Kapitel 16 Weichtiere Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Kapitel 16 Weichtiere Rote Listen Sachsen-Anhalt 2020

Rote Listen Sachsen-Anhalt Berichte des Landesamtes für Umweltschutz Sachsen-Anhalt 16 Weichtiere (Mollusca) Halle, Heft 1/2020: 367–378 Bearbeitet von Katrin HARTENAUER, Michael UNRUH Anzahl Neunachweise autochtoner Arten, wie Chon- und Andreas STARK drina avenacea, Deroceras rodnae, Vertigo moulin- (4. Fassung, Stand: November 2019) siana, Omphiscola glabra, Gyraulus riparius, Bithynia troschelii, Pisidium hibernicum und Pisidium globulare, welche bisher übersehen worden sind. Hinzu kom- Einleitung men eingeschleppte Neozoen und vor Jahrzehnten ausgesetzte Arten, die stabile Bestände aufbauen Weichtiere sind in fast allen Lebensräumen ver- konnten. Zu letzteren gehören in Sachsen-Anhalt Dro- treten und bieten somit Aussagemöglichkeiten zu bacia banatica und Alopia straminicollis monacha (vgl. verschiedenen Biotoptypen. Neben einer besonders KÖRNIG et al. 2013) sowie Alopia livida und Microponti- hohen Zahl stenöker Arten zeichnen sich Mollusken ca caucasica (vgl. UNRUH & STARK 2018). durch den meist geringen Aktionsradius und stark Gegenüber der letzten Fassung erfolgte bei vier eingeschränkte Ausbreitungsmöglichkeiten aus. Die Arten eine Rückstufung. Bei diesen handelt es sich oftmals hochgradige Spezialisierung führt in Verbin- zum einen um die Wiederfunde der verschollenen dung mit der geringen Mobilität bereits bei geringfü- Anisus vorticulus und Pseudanodonta complanata gig erscheinenden Veränderungen in den besiedelten und zum anderen um die beiden Xerothermarten Habitaten zu merklichen Reaktionen hinsichtlich der Truncatellina costulata und Candidula gigaxii. Trunca- Individuendichten und Artendiversitäten bis hin zum tellina costulata erweist sich als ein Kulturfolger der Aussterben einzelner Formen. Eine Wiederbesiedlung auf nährstoffreichen Anthropogenstandorten, wie entsprechender Standorte erfolgt äußerst langsam. Ruderalfluren, urbanen Brachflächen oder Robinien- Weichtiere bilden innerhalb der Biotoptypen gehölzen angetroffen werden kann. Candidula gigaxii meist charakteristische Lebensgemeinschaften scheint um Umfeld des Huy eine stabile Population aus. Die artenreichsten Vergesellschaftungen sind zu besitzen, so dass hier eine Herabstufung des Ge- auf kalkhaltigen Standorten in reich strukturierten fährdungsgrades von Kategorie 1 auf 2 erfolgte. Wäldern frischer bis feuchter Standorte mit ausge- Den vier Herabstufungen stehen 11 Höherstu- glichenen klimatischen Verhältnissen und reichem fungen des Gefährdungsgrades gegenüber sowie Requisitenangebot (Moderholz, Felspartien, Kalk- drei Neuaufnahmen in eine Rote Liste Kategorie. Von schutt, quellige Bereiche etc.) zu finden. Wälder Candidula intersecta und Helicopsis striata gibt es seit stellen zudem in Mitteleuropa ursprünglich den Jahrzehnten keine Beobachtungen mehr. Candidula hauptsächlichen Lebensraum dar. Insbesondere die intersecta wurde letztmalig 1965 im nördlichen Harz- stenotopen Waldarten sind auf eine Kontinuität ihres vorland (REGIUS 1966) nachgewiesen und Helicopsis Lebensraumes angewiesen. Ihr Vorkommen weist ein striata Anfang der 1990er Jahre in der Porphyrland- Waldgebiet als ursprünglich aus, was bedeutet, dass schaft (HARTENAUER 1997). Beide Arten werden als „ver- das Gebiet nach der nacheiszeitlichen Wiederbewal- schollen“ (0) eingestuft. dung nie wieder waldfrei war. Trockene Waldstand- Bei der Mehrzahl der Arten mit einer höheren Ge- orte sind dagegen natürlicherweise artenärmer. Auch fährdung handelt es sich um Waldbewohner und Offenlandstandorte sind generell artenärmer und Waldfelsen besiedelnde Arten. Platyla polita musste weisen insgesamt weniger Charakterarten auf. Hier von der Kategorie 3 in die 1 übernommen werden. Bei finden sich vor allem auf den Xerothermstandorten Azeka goodalli, Perforatella bidentata und Clausilia und Feuchtwiesen auf basischem Untergrund wert- dubia erfolgte eine Umwidmung von der Kategorie gebende Arten. Offene Trockenstandorte auf kalkhal- 3 zu 2. Von Daudebardia rufa existiert lediglich ein tigem Untergrund sind Rückzugsort in historischer einziger Fundort in einem anthro pogen beeinfluss- Zeit verbreiteter Steppenarten. Bei den limnischen ten Standort (Erlenforst an einem Wanderweg), so Lebensräumen spielen strukturelle Gegebenheiten dass für diese Art derzeit die Kategorie 1 angebracht (Sohlsubstrate, Strömung, Pflanzenwuchs, Dynamik) erscheint. Isognomostoma isognomostomos und Ur- und Wasserqualität, insbesondere die Nährstoffsitu- ticicola umbrosus wurden erstmalig in eine Kategorie ation eine große Rolle. Die artenreichste Wassermol- der Roten Liste aufgenommen (3). Pseudunio auri- luskenfauna ist in meso- bis eutrophen Gewässern cularius erstmalig in eine Kategorie der Roten Liste anzutreffen. aufgenommen (0). Letztere ist schon seit mehreren Jahrhunderten ausgestorben, es können jedoch noch Datengrundlagen heute gelegentlich Leerschalen der Art in Unstrut und Saale gefunden werden. Der Kenntnisstand hat sich seit der letzten Roten Liste Helicigona lapicida, Macrogastra lineolata et plicatula (KÖRNIG 2004) weiterhin verbessert. So gibt es eine und Vertigo pusilla finden sich nun in der Vorwarnlis- 367 Weichtiere te. Bei den felsbewohnenden Arten sind die Ursachen oder einer lockereren Bodenstruktur. Außerdem sollte des Rückgangs nicht bekannt. Bei den Waldbewoh- der Boden eine Tendenz zur Mergelbildung aufwei- nern ist nach wie vor der Strukturverlust (fehlendes sen (GRAACK & HEIMHOLDT 1989). Die Ursache für die Totholz) infolge der forstlichen Nutzung der Haupt- aktuell hochgradige Gefährdung ist im Rückgang der gefährdungsfaktor. Hinzu kommen der teilweise mas- Schafbeweidung und damit unmittelbaren Verlust sive Holzeinschlag (z. B. großflächig im Harz) sowie bzw. der Entwertung ihrer Lebensräume zu sehen. zunehmende Trocken phasen. Auf unregelmäßig oder nicht mehr beweideten oder Pupilla sterrii besiedelt Kalkfelsen und Felsbänder aber gemähten Flächen nehmen die Bestandsdichten mit lückiger Vegetation und lebt dort im Mulm und stark ab. Die Standorte vergrasen und überwachsen unter Schutt. Infolge der starken Verbuschung der mit Gebüschen. Zugleich haben Nährstoffeinträge ausgedehnten Trockenhänge entlang von Saale und deutlich zugenommen (Stickstoffverbindungen aus Untstrut verringert sich ihr Lebensraum zunehmend der Luft bzw. von angrenzenden Äckern), so dass auch und es erfolgte eine auch für diese Art eine Neube- ehemalige Magerstandorte eine höhere Wüchsigkeit wertung des Gefährdungsgrades (2 → 1). zeigen. Vertigo alpestris, Bulgarica cana, Clausilia cruciata, Viele der historischen Fundorte sind mittlerweile Daudebardia brevipes und Ruthenica filograna waren verbracht, mit Gehölzen überwachsen oder mit Kie- in der letzten Fassung in die Kategorie 1 bzw. 2 ein- fern und Robinien aufgeforstet worden. In der Regel gestuft, erhalten aber jetzt die Kategorie R, da sich stellen die gegenwärtigen Standorte nur noch „Split- ihre Vorkommen auf den Harz bzw. den Zeitzer Forst terflächen“ ehemals weiträumig offener, als Hutung beschränken. genutzter Magerrasen oder ganzer Landschaften dar Aufgrund neuer Erkenntnisse zur Fauna der (z. B. Saale-Unstrut-Gebiet, nördliches Harzvorland, Weichtiere in Sachsen-Anhalt (UNRUH & STARK 2019) Gebiet der Mansfelder Seen). Hinzu kommt, dass sich sind die Artenzahlen der drei Gruppen Landschne- bei der Art Statusangaben schwierig darstellen, da cken, Wasserschnecken und Muscheln wie folgt zu die Populationsgröße je nach Witterung stärkeren aktualisieren. Vom Gebiet unseres Bundeslandes Schwankungen unterworfen ist. sind unter Einschluss der ausgestorbenen (RL 0) und ausgesetzten Arten, bzw. der bislang nur aus Warm- Abgeplattete Teichmuschel – Pseudanodonta häusern Botanischer Gärten bekannt gewordenen complanata (ROSSMÄSSLER, 1835) Spezies, sowie der bei UNRUH & STARK (2019) publizier- Pseudanodonta complanata lebt in mittleren und grö- ten Neufunde 52 Wasserschnecken-, 137 Landschne- ßeren Flüssen sowie in größeren Seen. Nach ZETTLER et cken- und 34 Muschelarten bekannt. Im Vergleich al. (2006) lebt diese auch in Bächen, wenn diese Ab- zu KÖRNIG et al. (2013) finden folgende Arten keine flüsse von Seen darstellen. Sie besiedelt schlammig- Berücksichtigung in der Bilanz: Stagnicola turricu- sandige Sedimente. Sie gräbt sich oft tief ins Substrat la (HELD, 1837), Anisus septemgyratus (= calculifor- ein, sodass die Tiere schwer zu erfassen sind und die mis SANDBERGER, 1874), Vitraea subrimata (REINHARDT, Art oft übersehen wird. Ihr Aussehen ähnelt stark 1871), Aegopinella nitens (MICHAUD, 1831) und Arion dem der anderen Teichmuschelarten, sodass sie nicht ater (LINNAEUS, 1758). Diese Arten waren z. T. auch im immer ohne Weiteres von diesen zu unterscheiden Molluskenatlas als fraglich oder tatsächlich nicht in ist. Im Vergleich zu den anderen heimischen Großmu- Sachsen-Anhalt vorkommend vermerkt, wurden aber scheln erreicht sie die geringsten Individuendichten dennoch thematisiert, da Meldungen im Schrifttum und tritt nie dominant auf (ZETTLER et al. 2006). vorlagen (z. B. im Fall von Vitraea subrimata), die sich Historischen Angaben zur folge besiedelte die Art aber als Fehldetermination erwies. Somit wird in der Elbe, Saale, Unstrut und Ohre. Aktuelle Funde be- hier vorliegenden Roten Liste von 223 Weichtierarten schränken sich auf die Zollau bei Hohenwarthe (SPETH ausgegangen. & BRINKMANN 2004) und die Kleine Helme (BUTTSTEDT 2007). Bemerkungen zu ausgewählten Arten Flaches Posthörnchen – Gyraulus (Lamorbis) riparius Zwergheideschnecke – Xerocrassa geyeri (SOOS, 1926) (WESTERLUND, 1865) Xerocrassa geyeri bevorzugt wärmebegünstigte Neu für die Landesfauna

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