POLITISCHE STUDIEN 483 Orientierung durch Information und Dialog 70. Jahrgang | Januar-Februar 2019 | ISSN 0032-3462 /// IM FOKUS Heft 483 /// ALT, KRANK, EINSAM? ZUKUNFTSAUFGABE PFLEGE Mit Beiträgen von Politische Studien Christine Fiedler | Matthias Steiner | Joachim Unterländer /// JENS SPAHN im Zeitgespräch: Woran krankt unser Gesundheitssystem? /// CHRISTOPH SCHIEBEL Framing macht Politik /// MANFRED GROß Die Trump-Transition www.hss.de EDITORIAL Mehr Frauen in die Politik – eine wichtige „BOTSCHAFT dieser Wahl. DIE NEUE CDU-VORSITZENDE – KONTINUITÄT IN DER POLITISCHEN FÜHRUNG Auf dem CDU-Parteitag in Hamburg wurde Annegret Kramp-Karren- bauer am 7. Dezember 2018 als Nachfolgerin von Angela Merkel an die Spitze der CDU gewählt. Auf der einen Seite bedeutete dies ein Novum: Erstmals seit Jahrzehnten standen mehrere Kandidaten zur Wahl, die sich im Vorfeld auf Regionalkonferenzen der Basis präsentierten. In einer Stichwahl setzte sich die Kandidatin knapp mit 51,8 % der Delegierten- stimmen gegen Friedrich Merz durch. Auch wenn solche Kampfkandida- turen in Parteien meist lieber vermieden werden wollen, hat dies doch für enorm hohe öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Dies zeigte sich nicht zuletzt dadurch, dass die Union in den bundesweiten Umfragen sofort um einige Prozentpunkte nach oben ging. Auf der anderen Seite bedeutet das Ergebnis auch Kontinuität: Dass wieder eine Frau an die Spitze der CDU gewählt wurde, unterstreicht, dass Frauen in politischen Führungsämtern schon lange keine Ausnah- me mehr sind. Das bedeutet aber auch, dass die Parteien in ihren Struk- turen dafür sorgen müssen, dass sich genügend qualifizierte Frauen en- gagieren und ihren Weg durch die Parteiebenen bahnen können. Dies entspricht auch den Erwartungen der politisch interessierten und akti- ven Bürger – nicht nur der Frauen. Laut dem Deutschland-Trend von In- fratest dimap plädierten kurz vor dem Parteitag 45 % aller Bürger und 47 % der CDU-Anhänger für Frau Kramp-Karrenbauer als Vorsitzende. Bei den Frauen waren es 53 %, bei den Männern aber auch 37 % − fast genauso viel wie für Friedrich Merz. Mehr Frauen in die Politik – auch eine wichtige Botschaft dieser Wahl. Die Parteien müssen den Boden da- für aber selbst bereiten. Prof. Ursula Männle ist Staatsministerin a. D. und Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, München. 483/2019 // POLITISCHE STUDIEN 3 18 INHALT 14 IM FOKUS POLITISCHE-STUDIEN- 73 SOLL DEUTSCHLAND ZEITGESPRÄCH NUKLEARMACHT WERDEN? 06 DIE ZUKUNFT DER PFLEGE Pro Einführung 10 WORAN KRANKT UNSER CHRISTIAN HACKE SUSANNE SCHMID GESUNDHEITSSYSTEM? Diagnose gestellt – Heilung 18 VORAUSSETZUNG FÜR EINE möglich – Operation beginnen 80 DEUTSCHLAND BRAUCHT KEINE MENSCHLICHE GESELLSCHAFT JENS SPAHN KERNWAFFEN – ABER EINE STRA- Würdevolle Pflege im Alter TEGISCHE NEUBESINNUNG JOACHIM UNTERLÄNDER Contra ANALYSEN JOACHIM KRAUSE 29 KALKULIERBARE PFLEGE IN DER EIGENEN WOHNUNG 51 FRAMING MACHT POLITIK Augustinum Seniorenresidenzen AfD nutzt Kopfkino, um Angst in AKTUELLES BUCH 60 MATTHIAS STEINER der Bevölkerung zu schüren CHRISTOPH SCHIEBEL 90 AMERIKA IM DSCHUNGELKAMPF 39 WAS DIE PFLEGE BRAUCHT Bricht die liberale Weltordnung Wege aus dem Notstand 60 DIE TRUMP-TRANSITION zusammen? CHRISTINE FIEDLER Impulsive Führung im Weißen Haus CHRISTIAN FORSTNER MANFRED GROß KOMPENDIUM RUBRIKEN KONTROVERS 48 ADRESSEN UND ANSPRECHPARTNER 03 EDITORIAL FÜR PFLEGEBEDÜRFTIGE UND 70 BRAUCHT DEUTSCHLAND 94 REZENSIONEN PFLEGEPERSONEN ATOMWAFFEN? 104 ANKÜNDIGUNGEN Serviceteil Einführung 106 IMPRESSUM 80 PETER BAUER REINHARD MEIER-WALSER 4 POLITISCHE STUDIEN // 483/2019 483/2019 // POLITISCHE STUDIEN 5 IM FOKUS /// Einführung DIE ZUKUNFT DER PFLEGE SUSANNE SCHMID /// Der Pflegesektor steht angesichts der demografischen Alterung vor großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen. Um diese zu bewältigen, bedarf es einer höheren Attraktivität und Wertschätzung des Pflege- berufs, einer guten Balance zwischen Qualität, Wirtschaftlichkeit und Humanität sowie der nachhaltigen Überwindung der Personalengpässe bei gleichzeitiger Erhöhung der Versorgungsqualität. Pflege ist bereits jetzt ein Megathema 1 %, heute liegt er bei 7 % und bis 2060 und wird im Zuge des demografischen dürften es 12 % sein. Jeder achte Einwoh- Wandels weiter an Bedeutung gewinnen, ner wäre dann 80 Jahre und älter. denn Deutschland wird älter und hetero- Die Alterung der Bevölkerung wird ei- gener. Die Ursachen demografischer Al- nen deutlichen Schub erleben, wenn die terung liegen in einem Jugendrückgang geburtenstarken Jahrgänge (sog. Baby- wegen geburtenschwacher Jahrgänge boomer) innerhalb der nächsten 20 Jah- und einer steigenden Lebenserwartung re das Rentenalter erreichen. Hierauf Quelle: Mediteraneo/Fotolia.com in den hohen Altersklassen. Im Jahr 1960 gilt es gerade im Pflegebereich vorberei- Der Umgang sowohl mit Pflegebedürftigen als auch den Pflegenden ist ein Gradmesser für die war jeder achte Einwohner 65 Jahre und tet zu sein, ist doch die Pflege vom de- Humanität in einer Gesellschaft. älter, heute ist es jeder Fünfte und bis mografischen Wandel in mehrfacher 2060 könnte es jeder Dritte sein. Auch Hinsicht betroffen: die Hochaltrigkeit wächst. 1950 betrug der Anteil der Menschen ab 80 Jahren • Mit steigender Lebenserwartung 2017 bezogen etwa 3,4 Millionen Men- gerecht werden kann, wo doch bereits wächst das Pflegebedürftigkeitsrisiko, schen Leistungen aus der sozialen Pflege- heute in Deutschland Pflegekräftemangel die Zahl der Pflegefälle nimmt zu. versicherung, bis 2030 dürften es nach herrscht. Im Detail: Wie können die Per- • Veränderte Familienstrukturen ver- Berechnungen der Pflegekassen 4,1 Milli- sonalengpässe im Pflegebereich über- ringern die Möglichkeiten häuslicher onen sein. 76 % der Pflegebedürftigen wunden werden? Wie können Attraktivi- Der Pflegebereich ist vom Pflege durch Familienangehörige. wurden 2017 zuhause von Angehörigen tät und Wertschätzung des Pflegeberufs DEMOGRAFISCHEN Wandel in mehr- • Der Geburtenrückgang bewirkt, dass und / oder ambulanten Pflegediensten gesteigert werden? Was ist uns Pflege wert? facher Hinsicht betroffen. weniger Pflegekräfte zur Verfügung versorgt, ein Viertel lebte in Pflegeeinrich- Wie kann eine ausgewogene Balance stehen. tungen. In diesem Zusammenhang stellt zwischen Bürokratie, Fachlichkeit und • Der Anteil pflegebedürftiger Personen sich nun die Frage, wie man der kontinu- Menschlichkeit in der Pflege aussehen? mit Migrationshintergrund steigt. ierlich steigenden Zahl Pflegebedürftiger Wie gelingt kultursensible Pflege? 6 POLITISCHE STUDIEN // 483/2019 483/2019 // POLITISCHE STUDIEN 7 IM FOKUS In den vergangenen zwei Jahren gründet. Bis 2023 soll in Bayern ein • Bedarfsgerechte Weiterentwicklung Rückert und Anne Kremer-Hartmann wurde auf Bundes- und Landesebene Rechtsanspruch auf einen Pflegeplatz ambulanter und stationärer Pflege, beleuchten die Anforderungen an das bereits viel angestoßen: für alle Pflegebedürftigen ab Pflegegrad • verbesserte Arbeitsbedingungen und Wohnen im Alter, die Angebote ambu- 2017 trat das zweite Pflegestärkungs- 2 geschaffen werden. Schaffung neuer Stellen, lanter und stationärer Pflege sowie das gesetz (PSG II) in Kraft. Aus ehemals • Ausbau von Entlastungsstrukturen, Personalmanagement der Augustinum- drei Pflegestufen wurden fünf Pflegegra- • Strukturreformen in der gesetzlichen Seniorenresidenzen. de. Mit diesen wird das Ausmaß der Pflegeversicherung für mehr Bedarfs- Pflegebedürftigkeit eines Menschen gerechtigkeit, Humanität und Effizi- festgestellt und die Höhe der finanziel- Auf Bundes- und Landesebene enz, len Unterstützung berechnet. Der Be- wurden bereits wichtige REFORMEN • nachhaltige Unterstützungsstruktu- griff der Pflegebedürftigkeit ist im neuen vorgenommen. ren für pflegende Angehörige, Wir müssen alle zusammenhelfen, Gesetz nun weiter gefasst: Menschen • Pflegegerechtigkeit in allen Wohn- damit die Pflege die WERTSCHÄTZUNG mit kognitiven Einschränkungen wie und Siedlungsbereichen, erfährt, die sie verdient. Demenz oder Alzheimer erhalten die • Umsetzung der Digitalisierung im gleichen Leistungen wie dauerhaft kör- Einklang mit würdevoller Pflege, perlich Erkrankte. Neu ist außerdem der • Stärkung ehrenamtlichen Engage- Grundsatz „mehr ambulante und weni- Zu den dringlichsten Aufgaben, die ments sowie ger stationäre Pflege“. es im Pflegebereich zu bewältigen gilt, • Verbesserung der Sterbebegleitung in Zum 1. Januar 2019 trat das Pflegeper- gehören die Sicherstellung einer gerech- stationären Einrichtungen. Wie wir mit Pflegebedürftigen um- sonal-Stärkungsgesetz in Kraft, das die ten Entlohnung für Pflegekräfte, die gehen, ist ein Gradmesser für die Huma- geplanten Maßnahmen des „Sofortpro- Verbesserung der Arbeits- und Rahmen- Christine Fiedler erläutert in ihrem nität unserer Gesellschaft. Doch auch gramm Pflege“ umsetzt. Hiermit sollen bedingungen sowie die Stärkung der nachfolgenden Beitrag die Tradition der der Umgang der Gesellschaft mit dem eine angemessenere Personalausstattung Pflegequalität. Pflegende Angehörige Pflege seit Florence Nightingale, der Be- Pflegepersonal prägt die Versorgungs- und bessere Arbeitsbedingungen in der sollen eine bessere finanzielle Anerken- gründerin der modernen Krankenpflege qualität. Die Betreuung und Versorgung Kranken- und Altenpflege erreicht wer- nung erhalten, durch Pflegestützpunkte am Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei von pflegebedürftigen Menschen ist eine den. Das Gesetz sieht u. a. 13.000 neue und Pflegekurse gezielter beraten und betont sie, dass die Voraussetzungen für gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir Stellen für stationäre
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