Sandflächen über, so dass entspre- licherweise noch vielen weiteren unent- versorgt euch schnell mit Wildfängen! – chende Wasserstandsänderungen zu dra- deckten in für Gerätetaucher schwierig in einigen 10er Millionen Jahren ein matischen Verlusten von Lebensräumen erreichbaren Tiefen unterhalb 50 m – neuer Ozean entstehen könnte. Man ver- und deren Neubesiedelung geführt lebt fast ein Drittel aller bekannten mutet, dass seine Entwicklung vor etwa haben müssen. Diese Erkenntnis führt Cichlidenarten endemisch im Malawi- 8,6 Millionen Jahren (MJ) begann, er ein zu der Annahme, dass die Entwicklung see. Diese Artenfülle und die Rasanz erstes Tiefwasserstadium vor 4,5 MJ er- zumindest eines Teils der Arten und der Artentstehung machen den See zu reichte und in der Zeit von 1,6 - 1 MJ fast Standortvarianten Felsen bewohnender einem „Hotspot“ der Evolutionsfor- völlig austrocknete (DELVAUX 1995). Vor Cichliden – vor allem im flachen Südteil schung und Quell zahlreicher interes- 0,8 MJ begann mit einem weiteren Tief- des Sees – in Zeiträumen von wenigen santer Buntbarsche fürs Aquarium. wasserstadium (IVORY et al. 2016) eine 100 Jahren stattgefunden hat. Kaum vor- Entwicklung, die aus einem (aus einem stellbar! Wie viele Arten müssen in der Man kann nur hoffen, dass der See und Fluss eingewanderten) Tilapiinen (Asta- Vergangenheit wohl bei solchen Ereig- seine Bewohner in ihrer heutigen Form toreochromis alluaudi, JOICE et al. 2011) nissen entstanden und wieder ver- erhalten bleiben und nicht durch Überfi- die heutige Artenfülle an Cichliden ent- schwunden sein? Wie haben Mbuna bei schung, das Aussetzen von Fremdfaunen stehen ließ. der Neubesiedelung des Felslitorals bei (man denke nur an den Victoriasee), Kli- steigendem Wasserstand weite Sandflä- mawandel und Umwelteinflüsse (2014 Noch spannender wird das Ganze, wenn chen überwunden, wo heute schon ein kam es im Norden Malawis nach heftigen man berücksichtigt, dass der See in der 100 m breiter Sandstreifen zwischen Regenfällen zu Überschwemmungen in Folgezeit durch tektonische Erdbewe- zwei Felszonen unterschiedliche Stand- einer Uranmine und einem Fischsterben) gungen und Klimaänderungen wieder- ortvarianten einer Art oder gar unter- negativ beeinflusst werden. holt Wasserspiegelschwankungen von schiedliche Arten hat entstehen lassen? mehreren 100 m unterlag. Auch in jün- Wie kann es sein, dass dieselbe Art, eng Im Bewusstsein der Bedeutung des gerer Zeit (zw. 1150 und 1250 sowie zw. lokalisiert, sowohl auf der West- wie auf Sees und seiner Bewohner wurde 1980 1500 und 1850) lag der Wasserstand bis der Oststeite des Sees vorkommt? der… zu 120 m unter dem heutigen Niveau (OWEN et al. 1990). So berichten SPREI- Im Kleinen ist dieser Vorgang an einem Lake Malawi National Park (LMNP) NAT & MÜLLER (2002) von einem ver- auf einer weiten Sandfläche versunkenen sunkenen Baum in 7 m Tiefe vor Ponton vor Mbamba Bay (Tansania) zu … eingerichtet und seit 1984 auf der Liste Lupingu, wohl einem Relikt aus der aus- beobachten (SPREINAT & MÜLLER 2002), des UNESCO-Weltnaturerbe geführt. Er klingenden, jüngsten Tiefwasserperiode. der innerhalb kürzester Zeit u. a. von un- liegt im Südteil des Sees und umfasst mit DCG-Informationen 49 (8): 178-185 179 DCG_Info_08_2018_HR_20180719_DCG_Info 19.07.2018 17:03 Seite 180 einer Fläche von 90 km2 den nördlichen Teil der Nankhumba-Halbinsel. Geschützt sind große Teile des bewaldeten Berglan- des der Halbinsel sowie ihrer Küstenlinie und der vorgelagerten Inseln. Dazu gehö- ren (vergl. Abb. 4) u. a. im Westen Maleri, Mumbo, Domwe, Thumbi West und Otter Point sowie östlich der Halbinsel auch Boadzulu und Thumbi East. Alles klang- volle Namen, von denen dem interessier- ten „Malawianer“ sicherlich einige bekannt vorkommen. Im LMNP findet man einige wichtige Lebensräume für Cichliden: das Felsli- toral, kleine, geschützte Buchten, die Fels-Sand-Zone bis hin zu ausgedehnten Sandflächen, z. T. mit großen Vallisne- rienfeldern. Im ufernahen Freiwasser findet man die typischen Vertreter der Utaka-Gruppe (Copadichromis), das uferferne Freiwasser habe ich mal Usipa, der Seesardelle, und den Fischern Abb. 4: Karte des Lake Malawi National Park im Südteil des Sees. Die grün umrandeten Bereiche überlassen. In ihm kommen etwa 300 sind Bestandteil des Parks, die Inseln sind unbewohnt. – Kartendaten @ 2018 Google Cichlidenarten vor (KONINGS 2015). Zu- sollte, eine gute Wahl. Hier finden sich tegriert. Monkey Bay auf der anderen gleich dient der LMNP als Laichplatz einige Unterkünfte in jeder Preisklasse Seite der Halbinsel liegt größtenteils au- für zahlreiche Utakas und entlässt große mit vielversprechenden Bezeichnungen ßerhalb des Nationalparks. Die Bewoh- Jungfischschwärme in den See. wie „The funky cichlid“, „Fat Monkeys ner gehen mit Auflagen dem Fischfang Lodge“ oder „Chembe Eagles Nest“. nach (100 m Abstand zur Küste), betrei- Mitten im Nationalpark liegt an einem Im Adlernest schlug ich mein „Basisla- ben etwas Landwirtschaft (überwiegend 5 km langen Sandstrand der Fischerort ger“ auf und bezog eine durchaus kom- Mais) und nutzen die umliegenden Wäl- Chembe (die Region um diesen Ort fortable Hütte direkt am Strand. der zum Brennholz sammeln. Es gibt ein wird auch als Cape Maclear bezeich- paar Geschäfte, Souvenirläden und Res- net), den ich mir als Ziel meiner Reise Chembe und der weiter südlich gelegene taurants. 1875 wurde am Cape Maclear ausgesucht hatte: wie sich herausstellen Ort Masaka sind in den Nationalpark in- die erste Missionarsstation am See ge- gründet, die allerdings nur wenige Jahre später aufgegeben wurde, da 5 der 6 Missionare an Malaria verstarben und außer ein paar Fischern aus Chembe eh niemand da war, den man hätte bekeh- ren können. Heute leben hier Menschen christlichen und islamischen Glaubens friedlich zusammen. Die Bevölkerung ist freundlich, aufgeschlossen und hilfs- bereit. Beim Gang durchs Dorf wurde ich von Scharen von Kindern umlagert, die mir ein fröhliches „chambo, chambo“ zuriefen, sicherlich eine nette Begrüßung. Ausflüge auf den See In Chembe gibt es mehrere Tauchsta- tionen, die Ausrüstung vermieten, Abb. 5: Der blanke Horror: Da blutet das Aquarianerherz – auf Stellagen trocknende Utaka, wohl Tauchkurse und Tauchausflüge per überwiegend Copadichromis. Boot zu den Inseln anbieten. Da aus ge- 180 DCG-Informationen 49 (8):
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