Christian Rau »Nationalbibliothek« im geteilten Land Christian Rau »Nationalbibliothek« im geteilten Land Die Deutsche Bücherei 1945 – 1990 Wallstein Verlag Diese Studie wurde durch die finanzielle Unterstützung der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig/Frankfurt am Main ermöglicht Eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Wallstein Verlag, Göttingen 2018 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond und der Thesis Umschlaggestaltung: Qart, Hamburg Umschlagbilder: Deutsche Nationalbibliothek Leipzig 2009. Fotograf: Appaloosa. https://upload.wikimedia.org/wikipedia/ commons/a/aa/Deutsche_Nationalbibliothek_Leipzig.jpg. Deutsche Bibliothek Frankfurt a.M. 1960. Fotograf: Egon Steiner. Bundesarchiv. ISBN 978-3-8353-3199-0 Inhalt Einleitung. 9 I. Vom Außenseiter zur »Nationalbibliothek« (1912-1945) . 35 II. Deutschlands größte Bibliothek (1945-1951) . 67 1. Instrument der Umerziehung: Die Deutsche Bücherei und die Besatzungspolitik der Alliierten . 67 a.) Am Rande der Re-Education: Die Deutsche Bücherei unter amerikanischer Besatzung . 67 b.) Im Zentrum der »geistigen Erneuerung Deutschlands«: Die Deutsche Bücherei und die SMAD . 73 2. Politische Neuordnung und Kontinuität: Die Deutsche Bücherei und die »Demokratisierung« des Bibliothekswesens in der SBZ/frühen DDR . 90 a.) Institution der Volksbildung? Zentralisierung, Pfadabhängigkeiten und Netzwerke . 90 b.) »Völlig denazifiziert«? Politische Entlassungen und Elitenkontinuität . 115 c.) Geschlossene Berufswelten: Elitenaustausch, Nachwuchsbildung und Sozialpolitik . 132 d.) Die Illusion des Totalen: Die Deutsche Bücherei und die Entnazifizierung des Buchwesens . 153 e.) Bibliothekare als Gesellschaftspolitiker? Buchausstellungen und Benutzungspolitik in der Deutschen Bücherei . 177 3. Risse: Bibliothekswesen und Buchmarkt im Zeichen des Ost-West-Konflikts . 191 a.) Konkurrenz und Kalter Krieg: Der Konflikt zwischen Leipzig und Frankfurt . 191 b.) Die Semantik der Einheit: Berufliche Binnenlogik, Wirtschaft und Politik . 210 III. »Nationalbibliothek« und Systemkonkurrenz (1951-1961) . 223 1. Das große Experiment? Die Deutsche Bücherei als »sozialistische wissenschaftliche Bibliothek« . 223 a.) Reformeifer und Machtkampf: Die Deutsche Bücherei und die SED-Wissenschaftspolitik . 223 b.) Bürgerlich nach außen, sozialistisch nach innen: Das Direktorat nach Heinrich Uhlendahl . 247 c.) »Der Klassenkampf macht sich auch in der DBbemerkbar«: Personalpolitik und Arbeitsklima . 269 d.) Informieren, Propagieren, Sekretieren: Die Deutsche Bücherei und ihre Benutzer . 294 2. »Gebrochenes Bindeglied«? Innerdeutsche Perzeptionen und Verflechtungen im Kalten Krieg. 322 a.) Dynamiken des Kalten Krieges: Ressourcenmobilisierung in Leipzig und Frankfurt . 322 b.) Gratwanderungen: Die Deutsche Bücherei und die westdeutschen Buchhändler . 346 Bildteil I . 371 IV. »Sozialistische Nationalbibliothek« (1962-1968) . 383 1. Die große Ernüchterung: Die Deutsche Bücherei in der Ära Ulbricht . 383 a.) Machtdemonstration(en): Die 50-Jahr-Feier der Deutschen Bücherei 1962 . 383 b.) Katerstimmung: Ulbrichts »Nationalbibliothek« im Zeitalter der Rationalisierung. 409 c.) Die neue Generation: Elitenwechsel und Veränderungen in der Institutionenkultur . 429 d.) Liberalisierung? Benutzungspolitik in der »Wissensgesellschaft« DDR . 450 2. Entspannung? Die Deutsche Bücherei in westdeutschen Debatten . 462 a.) Beliefern oder boykottieren? Interessenkonflikte um die Deutsche Bücherei im Westen . 462 b.) Fortschrittskrise und Konkurrenzdenken: Das Gesetz über die Deutsche Bibliothek . 484 Bildteil II . 507 V. Tradition und Moderne: Zwei »Nationalbibliotheken« (1968-1989) . 513 1. Krisenmanagement: Die Deutsche Bücherei in der Ära Honecker . 513 a.) Bröckelnde Fassaden: Die Deutsche Bücherei als »moderne Großbibliothek« . 513 b.) Bibliothekspolitik und »Betriebssicherheit«: Konflikte und Praktiken der Personalpolitik . 537 c.) Wissenschaftsförderung und Wissenskontrolle: Die Bibliothek und ihre Benutzer . 564 2. Ambivalenzen der Annäherung: Die Deutsche Bücherei und die »Neue Ostpolitik« . 583 a.) Die zweite Geburt: Die Deutsche Bibliothek und der lange Abschied vom Leipziger Erbe . 583 b.) »Eine kulturelle Klammer«? Kontakte und Abkommen zwischen Leipzig und Frankfurt . 595 c.) Kultur, Kommerz und »Aufklärung«: Die Verlagskontakte der Deutschen Bücherei . 620 Bildteil III . 639 Epilog: »Nationalbibliothek« im wiedervereinigten Deutschland . 645 Zusammenfassung . 661 Anhang Abkürzungsverzeichnis . 683 Abbildungsverzeichnis. 687 Bildnachweis . 688 Quellen- und Literaturverzeichnis . 689 Personenregister . 722 Einleitung Nationalbibliotheken haben einen festen Platz in der internationalen Kultur- landschaft. Der internationale Dachverband der Bibliotheksverbände, die Inter- national Federation of Library Associations and Institutions (IFLA), listete zu- letzt (2008) 172 Länder auf, die über eine oder mehrere Nationalbibliotheken verfügen.1 Nicht zufällig dominiert Europa mit 45 Ländern diese Auflistung, verbreitete sich die Idee der Nationalbibliothek ausgehend von Großbritannien und Frankreich doch zunächst dort, wo nationale Bewegungen im 18. und 19. Jahrhundert tiefgreifende politische Wandlungsprozesse in Gang gesetzt, Im- perien nationalisiert und die mobilisierende Kraft ihrer Vorstellungen von Mo- derne, Zivilisation, Souveränität und Wettbewerb in die Welt hineingetragen hat- ten.2 Solche Transferleistungen sollten auch Nationalbibliotheken erbringen, indem sie das schriftliche nationale Kulturerbe und häufig auch das anderer »Kulturnationen« sammelten, verzeichneten, systematisierten und benutzbar machten. Damit trugen sie in ganz entscheidendem Maße zur Nationalisierung und kulturellen Vereinnahmung bzw. Abgrenzung von Wissensbeständen bei. An die Stelle des Wettbewerbs ist heute zwar die internationale Kooperation und digitale Vernetzung von Informationsressourcen getreten,3 dennoch ver- teidigen Nationalbibliotheken ihre tradierten Gründungsmythen4 nach wie vor hartnäckig. Durch die Verwendung von Labels wie »Gedächtnis der Nation«5 1 National Libraries of the World: Address List, URL: http://www.ifla.org/VI/2/p2/ national-libraries.htm (abgerufen am 28.1.2016). 2 Vgl. Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahr- hunderts, München 2009, S.584f. 3 Graham P. Cornish, The Role of National Libraries in the new Information Envi- ronment, Paris 1991. 4 So etwa Théodore Mortreuil, La Bibliothèque Nationale (1878), Paris 1924; Gertrude Burford Rawlings, The British Museum Library, London/New York 1916; William Dawson Johnston, History of the Library of Congress, Bd.1: 1800-1864, Washing- ton 1904. 5 In einem Aufsatz aus dem Jahre 2002 griff die derzeitige Generaldirektorin der Deut- schen Nationalbibliothek, Elisabeth Niggemann, den Gründungsmythos ihres Hau- 9 EINLEITUNG erinnern sie weiterhin an eine Zeit, in der nationale Bewegungen sich fort- schrittliche Kulturgutspeicher schufen, und suggerieren damit eine ahistori- sche Kontinuität. Die historische Nationalismusforschung beschäftigt sich indes seit Jahrzehnten mit der Dekonstruktion dieser Mythen. Mit Benedict Ander- son sieht sie Nationen als vorgestellte Gemeinschaften, deren teleologische Gründungs geschichten als Ergebnisse langfristiger Kommunikationsprozesse in spezifischen historischen Konstitutionsbedingungen zu verstehen sind.6 Auch Nationalbi bliotheken müssen somit als Produkte des nationbuilding begriffen werden. Ihre Selbstbilder unterlagen folglich immer wieder situativen Umdeu- tungen bzw. semantischen Überschreibungen. Während die Forschungsliteratur über die Entstehung und Wirkmächtigkeit nationaler Selbstbeschreibungen heute kaum mehr zu überblicken ist, so ist doch zu konstatieren, dass Nationalbibliotheken darin eine auffällige Leerstelle bilden. Einzig Jörn Leonhard widmete – mit unmittelbarem Bezug zu Anderson – den »Zentralort[en] der durch Texte imaginierten Nation[en]«7 vor wenigen Jahren einen wegweisenden Beitrag. Zwar lässt sich das geringe historische Interesse da- mit erklären, dass Nationalbibliotheken letztlich Elitenprojekte waren und nur eine geringe gesellschaftliche Breitenwirkung entfalteten. Gleichwohl hat das Konzept nach wie vor Konjunktur. Gerade der deutsche Fall, der in dieser Stu- die im Zentrum steht, zeigt, dass selbst im »postnationalen« Zeitalter noch Na- tionalbibliotheken gegründet werden können. Hierzulande wurde erst im Jahre 2006 »Die Deutsche Bibliothek« (DDB) – bestehend aus der 1912 in Leipzig ge- gründeten Deutschen Bücherei, der 1946 in Frankfurt am Main errichteten Deut- schen Bibliothek und dem 1970 in West-Berlin gebildeten Musikarchiv – als Na- tionalbibliothek gesetzlich konstituiert.8 Diese Umbenennung ging jedoch nicht geräuschlos vonstatten, sondern löste eine kurze, aber lautstarke erinnerungskul- turelle Kontroverse aus. Erst in zweiter Lesung konnte das Gesetz im April 2006 ses unkritisch auf, indem sie es als selbstverständlich bezeichnete, dass sich »Natio- nen […] Institutionen, die ihr schriftliches Gedächtnis und ihre daraus ableitbare Identität erfahrbar machen sollen«, bauten. Vgl. Elisabeth Niggemann, Die Deutsche Bibliothek – Gedächtnis der Nation, in: Antonius Jammers/Dietger Pforte/Winfried Sühlo (Hrsg.), Die besondere Bibliothek oder: Die Faszination von
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