Karl Amadeus Hartmann Bela Bart6k Zehetmair Quartett ECM NEW SERIES Karl Amadeus Hartmann Streichquartett Nr. 1 Bela Bart6k Streichquartett Nr. 4 Thomas Zehetmair. Violine Ulf Schneider. Violine Ruth Killius. Viola Franc;:oise Groben. Violoncello Herausforderung Streichquartett - Quartett-Besetzung, seit der Renaissance als Bart6k und Hartmann Vierzahl der menschlichen Srimmregisrer von Hermann Conen auch Inbegriffsarzrechnischer Vollkommen­ heit, füreine mikrosoziale Sphäre, in der Men­ Zwischen den beiden Kompositionen,die die schen lernen können, wie sich Zusammenle­ vorliegende Einspielung zusammenführt, lie­ ben harmonisch gestalten ließe. So ist im bes­ Karl Amadeus Hartmann 11905 -1963) gen kaum fünfJahre, und die zeitliche Nähe ten Fall - dem seltenen der Meisterwerke - ist nur das äußere Indiz fürihre innermusika­ der Srreicherklang nichts Geringeres als der Streichquartett Nr. 1 - Carillon lische, mehr noch: ihre ästhetisch-ethische sprachlose Vorschein einer humanen Vision. 1 langsam - Sehr lebhaft 8· 18 Verwandtschaft.Dennoch trennt die Autoren Und für beide, Barc6k wie Hartmann, war es und ihre Werke so erwas wie ein unsichtbarer die menschliche Gebärde im sozialen Kon­ 2 Con sordino 7 01 Wechsel der historischen Vorzeichen: Bela text, die den Ausgangspunkt ihrer Musik­ 3 Con tutta forza 5.45 Bart6ks 4. Srreichquarterr von 1928 isr noch sprachen bildete. in den Nachwehen des Ersten Weltkriegs ge­ Aber noch ein Moment musste hinzukom­ schrieben worden, Karl Amadeus Hartmanns men, um aus dem gefälligen Unterhaltungs­ 1. Srreichquarterr (1933) schon in der Vor­ genre des 18. Jahrhunderts, dem Screicher­ kriegszeit des Zweiten. Im ungeheuren Sog Diverrimento, dieses moderne Screichquar­ dieser Ausnahmezeit, »in der der Frieden den Bela Bart6k 11885-1945) terr zu machen, das dann, zusammen mir Krieg nachäffte«, haben beide Komponisten Klaviersonate und Sinfonie,zur Referenzgat­ Streichquartett Nr. 4 bewusst die Referenzgattung Streichquartett tung der Kunstmusik im Ganzen aufsteigen gewählt, um sich mitzureilen. konnte: der Appell an die Profession, die Her­ 4 Allegro 5 43 Die Wahl der Garrung gibt hier tatsächlich ausforderung des Handwerks. Die Kenner 5 Prestissimo, con sordino 2: 49 die erste Orientierung für das Hören. Wer und Liebhaber erinnern sich: Schon das 6 Non troppo lento 5 20 den besonderen Status des Srreichq uarterrs Gründungsdokument der Gattung, die sechs 7 Allegretto pizzicato 2: 41 im großen Kreis der Kunstmusikgattungen Russischen Quartette (op. 33, 1781) von Joseph 8 Allegro molto 5: 12 verstehen will, stössr bald auf ein ganzes Haydn, verdankt sich der Provokation durch Bündel von Anthropomorphien,auf tiefeVer­ die norddeutsche Kritik, die süddeutschen wandtschaftsbeziehungen zwischen Mensch Komponisten schrieben »rändelnde« und also und Instrument. Hörbar sind sie schon auf »schlechte« Musik. Von Haydns nach langer der Ebene des bloßen Klangs: Wie die ge­ Vorbereitungszeit veröffentlichter Anrwort, spannten Stimmbänder beim Singen schwin­ in der die »neue, ganz besondere Art« der gen die Saiten, dem Modulationsreichrum Kompositionsweise in der Ausweitung der der menschlichen Stimme kommt die enor­ thematischen Arbeit auf den ganzen Satz und me Artikulationsfähigkeit des gestrichenen im Dialogisieren von vier im Prinzip gleich Tones so nah wie kein anderer. Aber mehr berechtigten Stimmen bestand, ließ sich wie­ noch als das steht die klanglich homogene derum Mozart zu seinen sechs, dem »caro amico Haydn« gewidmeten Quartetten von reißen drohte, auf neue Weise zu knüpfen - samtplan des Werkes beschrieben: »Der lang­ delt sich unablässig, wird umgekehrt, fortge­ 1785 herausfordern. und das hieß: aus härterem Material und same Sar2 bildet den Kern des Werkes, die sponnen, mir neuen »Köpfen« versehen, wird übrigen schichten sich um diesen. Und zwar durch Fugati, kanonische Führungen, Imita­ Ein bis heute nicht abgerissenes Band von dadurch widerstandsfähiger. ist der IV. Satz eine freie Variation des 11., die tionen und Engführungenvervielfältigt.Aber inspirierenden Provokationen war geknüpft. Weder Bart6k noch Hartmann folgten dem beiden Sätze I und V wiederum haben glei­ es bekommt auch frische Luft zum Atmen: Doch vollendeten sich die olympischen Zei­ Weg in die hohen Sphären der Konstruktion, ches thematisches Material, das heißt: um Aus der Projektion des Motivs auf größere ten des Quartetts schon mir dem Dritten im dem Weg in die Abschaffung der Tonalität den Kern bilden die Sätze I, V die äußere, II, lntervallräume und neue Rhythmen gehen Bunde des Wiener Dreigestirns. Die Zeitge­ durch die Zwölftonmethode,den die Neue IV die innere Schichte. « In dieser spiegelsym­ alle thematischen Gestalren in diesem Satz nossen Beethovens jedenfalls haben die ful­ Wiener Schule so emphatisch beschritt. Den­ merrischen, in sich zurücklaufendenAnlage, h,ervor - eine ganz neue Weise,musikalisch minante Weiterentwicklung und Professio­ noch war es ein Quartett aus dieser Schule, die Bart6k selbst »Brückenform« nannte, um­ Ahnliches zu komponieren, nimmt hier ihren nalisierung vor allem in seinen späten Quar­ das ihnen den Anstoß gab: Das neue Refe­ geben also vier schnelle Sätze den Kern, das Anfang. Die Idee fixe des Satzes taucht an tetten (für die Bart6k und Hartmann eine renzwerk war die 1926 geschriebene und im zentrale Adagio. allen Wendepunkten der Form auf und do­ l_ebenslange Verehrung empfanden) mehr als Januar 1927 in Wien uraufgeführte Lyrische miniert dann endgültig in der Coda. Bis Uber- denn als Herausforderung verstanden, Suite von Alban Berg. Ihre in der Zwölfton­ VollerIntensität springt die Musik in das er­ so dass sich die Nachfolger nur mehr zu ver­ technik gebannte Tonsprache trieb die Exrre­ öffnende Allegro, und schon nach wenigen zum letzten Ton des Satzes wartet Bart6k mit einzelten Beiträgen im Stande sahen, ein me von Zartheit und illusionsloser Härte auf Takten wird klar, worum es gehen wird: um der Pointe: Bei der mit Wucht (pesante) zu Rückzug,der sich auch in einer Rückkehr zur eine bis dato nicht gekannte Spitze. Schön­ das Halbtonintervall als die alles durchdrin­ spielenden Schlussgeste falltdie chromatisch­ alten Intimität der Gattung, zum Bekenntnis berg reagierte noch 1927 mir seinem hoch­ gende materiale Basis - und die kompromiss­ komprimierte Gestalt um den einen entschei­ im kleinen Kreis niederschlug. konsrrukriven 3. Quartett. lose Linearität und Polyphonie, um sie zu ent­ denden Halbron weiter nach unten,sie wird falten. Am Ende des dritten Gestaltzuges in eine tonale, diatonische Gestalt verwan­ Es brauchte die Herausforderung durch das Bela Bart6k (1881 - 1945) hörte die Suite von raucht im Cello, wie nebenbei formuliert, delt (d-es-f-es-des-c). Leben selbst, durch eine Zeit, in der das kriti­ Berg während eines Konzerts im Juli 1927 in ein kurzes Motiv von sechs Tönen auf, das sche Potential so beispiellos traumatisch über­ Baden-Baden, auf dem er selbst seine (ein­ Mit Dämpfernzu spielen,so schnell wie mög­ schroffchromatisch auf- und niederfahrt (h­ hitzt war, damit wieder eine neue Kette von zige) Klaviersonate von 1926 spielte. Auf lich (prestissimo) und über weite Strecken c-des-c-h-b). In der unscheinbaren, auf den Inspirationen angesrossen und die Gattung den tiefen Eindruck, den sie auf ihn machte, im Pianissimo rast der zweite Satz dahin, ein engstmöglichen Tonraum beschränkten For­ aus ihrer Verinnerlichung herausgeführt wer­ hat er - der seit seinem 2. Quartett von 1917 virtuoser Spuk am Tempolimit.Wie manche mel steckt keimhaft der ganze Reichtum an den konnte. Die 192oer Jahre waren die keines mehr geschrieben hatte - gleich zwei­ Bildhauer dem Faltenwurf des Gewandes thematischen Gestalten, die den deutlich an Variete-Bühne,auf der Dadaisten, Futuristen, mal geantwortet. Nicht einmal zwei Monate und nicht dem Kopf einer Skulptur die größ­ der Sonatenform orientierten Satz auszeich­ Surrealisten - und wer auch immer sich dazu nach der Baden-Badener Aufführung war te Aufmerksamkeit zu schenken wussten, net. Der Enge des Motivs entspricht die Enge gezwungen oder berufen fühlte - für ihre das quasi einsärzige 3. Streichquartett fertig. macht Bart6k den scheinbar indifferenten der Harmonik, harsch klingen die bisweilen verwirrten Zeitgenossen die Barbarenrolle Doch der Impuls ging weiter. Schon im Sep­ Hintergrund, ein hoch artifizielles Wellen­ zu Clustern zusammengepressten Akkorde. gaben - wohl, um den ätzenden Zynismus tember 1928 schickte Bart6k das 4. Streich­ spiel von chromatischen Linien und Figuren, der Zeit durch Uberbietung erträglicher zu quartett hinterher,das zusammen mit seinem Bart6ks Genie zeigt sich darin, den Mikro­ zur Hauptsache. Vereinzelte, chromatisch en­ machen. Angesichts der Inflationvon Prokla­ Vorgänger am 20. März 1929 in Budapest kosmos dieser sechs Töne mit den ganz alten ge Motive tauchen daraus schemenhaft auf, mationen, die das »Ende der Kunst« feierten, durch das Waldbauer Quartett uraufgeführt (des Kontrapunkts) und mit neuen, zukunft­ verschwinden aber mit himmelhoch gezoge­ fanden sich wie auf stille Vereinbarung we­ wurde. weisenden Mitteln zu entfalten und beides nen Glissandi so schnell, wie sie gekommen sentliche Komponisten zusammen, um den In der knappen Sprache eines Handwerkers mit seinem unvergleichlich entwickelten sind: Musik, die unablässig auf der Suche Traditionsfaden der Kunstmusik, der abzu- hat Bart6k im Vorwort zur Partitur den Ge- Rhythmus zu verbinden. Das Motiv verwan- nach sich selbst ist - und sich nicht findet. Am Schluss wischt sie sich selbst aus, sie ver­ zo, das Bart6k auch mit anderen
Details
-
File Typepdf
-
Upload Time-
-
Content LanguagesEnglish
-
Upload UserAnonymous/Not logged-in
-
File Pages16 Page
-
File Size-