Licht und Luft ins Haus lassen Modernes Bauen: Wie Architekten in Bayern die Ideen und Formensprache des Bauhauses interpretierten Lichtlose Schlafkasernen“ nennt Walter Gropius, Thomas Wechs (1893 bis 1970). Er bekennt sich die Bauten, in denen Arbeiter und sozial schwach als „Freund des Bauhauses“, ein Kreis, der 1924 gestellte Bürger vor und nach dem Ersten Welt- ins Leben gerufen wird und dem unter anderen krieg leben. Bauunternehmer planen Woh- Albert Einstein, Oskar Kokoschka und Arnold nungen ohne Sonneneinstrahlung, selbst in rei- Schönberg angehören. Schon 1919 nimmt Wechs nen Arbeitervierteln entstehen Großwohnungen als Student an einem Wettbewerb der TH Mün- mit fünf oder mehr Zimmern. Diese Wohnungen chen teil, der unter dem Motto „Luft und Sonne“ werden dann – in Teilwohnungen zerstückelt – an steht. Die Preisaufgabe beinhaltet die Konzeption mehrere Familien vermietet. Und weiter unterver- einer Kleinwohnungssiedlung mit Wohnungen mietet an Zimmerbewohner und Schlafgänger. bis zu drei Zimmern, Wohnküche, Balkon, Lau- 1925 haben in München 15 000 Haushaltungen ben, Nutzgärten und Spielwiesen. Thomas Wechs keine eigene Wohnung, insgesamt 70 000 Men- löst die Aufgabe offenbar bestens – er erhält schen leben in überfüllten Wohnungen mit mehr einen ersten Preis. Der Architekturstudent wird als zwei Personen in einem Wohnraum. gelobt für „reichlich Luft und Sonne“ und seine „einheitliche, einfache architektonische Gestal- Sanitäre und soziale Missstände sind die Folge. tung“. Ein Münchner Gewerkschaftsbericht aus dem Jahr 1925 hält fest: „Eine achtbare Familie bewohnt VIEL UND BILLIG. Möglichst viele Woh- mit 7 Kindern im Alter bis 17 Jahren, Buben und nungen zu geringer Miete: So lautet Mädel durcheinander, Küche und Zimmer. Die Thomas Wechs Aufgabe neun Jahre Folge: Das 15-jährige Mädchen wird Mutter, der später. Im Auftrag der Stadt Augsburg 17-jährige Sohn kommt ins Gefängnis wegen schafft er den Schubert- und Lessing- Blutschande.“ hof mit Flachdächern, Fensterbändern (geometrisch strenge und durchlaufen- Rückblickend erklärt Gropius: „Seit uns klarge- de Fenster), weißem Putz und farbigen worden ist, welcher unendliche Schaden durch Fensterprofilen. Der renommierte Archi- unzureichende Unterkunft und trostlose Umge- tekturhistoriker Winfried Nerdinger lobt bung der Seele und dem Körper der Familie an- diese Anlage heute als „erste moderne getan wird, ist das Wohnen der Bevölkerung zum wichtigsten sozialen Ziel einer verantwortungsbe- wussten Gruppe geworden.“ Viel Lichteinfall war für Fritz Landauer ent- scheidend. Hier das Wohnhaus Hirschmann Zu den Anhängern dieser „verantwortungsbe- in Fürth. FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM wussten Gruppe“ zählt der Augsburger Architekt SCHWABEN, NACHLASS LANDAUER Mit dem Schuberthof (oben) und dem Lessinghof in Augsburg schuf Thomas Wechs die ersten mo- dernen Wohnsiedlungsbauten in Bayern. FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM SCHWABEN, NACHLASS WECHS Wohnsiedlung in Bayern“. Die Londoner Times ser. Es sind flachgedeckte Kuben mit großen, würdigt Schubert- und Lessinghof 1932 als „Mo- breitgelagerten Stahlfenstern, glatt verputzten dern German Buildings“ schlechthin und setzt sie Mauern, ebenerdigen Schlaf- und Wohnzimmern in eine Reihe mit Bauten von Hans Scharoun, dem und vorgelagerten Sonnenterrassen. späteren Schöpfer der Berliner Philharmonie, und Bruno Taut, dem Architekten berühmter Sied- MODERN BEDEUTET FLACH. Die Pläne zum Haus lungen in Berlin. In Folge der Weltwirtschaftskrise Hirschmann werden innerhalb eines Monats ge- 1929 macht sich Wechs 1931/32 einen Namen nehmigt – ganz anders ist das bei Bauvorhaben als Architekt vieler Sakralbauten. vom Architekten Peter Feile (1899 bis 1972). 1927 entwirft er in Würzburg ein kleines Flach- Sakralbauten, genauer gesagt Synagogen, zählen dachhaus – es wäre das erste in Bayern gewe- auch zu den Hauptwerken des jüdischen Archi- sen. Nach Debatten im Würzburger Stadtrat tekten Fritz Landauer, der 1883 in Augsburg zur und einem positiven Votum legt sich die Regie- Welt kommt und 1968 im Londoner Exil stirbt. rung von Unterfranken quer. Unverständnis äu- Er macht 1930/31 von sich reden, als er in Augs- ßert der Fränkischen Volksfreund, er schreibt am burg und Fürth die Einfamilienhäuser Strauß und 3. Oktober 1928: „Die Rolle des Historismus ist Hirschmann schafft – zwei Bauten, die zu den in zu Ende. Nieder mit dem Provinzialismus.“ Drei Bayern ganz seltenen Beispielen des Neuen Bau- Jahre später plant Feile neue Flachdachbauten in ens der 1920er- und 1930er-Jahre zählen. Licht, der Würzburger Lerchenhainsiedlung: Es sollen Luft und Sonne sind maßgebend für diese Häu- 31 weiße Häuser entstehen. Zur Vorbesichtigung kommen 10 000 Neugierige. Verwirklicht werden nur drei Musterhäuser, die in der Nazi-Zeit Steil- dächer erhalten. Augsburg, Nürnberg, Fürth, Würzburg – all das sind in Bayern Beispiele, wie das vom Weima- rer/Dessauer Bauhaus inspirierte „Neue Bauen“ in den 1920er- und 1930er-Jahren zumindest partiell Fuß fassen kann. Ganz anders ist das in München – dort herrschen Provinzialität, Parti- kularismus und Rückständigkeit. Nur zögerlich wird zwischen 1928 und 1930 der „Münchner Weg“ verfolgt, ein Mittelweg zwischen Bau- haus und Historismus. Verantwortlich für das 1958 fand in Brüssel die erste Weltaus- Festhalten an architektonischen Traditionen ist stellung nach dem Zweiten Weltkrieg das politisch-kulturelle Klima in München in den statt. Das Gesicht der Expo prägten die 1920er-Jahren. In die Debatte um den viel dis- Architekten mit ihren Pavillonbauten kutierten Niedergang Münchens als Kunststadt – vor allem mit der „Schwebearchitek- greift unter anderen Thomas Mann 1918 mit der tur“. Die deutsche Pavillongruppe ge- Bemerkung ein, anstelle einer geistigen Qualität stalteten Sep Ruf und Egon Eiermann. scheine in der Münchner Kunst der dekorative FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM DER TU MÜNCHEN Reiz zu überwiegen. Die ästhetische Stilisierung zur Kunststadt erlaubt offenbar keine innovativen Experimente. Internationale Großstadtkultur ist Postgebäuden von Vorhoelzer zählen in München Berlin vorbehalten – in München herrscht eine das in der Fraunhoferstraße, an der Tegernseer reaktionäre Grundhaltung, die zum Beispiel Licht- Landstraße, am Harras und das wohl bekannteste reklame auf den Dächern verbietet. am Goetheplatz. Kennzeichen sind kubische Kör- per, geschwungene Bauformen, weiß verputzte MÜNCHEN BLEIBT KONSERVATIV. Ein Lichtblick Außenflächen und moderne Materialien wie Glas in diesem rückgewandten Historismus sind nur und Stahl. die Postbauten von Robert Vorhoelzer (1884 bis 1954), Vorzeigeobjekte für Bauhaus-Architektur Das Innere der Postbauten ist geprägt durch Licht in München und Bayern. Die Münchner Postab- und Luft. Dazu heißt es in der Bayerischen Staats- teilung und Robert Vorhoelzer sind an keinerlei zeitung vom 7. August 1932: „Mancher Schalter- Vorgaben des Landes Bayern und der Stadt Mün- raum war früher eine Art Käfig … vor der Nase chen gebunden, die Genehmigungspflicht für zugeklappte Schalter, schmutzig braune Ölfarbe, alle Bauverfahren fällt weg. Die Postabteilung Angstkomplexe des Publikums in überfüllten Räu- gilt als Reichsbehörde mit umfassender Entschei- men – das ist in Vorhoelzerischen Bauten nicht dungsfreiheit, als exterritorial. Zu den wichtigsten mehr möglich und man möchte der lichten und Noch bevor die Nationalsozialisten Bauten mit Flach- dächern verboten, wurde das Haus von Karl Schwend in der Münchner Delpstraße errichtet. Architekt war der damals 25-jährige Sep Ruf. Drei Jahrzehnte später entstand nach seinen Plänen der Kanzlerbungalow in Bonn: Dem neuen Kanzler Ludwig Erhard gefiel er – sein Amtsvorgänger Konrad Adenauer wünschte dem Architekten zehn Jahre Gefängnis dafür. FOTOS: ARCHITEKTURMUSEUM DER TU MÜNCHEN, DPA Nazis genehmigt worden. 1937 erregte das Haus von Sep Ruf dann doch Anstoß bei den Behör- den: Ein Jahr zuvor war Hitlers Geliebte Eva Braun in das schräg gegenüber liegende Gebäude ge- zogen. Nach 1945 wird Sep Ruf einer der bedeutendsten Architekten, wenn nicht der bedeutendste deut- sche Architekt der unmittelbaren Nachkriegszeit. Dabei zählt Ruf zu denen, die die Ideen von Wal- ter Gropius oder Mies van der Rohe am stärksten und überzeugendsten umgesetzt haben, ohne jemals mit dem Bauhaus direkt in Berührung ge- kommen zu sein. Schon Anfang der 1930er-Jahre hat Ruf Wohnungen mit Stahlrohrmöbeln einge- richtet. Drei Jahre nach dem Krieg etabliert sich in München der Gesprächskreis „Freunde des Neu- en Bauens“, dem unter anderen Sep Ruf ange- hört. Ruf lernt Mies van der Rohe erst 1966 bei einer Reise in die USA persönlich kennen. AUSDRUCK VON DEMOKRATIE. Architektur der Nachkriegszeit à la Sep Ruf will sich vom National- sozialismus abgrenzen und Ausdruck einer neu- en, demokratischen Gesinnung sein. In diesem luftigen Bauten wegen allein Briefmarken kaufen Zusammenhang sind all die Bauwerke zu sehen, gehen.“ die Ruf in den 1950er- und 1960er-Jahren schafft. Als Beispiele seien die Akademie der Schönen Das Neue Bauen gewinnt an Akzeptanz – und Künste in Nürnberg genannt (1950/1954), die zeitgleich nimmt die ideologische, chauvinistische Wohnhäuser von Ruf und von Wirtschaftsminis- und rassische Diffamierung zu. Der Sozialismus- ter Ludwig Erhard am Tegernsee (1953/1957), die Verdacht scheint durch den Sachverhalt bestätigt, Maxburg in München (1952/1954), der Pavillon dass das Neue Bauen vor allem im Wohnungsbau zur Weltausstellung in Brüssel (1958) und der der SPD-geführten Städte gefördert wird. Schlag- Kanzlerbungalow in Bonn (1963/64). Die Nürn- worte wie „Jazz-Architektur“ und
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages6 Page
-
File Size-