Kreuz oder Giebel Charles du Rys Kirchtunnprojekt in Haina (1739-1743) Arnd Friedrich Im Vergleich zu anderen bedeutenden Bauwerken ist die ehemalige Zister­ zienserkirche in Haina recht wenig erforscht. Wir sind nur unzureichend liber deren Entstehung im Mittelalter, kaum besser liber die Neuzeit unterrichtet. Fehlen uns fUr die Friihzeit weitgehend die Quellen, so sind sie fUr die Hospi­ talzeit seit dem 16. Jahrhundert zwar vorhanden, bislang ab er noch wenig erschlossen. Die folgenden AusfUhrungen mogen einen k1einen Schritt weiterftihren. Da es hier aber weniger um eine Bauwerksbeschreibung als viel­ mehr um die wechselseitige Durchdringung von technischen und rechtlichen Fragen geht, erscheinen mir einleitende Bemerkungen notwendig. Die Kennt­ nis der Geschichte der Hohen Hospitiiler in Hessen von der Reformation bis ins 19. Jahrhundert kann noch nicht allgemein vorausgesetzt werden', sie ist aber fUr das Verstiindnis einer baugeschichtlichen Frage wie des Turmbaus der Klosterkirche in Haina im 18. Jahrhundert unerliiBlich. I Die Homberger Kirchenordnung von 1526' sollte der Reformation in Hes­ sen eine rechtliche Grundlage verleihen. Ihre Beschliisse wurden allerdings nicht verwirklicht, da Luther sie als einen Haufen Gesetze abtat. In ihrem letzten Kapitel 34, De c1austris et monachis, war bereits eine Aufhebung der Kloster und Stifter in Betracht gezogen worden, denn nach der neuen reform a­ torischen Lehre war der Mensch gerecht vor Gott "ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben" (Romer 3, 28), ohne eigenes Dazutun. Am Monch­ tum dagegen kritisierte man die Gefahr der Selbsterlosung durch Werkgerech­ tigkeit. Nach evangelischem Verstiindnis waren die Monchsgellibde gegen­ standslos. Die Konsequenz hieB Auflosung der Kloster. Trotz der Ablehnung der Homberger Ordnung im allgemeinen folgte man ihr aber hinsichtlich der AbschafTung der Kloster. Bereits im darauf folge nden Jahr 1527 ordnete Landgraf Philipp der GroB­ mlitige die Aufhebung der Kloster innerhalb der Landgrafschaft an. Die Monche und Noonen sollten abgefunden, die geistlicben Besitztiimer ge­ meinnlitzigen piidagogischen oder caritativen Zwecken zugefUhrt werden'­ Ganz besonders lag Landgraf Philipp nach seinem Obertritt zum evangeli­ schen Glauben an der Griindung einer Universitiit'. Die in der Homberger Ordnung vorgesehene Universitiit in Marburg' ofTnete bereits am 30. Mai 1527 der studierwilligen Jugend ihre Pforten. Nicht minder bedeutsam war nur sechs Jahre spiiter, 1533, die Stiftung von vier Landeshospitiilern in Haina, Merxhausen, Hofheim und Gronau' und deren Fundierung mit geistlichem Besitz. Die Bedeutung dieser moglicherweise iiltesten staatlichen Flir- 169 • - sorgeeinrichtungen 7 kann kaum hoch genug eingeschatzt werden. AIs psych­ iatrische Krankenhauser des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen bestehen drei von ihnen noch in der Gegenwart'. Mit dieser Ma3nahme des souveranen Territorialherren der Reformalions­ zeit war das Schicksal der bedeutenden oberhessischen Zisterzienserabtei Haina besiegelt' . In ihren Mauem entstand ein Hospital fUr zunachst lOO arme und kranke Manner aus der Landbevolkerung 10. Stadtarme, die seit dem Mit­ telalter schon besser versorgt waren, nahm man nur in AusnahmefaUen auf'l Damit wurde die 1215 im romanischen Slil begonnene, bald aber gotisch fortgesetzte und erst in der Mitte des 14. Jahrhunderts voUendete K1oster­ kirche in Haina zur Hospitalkirche i2. AnsteUe der Monche bewohnten jetzt Hospitaliten die Konventsbauten. Im Kircheninnern, wo sich einst die Grab­ lege der Stifterfamilie, der Grafen von Ziegenhain, befand, wurden die Ober­ vorsteher der Hohen Hospitaler beigesetzt 13 . Von entscheidender Bedeutung fUr die weitere Existenz der vier Hospitaler war die Teilung Hessens nach dem Tode Landgraf Philipps des Gr03miiligen 1567 unter seine vier legitimen Sohne i ' . Trotz der Teilung soU ten nach dem testamentarischen WiUen des Vaters bestimmte zentrale Einrichtungen der Landgrafschaft von aUen Briidern gemeinsam verwaltet werden. Dazu gehtir­ ten ne ben der Universitat Marburg als hessischer Landesuniversitat die Hohen Hospitaler i '. Von den vier Teilterritorien blieben nach dem Tode Landgraf Ludwigs IV. von Marburg 1604 nur noch das lutherische Hessen­ Darmstadt und das mehrdem Calvinismus zuneigende Hessen-Kassel iibrig i'. Diesen beiden Herrschaften oblag in der Zukunft die gemeinsame Verwaltung der Hohen Hospitaler. Das Verhaltnis der beiden in unterschiedlichen konfes­ sioneUen Lagern stehenden Fiirstenhauser war keineswegs immer frei von Spannungen. Das gaIt besonders fUr die Zeit des paraUel zum Drei3igjahrigen Krieg wiitenden hessischen Bruderkrieges n Anders als die gesamthessische Universitat Marburg, deren Einheit nach der Auswanderung der lutherischen Professoren 1607 ins benachbarte darrnstadtische Gie3en schon recht bald zerbrach, bestand die gemeinschaftIiche Verwaltung beider hessischer Fiir­ stenhauser hinsichtlich der Hohen Hospitiiler ungebrochen weiter bis ins 19. Jahrhundert. Ein Vertrag zwischen der Landgriifin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel und Landgraf Georg H. von Hessen-Darmstadt vom 6. August 1650 regelte nach dem Drei3igjahrigen Krieg die gemeinsame Verwaltung fUr die nachsten eineinhalb Jahrhunderte in mustergiiltiger Weise. Neben der Besetzung der wichtigsten BeamtensteUen gaIt das Hauptinteresse der Verein­ barung vor aUem der DurchfUhrung der auf den I. Mai eines jeden Jahres in Haina festgesetzten Samtvisitation und Rechnungsabhorung der Hospitaler i '. Wie aUe iibrigen Hospitalangelegenheiten unterstand auch die bauliche Unterhaltung der K10stergebiiude in Haina - und damit selbstverstandlich auch die Kirche - der Zustandigkeit beider Landgrafen. Tiefgreifende Ver­ anderungen waren nur moglich, wenn sie die Zustimmung von Hessen-Kassel und Hessen-Darrnstadt gleicherrna3en fanden. Wegen der gegensatzlichen politischen Interessen lie3 sich ein Kompromi3 nicht immer leicht finden. Dank der Samtverwaltung waren Unkorrektheiten in der Verwaltung aUer­ dings nahezu ausgeschlossen, denn der eine Vertragspartner kontrollierte den anderen stets aufs genaueste. Oberstes Gebot war, da3 die gesamte WirtschaftsfUhrung der Hospitaler dem Wohl der Armen dienen soUte i ' . 170 Verschwendung von Hospitalgut und ·geld 109 unnachsichtige Bestrafung nach sich. Wegen der Samtverwaltung lieB si ch eine gewisse Schwerfalligkeit in bUro· kratischen Dingen nicht verkennen. Mutige Veriinderungen und Neuerungen waren nur mUhevoll durchzusetzen. Das gaIt natUrlich auch in Baufragen. Von daher erkliirt es sich wohl auch, daB erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, gleichzeitig mit einem wachsenden GeschichtsbewuBtsein, eine durchgrei· fende Restaurierung der ziemlich heruntergekommenen Klostergebiiude moglich war20. Zu jener Zeit war die Samtverwaltung bereits aufgegeben; Haina unterstand nur noch der Herrschaft von Kassel. Sicherlich wiire die bis heute gerUhmte stilistische Reinheit der gotischen Hallenkirche 21 nicht erhal· ten geblieben, wiire nicht bei jeder noch so geringfligigen BaumaBnahme jedesmal die Ubereinstimmung zweier unterschiedlich denkenderTerritorial· herren erforderlich gewesen. In die Samthospitalzeit fallt das hier zu erortemde Kirchturmprojekt der Jahre 1739-1743. Heute weiB keiner mehr etwas davon. Die Zeit ist dariiber hinweggegangen, obwohl gerade hi er beispielhaft die gegensiitzlichen, hem· menden Tendenzen der Samtverwaltung deutlich werden. Zum anderen ist die Geschichte der Hohen Hospitiiler im 17. und 18. Jahrhundert noch nahezu unbekannt"- Nicht nur wegen der Verflechtung von Bauwesen und Samtver· waltung ist das IGrcbturrnprojekt interessant. Besonderen Rang gewinnt es nicht zuletzt deswegen, weil es aufs engste mit dem Namen des viel zu wenig gewUrdigten hugenottischen Baumeisters Charles du Ry aus Kassel verbun· den ist ". II A1s der 1188 von A1tenberg entsandte Griindungskonvent 1215 mit dem Bau der KlosteranIage in Haina begann, besaB der Zisterzienserorden bereits eine mehr als einhundertjiihrige Bautradition. Das jiihrlich in Citeaux tagende Generalkapitel hatte immer wieder Baubestimmungen erlassen. Sie waren flir den gesamten Orden verbindlicb. Dennocb wich man, als die Kloster reicher wurden und die Zahl der Konventualen stieg, allenthalben von der anfangs gebotenen Schlichtheit der Bauten ab. Haina ist eine verhiiltnismiiBig spiite Zisterze. Darum mutet der bemhardi· nische Ostbau, d. h. der quadratische Chor im GrundmaB der Vierung mit je drei flankierenden Kapellen, sechs Jahrzehnte nach dem Tode des groBen Abtes von Clairvaux recht archaisch an". Bemhard sah in dieser Art der Ostlo­ sung einer Klosterkirche die iiuBerste architektonische Schlichtheit. Denn nichts durfte den Zisterzienserrnonch von seiner eigentlichen Aufgabe, dem Chordienst, ablenken. Jeglicher Schmuck, jegliche Farbe war verboten. Die Kircben sollten allein Oratoria, Betraume, und keine ecc/esiae, Kirchen, sein. Ebensowenig waren bei den Zisterziensem miichtige TUrrne als Zeichen welt· licher Herrschaft geduldet. Erlaubt war lediglich ein k1einer Dachreiter Uber der Vierung, der dem Geliiut diente. Es ist anzunehmen, daB die Bestimmung des Generalkapitels von 1157 (Kap. 16) auch noch im 13. Jahrhundert in Haina GUltigkeit besaB: Turres lapideae ad campanas nonfiant - Steineme Glocken· tUrme sollen nicht gebaut werden! " FUr Haina ist zwar bekannt, daB die noch heute existierende sog. "Hasenglocke"" flir den ersten Dachreiter der Abtei· kirche bestimmt war; wie der Turrn iiber der Vierung jedoch einmal ausge· 171 • sehen hat, ist unbekannt. Aus der Frtihzeit besitzen
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