3,50 August 2002 Nr. 35 Essener Nahverkehr - gestern und heute Herausgegeben von der Verkehrshistorischen Arbeitsgemeinschaft EVAG e. V. Stadtbahnzug der Linie U17 auf der neugebauten Zweigertbrücke über den Rhein-Herne- Kanal und die Emscher. Mit der Inbetriebnahme der Stadtbahn-Nordstrecke ist das Essener U-Bahnnetz vorerst vollendet. In diesem Jahr wird die Essener U-Bahn 25 Jahre alt... 25 Jahre U-Stadtbahn Essen STERNFAHRT - Sonderausgabe Ein Blick in die Baugrube in der Huyssenallee. Im Vordergrund sind die Tunnel für die Weichenstraße, in der Mitte ist das Verzweigungsbauwerk sowie die Stadtgartenschleife und im Hintergrund die provisorische Rampe, die vom Bahnhof Saalbau in Richtung Norden führt, zu erkennen. (Aufnahme: Archiv EVAG) Liebe Leser! Am 29. Mai 1977 begann der U-Bahn-Betrieb in Essen, das „U-Bahn-Zeitalter“, je nach Wortwahl, die „Stadtbahn-Ära“ genannt oder war es doch die „U-Stadtbahn“? Oder ist die U-Bahn in der hiesigen Form nicht viel mehr als eine etwas größere (bessere?) Straßenbahn? Und: hatten wir sie nicht schon lange, die „schnellste U-Bahn der Welt“ nach Dieter Hildebrandt, 1967? Je nach Standort des Einzelnen in seinem politischen, unternehmensseitigen oder sonstigen Umfeld waren und sind die Äußerungen zur Stadtbahn höchst unter- schiedlich: anerkennend, gleichgültig, herabsetzend, ironisch... Was fehlt ist „rich- tig begeistert“. Aber gibt unsere Stadtbahn dazu Anlass? Vor 25 Jahren war da viel Euphorie, die der Alltag eingeholt hat. Alles war neu, sauber und frisch. Jetzt ist manches abgenutzt, verstaubt, heruntergefahren. Aber es wird auch dagegen angearbeitet. Baustellen sind in etlichen Bahnhöfen. „Was wird das da für ein Loch am Hauptbahnhof?“ - „Ein Aufzug!“ - „Gut, ey!“ Und jetzt, nach 25 Jahren, kann man erst sehen, was ein richtige Stadtbahn her- macht. Sehen Sie sich die neue U17 an, die große Süd-Nord-Linie von der Margare- thenhöhe durch Holsterhausen, die Innenstadt nach Altenessen, Karnap und Gel- senkirchen-Horst, mit ihren neuen Haltestellen, den „neuen“ Docklandswagen - das ist das „Highlight“ unseres Stadtverkehrssystems, unser „Flaggschiff“ sozusagen. Eine Stadtbahn im echten Sinne entsteht eben nicht, wenn man ein paar Tunnel- stücke im Kern baut, sie hat ebenso hochwertige Haltestellen und Strecken Dr. Wilhelm Kern im Jahre 1941 (Aufnahme: Archiv EVAG) STERNFAHRT Nr. 35 3 Prof. Erich Thiemer (Aufnahme: Archiv EVAG) draußen oberirdisch. Hieran hat es bisher in Essen gefehlt. Wünschen wir uns ver- gleichbares für andere Stadtteile. Vielleicht für Katernberg. Es muss ja auch nicht immer auf „Hochflur“ sein, in „Niederflur“ geht es genau so gut. Nur man muss es machen. Wir zeichnen im vorliegenden Themenheft die Entwicklung zur Stadtbahn Essen im Einzelnen nach, so weit es im begrenzten Rahmen möglich ist. Die Entwicklung ist spannend, nicht nur geradlinig. Versucht man einmal, die Entwicklung an han- delnden Personen festzumachen, so sind zwei Namen aus dem Hause SEG/EVAG bedeutsam: Zunächst Dr. Wilhelm Kern, Vorstand der SEG, zeitweise auch der BOGESTRA und des RWE sowie Geschäftsführer der „Studiengesellschaft Rheinisch-Westfälische Schnellbahn“; er arbeitete im Erzhof von 1926 bis 1942, als er hochgeschätzt mit 71 Jahren in Pension ging. Die „Wilhelm-Kern-Stiftung“ trägt seinen Namen. Und Professor Erich Thiemer, Technischer Vorstand der EVAG von 1957 bis 1974, neben vielem anderen Geschäftsführer der „Planungsgesellschaft Ruhr mbH“, in der die Planungsgrundlagen für U-Straßenbahnen maßgeblich ausgearbeitet wur- den und aus der dann zum guten Teil das technische Personal der Stadtbahn-Ge- sellschaft Rhein-Ruhr hervorging. Er war der streitbare Vorkämpfer für die kommunalen Verkehrsunternehmen in der turbulentesten Phase der Systemdis- kussion. Er holte die Versuchs- und Modellstrecke nach Essen und Mülheim; ohne ihn hätten wir keine Hauptwerkstatt in der Schweriner Straße. Vor wenigen Wochen wurde er 93: Glückauf! Hans Ahlbrecht 4 STERNFAHRT Nr. 35 25 Jahre U - Stadtbahn in Essen und Mülheim an der Ruhr - von Hans AHLBRECHT - Der 29. Mai 1977 war ein großer Tag in Essen: „ Die U-Bahn fährt - fahrt mit“, die Linie U 18 nahm ihren Dienst zwischen Essen, Wiener Platz (heute Hirschlandplatz) und Mülheim, Heißen-Kirche auf, und gleich- zeitig verschwanden in Essen alle Straßenbahnlinien im Innenstadtbe- reich (zwischen den Tunnelrampen Huyssenallee/Glückaufhaus, Aalto Theater/ Stadtgarten, Varnhorststraße/ Steeler Straße und Schützen- bahn) unter der Erde. Sieht man mal von der Friedrich-Ebert-Straße vom Viehofer Platz bis zum Limbecker Platz ab, war die Essener Innen- stadt „schienenfrei“, ein großes lokalpolitisches Ziel der siebziger Jahre war erfüllt. ie Linie U 18 war die erste „Stadt- Vision „Rheinisch - Westfälische bahnlinie“ im Ruhrgebiet, wobei Schnellbahn“ - der Metrorapid der Dhier der Begriff „Stadtbahn“ an- zwanziger Jahre ders definiert wurde als international üblich (siehe hierzu unser „Glossar“). Offenbar waren die Menschen damals wie heute mit der Qualität und Leistung Vision „Stadtbahn Rhein-Ruhr“ ihres jeweilig verfügbaren Verkehrssy- stems unzufrieden, empfanden es als Aber die Linie U 18 war auch der erste unzureichend, überlastet, zu langsam, sichtbare, Wirklichkeit gewordene Teil zu schmutzig, überholt.... der großen Vision „Stadtbahn Rhein - Ruhr“, die zusammen mit dem ebenfalls im Aufbau befindlichen S-Bahn-Netz ein zusammenhängendes Schnellbahn- system bilden sollte, das die Mobilität der Bürger an Rhein und Ruhr auch ohne Auto und Autostau gewährleisten sollte. Vision „Metrorapid“ Heute überzieht uns nun bereits eine neue Vision: der „Metrorapid“. Warum ist das so? Wozu und warum braucht man solche Visionen? Gab es vielleicht auch früher schon etwas Ähnliches? Die Antwort lautet: ja, es gibt in der Ver- kehrsgeschichte unserer Region solche Geplantes Liniennetz des Metrorapid Visionen bereits seit 100 Jahren! (Quelle: www.metrorapid.de, 2002 ) STERNFAHRT Nr. 35 5 Alle diese Fragen werden ja auch heute meister Holle. Ein neuartiger techni- wieder - oder immer noch gestellt, ob- scher Aspekt bestand darin, dass diese wohl wir neben Autos auf Straßen und Bahn völlig straßenfrei konzipiert wur- Autobahnen doch auch elektrische Ei- de, mit Hochbahn- oder Tunnelab- senbahnen mit S-Bahnen, Regionalex- schnitten in den Kernbereichen der pressen, Intercityzügen und ICE haben. Städte. Allerdings untersagte der preu- Wie sah es vor hundert Jahren aus? Na- ßische Minister für öffentliche Arbeiten türlich gab es an Rhein und Ruhr Stra- als oberste Aufsichts- und Genehmi- ßen, auf denen im Stadtbereich gungsbehörde diese Planungen bereits elektrische Straßenbahnen fuhren - ein 1911 wieder, da er in der geplanten Technologiesprung gegenüber Pferde- Schnellbahn eine unliebsame Konkur- fuhrwerken! Aber für den Verkehr zwi- renz für die Eisenbahn (die preußische schen den großen Städten gab es nur die Staatsbahn) sah, sicher nicht zu Un- dampfbetriebenen Eisenbahnen, deren recht. Der Minister regte statt dessen Strecken vielfach vorwiegend dem Gü- Verbesserungen im Eisenbahnverkehr terverkehr dienten. Der Personenver- an. kehr im „Bezirksverkehr“, wie es damals hieß, heute sagen wir „Regional- Nicht weiter verwunderlich, dass die verkehr“, war ein Stiefkind. Jahre 1914 bis 1918 mit dem 1. Weltkrieg und seinen Folgen alle weiteren Planun- So hielten die Planer Umschau nach bes- gen unterbrachen. Aber die Idee lebte seren Lösungen. Sie stießen auf einige weiter, verstärkt dadurch, dass die interessante, frühzeitige Lösungen elek- Staatsbahnen nach dem Kriegsende ge- trischer Städte-Schnellbahnen, sozusa- schwächt waren - sie mussten Reparatio- gen Prototypen neuartiger Systeme: nen an die Siegerstaaten leisten - und an besserem Bezirksverkehr kein Interes ê die erste elektrische Überland - Schnell- - bahn Düsseldorf - Krefeld, 1898 eröffnet; se hatten. heute die Stadtbahnlinie U 76 ê die erste elektrische Stadtschnellbahn Deutschlands, Vohwinkel - Elberfeld - Barmen, 1901 eröffnet, die heutige Wup- pertaler Schwebebahn ê die Überland- und Städtebahn als Haupt- bahn von Köln nach Bonn, die 1906 eröff- nete Rheinuferbahn, heute die Stadtbahnlinie 16 Daraus ergaben sich im Ruhrgebiet er- ste gleichartige Planungen in den Jah- ren 1906 bis 1909 durch die Industrie und den Verkehrswissenschaftler Prof. Blum von der Technischen Hochschule Hannover für eine Linie Köln - Düssel- dorf, sozusagen als nördliche Verlänge- rung der Rheinuferbahn. Diese Entwürfe, erweitert um die Strecke Düs- seldorf - Dortmund wurden 1909 durch die „kommunale Vereinigung“, eine Ar- beitsgemeinschaft der Städte Düssel- dorf, Duisburg, Mülheim, Essen, Bochum, Dortmund aufgegriffen. Vor- sitzender war der Essener Oberbürger- 6 STERNFAHRT Nr. 35 So wurden die Städte wieder aktiv. Die ê Dinslaken, Essen - Gladbeck und Essen- alte „ Kommunale Vereinigung“ wuchs Oberhausen um die Städte Köln und Moers, außer- ê unabhängiger Bahnkörper, Schnell- dem traten der Siedlungsverband Ruhr- bahnbetrieb, dichte Zugfolge, keine Gü- kohlenbezirk (SVR, seit 1920 zuständig terzüge für Straßenbahngenehmigungen) und ê Höchstgeschwindigkeit 130 km/h, Ne- das Rheinisch - Westfälische Elektrizi- benlinien 100 km/h tätswerk (RWE) bei. ê Innenstädtische Bahnhöfe in Tunnellage Sie gründeten 1923 die „Studiengesell- ê Fahrleitungsspannung 1500 Volt schaft Rheinisch-Westfälische Schnell- ê bahn mbH“ mit Sitz in Essen, Erzhof. Zugeinheit Doppeltriebwagen, Motorlei- stung 1000 kW Den Vorsitz übernahm ab 1924 der Ess- ener Oberbürgermeister Bracht; Ge- ê Hauptlinie Köln - Dortmund 113 km, schäftsführer wurde Dr. Wilhelm Kern,
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