„Lob des Schattens“ Azusa TAKATA „LOB DES SCHATTENS“ CHRISTIAN KRACHTS „JAPANISCHE“ ÄSTHETIK IN DIE TOTEN1 1. KRACHT UND JAPAN In den Texten von Christian Kracht kommt Japan oftmals vor. Das ist schon in seinem Debütroman, Faserland (1995), festzustellen: Im Schlusskapitel, in dem der namenlose Ich-Erzähler nach seiner durch zahlreiche Partys, Drogenkon- sum und Kommerz geprägten Deutschlandsreise der 1990er Jahre schließlich seinen Endpunkt in Zürich findet, wird Japan kurz erwähnt: „sie [die Frauen] tragen alle Kleidung, die japanisch aussieht“.2 In 1979 (2001) werden die euro- päisch aussehenden Räume der prächtigen Villa in Teheran als „das Gegenteil Japans“3 geschildert, und in Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten (2008) wird der aus dem Buddismus stammende japanische Begriff „Satori“ oftmals aufgegriffen.4 Kracht wählte daran anschließend in seinem vierten Roman Imperium (2012) als Schauplatz die damalige deutsche Kolonie in Pa- pua-Neuginea, wo das japanische Militär im Zweiten Weltkrieg eine blutige Schlacht erlebte. Bemerkenswert ist, dass Japan in diesem Werk nur einmal explizit vorkommt, und zwar ganz am Ende des Romans, als Andeutung auf 5 seinen fünften Roman, Die Toten (2016), der die japanische Filmindustrie in 1 Dem vorliegenden Beitrag liegt mein Vortrag auf der internationalen Tagung „Christian Krachts Ästhetik“ zugrunde, die mit der Frankfurter Poetikvorlesung von Christian Kracht 2018 verbundenen war. Der Vortragstext wird unter dem gleichen Titel in den Sam- melband der Tagung, der im Herbst 2019 erscheinen wird, aufgenommen. Die vorliegende Fassung geht als Aufsatz in den Kapiteln 2 bis 4 über die Vortragsfassung weit hinaus. 2 Christian Kracht: Faserland. Ein Roman. Köln (Kiepenheuer & Witsch) 1995, S. 156. 3 Christian Kracht: 1979. Ein Roman. Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2001, S. 33. 4 Christian Kracht: Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten. Ein Roman. Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2008, S. 36. 5 Japan kommt in Imperium erst im Schlusskapitel vor, in dem die Hauptperson, August Engelhardt, nach dem Zweiten Weltkrieg von der amerikanischen Armee gefunden wurde. „Der bärtige, langhaarige Greis wird auf eine unübersichtlich große Militärbasis auf der den Japanern abgerungenen Insel Guadalcanal verbracht und herumgeführt“. Christian Kracht: Imperium. Roman. Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2012, S. 239–240. Im Roman wird erzählt, dass sein Leben nach dem Krieg durch Hollywood verfilmt wird. Dies kann als vieldeutige Anspielung auf Krachts nächsten Roman Die Toten verstanden werden, der vor dem Hintergrund des aufkommenden Zweiten Weltkriegs die deutsch- 139 Azusa Takata den 1930er Jahren behandelt.6 Diese Japan-Rezeption von Kracht lässt sich einerseits auf seine radikale Kritik der westlichen Kultur zurückführen, wobei Deutschland hier besonders im Zentrum steht. Krachts Interesse orientiert sich daher sowohl auf der sprachlichen als auch auf der inhaltlichen Ebene an einer nicht-europäischen Kultur der asiatischen Welt.7 Wie Moritz Baßler und Heinz Drügh aufzeigten, wird „[der] kalkulierte Exotismus“ in Krachts Texten u. a. in seiner hybriden Vielstimmigkeit dargestellt, die bereits seit dem De- bütroman Faserland durchdringend ist.8 Andererseits hängt Krachts Japan-Re- zeption auch damit zusammen, dass er eine Verwandtschaft zwischen Japan und der Schweiz sieht. In der oben genannten Stelle des Schlusskapitels in Faserland wird die Kleidung der Züricher Frauen, die der Ich-Erzähler als Ge- gensatz zur Gewandung deutscher Frauen beschreibt, mit Japan verglichen. In seinem asiatischen Reisebericht Der gelbe Bleistift beschreibt Kracht, als er am Flughafen Tokio-Narita ankommt: Es „war alles eigentlich sehr schweize- risch“.9 Japan ist für den Schweizer Kracht ein besonders sympathisches 10 Land, in dem er den Gegensatz zu „Deutschland“ sieht. 6 japanische Filmindustrie behandelt. Zu den Themen Medien, Macht und Krieg im Roman Imperium vgl. Yuji Nawata: Christian Krachts Südsee-Roman „Imperium“. In: ders.: Kul- turwissenschaftliche Komparatistik. Fallstudien. Berlin (Kulturverlag) 2016, S. 166–179. 6 Außer den oben genannten Romanen erwähnt Kracht auch in seinen anderen Texten oft- mals Japan. Im nepalesischen Reisebericht, Gebrauchsanweisung für Kathmandu und Nepal, wird der geistige Schock über die Absetzung des nepalesischen Königs Birendra 2001 mit der Kapitulation der Japaner im Zweiten Weltkrieg, die durch eine Radioansage des Ten- nos bekannt gegeben wurde, verglichen. Vgl. Christian Kracht und Eckhard Nickel: Ge- brauchsanweisung für Kathmandu und Nepal. München; Berlin (Piper) 2009, hier S. 16– 17. In Der Gesang des Zauberers in Mesopotamia nimmt Kracht den Sarin-Anschlag in der Tokioter U-Bahn im Jahr 1995 von Sektenführer Shōkō Asahara als Leitmotiv dieser klei- nen Erzählung auf. Vgl. Christian Kracht: Der Gesang des Zauberers. In: ders. (Hrsg.): Mesopotamia. Ernste Geschichten am Ende des Jahrtausends. Stuttgart (Deutsche Verlags- Anstalt) 1999, S. 287–305. 7 Kracht setzt sich nicht nur mit der asiatischen, sondern auch der afrikanischen Welt aus- einander. Diese findet sich besonders in seinem dritten Roman, Ich werde hier sein im Son- nenschein und im Schatten, der einen Schweizer Söldner afrikanischer Herkunft beschreibt. 8 Moritz Baßler und Heinz Drügh: Eine Frage des Modus. Zu Christian Krachts gegenwär- tiger Ästhetik. In: Text und Kritik. Zeitschrift für Literatur 9 (2017) S. 8–19, hier S. 13. Dort erläutert Baßler „den kalkulierten Exotismus“ in Faserland „mit dem binnenexotischen Reiz von bisher nicht literarisierten Vokabeln und Texturen unserer eigenen Kultur“ wie Markennamen. Vgl. Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München (C. H. Beck) 2002, S. 95. In diesem Beitrag wird auch aufgezeigt, dass die Viel- stimmigkeit in Krachts Heteroglossie durch die Verwendung von kursiven Schriftsätzen, Helvetismen sowie auch Comicsprache geprägt wird (a. a. O., S. 12–14). 9 Christian Kracht: Der gelbe Bleistift. Ungekürzte Ausgabe. München (dtv) 2002, S. 163. Von hier ab als GB im Text lediglich durch die in Klammern hinter dem Zitat stehende Seitenzahl gekennzeichnet. 10 Christian Kracht kam bisher 2010 und 2014 nach Japan und hielt dort Lesungen im Goe- the-Institut Tokyo. Über seinen ersten Aufenthalt in Japan 1999 schrieb er in seinem Rei- sebericht Der gelbe Bleistift (2000). 140 „Lob des Schattens“ Diese Themen, nämlich die Auseinandersetzung mit der nicht-westlichen Kultur sowie die Verwandtschaft zwischen Japan und der Schweiz, spielen in seinem neuesten Roman Die Toten eine zentrale Rolle. Der Roman, der vor dem Hintergrund der japanischen Filmindustrie der 1930er Jahre das deutsch- japanische Bündnis gegen den amerikanischen „Kulturimperialismus“ durch Hollywood behandelt, kontrastiert die westliche Kultur mit der fremden japa- nischen Welt. Die Hauptperson, der Schweizer Emil Nägeli, ist eine Figur, die zwischen diesen zwei Welten vermittelt. Der Roman als alternative Ge- schichte, der sich historischer Figuren wie Charles Chaplin, Masahiko Ama- kasu, Lotte Eisner und Siegfried Kracauer bedient, ist, wie Moritz Baßler in einer Rezension feststellt, „[eine] vielschichtige Anspielung […] auf Ge- schichte des 20. Jahrhunderts“ und weist auf „eine zelluloidene Achse zwi- schen Berlin und Tokyo“.11 Außerdem nutzt Kracht in Die Toten vielschichtige intertextuelle Bezüge auf die japanische Literatur. Unter anderem deutet die erste Romanszene, in der die Filmaufnahme des japanischen rituellen Selbstmords Harakiri darge- stellt wird, auf den Film von Yukio Mishimas Yūkoku (Erzählung 1961, Verfil- mung 1966) hin.12 Diese Anspielung auf Mishimas Yūkoku manifestiert sich auch im ersten Kapitel des Romans. Dies geschieht z. B. in Krachts ausführli- cher Beschreibung des Harakiris in literarischer Form sowie im Motiv des Nō- Theaters, dessen Nō-Bühne Mishima bei der Verfilmung Yūkoku verwendete. Darüber hinaus stellt Kracht seinem Roman Die Toten ein Zitat aus Junichiro Tanizaki (1886–1965) als Paratext voran: „Ich habe nur ein Herz, niemand kann es kennen außer ich selbst“,13 welches aus Tanizakis Essaysammlung Setsugoan yawa (Abendgeschichten in der Hütte Setsugoan) stammt.14 Krachts vielschichtige Bezüge zu Tanizaki finden sich auch in anderen Texten: Man findet bereits z. B. in Imperium eine Szene, und zwar die Tätowierung des klei- nen Mädchens auf den Rücken, die auf die frühere Erzählung von Tanizaki, 11 Moritz Baßler: Zwischen Setzung und Zersetzung. In: die Tageszeitung, 14.9.2016 (zuletzt aufgerufen am 03.07.2018). 12 Zu Krachts Anspielung auf Mishimas Yūkoku in Die Toten, vgl. Christine Riniker: „Die Iro- nie verdampft ungehört“. Implizite Poetik in Christian Krachts Die Toten (2016). In: Mat- thias N. Lorenz und Christine Riniker (Hrsg.): Christian Kracht revisited. Irritation und Rezeption. Berlin (Frank & Timme) 2018, S. 71–119. 13 Christian Kracht: Die Toten. Ein Roman. Köln (Kiepenheuer & Witsch) 2016. Von hier ab als TT im Text lediglich durch die in Klammern hinter dem Zitat stehende Seitenzahl ge- kennzeichnet. 14 Das Gedicht lautet im Original in der japanischen traditionellen Waka-Gedichtsform wie folgt: „Ware to iu hito no kokoro wa tada hitori ware yori hoka ni shiru hito wa nashi“. Setsugoan nannte Tanizaki sein kleines Haus, in dem er in Atami seinen Le- bensabend verbrachte. Junichiro Tanizaki: Setsugoan yawa. In: Tanizaki Junichiro Zenshū (JP.) (Sämtliche Werke von Junichirō Tanizaki) Bd. 24. Tokyo (Chuō kouron shinsha) 2016, S. 323–397. 141 Azusa Takata Shisei (Tätowierung), Bezug nimmt.15 Vor allem dient „Lob des Schattens“
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