Deutsche Volksliste Und Wiedereindeutschungsverfahren

Deutsche Volksliste Und Wiedereindeutschungsverfahren

VOLKISCH-NATIONALSOZIALISTISCHE NEUORDNUNG IN DEN EINGEGLIEDERTEN OSTGEBIETEN Der Vorsatz der nationalsozialistischen Führung des Reiches, die Annexion und Eindeutschung der eingegliederten Ostgebiete nicht nach herkömmlichen Me- thoden hegemonialer staatlicher Machtausweitung und nationaler Assimilations- politik zu betreiben, sondern sie an die bevölkerungspolitischen Grundsätze einer völkisch-rassischen Ideologie zu binden, fand generell darin Ausdruck, daß der Partei sowie den partei- und weltanschaulich gebundenen Organen und Personen hier von vornherein die Führungsaufgaben der „Neuordnung" anvertraut und ihnen weit größere Vollmachten und Befugnisse eingeräumt wurden, als dies normalerweise im Altreich der Fall war. Die nach nationalsozialistischen Prinzipien und von Führungskräften der Partei in Angriff genommene völkische Neuordnung verband sich dadurch aber mit einer ganz allgemein im Sinne des NS progressiven Entwicklung der politischen, rechtlichen und sozialen Verhältnisse. Die einge- gliederten Ostgebiete stellten nicht nur Neuland der völkisch-territorialen Expansion dar, sie wurden auch zum Neuland nationalsozialistischer Verfassungsentwicklung, in dem die nationalsozialistische Selbstverwirklichung in Staat und Gesellschaft viel unbehinderter als im Reich vorangetrieben werden konnte. Aus diesem kom- plexen Prozeß sollen und können im folgenden ausschnitthaft nur einige exempla- rische Bereiche und Entwicklungslinien beleuchtet werden. A. Das System völkisch-rechtliclier Eindeutschung und Aussonderung (Deutsche Volksliste und Wiedereindeutschungsverfahren) Für Hitler wie für die an der Eingliederung der Ostgebiete zunächst beteiligten Stellen stand von Anfang an fest, daß nicht die Gesamtheit der Bevölkerung in den eingegliederten Ostgebieten als deutsche Staatsangehörige und Reichsbürger mit gleichen Rechten in das Reich aufzunehmen sei. Wie schon bei der Eingliederung des Sudetenlandes war den Juden auf Grund des nat.soz. Dogmas von der Nicht-As- similierbarkeit des Judentums ein Erwerb deutscher Staatsangehörigkeit prinzipiell versperrt1, obwohl gerade das Judentum in Ostoberschlesien oder Lodz sich z. T. dem 1 Im Führererlaß v. 8. Okt. 1939 über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete wurde (§ 6) nur Bewohnern „deutschen oder artverwandten Blutes" die dt. Staatsangehörig- keit in Aussicht gestellt (RGBl, I, S. 2042). Auch die vom RMdl im Zusammenhang mit dem deutsch-tschechoslowakischen Optionsvertrag (20. 11. 38) am 29. 3. 1939 herausgegebene, zunächst auch als Richtlinie für die Eingliederung im Osten dienende Bestimmung des Be- griffs der deutschen Volkszugehörigkeit (BMBliV, S. 783) besagte ausdrücklich: „Personen Das System völkisch-rechtlicher Eindeutschung und Aussonderung 119 deutschen Kulturkreis mehr als dem polnischen verbunden fühlte und auch ver- schiedentlich (Oberschlesien) aus seinem politischen Bekenntnis zum Deutschtum keinen Hehl gemacht hatte. Ob man darüber hinausgehend jedoch weitere große Bevölkerungsgruppen in den eingegliederten Ostgebieten von der Möglichkeit des Erwerbs deutscher Staatsangehörigkeit gänzlich ausschließen sollte, blieb anfangs noch unentschieden. Zunächst dominierte die Vorstellung, die Ausscheidung des als unassimilierbar geltenden nationalpolnischen Bevölkerungsteils auf dem Wege des Bevölkerungstransfers zu erreichen, der dann verbleibenden Bevölkerung jedoch generell deutsche Staatsangehörigkeit zuzuerkennen und lediglich bei der Verlei- hung des Reichsbürgerrechts zu unterscheiden zwischen den Volksdeutschen im engeren Sinne und der sonstigen, erst einzudeutschenden Bevölkerung. Dement- sprechend stellte der vom RMdl entworfene Führererlaß vom 8. 10. 39 (über die Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete), den „Bewohnern deutschen oder art- verwandten Blutes " (also auch den Polen) vorbehaltlos deutsche Staatsangehörigkeit und den Volksdeutschen darüber hinaus das Reichsbürgerrecht in Aussicht (§ 6)1. Maßgeblich für die Regelung war laut nachträglicher Feststellung des RMdl vom - August 1940 die Erwägung, „daß es nicht möglich sein wird, alle Angehörigen - fremder Völker aus den eingegliederten Ostgebieten zu entfernen und durch deutsche Volkszugehörige zu ersetzen", daß deshalb „diejenigen Angehörigen fremder Völker, die einen erwünschten Bevölkerungszuwachs darstellen, deutsche Staatsangehörige werden und ihnen damit die Möglichkeit völliger Eindeutschung geboten wird", mit der Anwartschaft, später auch Reichsbürgerrecht zu erlangen2. Insbesondere im RMdl wurde zunächst weitgehend daran festgehalten, den Staatsangehörigkeits- erwerb im traditionellen Sinne als Folge der territorialen Eingliederung zu betrach- ten3, zumal die bisher im Reich vor allem für die Juden geltende Differenzierung zwischen bloßer Staatsangehörigkeit und dem vollen Recht der Reichsbürgerschaft auch auf die völkischen Gruppen-Unterschiede zwischen Volksdeutschen, deutsch- polnischen Zwischenschichten und eindeutschungsfähigen Polen in den neuen Ostgebieten anwendbar schien. Da andererseits aber noch weitgehend offen und insbesondere von Verlauf und Entwicklung der zu dieser Zeit in den Ostgebieten stattfindenden Polenausweisungen abhängig war, wer überhaupt von der ein- artfremden Blutes, insbesondere Juden, sind niemals deutsche Volkszugehörige, auch wenn sie sich bisher als solche bezeichnet haben." 1 In einem nicht in Kraft getretenen Erlaßentwurf des RMdl v. 23. 8. 1940 (HA-B: StS. Pfundtner, Rep. 320/127) wurde zur Verdeutlichung dieser Bestimmung ausgeführt, daß nach dem Führererlaß v. 8. 10. 59 die Bewohner deutschen und artverwandten Blutes „ohne Rücksicht auf ihre Volkszugehörigkeit" deutsche Staatsangehörige werden, und die Volks- deutschen sich von den Fremdvölkischen in den eingegliederten Gebieten in Zukunft „nicht durch den Besitz der Staatsangehörigkeit, sondern durch den Besitz des Reichsbürgerrechts unterscheiden". 2 Erl.-Entw. RMdl v. 23. 8. 40; HA-B: StS. Pfundtner, Rep. 320/127. 3 Kennzeichnend ist hierfür z. B., daß im RdErl. des RMdl v. 25. 11. 1939 von dem „Er- werb der deutschen Staatsangehörigkeit aus Anlaß der Vereinigung der Ostgebiete mit dem Deut- schen Reich" die Rede war; RMBliV, 1939, S. 2385. 120 Völkisch-nationalsozialistische Neuordnung in den eingegliederten Ostgebieten gesessenen Bevölkerung auf die Dauer als „erwünschter Bevölkerungszuwachs" im Lande bleiben sollte, war an eine sofortige generelle Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit nicht zu denken. In einem Runderlaß vom 25. November 1939 teilte das RMdl deshalb mit, daß „endgültige Vorschriften" über die Regelung des Staatsangehörigkeitserwerbs in den eingegliederten Ostgebieten „noch nicht er- lassen werden" könnten, und wies die für Staatsangehörigkeitsfragen zuständigen Behörden der Regierungspräsidenten und Landräte an, zunächst nur den durch Einzelerfassung mittels Fragebogen festzustellenden deutschen Volkszugehörigen Staatsangehörigkeitsausweise auszuhändigen1. Damit geriet nun allerdings doch die Staatsangehörigkeitsregelung von vorn- herein in Abhängigkeit von völkischen Kriterien und Volkszugehörigkeitsüber- prüfungen, wenn auch nach dem Willen des RMdl dabei weder ausschließlich die deutsche Abstammung noch gar der Nachweis volkstumspolitischer Betätigung zu- grunde gelegt, sondern nach der relativ weiten, am 29. 3. 39 anläßlich der Staats- angehörigkeitsverleihung im Sudentenland und im Protektorat erlassenen Begriffs- bestimmung der deutschen Volkzugehörigkeit verfahren werden sollte, welche vom subjektiven Bekenntnis des einzelnen ausging2. Der vom RMdl vertretene Stand- punkt möglichst großzügiger Auslegung des Begriffs der deutschen Volkszugehörig- keit3 sowie die im Runderlaß vom 25. 11. 39 enthaltene Bestimmung, daß künftig nur die Behörden der inneren Verwaltung (Regierungspräsidenten und Landräte) für die Erteilung von Staatsangehörigkeitsausweisen wie die Feststellung der Volks- zugehörigkeit zuständig seien4, stießen sehr bald auf starke Widerstände, sowohl bei der Reichsleitung der Partei (Stellvertreter des Führers) und den Dienststellen Himmlers im Reich als auch in den eingegliederten Gebieten, wo die Gauleiter und Reichsstatthalter bereits ihre eigenen Wege eingeschlagen hatten. In Danzig-Westpreußen hatte Gauleiter Forster die Frage der Erfassung des 1 RdErl. des RMdl betr. den „Erwerb der dt. Staatsangehörigkeit in den in das Deutsche Reich eingegliederten Ostgebieten"; RMBliV, S. 2385. 2 In der Begriffsbestimmung des RMdl vom 29.3.39 (RMBliV, S. 783) hieß es: „Deutscher Volkszugehöriger ist, wer sich selbst als Angehöriger des deutschen Volkes be- kennt, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Tatsachen, wie Sprache, Kultur usw. be- stätigt wird." In Zweifelsfällen sei zu fragen, ob der Betreffende einen „erwünschten Bevölke- rungszuwachs" darstelle. 3 In einem diesbezügl. Sehr, an d. RM f. Volksaufkl. u. Propaganda v. 4. 1. 1940 führte StS. Stuckart u. a. aus: „Bei der Frage der Prüfung und Feststellung der deutschen Volks- zugehörigkeit können weder die politische Zuverlässigkeit oder die ,Reichstreue', die man bei fremden Staatsangehörigen gerade im Interesse des Deutschtums nicht verlangen durfte, noch die Vorstrafen eine Rolle spielen. Im ganzen soll bei der Hereinnahme der Volksdeutschen in die deutsche Staatsangehörigkeit— im deutschen Interesse möglichst großzügig verfahren werden, so daß auch ein großer Teil der national indifferenten Zwischenschichten, insbeson- dere in Oberschlesien erfaßt werden dürfte"; Nürnbg. Dok. NG—295. 4 Den Kreispolizeibehörden war im RdErl. d. RMdl vom 25. 11. 39 bei der Volkszugehörig- keitsfeststellung nur

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