Università degli Studi di Milano Ludwig-Maximilians-Universität München Facoltà di Fakultät für Studi Umanistici Geschichts- und Kunstwissenschaften Dipartimento di Department Lingue e letterature straniere Kunstwissenschaften Corso di dottorato in Studiengang Lingue, Letterature e culture straniere Theaterwissenschaft (Promotion) XXVII ciclo Coordinatore del dottorato: Prof. Iamartino a.a. 2013-2014 »Das strittige Gebiet zwischen Wissenschaft und Kunst« Artur Kutscher und die Praxisdimension der Münchner Theaterwissenschaft L-LIN/13 Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München Chiara Maria Buglioni Tutor: Prof. Marco Castellari Betreuer: Prof. Dr. Christopher Balme Inhalt Vorwort ……………………………………………………………………………….. I Teil I. Ausgangspunkte Die Praxisdimension …………………………………………………………………………. 1 Die Theaterwissenschaft zwischen Theorie und Praxis • Wissenschaftlicher Diskurs und ausgehandelte Praxis • Situiertes Lernen nach Jean Lave und Etienne Wenger Die Praxis in der Theorie des situierten Lernens ………………………………………….. 28 Die soziale Landschaft der Praxis Entwicklung einer Lerngemeinschaft, Lehrtätigkeit und Performativität ………………. 41 Die theaterwissenschaftliche Lerngemeinschaft oder: der Kutscher-Kreis • Performative Aspekte des gemeinsamen Lernens Teil II. Potentialphase der Münchner Theaterwissenschaft München, der kulturelle Pol ………………………………………………………………… 52 Theaterdebatten und -experimente in Münchner praxisorientierten Gruppierungen • Eine künstlerische und gesellschaftliche Neugeburt wird vorbereitet „Schwabingertum“ und Aktivismus ………………………………………………………... 72 Kutschers Erfahrung in und zwischen kulturellen Gemeinschaften • Beteiligung an der Münchner Moderne und Unterrichtstätigkeit • Kutschers Forschungsprojekte zwischen 1908 und 1910 Teil III. Erste Entwicklungsphase der Theaterwissenschaft als Lerngemeinschaft Das Problem einer umfassenden Theorie und das Objekt ‚Theater‘ …………………….. 108 Die Forschungspraxis ………………………………………………………………………... 117 Im Seminarraum und im Theatermuseum • Die Struktur des theaterwissenschaftlichen Kurses: Mitarbeiter und Übungen • Außerhalb des Universitätsgebäudes • Die Aufführungen des Kutscher-Kreises Ein System verknüpfter Gruppierungen und Organisationen …………………………… 131 Die letzte Phase des „Neuen Vereins“ • Das „literarische Seminar“ Artur Kutschers • Die Gesellschaft „Das Junge Krokodil“ • Wissenschaftliche Tätigkeit und soziales Engagement Koordination der Lerngemeinschaft und unterschiedliche Partizipationsstufen ……….. 152 Die Leitfigur einer praxisorientierte Gemeinschaft • Vollständige, periphere und randständige Mitgliedschaft • Fruchtbare Wechselbeziehung von Partizipation und Nicht-Partizipation Teil IV. Reifephase. Orte und Örtlichkeiten des theaterwissenschaftlichen Unternehmens Der Ursprung des Theaters ………………………………………………………………..... 165 Das Referenzmodell der Münchner Theaterwissenschaft • Die Mimustheorie Hermann Reichs • Das Theater als mimisch-pantomimische Ausdruckskunst Das Beziehungsgeflecht des Kutscher-Kreises …………………………………………….. 178 Natur, Volk und Laientheater • Die „Gesellschaft für das süddeutsche Theater und seine Auswirkungen“ • Lokale und globale Räume • Kontakt zum ausländischen Theater und zu anderen Kulturen • Über die Grenzen hinaus Was weiterlebt: die letzte Entwicklungsphase der Lerngemeinschaft …………………… 209 Theorie und Praxis der Münchner Theaterwissenschaft »im Dritten Reich und danach« Exkurs. Die Theaterwissenschaft und Artur Kutscher im Nationalsozialismus ………….. 220 Nachwort. Zur Aktualität der theaterwissenschaftlichen Beschäftigung Artur Kutschers ..... 247 Artur Kutschers Leben und Tätigkeit ……………………………………………… 253 Chronologisches Verzeichnis der theaterwissenschaftlichen Vorlesungen Artur Kutschers ……………………………………………………………………………... 255 Quellen- und Literaturverzeichnis ………………………………………………….. 271 Vorwort Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Anfängen der Theaterwissenschaft in München und der Rolle des „Theaterprofessors“ Artur Kutscher in der Entwicklung der Disziplin. Als ich zum ersten Mal auf den Namen Artur Kutscher stieß, war es aus reinem Zufall: Für meine Masterarbeit beschäftigte ich mich mit den Ingolstädter Stücken Marieluise Fleißers und erfuhr dabei, die Dichterin hatte 1920 theaterwissenschaftliche Veranstaltungen bei Kutscher belegt. Kurz davor hatte auch Ödön von Horváth an der Münchner Universität Seminare und Vorlesungen des Theaterprofessors besucht; selbst Bertolt Brecht war ein Kutscher-Schüler gewesen. Das war für mich wie eine Erleuchtung: Die kanonisierten Hauptvertreter des kritischen Volksstücks, ja die wichtigsten DramatikerInnen der Zeit gehörten am Anfang ihrer Karriere zur Kutscher-Hörerschaft. Die Figur des Theaterprofessors erregte mein besonderes Interesse und ich fing damit an, Informationen über Kutschers theaterwissenschaftliche Bemühungen zu sammeln. Es stellte sich allerdings sofort heraus, dass so gut wie keine wissenschaftliche Literatur zu Artur Kutscher existierte und dass sein Nachlass noch fast unerforscht war. Aus den Berichten und Erinnerungen von Kutschers Studenten und Freunden gewann man den Eindruck, der Theaterprofessor sei nicht nur eine Legende in der Münchner Kulturwelt, sondern auch einer der Bahnbrecher der deutschen Theaterwissenschaft gewesen. In den Einführungen in die Wissenschaft des Theaters konnte man indessen nur ein paar Zeilen über Artur Kutscher lesen, entweder im Widerspiel mit der Berliner Schule Max Herrmanns oder in Einklang mit Carl Niessens Theorie, das Theater habe im Mimus seinen Ursprung. Das schien mir ein paradoxer Tatbestand zu sein. In München fand ich dann eine städtische Artur-Kutscher-Realschule, einen von Lothar Dietz geschaffenen Artur-Kutscher- Brunnen am gleichnamigen Platz im Herzen Schwabings und sogar eine Bronzebüste des Theaterprofessors im Büro des Direktors des Instituts für Theaterwissenschaft an der LMU. Wenn aber der Name Artur Kutscher gelegentlich vor den Studenten der Münchner Universität erwähnt wurde, merkte ich, dass der „Außerordentliche“ – wie die Kutscher-Schüler ihren Lehrer nannten – heute kaum bekannt ist. Solche offensichtlichen Widersprüche führten mich zur intensiven Beschäftigung sowohl mit der frühen Theaterwissenschaft als auch mit dem heutigen Stand der Disziplin. Ein wesentliches Bindeglied zwischen den Anfängen der Theaterwissenschaft in München und den Fragen, die in den letzten Jahrzehnten ins Zentrum der Debatte über die akademische Kunstforschung gerückt sind, identifizierte ich in der Praxisdimension. Die Theaterforschung geht für Kutscher immer mit der Generierung und Pflege eines nicht nur theoretischen sondern auch praktischen Wissens einher, und die Praxis selbst galt als Forschung. Alle Leistungen der Münchner Theaterwissenschaft lassen sich in den ersten Entwicklungsstufen I auf einen Nenner bringen: die Verflechtung zwischen Theorie bzw. Historiographie und Praxis, die Vermittlung zwischen Kunst(forschung) und Leben. Gerade diese Dimension wurde von den anderen Begründern der Disziplin zu Beginn des 20. Jahrhunderts kaum berücksichtigt, sodass die Untersuchung sowie die Entwicklung der Praxisdimension im theaterwissenschaftlichen Bereich als charakteristisches Zeichen der Arbeitsgruppe um Artur Kutscher aufgefasst werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen geht es in Teil I dieser Arbeit darum, zu zeigen, wie Artur Kutscher im Gegensatz zu seinen Kollegen eine wissenschaftliche praxisbasierte Forschung durchführte; darüber hinaus werden Bedeutung und Benutzung des ‚Praxis‘-Begriffs in der Theaterwissenschaft von den Anfängen bis heute erörtert. Die starre kategoriale Unterscheidung zwischen intellektuellem Wissen und praktischem Verstand wurde erkenntnistheoretisch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgegeben – insbesondere dank des Beitrags von Gilbert Ryle, Michael Polanyi und Pierre Bourdieu – und die Praxis wurde sowohl von der Diskursanalyse als auch von der Interdiskursanalyse in den Vordergrund gerückt. Im ersten Teil wird auch das methodologische Instrumentarium der Untersuchung dargestellt: Als Ansatzpunkt wird die Theorie der situierten Kognition angewandt, die dem Vorbild von Jean Lave und Etienne Wenger folgt und die den individuellen sowie gesellschaftlichen Lernprozess als eine kontextbezogene Transformation des Wissens versteht, welche persönliche Veränderungen mit der Entwicklung von Sozialstrukturen kombiniert. In Laves und Wengers Auffassung hängt das situierte Lernen von der auf verschiedene Weisen legitimierten Teilhabe an Communities of Practice ab1. Diese Teilnahme ist daher ein konstituierender Bestandteil für den Lerninhalt und für die Identitätskonstruktion im Verhältnis zu den Lerngemeinschaften. Um festzustellen, in welchem Ausmaß Artur Kutscher die Theaterwissenschaft als einen situierten Kontext des Lernens verstand, werden erstens die Grundkonzepte ‚Praxis‘ und ‚Gemeinschaft‘ untersucht; zweitens wird der Begriff ‚soziale Landschaft‘ und die Art und Weise, wie globale Partizipation und lokale Teilhabe aufeinander wirken, zum Gegenstand der Analyse gemacht. Am Ende dieses Teils richtet sich der Blick auf die Entwicklungsstufen einer CoP und auf die Verkoppelung zwischen Lehrtätigkeit und Performativität beim Theaterwissenschaftler Kutscher, denn beim Lernen handelt es sich um den Vollzug bestimmter Aufgaben, Formalitäten und Riten, also um den Zugang zu einer Performance. Teil II führt in die wichtigsten kulturellen Debatten, Reformversuche der Kunst und Künstlerkreise ein, die in der Prinzregentenzeit
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