Max Doppelbauer Metropolen, Sprachen und Identitäten. Die Rolle des Spanischen in der Konstruktion von Stadtidentitäten: 5 Beispiele aus Afrika Max DOPPELBAUER, Wien 0. Der vorliegende Beitrag soll die Rolle des Spanischen innerhalb der Konstruktion von Stadtidentitäten auf dem afrikanischen Kontinent untersu- chen. Dazu sollen die Bevölkerungen und ihre Sprachen von folgenden fünf Städten verglichen werden: Melilla, Ceuta, Tetuan, Sidi Ifni und Malabo. Alle fünf Städte liegen auf dem afrikanischen Kontinent und wurden von Spanien in den vergangenen Jahrhunderten in Besitz genommen und kolonisiert. Melilla und Ceuta befinden sich nach wie vor in spanischem Besitz und stellen laut spanischer Verfassung von 1978 einen integralen Teil Spaniens dar. Tetuan wurde als ehemalige Verwaltungshauptstadt des Protektorats im Zuge der Unabhängigkeit im Jahre 1956 wieder an Marokko übergeben. Malabo ehemals Port Clarence, dann Santa Isabel wurde als Hauptstadt der Republik Äquatorialguinea 1968 in die Unabhängigkeit entlassen. Und im Jahre 1969 zieht sich Spanien friedlich aus der teuren Kolonie Sidi Ifni zurück. Seit 1. Juli 1969 befindet sich diese Stadt unter marokkanischer Flagge. Da dieses Gebiet erst 1934 von Spanien beansprucht wurde, handelt es sich also um jene Stadt, die am kürzesten spanisches Kolonialgebiet war. Malabo ist als einzige Stadt dieser Liste Hauptstadt und also Zentrum eines Staates. Die übrigen vier Städte befinden sich klar an den Peripherien ihrer Länder. In Ceuta und Melilla ist das Spanische einzig offizielle Sprache. In den anderen drei Städten war das Spanische von Beginn bis Ende der Kolonialzeit Verwaltungssprache. Während in Tetuan und Sidi Ifni (als Teile Marokkos) das Spanische keinen offiziellen Charakter mehr besitzt, ist es in Malabo heute (neben dem Französischen und dem Portugiesischen) offizielle Sprache und nimmt wahrscheinlich die wichtigste Rolle als Kommunikationsmedium ein. Die Städte Ceuta und Melilla nehmen aufgrund ihrer geographischen und politischen Lage als Exklaven eine besondere Stellung ein. Aber auch die Städte Tetuan, Sidi Ifni und Malabo unterscheiden sich sozial und demographisch stark von den sie umgebenden Gebieten. Eher übliche Unterschiede zwischen den Bevölkerungen zwischen Stadt und Land werden hier durch historische und demographische Faktoren verstärkt. Aus diesem Grunde sollten diese QVR 51-52/2018 77 Max Doppelbauer Städte getrennt von dem sie umgebenden Umland untersucht werden. Ein Ver- gleich dieser Städte untereinander scheint so sinnvoller. Das Spanische hat in den fünf Städten ganz unterschiedliche kommunika- tive Räume und Rollen. Hier möchte ich insbesondere auf Sprache als konsti- tutives Element innerhalb von Identitätskonstruktionen eingehen. Dazu diskutiere ich zunächst den Begriff der kollektiven Identität. Für die einzelnen Analysen der Stadtbevölkerungen habe ich die Methode der teilnehmenden Beobachtung gewählt. Melilla und Ceuta habe ich in den vergangenen 10 Jahren mehrfach bereist und qualitative Interviews geführt. Zwei Studienreisen mit Lehrenden und Studierenden der Universität Wien führten uns in die beiden Städte, wo auch quantitative Untersuchungen durchgeführt wurden. Die Studienreise nach Melilla wurde in Kooperation mit der UNED durchgeführt (Siehe Cichon/Doppelbauer/Gámez 2016). Die Studienreise nach Ceuta wurde in Kombination mit einer Reise nach Tetuan und gemeinsam mit der Universidad de Zaragoza organisiert (eine Publikation ist in Vorbereitung). Auch Tetuan und Sidi Ifni habe ich in den vergangenen Jahren mehrfach bereist (siehe ua. Doppelbauer 2014). Malabo konnte ich im Herbst 2017 besuchen und ua. mehrere qualitative Interviews mit verschiedenen Akteuren der Spra- chenpolitik führen (siehe Doppelbauer 2018). 1. Kollektive Identität Bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt Gustave Le Bon in seiner Psychologie der Massen ein Gruppenphänomen, das als frühe Beschreibung der kollektiven Identität interpretiert werden kann: [...] Unter bestimmten Umständen, und nur unter diesen Umständen, besitzt eine Versammlung von Menschen neue, von den Eigenschaften der Einzelnen, die diese Gesellschaft bilden, ganz verschiedene Eigen- tümlichkeiten. Die bewusste Persönlichkeit schwindet, die Gefühle und Gedanken aller Einzelnen sind nach derselben Richtung orientiert. Es bildet sich eine Gemeinschaftsseele, die wohl veränderlich, aber von ganz bestimmter Art ist. Die Gesamtheit ist nun das geworden, was ich mangels eines besseren Ausdrucks als organisierte Masse oder, wenn man lieber will, als psychologische Masse bezeichnen werde. [...] (Le Bon 1982: 10f) Le Bon bezieht sich hier explizit auf die Gruppe und hat die Ebene des Individuums damit verlassen. Er spricht von einer Gemeinschaftsseele, die 78 QVR 51-52/2018 Max Doppelbauer wohl veränderlich ist, was bedeutet, dass er auf die Dynamik dieses Prozesses verweist, bzw. einen statischen Zustand in Frage stellt. Rund 100 Jahre später definiert Dieter Rucht kollektive Identität folgen- dermaßen: Ich schlage vor, kollektive Identität von den in der Ich-Psychologie ver- wendeten Konzepten personaler und sozialer Identität zu unterschei- den. Der Referenzpunkt kollektiver Identität ist weder die Person noch die Rolle, sondern die Gruppe gleich, ob es sich um eine Kleingruppe, eine Ethnie oder einen noch größeren Kulturkreis handelt. Zwar ist auch kollektive Identität intrapsychisch verankert und kann sich im Verhalten und Symbolgebrauch einer situativ von der Gruppe heraus- gelösten Person manifestieren. Doch wird die Identität der Gruppe vor allem in ihrem Auftreten als Gruppe verkörpert, wobei diese Verbun- denheit physisch, symbolisch und/oder rhetorisch sowohl nach innen als auch nach außen bekundet werden kann [...] Kollektive Identität lässt sich bestimmen als ein Syndrom von Bewusstseins- und Ausdrucks- formen von mindestens zwei Personen, welche um die Zusammenge- hörigkeit (als Paar, Gruppe, Klasse, Ethnie, Nation usw.) wissen, diese im Regelfall handlungspraktisch demonstrieren und insofern auch von ihrer Umwelt als zusammengehörig wahrgenommen werden. Vorausgesetzt werden damit (1) ein subjektives Wir-Gefühl und demnach (die Fiktion von) Gemeinsamkeiten, die eine Abgrenzung der eigenen Referenzgruppe nach außen ermöglichen, sowie (2) Formen von Vergemeinschaftung, die durch anhaltende Interaktion bzw. Orga- nisation stabilisiert und nach innen wie nach außen symbolisch vermittelt werden. Die Stabilisierung einer Innen-Außen-Differenz beruht auf der wechselseitigen Zuschreibung von wir und die anderen [...]. Kollektive Identität beruht nicht auf ontologischen Ge- meinsamkeiten, sondern auf fortlaufenden Interaktionen. (Rucht 1995: 10) Rucht hebt also einerseits das Wir-Gefühl hervor, das uns von den anderen unterscheidet, andererseits betont auch er, dass es um fortlaufende Interaktionen gehe; der eigentliche Referenzpunkt kollektiver Identität ist laut Rucht die Gruppe selbst. Da wir später den Parameter Sprache in die Untersu- chung einführen, scheint diese Definition hier genau zu passen, da auch Sprache als soziales Phänomen die Summe von Interaktionen darstellt und QVR 51-52/2018 79 Max Doppelbauer somit auch ein wichtiger Baustein in der Konstruktion kollektiver Identitäten sein kann. Bernhard Giesen verweist in seiner Definition außerdem auf die histori- sche Dimension und auch den symbolischen Charakter möglicher Codierun- gen. Er schreibt: Konstruktionen kollektiver Identität werden allerdings nicht nur von solchen Koppelungen von Unterschieden in einem semantischen Feld bestimmt, sondern auch von ihrer Einbettung in eine soziale und historische Situation. So wie auch andere symbolische Strukturen etwa wissenschaftliche Theorien nicht nur durch ihre Vernetzung in einem semantischen Feld, sondern auch durch ihre empirischen Bezüge und theoriegeschichtlichen Positionen bestimmt werden können, erhalten auch Codierungen sozialer Grenzen durch die strukturelle Lage ihrer Tragergruppe, ihre Alltagspraxis, die verfügbaren Ressourcen und die jeweils vorangegangenen Ereignisse eine besondere Bedeutung. Erscheinungsformen kollektiver Identität lassen sich daher grundsätz- lich aus drei Perspektiven beobachten: im Hinblick auf ihre sym- bolische Codierung, im Hinblick auf ihre Position in einem historischen Prozess und im Hinblick auf ihre Einbettung in eine soziale Situation. (Giesen 1999: 27) Manuel Castells arbeitet grundlegend mit ganz ähnlichen Begrifflichkeiten; er erweitert meiner Ansicht nach die Definitionen um die Beschreibung kollek- tiver Identität einerseits als Prozess, andererseits als plurale Identität. Auch bei ihm soll kollektive Identität nicht als statisches Konstrukt sondern als dynami- scher Prozess gelesen werden. In seiner Trilogie über die Netzwerkgesellschaft schreibt er: Unter Identität verstehe ich, soweit sich dies auf soziale Akteure bezieht, den Prozess der Sinnkonstruktion auf der Grundlage eines kulturellen Attributes oder einer entsprechenden Reihe von kulturellen Attributen, denen gegenüber anderen Quellen von Sinn Priorität zugesprochen wird. Ein bestimmtes Individuum oder ein kollektiver Akteur können mehrere Identitäten haben. Derart plurale Identität ist jedoch eine Quelle von Spannung und Widerspruch. Das gilt für die Selbst-Darstel- lung ebenso wie für das soziale Handeln. (Castells 2017: 6f) 80 QVR 51-52/2018 Max Doppelbauer Er weist darauf hin und es scheint mir in unserem Zusammenhang besonders wichtig dass Individuen und kollektive Akteure eben mehr als nur eine Identität haben können, die wiederum in sich widersprüchlich sein können.
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