Antifeminismus an Der Hochschule

Antifeminismus an Der Hochschule

Feindbild Emanzipation Antifeminismus an der Hochschule 1 Editorial Liebe Leser*innen, in euren Händen haltet ihr die neueste Publikation des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Uni Frankfurt, welche sich dem Thema Antifeminis- mus und Hochschule widmet. Nach der positiven Rückmeldung auf die Veröffentlichung des Readers »Autoritär, Elitär, Reaktionär: Studentenverbindun- gen, Burschenschaften und ›Neue Rechte‹« im Januar 2018, sahen wir uns als Redaktion dazu ermutigt, weiterhin zur Förderung eines antifaschistischen Bewusstseins in der Studierendenschaft und Gesell- schaft beizutragen. Angesichts der zunehmenden poli- tischen Erfolge reaktionärer Kräfte in Deutschland, Europa und international erachten wir ein solches Bewusstsein und sich daraus ableitende politische Aktivitäten für eine absolute Notwendigkeit. Mit der vorliegenden Publikation wollen wir vor allem die Aus- einandersetzung mit reaktionärer Geschlechterpolitik forcieren und deren zentrale Bedeutung für (extrem) rechte Bewegungen unterstreichen. Während in Ungarn nach einem jahrelangen Prozess der autoritären Umwälzung des Staates die Fachrich- 1 tung Gender Studies an Hochschulen nun gänzlich abgeschafft wird, kann die AfD dies in Deutschland ihren WählerInnen bisher nur in Wahlprogrammen versprechen. Mit dem Einzug der AfD in den hessi- schen Landtag im Oktober 2018 sitzt dort nun eine Partei, die die Freiheit von Forschung und Lehre zer- schlagen möchte. So fordert sie nicht nur die Abschaf- fung der Gender Studies, sondern würde am liebsten jegliche Forschung und Lehre unterbinden, welche ihren ideologischen Vorstellungen widerspricht. Diese Intention stellten auch Mitglieder der AfD-Jugendor- ganisation Junge Alternative unter Beweis, als sie im Januar 2017 Flugblätter an der Goethe-Universität Frankfurt verteilten, in denen sie zur Denunzierung von ihnen politisch missliebigen Lehrenden aufriefen. In den kommenden Jahren ist womöglich mit deutlich schwerwiegenderen Angriffen zu rechnen, allen voran auf feministische Errungenschaften in Forschung, Lehre und Universitätsalltag. Derzeitige autoritäre Formierungen in der Hoch- schulpolitik können allerdings nur verstanden werden, wenn sie im Kontext des sich ausbreitenden reaktio- nären Zeitgeistes verortet werden. Angesichts gesell- schaftlicher Umbrüche im Zuge von Veränderungen im kapitalistischen Akkumulationsprozess wird das politische Angebot einer »Rückkehr« zu vermeint- lich »natürlichen« Lebensweisen für viele Menschen immer attraktiver. Hierdurch werden Kategorisie- rungs- und Hierarchisierungsprozesse innerhalb der Gesellschaft hinsichtlich Geschlecht, »Rasse« und Klasse (engl.: gender, race & class) zu vermeintlich von der Natur vorgegebenen Ordnungen deklariert, um sie so jeder Form von öffentlicher Diskussion, Kritik und demokratischer Kontrolle zu entziehen. Beispiele hierfür finden sich in den letzten Jahren zur Genüge. So fanden im Rahmen der sogenannten »Demo für Alle« christliche und extreme Rechte zueinander, um eine vermeintlich »von Gott«, beziehungsweise »der Natur«, vorgegebene patriarchale, heterosexu- elle Familienordnung zu verteidigen. Ärzt*innen wie Kristina Hänel werden auf Betreiben von christlichen FundamentalistInnen angeklagt und verurteilt, ledig- 2 lich weil sie ihren Patientinnen* Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellen. Die repressiven Strafrechtsparagraphen 218 und 219 zeigen, dass die körperliche Selbstbestimmung von Frauen* in der Bundesrepublik noch immer gefürch- tet und bekämpft wird. Um in Zeiten dieses reaktionären Aufwindes kritische Perspektiven auf die Entwicklungen in der Gesell- schaft und an den Hochschulen zu eröffnen, konnten wir einige Wissenschaftler*innen, Journalist*innen und Mitstreiter*innen für Beiträge gewinnen. Bei ihnen möchten wir uns ganz herzlich für die wichtige Arbeit bedanken, die es bedeutet, sich ausführlich mit reaktionären Kräften auseinanderzusetzen, zu recherchieren und zu analysieren. In dem Reader fin- den sich eigens für diese Publikation verfasste Texte, (überarbeitete) Reprints von bereits veröffentlichten Beiträgen und von uns geführte Interviews. Der erste Abschnitt in diesem Reader beschäftigt sich mit Fragen der theoretischen Einordnung und allgemeinen Analyse des Antifeminismus. Der zweite Abschnitt widmet sich Akteuren, Diskursen und aktu- ellen Entwicklungen des Antifeminismus in der deut- schen Hochschullandschaft. Dabei spielen Angriffe auf Gender Studies und Gleichstellungspolitiken eine zentrale Rolle. Einige Artikel nehmen außerdem anti- feministische Stimmen und Anknüpfungspunkte in verschiedenen akademischen Disziplinen und Fächer- diskursen in den Blick. Und schließlich werden auch Akteure betrachtet, die über Forschung und Lehre hinaus am Campus (politisch) aktiv sind. Zuletzt finden sich im dritten Abschnitt Beiträge und Interviews, die sich mit möglichen Gegenstrategien gegen die antifeministische Reaktion an der Uni aus- einandersetzen und nach Inspiration im Ringen um eine emanzipatorische Zukunft suchen. Hier werden verschiedene Politiken vorgestellt und Perspektiven auf mögliche Praktiken im Hochschulleben, am Cam- pus und im Studium entwickelt. Wir haben euch zum Schluss ein antifeministisches Namensregister und eine Liste mit Empfehlungen zur weitergehenden 3 Lektüre zusammengestellt. Wir bedanken uns an dieser Stelle noch einmal herz- lichst bei allen Autor*innen und Interviewpartner*in- nen und wünschen euch beim Lesen viel Freude! Euer Redaktionsteam 2 Editorial 4 Inhaltsverzeichnis 6 I Antifeminismus. Einführung in eine Problematik. 8 Antifeminismus in Deutschland Einführung und Einordnung des Phänomens Juliane Lang, Ulrich Peters 16 Der Feind meines Feindes ist mein Freund Antifeminismus als Schnittstelle zwischen konservativer und extremer Rechter Tanja Gäbelein 22 Von Antifeminismus zu »Anti-Genderismus«? Eine diskursive Verschiebung und ihre Hintergründe Sebastian Scheele Inhaltsverzeichnis 4 28 II Antifeminismus 70 III Gegenstrategien. an der Hochschule. Antifeminismus Akteure, Diskurse, an der Hochschule Entwicklungen. bekämpfen. 30 Die Freiheit der Wissen- 72 Extrem rechte schaft und ihre Feinde Geschlechterpolitiken als Angriffe auf die Herausforderung für Geschlechterforschung geschlechterreflektierte bringen alle Sozial- und Geisteswissenschaften Pädagogik in Gefahr Olaf Stuve Manfred Köhnen 76 Pro-Choice im Medizinstudium 38 Vom Naturalismus Interview mit der Arbeitsgruppe zur Religion »Medical Students for Choice« Über die antigenderistische Radikalisierung 80 Progressive Welle des Ulrich Kutschera Die feministische Floris Biskamp Bewegung fordert Chiles Gesellschaft heraus 44 »Lebensschutz« Friederike Winterstein statt körperliche Selbstbestimmung 84 Blame the System, Interview mit Ulli Jentsch not the Victim! Sexismus auf dem Campus und Eike Sanders fantifa.frankfurt 50 Rückwärtsgewandte Forschung 86 Der Gleichstellungsrat des Fachbereichs und Lehre in Gießen Christlich-fundamentale, extreme Gesellschaftswissenschaften Rechte und die FTH Gießen stellt sich vor Sebastian Hell Gleichstellungsrat FB03 54 Antifeminismus in 88 Antifeministisches der Hochschulpolitik Namensregister Hochschulpolitische Gruppen und antifeministische Ressentiments 91 Weiterlesen zum Thema Lucius Teidelbaum Antifeminismus 60 »Vergemeinschaftet durch das Abverlangen von Standhalten und Beherrschung.« Männerbund, Mensur und Antifeminismus bei deutschnationalen Burschenschaften Judith Goetz 66 »Pick-Up-Artists« im öffentlichen Raum – whose streets…? Beobachtung eines sexistischen Gesellschaftsphänomens fantifa.frankfurt 5 I Antifeminismus. Einführung in eine Problematik. 6 7 Antifeminismus in Deutschland Einführung und Einordnung des Phänomens Juliane Lang, Ulrich Peters 8 Antifeministische Inhalte und Argumentations- es vermeintlich überhistorisch, milieu- und Anmerkungen zu diesem Beitrag. wertvolle Scheele für Sebastian danken Wir muster finden sich in trauter Regelmäßigkeit in kulturübergreifend schon immer der »Natur gesellschaftlichen Debatten um die Ordnung der der Dinge« entsprochen habe. Dass Geschlech- Geschlechter im 21. Jahrhundert. Geschlech- terverhältnisse nie »naturgegeben«, sondern terkonservative Akteure unterschiedlicher immer Ergebnis sozialer Aushandlung waren, politischer Gruppierungen erfinden einen »Gen- wird von den Protagonist/innen zurückgewie- der-Wahn« und eine angeblich dahinter stehende sen – um die sozialromantische Erzählung eines Ideologie. Sie instrumentalisieren gesamtge- in sich harmonischen Friedens zwischen den sellschaftlich geführte Debatten um geschlech- Geschlechtern zu verbreiten, der durch moderne ter- und gleichstellungspolitische Inhalte für Dekadenzen in Form feministischer Politiken der polemische Angriffe und lancieren Kampagnen. Vielfalt geschlechtlicher, sexueller und familia- Es sind Themen rund um geschlechterpolitische ler Lebensweisen zerstört würde. Es lohnt der Liberalisierungen einst konservativ eng gefasster Blick zurück, um festzustellen, dass die Rede von Geschlechter- und Sexualitätsdispositive. Und einer angeblichen »Genderisierung« westlicher es ist die Ablehnung eines als omnipotent und Gesellschaften ihre Wurzeln in gesellschaftli- machtvoll verstandenen Feminismus, der extrem chen Debatten der vergangenen zehn bis zwanzig Rechte zusammen bringt mit verbrämten Kon- Jahre hat. Ein Wiedererstarken fundamentalis- servativen, enttäuschte Sozialdemokrat_innen tischer Strömungen innerhalb der Amtskirchen, mit frustrierten Scheidungsvätern, christliche Debatten um Scheidungsväter und männliche Fundamentalist/innen

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