
Von Dr. Yvonne Häfner, Biberach Dauerausstellung im Wieland-Gartenhaus Biberach „Christoph Martin Wieland - Dichter und Kanzleiverwalter in Biberach (1760-1769)" In dokumentarischer Form beherbergt das Wieland­ 2. Thematische Schwerpunkte der Gartenhaus an der Saudengasse 10/1 in Biberach seit neuen Ausstellung dem 12. September 2009 eine Dauerausstellung zum Thema„Christoph Martin Wieland - Dichter und Kanz­ Am 30. März 1769 teilt Christoph Martin Wieland leiverwalter in Biberach (1760-1769)".1 Möglicherwei• dem Evangelischen Magistrat in Biberach brieflich mit, se schon im Herbst 1765, spätestens aber seit Sommer dass ihm vom Kurfürsten und Erzbischof von Mainz die 1766 hat sich Wieland außerhalb der damaligen Stadt­ doppelte Stelle eines Regierungsrats und eines Profes­ mauern ein kleines Gartenhaus gemietet. Hier fand er sors der Philosophie in Erfurt angetragen worden sei: in Mußestunden die notwendige Ruhe, um sich ganz Diesem „mit dem Finger der göttlichen Providenz so seinen literarischen Vorhaben widmen zu können.Ziel sonderbahr bezeichneten Ruf" 5 könne er sich - schreibt der neuen Ausstellung im Wieland-Gartenhaus ist es, Wieland - unmöglich entziehen. Zwei Tage nach Pfings­ den Besuchern die Bedeutung dieses Ortes - gleich­ ten desselben Jahres 17 69 macht sich Wieland auf den sam den„Genius Iod" - in Erinnerung zu rufen und Weg. Auf seiner Reise über Augsburg, Nürnberg, Erlan­ Interesse für Wielands dichterische und berufliche gen, Coburg, Frauenwalde, Illmenau und Arnstadt nach Tätigkeit während seiner Biberacher Jahre zu wecken.2 Erfurt wird er von seiner Frau Anna Dorothea, seinem erst wenige Monate alten Töchterchen Sophie Catheri­ 1. Leitgedanken zur Ausstellungskonzeption ne Susanne, dem zwölfjährigen Sohn seiner ehemaligen Verlobten Sophie von La Roche, seiner schon etwas Bei der Ausarbeitung der Texte für die neue Aus­ betagten, aber schlechterdings unverzichtbaren schwä• stellung wurde stets auf die neueste Forschungslitera­ bischen Köchin sowie seinem als „animal scribax" 6 tur zurückgegriffen und der fachliche Rat ausgewiesener bezeichneten Sektretär begleitet. Seinem Freund, dem Wieland-Wissenschaftler eingeholt. 3 Dabei galt es, den Erfurter Philosophieprofessor Friedrich Justus Riede! Informationstransfer zu vereinfachen, die Lesetexte hatte er zuvor geschrieben, dass er seinen Weggang aus kurz und allgemeinverständlich zu formulieren sowie Biberach als einen Abschied für immer betrachte: mit geeignetem Bildmaterial anschaulich zu machen. „Denn meine Vaterstadt ist für mich wie meiner Mutter Didaktische Maßnahmen wie beispielsweise die gra­ Leib; wenn ich einmal d'raus bin, so komme ich nicht phische Hervorhebung zentraler Leitsätze bzw. Äuße• wieder hinein. "7 Und nicht ohne Genugtuung lässt er rungen Wielands sollen in der neuen Ausstellung dazu seinen Freund wissen, dass „hier zu Lande" ein „gro• dienen, den Wechsel von einem Thema zum anderen ßer Lerm" über sein Fortgehen entstanden sei. Unsäg• auch in räumlicher Hinsicht deutlich zu akzentuieren. lich sei der Unwille des Volkes gegenüber den Herren, Dank dem Einsatz neuer Medien konnte die weil man bei den guten Leuten allgemein der Meinung begrenzte Ausstellungsfläche vollumfänglich nutzbar sei, dass man ihn nicht gehen lassen sollte. 8 gemacht und dem heute üblichen technischen Standard Offensichtlich hat sich Wieland während seiner angepasst werden. Als integrativer Bestandteil der Prä• Biberacher Zeit eine bemerkenswerte Popularität und sentation werden den Besuchern nicht nur verschiede­ kein geringes Ansehen bei seinen Landsleuten erwor­ ne Hörstationen, sondern ebenso kurze Filmsequenzen ben. Diese Feststellung ist mindestens ebenso auf­ geboten. Das Wieland-Museum ist durch die Installa­ schlussreich wie die in der Literatur über Wieland tion einer Webcam im Internet präsent: Auf diese Weise immer wieder ausgeführte These, wonach das knappe wird auch der gedankliche und materiale Zusammen­ Jahrzehnt, das Wieland von 1760 bis 1769 in seiner hang vergleichbarer literarischer Gedenkstätten in Vaterstadt verbracht hat, als die entscheidende Phase in Baden-Württemberg sichtbar. 4 seiner persönlichen und literarischen Entwicklung gilt. Eine verbesserte Licht- und Sicherheitstechnik eröff• Die neue Dauerausstellung im Wieland-Gartenhaus net die Möglichkeit, wertvolle Gegenstände aus dem schenkt diesen beiden Sachverhalten besondere Beach­ Besitz des Wieland-Museums aus ihrem Schattendasein tung. hervorzuholen und in neuem Glanz zu präsentieren. Die Beliebtheit Christoph Martin Wielands bei sei­ Bei wertvollen Ausstellungsobjekten wie beispielswei­ nen Zeitgenossen war ungebrochen, obwohl seine ver­ se Wielands Eheringen aus dem Jahre 1765 haben wir schiedenen Liebschaften, die in der neuen Ausstellung uns allerdings bewusst dafür entschieden, professionell detailliert dokumentiert sind, zu Beginn der 1760er­ gefertigte Repliken anstelle der Originale auszustellen. Jahre in Biberach für viel Klatsch und Empörung gesorgt 30·31 hatten. Als besonders anstößig und anstandswidrig Die Zuverlässigkeit seiner Amtsführung stand in wurde empfunden, dass der knapp Dreißigjährige, der einem bemerkenswerten Kontrast zur prekären berufli­ am 30. April 17 60 einstimmig zum Senator seiner Hei­ chen Situation, in der sich Wieland in dieser Zeit tat­ matstadt gewählt und dem die Stelle des Stadtschrei­ sächlich befand. Aus der Schweiz in seine Heimatstadt bers und Kanzleiverwalters angetragen worden war, zurückkehrend war er nämlich unvermittelt in die Intri­ sich hoffnungslos in eine aus einfacheren Verhältnissen gen und Auseinandersetzungen zwischen Katholiken stammende Katholik.in verliebt hatte. Seiner Jugend­ und Protestanten um die Sicherung der vorgeschriebe­ freundin Sophie von La Roche gestand Wieland in nen paritätischen Besetzung der städtischen Ämter hin­ einem Brief vom Oktober 1763, dass er mit seiner klei­ eingezogen worden. Die katholische Partei hatte wegen nen Philomele, im Volksmund Bibi und mit bürger• dem fehlenden juristischen Doktortitel einen Gehalts­ lichem Namen Christine Hogel genannt, die halben abschlag für Wieland gefordert, so dass dieser vier Jahre Nächte verbracht hatte und nun seit einigen Monaten lang aufgrund unregelmäßiger Gehaltszahlungen mit große Hoffnung habe, Vater zu werden.9 Die Aus­ finanziellen Nöten zu kämpfen hatte. Auch diese für stellung im Wieland-Gartenhaus will die Geschichte Wieland sehr schwierige Lebenslage, die erst etwas dieser Liebe, die an den gesellschaftlichen und kon­ erträglicher wurde, nachdem er einen Prozess vor dem fessionellen Zwängen der Zeit scheiterte und für Wie­ Reichshofrat in Wien gewonnen hatte, haben wir in land eines der schmerzlichsten Ereignisse seines Lebens unserer Ausstellung durch Briefmaterial anschaulich war, in Momentaufnahmen darstellen. Mit Briefaus­ gemacht. schnitten und kurzen Frauenporträts dokumentieren Wieland erwarb sich sein hohes Ansehen auch wir in diesem Zusammenhang ebenso die Liebesbezie­ dadurch, dass er im Jahr 1761 für ein Jahr die Leitung hungen zu Sophie von La Roche, zu der aus einer Ber­ der „Biberacher Evangelischen Bürgerlichen Comö• ner Patrizierfamilie stammendenJulie Bondeli sowie zu diantengesellschaft" übernahm und mit der Aufführung seiner späteren Ehefrau Anna Dorothea von Hillen­ von Shakespeares Drama The Tempest in seiner eige­ brand. nen Übersetzung die erste wirklich bedeutende Dar­ Anhand von bildlichem Quellenmaterial - genauer stellung eines Shakespeare-Stückes in Deutschland auf anhand der Titelkupfer zu Wielands Werken - möch• die Bühne gebracht hat. Damit begann die große Zeit ten wir den Blick aber auch auf diejenigen Frauenge­ des Biberacher Theaters. Die Quellen belegen, dass die stalten lenken, die Wielands dichterischer Phantasie erfolgreiche Inszenierung Wielands das Doppelte der entsprungen sind. Es gehört -wie der Wielandforscher damals üblichen Einnahmen einbrachte. 12 Gleichzeitig Thomas C. Starnes in einer wunderbar eindrücklichen begann er die Gesamtübersetzung von Shakespeares Analyse dargestellt hat - zu den merkwürdigen Phäno• Dramen: ein höchst ehrgeiziges Unternehmen, das Wie­ menen in der deutschen Literaturgeschichte, dass gera­ land mitunter als „GaleerenSclaven-Arbeit" 13 ver­ de zu einer Zeit, als Wieland von namhaften Geistes­ wünschte, aber dennoch bereits 1766 zum Abschluss größen als Sittenverderber verschrien wurde, bei dem brachte. Damit wurde er zum maßgeblichen, wenn weiblichen Publikum mit seinen Dichtungen auf gera­ auch nicht unumstrittenen Wegbereiter Shakespeares dezu enthusiastische Zustimmung stieß. Wieland, der in Deutschland. Wir möchten mit der neuen Ausstel­ in zahlreichen Dichtungen nicht nur die Würde und lung die Sensibilität dafür wecken, dass Wieland mit sei­ Überlegenheit der Frau gefeiert, sondern auch ihre geis­ ner Shakespeare-Übertragung zahlreiche Fremdwörter, tige Ebenbürtigkeit sowie ihre Funktion als Erzieherin Wortneubildungen und Lehnwendungen in die Sprache des Mannes betont hat, konnte sich auf begeisterte eingeführt hat und dass diese Zeugnisse von Wielands Leserinnen verlassen. 10 Sprachkunst sich im Sprachgebrauch bis heute erhalten Sympathie hat sich Wieland bei seinen Landsleuten haben. 14 zweifellos auch dadurch erworben, dass er seine Amts­ Dass Christoph Martin Wieland in Biberach zu geschäfte mit großer Sorgfalt ausgeführt hat. Oftmals sei einem Dichter von Weltrang heranreifen und sich damit er, so schrieb Wieland in einem Brief an seinen Freund schon bald auch außerhalb der Grenzen seiner Heimat­ Johann Georg Zimmermann aus dem Jahre 1765, noch stadt Bekanntheit
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