NIKOLAS IMMER Mobilmachung der Musen. Ästhetische Oppositionen zwischen Friedrich Schiller und August Wilhelm Schlegel Im Jahr 1820 erscheint eine Satire, die mit dem Titel Der deutsche Parnass überschrieben ist und die angeblich der Poet Dichterecht Ehrendeutsch verfasst hat.1 Hinter diesem eigenwilligen Pseudonym verbirgt sich der schon zu Lebzei- ten vergessene Breslauer Lehrer Adolph Wilhelm Schneider,2 der in seiner Sati- re zahlreiche Dichterinnen und Dichter des 18. und frühen 19. Jahrhunderts auftreten lässt. In diesem Text bemühen sich Friedrich Schlegel und die ›Deut- schen Dichterwäldler‹, zu denen insbesondere Justinus Kerner, Friedrich de la Motte Fouqué und Ludwig Uhland zählen, den ›deutschen Parnass‹ zu erstei- gen.3 Nachdem Fouqué lauthals verkündet hat: »Nichts geht über die Roman- tik!«, skandieren die übrigen ›Dichterwäldler‹ ebenfalls: »Romantik! Roman- tik! / Nichts geht über die Romantik!«4 Als sie gegen Ende des Stücks am Par- nass ankommen, erwartet sie bereits Schiller, der darüber entscheidet, ob sie dort eingelassen werden oder nicht. Da er sie nicht erkennt, erklärt ihm Fried- rich Schlegel: »Ihr kennt uns längst, wir sind Romantiker; / Und weil man un- ten uns nicht für Dichter hält, / Verließen wir die arge Menschenwelt, / Und kamen, uns den Kranz zu holen, her.«5 Schiller seinerseits scheint unter Amne- sie zu leiden, da er daraufhin unbeholfen fragt: »Was ist denn das, Roman- tik?«6 Da Friedrich Schlegels knappe Antwort noch zu vage bleibt, setzt Fouqué erläuternd hinzu: »›Romantik ist nicht bloße Poesie; / Romantik ist poetische Poesie!!‹«7 Auch wenn diese Auskunft tautologisch anmuten mag, zitiert Fou- qué mit der Wendung »poetische Poesie« einen Begriff aus dem 100. Lyceums- Fragment, in dem der romantische »Gedanke der Steigerung und Potenzie- 30 rung« aufscheint.8 Schiller jedenfalls ist davon so begeistert, dass er sich von dem alten Parnass abwendet und die Romantiker sofort dabei unterstützen will, einen neuen Parnass für diese avantgardistische Poesie zu errichten.9 Auch wenn Schneiders Satire von der zeitgenössischen Literaturkritik weit- gehend negativ und von Heinrich Heine erwartungsgemäß spöttisch beurteilt wird,10 vermerkt der namentlich nicht bekannte Rezensent der Münchner all- gemeinen Literatur-Zeitung immerhin, dass ihm »Schiller’s Entscheidung über die Romantik […] am beßten gefallen« habe.11 Der Grund dürfte vor allem in der Abwegigkeit des Gedankenspiels liegen, dass sich Schiller jemals für die ästhetischen Ideen der Romantik hätte engagieren wollen. Positiv gewendet heißt das aber auch, dass bei Schneider zumindest die Vorstellung einer pro- duktiven Kooperation zwischen Schiller und den Romantikern aufscheint. Doch im Hinblick auf Friedrich Schlegel war das Verhältnis »von beharrlicher Abnei- gung auf Seiten Schillers geprägt«.12 Etwas günstiger sieht es dagegen bei Fried- richs älterem Bruder August Wilhelm Schlegel aus, dem Schiller phasenweise deutlich wohlwollender begegnet ist.13 Dass aber auch diese Beziehung nicht frei von Spannungen war und schließlich zu der titelgebenden ›Mobilmachung der Musen‹ führte, soll im Folgenden in drei Abschnitten dargelegt werden. I. Literaturkritisches Vorspiel oder: »kein Hund aus der Pfennigsschenke« Die Annäherung von Schiller und August Wilhelm Schlegel steht zunächst un- ter keinem guten Vorzeichen. Bereits in seiner vernichtenden Rezension der zweiten Ausgabe von Gottfried August Bürgers Gedichten (1789) kommt Schil- ler nicht nur auf dessen Sonette, sondern auch auf Bürgers »vortrefflichen Freund, Schlegel«, zu sprechen.14 Diese Charakterisierung, die von Schiller durchaus ironisch gemeint sein könnte, lässt sich direkt auf eine Formulierung Bürgers aus der Vorrede zu seinen Gedichten zurückführen.15 Dort heißt es: Soviel aber darf ich behaupten, daß mein junger vortrefflicher Freund, August Wil- helm Schlegel, dessen großem poetischen Talent, Geschmack und Kritik, mit man- nigfaltigen Kenntnissen verbunden, schon sehr frühe die gehörige Richtung gaben, […] ohne Anstoß Sonnette verfertigt hat, die das eigensinnigste Ohr des Kenners be- friedigen müssen.16 Zunächst erscheint es einigermaßen erstaunlich, dass Bürger einen noch unbe- kannten, erst 22jährigen Dichter ausgerechnet in der programmatischen Vor- rede zu seiner eigenen Lyriksammlung derart vollmundig lobt. Bürger selbst war zu dieser Zeit längst ein weithin bekannter Dichter – die erste Ausgabe 31 seiner Gedichte, die auch die populäre Ballade Lenore (1774) enthielt, war schon 1778 erschienen. Seit 1784 arbeitete er als Privatdozent an der Göttinger Universität, hielt Vorlesungen über Ästhetik, Stilistik, deutsche Sprache und Philosophie und wurde dort 1789 zum außerordentlichen Professor ernannt.17 Einer seiner Studenten war der junge August Wilhelm Schlegel, für den Bürger gleichsam die Verbindung der »Sphären der Akademie und der Dichtung« re- präsentierte.18 Aus dieser Begegnung entwickelt sich schon bald eine enge Freundschaft,19 wie etwa der älteste erhaltene Brief Schlegels an Bürger aus dem Herbst 1789 belegt: »Wenn Sie heute nichts beßres wissen, so kommen Sie doch gegen Abend zu mir und trinken Thee bey mir; Sie sind so lange nicht bey mir gewesen.«20 Ob Bürger dieser Aufforderung nachgekommen ist, lässt sich nicht mehr nachweisen. Dafür aber ist gewiss, dass Bürger 1789 die bereits genannte zweite Ausgabe seiner Gedichte veröffentlicht, die das zitierte Lob August Wilhelm Schlegels enthält – sowie dessen Sonett Das Lieblichste und auch Bürgers Widmungssonett An August Wilhelm Schlegel.21 Der darin als »[j]unger Aar« bezeichnete Adept revanchiert sich daraufhin mit einer loben- den Anzeige der Gedichte, mit einem eigenen Widmungssonett und mit der ausführlichen Besprechung Ueber Bürgers hohes Lied, die er im Frühjahr 1790 im Neuen Deutschen Museum publiziert.22 Diese Besprechung ist deshalb von besonderem Interesse, weil sie einen »Subtext für die in Schillers Rezension Über Bürgers Gedichte elaborierte Programmatik« darstellt.23 Diese ebenso berühmte wie berüchtigte Rezension, die nicht ganz zu Unrecht als ›klassischer Rufmord‹ bezeichnet worden ist,24 verfasst Schiller im Dezember 1790 und lässt sie einen Monat später anonym in der Allgemeinen Literatur-Zeitung drucken. Tatsächlich unterscheiden sich Schlegels und Schillers Einschätzung von Bürgers Lyrik insbesondere in einer zentralen Hinsicht: nämlich darin, wie stark der Dichter selbst Anteil am dargestellten Geschehen nehmen solle. Zu- nächst schreibt Schlegel mit Bezug auf Bürgers petrarkistisches Hochzeitslied Das hohe Lied von der Einzigen, dem er sich in seiner Rezension ausführlich widmet:25 »Bürger leistete als Mann, was er als Jüngling für Ruhm nicht hätte leisten können. Diesmal aber dichtete er nicht für Ruhm. Er wolte der Leiden- schaft, die sein Leben erfüllt hatte, ein Denkmal sezen. Da schuf er das hohe Lied.«26 Bürger habe folglich mit dem Hochzeitslied zum Ausdruck gebracht, »was sein Geist in den Augenblicken seiner vollsten überschwenglichsten Exis- tenz war«.27 Schiller seinerseits stellt knapp ein Jahr später in seiner Bürger- Rezension fest, dass sich über Das hohe Lied von der Einzigen bereits »[a]ndre Kunstrichter […] ausführlicher« geäußert hätten.28 Im Anschluss an diese indi- rekte Schlegel-Referenz verleiht er seiner Verwunderung Ausdruck, 32 wie es möglich war, zu übersehen, daß ersich die Begeisterung des Dichters nicht sel- ten in die Grenzen des Wahnsinns verliert, daß sein Feuer oft Furie wird, daß eben deswegen die Gemütsstimmung, mit der man dies Lied aus der Hand legt, durchaus nicht die wohltätige harmonische Stimmung ist, in welche wir uns von dem Dichter versetzt sehen wollen.29 Beachtenswert an dieser Aussage ist vor allem die normative Schlusswendung: »in welche wir uns von dem Dichter versetzt sehen wollen.« Schiller vertieft damit seine kurz zuvor ausgeführte Forderung, dass sich der Dichter »ja in Acht [nehmen solle], mitten im Schmerz den Schmerz zu besingen.«30 Viel- mehr möge er aus »der sanftern und fernenden Erinnerung […] dichten […]; aber ja niemals unter der gegenwärtigen Herrschaft des Affekts, den er uns schön versinnlichen soll.«31 Oder, um es noch einmal theoretisch abstrakt zu formulieren: »Das Idealschöne wird schlechterdings nur durch eine Freiheit des Geistes, durch eine Selbsttätigkeit möglich, welche die Übermacht der Lei- denschaft aufhebt.«32 Es zeigt sich, dass die ästhetische Opposition von Schle- gel und Schiller darin besteht, das Verhältnis des Künstlers zu seinem Kunst- werk vollkommen gegensätzlich zu bewerten: Während Schlegel die emotionale Nähe favorisiert, fordert Schiller die affektive Distanz. Angemerkt sei, dass schon Horaz diese Frage in seiner Ars Poetica aufgeworfen und ›im Sinne Schlegels‹ beantwortet hatte. Denn im Hinblick auf die Beziehung von Dichter und Leser heißt es dort: »Willst du, daß ich weine, so traure erst einmal selbst.«33 Nach Schillers harscher Rezension ist es allerdings erst einmal Bürger, der Trauer verspürt und daraufhin am 6. April 1791 eine Vorläufige Antikritik in der Allgemeinen Literatur-Zeitung veröffentlicht, auf die Schiller sogleich mit einer Verteidigung des Rezensenten reagiert.34 Schlegel, der den Fortgang der öffentlichen Auseinandersetzung aus der Ferne beobachtet, schreibt zwei Mo- nate später an Bürger: »Über Schillers Replik, die ich noch in Deutschland gelesen, habʼ ich mich nicht wenig geärgert. Sie ist in einem dummen Tone geschrieben. […] lieber Bürger, so laßt mich Euch offenherzig bekennen, daß ich es eigentlich Eurer Würde entgegen halte, nochmahls gradezu gegen Schil-
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