Drucksache 19/27552

Drucksache 19/27552

Deutscher Bundestag Drucksache 19/27552 19. Wahlperiode 15.03.2021 Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche, Dr. Anna Christmann, Margit Stumpp, Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Danyal Bayaz, Dr. Janosch Dahmen, Erhard Grundl, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Ulle Schauws, Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Ekin Deligöz, Ottmar von Holtz, Sven-Christian Kindler, Lisa Paus, Stefan Schmidt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Starke Forschung fr gute Gesundheit – In der Pandemie und darber hinaus Der Bundestag wolle beschließen: I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Wissenschaft und Forschung haben unsere Gesellschaft durch die Pandemiekrise ge- leitet und sie widerstandsfähig gemacht. In Rekordzeit haben Forscherinnen und For- scher wirksame und sichere Impfstoffe entwickelt, die Eigenschaften und Verbrei- tungswege des Virus erforscht und Eindämmungsstrategien ausgearbeitet. Die Er- kenntnisse der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen bilden die Grundlage ei- ner effektiven Pandemiebekämpfung und machen Hoffnung auf eine Bewältigung der Krise. Dazu sind verstärkt vernetzte, interdisziplinäre Ansätze des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM), dem Paul-Ehrlich- oder dem Robert-Koch-Institut weiterzuentwickeln. Um diese Erkennt- nisse kontinuierlich zusammenzutragen und auszuwerten, um daraus bestmgliche Schutzmaßnahmen abzuleiten und laufende Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu mo- nitoren, schlägt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN seit Mai 2020 die Einset- zung eines Pandemierats vor. Es ist die Aufgabe der politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger, beste Rahmenbedingungen fr Forschung und Entwicklung zu setzen. Einerseits durch vorausschauende Gesundheits- und Forschungspolitik, die bereits vor dem akuten Ausbruch derartiger Pandemie-Krisen Forschung im ffentlichen Interesse frdert, wissenschaftliche Warnungen ernst nimmt und fr zuknftige Gesundheitsgefahren weitsichtig vorbaut. Andererseits durch entschlossenes wissenschaftsbasiertes Han- deln in Notlagen, indem wichtige Entscheidungen in Krankenhäusern, Gesundheits- ämtern, Forschungseinrichtungen, Hochschulen und forschenden Unternehmen unter- sttzt werden. Drucksache 19/27552 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode In den letzten Monaten wurden jedoch in beiden Feldern politische Versäumnisse und Unzulänglichkeiten der Vergangenheit zunehmend offensichtlich, die zu Forschungs- lcken und Versorgungsengpässen fhren. Dies betrifft unter anderem die rechtzeitige Forschungs- und Entwicklungsfrderung von Medikamenten gegen COVID-19 ebenso wie ein frhzeitiges, flächendeckendes Monitoring gefährlicher Virus-Mutati- onen und intensive, langfristige Kohorten-Forschung zur Verbreitung des Virus in der Bevlkerung sowie den Langzeitfolgen einer Coronavirus-Infektion. Diese Lcken gilt es unverzglich und mit Entschlossenheit zu schließen und weitere große Kohor- ten-Projekte zu installieren. Ebenso gilt es, den zunehmenden, verschwrungsideolo- gisch begrndeten Anfeindungen und Bedrohungen gegenber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entgegenzutreten und davon Betroffene besser zu untersttzen. Zugleich werden in der Pandemiekrise grundsätzliche Schwachstellen in der For- schungspolitik der Bundesregierung deutlich, die ber die akute Pandemiekrise hinaus dauerhaft behoben werden mssen. Dazu liegen inzwischen eine Reihe von Verffent- lichungen verschiedener Wissenschaftsorganisationen vor – vom Wissenschaftsrat ber die Hochschulrektorenkonferenz bis zur Nationalen Akademie der Wissenschaf- ten Leopoldina. Sowohl die Anzahl wie auch der Nachdruck, mit dem diese Impulse innerhalb krzester Zeit veröffentlicht wurden, verdeutlichen, wie notwendig eine tief- greifende Überarbeitung des Rahmenprogramms Gesundheitsforschung des Bundes- ministeriums fr Bildung und Forschung und wie erforderlich ein Update dessen For- schungsfrderpolitik ist. Andere Staaten konnten bereits von Beginn der Pandemie an auf ein starkes System vernetzter Gesundheitsforschung bauen, was auch die prakti- sche Versorgung in der Krise – beispielsweise im Falle Israels – oder die Bereitstellung von Evidenz durch große aussagefähige Studien zu Behandlungsoptionen von COVID-19 – beispielsweise Großbritannien – deutlich verbesserte. Von solchen Bei- spielen gilt es bei der Neuauflage des Rahmenprogramms zu lernen. Denn die Herausforderungen werden nicht weniger: Bereits jetzt ist absehbar, dass die rcksichtslose Ausbeutung der Umwelt und die voranschreitende Klimakrise neue Ge- sundheitsgefahren (wie u .a. weitere Zoonosen) hervorbringen werden. II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, die akuten wissenschafts- und forschungspolitischen Defizite zur Pandemiebekämp- fung anzugehen und bestehende Lcken zu schließen. Dies betrifft insbesondere 1. die Erforschung und Entwicklung von Medikamenten gegen COVID-19 auch in späteren klinischen Entwicklungsphasen deutlich stärker zu frdern und an diese ffentliche Finanzierung von Beginn an klare Bedingungen bezglich der Trans- parenz der Forschungskosten, fairer Preisgestaltung und weltweit gerechten Zu- gangsmglichkeiten sowie der hinreichenden Berücksichtigung von Geschlech- teraspekten zu knpfen; 2. die Nachverfolgung neuer, ansteckenderer Virus-Mutationen weiter auszubauen und dafr alle positiven PCR-Tests bundesweit auf bereits bekannte Virus-Vari- anten zu untersuchen, wie dies erst in Baden-Wrttemberg, an der Charité und anderen Vorreiterregionen passiert, sowie die systematische Ausweitung von Ge- nomsequenzierungen voranzutreiben und die Ergebnisse in Sequenz-Datenban- ken bundesweit und international bereitzustellen, um noch unbekannte Mutatio- nen frhzeitig zu entdecken; 3. vor allem vor dem Hintergrund neuer Virus-Varianten die Forschung auf der Su- che nach Impfstoffen der zweiten Generation im gemeinsamen internationalen Rahmen weiter zu untersttzen und dabei die Forschung und Entwicklung für tropentaugliche Impfstoffe gezielter zu frdern, verbunden mit klaren Bedingun- gen fr den sozial gerechten Zugang zu den Ergebnissen; Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/27552 4. die Kohorten-Forschung hierzulande zu intensivieren, um mehr ber die Verbrei- tung von Virus und Antikrpern in der Bevlkerung zu erfahren sowie die gesi- cherten Erkenntnisse ber Immunitäten nach einer Infektion auszubauen und in zuknftige Entscheidungen zur Pandemiebekämpfung einfließen zu lassen sowie die Erforschung von Long-COVID und Spätfolgen einer Coronavirus-Infektion zu verstärken, um Erkenntnisse fr eine zielgerichtete Versorgung und Nachbe- handlung von COVID-19-Erkrankten zu erhalten; 5. ber die physischen Gesundheitsfolgen auch die Erforschung von psychologi- schen, sozialen, bildungspolitischen, konomischen und kologischen Folgen der Pandemiekrise in interdisziplinären Forschungsprojekten zu stärken und dabei auch gezielt Geschlechteraspekte zu berücksichtigen sowie die Perspektiven mar- ginalisierter Bevlkerungsgruppen einzubeziehen, um auf dieser Grundlage die Schäden durch die Pandemie dauerhaft beheben zu knnen; 6. die Versorgungsforschung zu frdern, sowohl im Hinblick auf die Versorgung von Long-COVID-Patientinnen und Patienten, als auch insgesamt bei der Patien- tenversorgung während der Pandemie in Bereichen der Rehabilitation, bei der Heilmittelversorgung und der Pflege, um anhand der Erforschung des Versor- gungsalltages Behandlungspfade und die Zusammenarbeit zwischen den relevan- ten Akteuren im Gesundheitswesen zu optimieren und Patientenorientierung in der Versorgung zu stärken; 7. einen wie auf Drs. 19/20565 beschriebenen wissenschaftlichen Pandemierat ein- zurichten, der den Bundestag und die Bundesregierung interdisziplinär zu den Maßnahmen berät, ein regelmäßiges Monitoring der Eindämmungsmaßnahmen der Pandemie durchfhrt, Evaluationen der Eindämmungsmaßnahmen wissen- schaftlich durchfhren lässt, bestehende Forschungslcken identifiziert, neue Er- kenntnisse zum Beispiel zum Mutationsgeschehen sofort in Empfehlungen um- setzen kann und so ein besseres Zusammenwirken von Politik, Verwaltung und Wissenschaft bei der Bekämpfung der Pandemie unterstützt; 8. Wissenschaftsfreiheit zu sichern und hierfr Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftler, die Ziel verschwörungsideologischer Anfeindungen, Hass und Hetze oder menschenfeindlich motivierter Bedrohungen werden, besser zu schtzen so- wie gemeinsam mit den Wissenschaftsorganisationen Gegenstrategien zu entwi- ckeln und derartige wissenschaftsfeindliche Straftaten systematisch zu erfassen; 9. die Liquidität der Universitätskliniken in der Pandemie in enger Abstimmung mit den Ländern sicher zu stellen und dabei ihrer besonderen Rolle in der Versor- gungslandschaft Rechnung zu tragen, damit sowohl die Versorgung der Patien- tinnen und Patienten – gerade bei spezialfachärztlichen Behandlungen – wie auch die Arbeit als herausragende Forschungs- und Lehreinrichtungen weiterhin si- chergestellt wird; 10. kooperative Forschungsprojekte zwischen Hochschulen und Unternehmen, die aufgrund der Pandemiekrise vom vorzeitigen Abbruch oder verzgertem Beginn bedroht sind, eine erfolgreiche Durchfhrung zu ermglichen und dafr den Er- satzfinanzierungsfonds fr außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, welcher allein fr 2021 ber Mittel in Hhe von 400 Millionen Euro verfgt, auch fr Hochschulen zu ffnen und die Mittel bei Bedarf aufzustocken; die Stärken und Schwächen der Gesundheitsforschung, die in der Pandemie offenkun- dig wurden, zu analysieren und das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung des

View Full Text

Details

  • File Type
    pdf
  • Upload Time
    -
  • Content Languages
    English
  • Upload User
    Anonymous/Not logged-in
  • File Pages
    8 Page
  • File Size
    -

Download

Channel Download Status
Express Download Enable

Copyright

We respect the copyrights and intellectual property rights of all users. All uploaded documents are either original works of the uploader or authorized works of the rightful owners.

  • Not to be reproduced or distributed without explicit permission.
  • Not used for commercial purposes outside of approved use cases.
  • Not used to infringe on the rights of the original creators.
  • If you believe any content infringes your copyright, please contact us immediately.

Support

For help with questions, suggestions, or problems, please contact us