Polen und sein Osten am Vorabend einer Katastrophe. Der große Kosaken- und Bauernaufstand des Jahres 1648. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades an der Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vorgelegt von Robert A. Friedl aus Sommerfeld Düsseldorf, im November 2004 -D 61- Disputation: 6. Dezember 2005 Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Hans Hecker Univ.-Prof. Dr. Hansgeorg Molitor 1 Vorwort Die vorliegende Publikation ist eine geringfügig überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Arbeit, die 2005 von der Philosophischen Fakultät der Heinrich- Heine-Universität Düsseldorf als Dissertation angenommen wurde. Aus der ursprünglich geplanten Arbeit, die zunächst in einer vergleichenden Perspektive die Entwicklungen bei Juden und Kosaken untersuchen sollte, ist eine etwas andere Arbeit geworden: „Polen und sein Osten am Vorabend einer Katastrophe. Der große Kosaken- und Bauernaufstand des Jahres 1648“. Im Laufe meiner Nachforschungen rückten die Hauptakteure der Handlung immer weiter in den Hintergrund. Die Recherchen eröffneten ein breites Spektrum von Problemen, die zum Ausbruch des damaligen Aufstandes führten. Juden und Kosaken stellen im Endergebnis der Arbeit lediglich zwei Elemente der ermittelten Ursachen dar. Meinen besonderen Dank möchte ich vor allem meinen akademischen Lehrern Herren Professoren Hans Hecker und Hans-Georg Molitor, beide Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf, aussprechen. Mit Interesse betreuten sie die Entwicklung der Arbeit und standen mir mit Ihren wertvollen Ratschlägen stets zur Seite. Robert A. Friedl 2 INHALTSVERZEICHNIS Seite 1. EINLEITUNG 4 1.1. ZIEL DER ARBEIT 4 1.2. DIE QUELLENLAGE 6 1.3. DER ZEITRAHMEN 7 1.4. DER GEOGRAPHISCHE RAHMEN 7 1.5. LITERATURBESPRECHUNG 9 1.5.1. DEUTSCHSPRACHIGE 9 LITERATUR 1.5.2. RUSSISCHE, SOWJETISCHE UND 13 UKRAINISCHE LITERATUR 1.5.3. POLNISCHE LITERATUR 23 1.5.4. SONSTIGES SCHRIFTTUM 29 2. DIE INNENPOLITISCHE 32 ENTWICKLUNG 2.1. DIE KOSAKEN 32 2.2. DER ADEL 62 2.3. EXKURS: MAGNATEN. DIE 84 POLONISIERUNG EINER LITAUISCHEN FÜRSTENFAMILIE 3. KOSAKENAUFSTAND EIN 92 GLAUBENSKRIEG? 3.1. DIE ORTHODOXE KIRCHE 92 3.2. DIE KATHOLISCHE KIRCHE 117 3.3. EXKURS: PIOTR SKARGA UND 125 DIE KATHOLISCHE PREDIGT 3.4. DIE KIRCHENPACHT 127 4. DAS JUDENTUM 131 4.1. DIE ANSIEDLUNG DER JUDEN 131 4.2. JUDEN UND IHRE PRIVILEGIEN 136 4.3. DIE ORGANISATIONSFORMEN 139 DES JUDENTUMS 4.4. WIRTSCHAFTLICHE ROLLE DER 142 JUDEN. ARENDA 4.4.1. DIE SCHANKWIRTSCHAFT 147 4.4.2. DAS ARENDASYSTEM 149 4.5. DER ADEL UND SEINE JUDEN 164 4.5.1. DAS PRIVILEG FÜR DIE JUDEN 165 IN DOBROMIL - EINE FALLSTUDIE 4.5.2. JUDEN IN WOLHYNIEN 173 4.5.2.1. EINFÜHRUNG 173 4.5.2.2. MAGNATEN UND IHRE JUDEN. 176 DAS FÜRSTENHAUS OSTROGSKI-ZASŁAWSKI 4.5.3. PODOLIEN UND DIE 196 WOJEWODSCHAFT CZERNIHÓW 4.5.4. DIE UKRAINE 199 4.5.5. CZARNOBYL – EIN 209 UKRAINISCHES MAGNATENLANDGUT 4.5.6. EINE KÖNIGLICHE DOMÄNE IN 220 DER UKRAINE. DIE STAROSTEI BIAŁA CERKWIA 3 5. DER VORMODERNE 226 ANTIJUDAISMUS 5.1. HISTORISCHE EINFÜHRUNG 226 5.1.2. SPRACHEN DER JUDEN 239 5.1.2.1. HEBRÄISCH 239 5.1.2.2. JIDDISCH 240 5.2. ANTIJÜDISCHE LITERATUR 242 5.2.1. EINFÜHRUNG 242 5.2.2. WIRKUNGSRADIUS UND 244 UMLAUF 5.2.3. DIE THEMATIK DER 247 ANTIJÜDISCHEN SCHRIFTEN 5.2.4. DIE AUTOREN 249 5.2.4.1. GÓRSKI 249 5.2.4.2. KLONOWIC 249 5.2.4.3. SŁUPSKI/JEaOWSKI 250 5.2.4.4. BEMBUS 252 5.2.4.5. MICZYKSKI 256 5.2.4.6. DIE WERTUNG 260 6. DER AUFSTAND 262 6.1. VOR DEM AUFSTAND 262 6.2. DER VERLAUF 269 6.3. NACH DEM AUFSTAND 305 6.3.1. DIE FOLGEN FÜR DIE 305 POLNISCHEN JUDEN 6.3.2. DIE FOLGEN FÜR POLEN, 315 KATHOLIKEN, MINDERHEITEN 6.3.3. DIE FOLGEN FÜR KOSAKEN 319 UND DIE UKRAINE 7. SCHLUSSWORT 322 8. ABKÜRZUNGEN 327 9. GENEALOGISCHE SYMBOLE 328 10. LITERATURVERZEICHNIS 328 10.1. UNGEDRUCKTE QUELLEN 328 10.2. GEDRUCKTE QUELLEN 329 10.3. SONSTIGES SCHRIFTTUM 343 4 1. EINLEITUNG 1.1. ZIEL DER ARBEIT Das Jahr 1648 prägte sich tief in die europäische Geschichte ein. Für Europa ist dieses Datum ein Epochenjahr. In Münster und in Osnabrück verkündeten die Verhandlungsparteien die freudige Nachricht vom Ende eines großen Krieges. Die Entstehung der neuen Staaten, der Schweiz und der Niederlande, die Schwächung der kaiserlichen Macht, die Etablierung Frankreichs als Großmacht schuf eine neue europäische Ordnung. Polen beeinflußte diese neue Ordnung keinesfalls. Seine Beobachter spielten in den westfälischen Verhandlungen keine Rolle. Dieses Datum sicherte sich trotzdem in der polnischen Geschichte eine symbolische Bedeutung. Die Zeitgenossen schenkten ihm aber keine große Beachtung. Die Symbolik dieses Datums wurde erst von nachfolgenden Generationen geschaffen, die die Ereignischronologie aus ihrer Perspektive verfolgten. Das polnisch-litauische Doppelreich wurde 1648 durch den Ausbruch des Kosakenaufstandes erschüttert, der sich zu einem großen Bauernaufstand entwickelte. Der anschließende Nordische Krieg führte zum Verlust der Großmachtstellung und minderte die Stellung Polen-Litauens in Ostmitteleuropa, was auch die polnische Historiographie widerspiegelt. Keine symbolische Relevanz schrieb diesem Datum die ukrainische Historiographie zu und betrachtete den nach dem Aufstand entstandenen Kosakenstaat als die erste Form einer eigenen Staatlichkeit. Für die jüdische Historiographie dagegen markierte das Datum 1648 das Ende ihrer Existenz in den östlichen Territorien des polnischen Reiches und symbolisierte eine große nationale Tragödie zwischen den Pestpogromen des Mittelalters und dem Zweiten Weltkrieg. Die differenzierten Meinungen spiegeln die nationalen Standpunkte wider. Die Einseitigkeit der historiographischen Darstellungen und geringe Quellenbenutzung sind ein wichtiges Merkmal dafür. In den Mittelpunkt rücken vor allem die politischen bzw. die militärischen Ereignisse. Die Erforschung des Kosaken- und Bauernaufstandes von 1648- 1649 setzt eine grundlegende Untersuchung seiner Genese voraus. Die Ursachen der Konflikte entstanden nicht direkt vor dem Aufstand, sondern kumulierten zu einem bestimmten Zeitpunkt. In der vorliegenden Arbeit werden sowohl soziale, gesellschaftliche, ökonomische als auch konfessionelle Probleme der ukrainischen Länder der polnischen Krone analysiert. Sie bilden die Voraussetzung für das Verständnis des Nationalitätenproblems in einem multiethnischen Staat. Die oftmals mißbrauchte religiöse Problematik stellt einen komplexen 5 Forschungsbereich dar und spielt auch eine nicht unwichtige Rolle in den multikonfessionellen Staaten. Der Aufstand resultierte teilweise aus der konfessionellen Auseinandersetzung, was die Berücksichtigung dieser Problematik berechtigt. Mein Hauptaugenmerk gilt in dieser Arbeit dem polnischen Judentum. Die bisherige isolierte Darstellung der polnischen Juden als eine homogene Gruppe in meist einem urbanen Milieu wird in meiner Arbeit außer Acht gelassen und in einen größeren Kontext gestellt. Skizziert wird die Ansiedlung der Juden, zunächst in den westlichen Gebieten, in Rotruthenien und in der Ukraine. Ihre Stellung in der Gesellschaft verdankten die Juden königlichen wie adligen Privilegien. Diese bilden die wichtigste Quelle zur Erforschung ihrer rechtlichen Lage und ihrer Rolle im wirtschaftlichen Leben. Die rechtlich-ethnische Privilegierung der Juden sowie deren ökonomische Aktivitäten gehören ebenfalls zu den Ursachen des Aufstandes. Die Wirtschaftsgeschichte setzt sich aus vielen einzelnen Aspekten zusammen und für die uns interessierende Periode werden nur regionale Teilaspekte untersucht. Das Leben der Juden, Bauern und des Bürgertums in Wolhynien und in der Ukraine konnte aufgrund von Archivalien rekonstruiert werden. Besonders die Rekonstruktion eines Magnatenlatifundiums brachte neue Aspekte ans Tageslicht. Feststellbar sind starke Differenzen innerhalb der jüdischen Bevölkerung. Die Steuerregister weisen eindeutig auf Bildung der Ghettos in einigen wolhynischen Städten hin. Die Intensivierung der Landwirtschaft und die Gründung von Produktionsbetrieben führten zur Steigerung der feudalen Belastung der Bauern. Diese Belastung löste den Bauernaufstand aus. Die Eskalation des Konfliktes während des Aufstandes bezeugt sein Anschwellen bereits in den Jahrzehnten zuvor. Abgesehen von einigen Aspektstudien wurden die Archivalien der Magnatenlatifundien in dieser Form erstmalig in meiner Arbeit bearbeitet. Eine andere Erscheinung in der Epoche ist die Bildung des vormodernen Antisemitismus. Das Auftauchen dieses Phänomens ging mit der Ansiedlung der Juden einher. Seine Analyse ergänzt die Erkenntnisse über die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse, deren Abbild von antijüdischen Schriften teilweise vermittelt wird. Es ist deren erstmalige kultur- historische Deutung. Die feudale Verfassung der Adelsrepublik konnte auf einem Territorium keine gleichzeitige Duldung von Fronbauern und freien Menschen mehr zulassen. Daraus resultierte die restriktive Politik gegenüber den Kosaken in den Jahren vor dem Aufstand. Zur innenpolitischen Lösung wurde die Adelsrepublik von der osmanischen Kriegsdrohung bedrängt. Der außenpolitische Aspekt war ein wichtiger Faktor der Regierungspolitik in der Ukraine, der nicht unerwähnt bleiben durfte. 6 Das Ziel meiner Arbeit ist es, die Lage in den ukrainischen Ländern des Königreiches in den Jahren vor dem Aufstand zu rekonstruieren. Die Untersuchung mehrerer Aspekte ergibt ein neues Bild der Verhältnisse. Die Diskrepanzen innerhalb des Adelsstandes, die allgemeine Wirtschaftskrise in Europa, die Steigerung der feudalen Belastung und die zunehmend intolerante Atmosphäre prägten die Adelsrepublik in den zwei bis drei Jahrzehnten vor dem
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