Abschied Von Karl-Heinz Müller-Köllges, 18. X. 1943-8. IV

Abschied Von Karl-Heinz Müller-Köllges, 18. X. 1943-8. IV

Atalanta 45 (1-4): 205-208, Marktleuthen (Sept. 2014), ISSN 0171-0079 Abschied von KARL-HEINZ MÜLLER-KÖLLGES, 18.X.1943-8.IV.2014 KARL-HEINZ MÜLLER-KÖLLGES im Lebensraum von Chazara briseis bei Freyburg an der Unstrut im September 1999. Foto: JOCHEN KÖHLER. Am 8. April 2014 verstarb KARL-HEINZ MÜLLER-KÖLLGES. Er starb im 71. Lebensjahr im Wohnhaus der Familie in Großwitzeetze im Landkreis Lüchow-Dannenberg in Folge einer schweren neurologischen Erkrankung, die ihn die letzten10 Jahre seines Lebens an den Rollstuhl gefesselt hat. Im Ruheforst-Elbtalaue in Gartow wurde er beigesetzt. Mag sein Tod auch eine Erlösung von seinen Leiden bedeuten, so hinterläßt er doch eine nicht zu schließende Lücke. Mit seiner Ehefrau HILDEGARD und seiner Tochter SABINE trauern alle Bekannten und Freunde, die seine natürli- che Art und seine vielseitigen Begabungen wertschätzten, unter ihnen auch der Autor dieses Nachrufs, dessen bester Freund er war. KARL-HEINZ MÜLLER wurde am 18. Oktober 1943 in Braunschweig geboren. Hier wuchs er als mittlerer von drei Brü- dern auf, besuchte das Gymnasium und absolvierte eine Tischlerlehre. Holz war und blieb immer ein faszinierender Werkstoff für ihn. 1965 verließ KARL-HEINZ seine Heimatstadt Braunschweig und immatrikulierte am Holztechnikum im bayrischen Rosenheim, das er nach einem dreijährigen Studium als Ingenieur verließ. Nach seiner ersten Anstellung 1968 in einer Möbelfabrik im oberfränkischen Rehau, folgten während seines Arbeitslebens weitere Stationen in rascher Folge. KARL-HEINZ sagte offen seine Meinung und war kein Mann fauler Kompromisse. Sagten ihm die Verhältnisse am Ar- beitsplatz oder im Bereich seines Wohnortes nicht zu, so entschied er sich ohne langes Zögern für einen Wechsel. Das änderte sich erst, als KARL-HEINZ im Mai 1971 seine „HILLA“ (HILDEGARD) KÖLLGES aus dem Rheinland heiratete. 1973 erfolgte der Umzug nach Franken, wo die Familie MÜLLER-KÖLLGES 18 Jahre lang lebte. Zunächst in Zeil am Main und dann ab 1978 im nahe gelegenen Oberschleichach, wo ein geräumiges Haus bezogen wurde. In Zeil kam am 12.XII.1973 die Tochter SABINE zur Welt. „Unsere Biene“, wie er sie fortan liebevoll und stolz nannte. Viele Exkursi- onen wurden später mit der ganzen Familie unternommen. Dazu zählten gelegentliche Leuchtabende und es wurde auch schon mal gemeinsam nach Raupen von Schillerfaltern oder Eisvögeln gesucht. Als die Möbelfirma, für die KARL-HEINZ all die Jahre in Franken gearbeitet hatte, in wirtschaftliche Schieflage ge- riet, wurde nochmals ein Wechsel notwendig. Nach nur zwei Jahren im schwäbischen Straßdorf erfolgte ein letzter Wohnortwechsel. In Großwitzeetze im niedersächsischen Wendland kaufte die Familie MÜLLER-KÖLLGES ein Haus mit Nebengebäuden. KARL-HEINZ war wieder in Niedersachsen angekommen. Hier ließ sich endlich ein selbständiges Arbeiten verwirklichen. In einer „Gartengalerie“ wurden Möbel und Zubehör für den Garten verkauft, aber auch Kunsthandwerk aus der eigenen Werkstatt angeboten, wie z. B. aus Findlingen der Region gefertigte Vogeltränken und Sonnenuhren. 205 KARL-HEINZ und ich lernten uns 1958 kennen. Am 20. August 1958 erhielten wir beide, unabhängig voneinander, eine Einladung zum Monatstreffen des Entomologischen Vereins Braunschweig, der seit 1907 von Dr. FRITZ HARTWIEG (1877-1952) geleitet wurde. Das Treffen fand in der Privatwohnung des Vorsitzenden statt, wo wir freundlich aufge- nommen und in der Folgezeit als Nachwuchs in die Entomologie fachgerecht eingeführt wurden. Von diesem Tage an entwickelte sich zwischen KARL-HEINZ und mir eine tiefe Freundschaft, die niemals enden sollte. Bereits in den Som- merferien 1960 unternahmen wir unsere erste mehrwöchige Exkursion. Wir radelten gemeinsam von Braunschweig aus ins Allgäu nach Oberstdorf, ausgestattet mit einem kleinen Zelt, Kochgeschirr und einer Petromax-Lampe. Den Geometriden, mehr aber noch den Noctuiden galt von Anbeginn unser besonderes Interesse und so blieben die Eu- lenfalter über Jahrzehnte hinweg unser gemeinsames Spezialgebiet. Dabei beschränkten wir uns nicht nur auf das Sammeln von Faltern, sondern konzentrierten uns vor allem auf faunistische und ökologische Fragestellungen. Die Ergebnisse mehrerer gemeinsamer Exkursionen an die Nordsee in den 1960er Jahren, wurden von KARL-HEINZ in ei- ner Studie über die Macrolepidopteren der ostfriesischen Insel Norderney veröffentlicht (MÜLLER, 1969). Das wir uns gezielt auf Raupensuche und Zuchten konzentrierten, vermitteln die Veröffentlichungen von KARL-HEINZ über die Noctuiden Archanara geminipuncta (HAWORTH, 1809) und Paradiarsia punicea (HÜBNER, 1803) (MÜLLER, 1965, 1970). Auch nachdem wir aus beruflichen Gründen Braunschweig verlassen mußten, verging kaum ein Jahr ohne gemeinsa- me, mehrtägige Exkursion. Dabei zog es uns aber nicht in die Türkei oder nach Afghanistan, da es für uns in Europa noch genug zu erforschen gab. Da war es für uns doch viel spannender, nach der Grenzöffnung z. B. den Brocken im Harz oder den Kyffhäuser in Thüringen zu erkunden, der uns bereits seit Jahrzehnten durch ARNO BERGMANN‘S „Großschmetterlinge Mitteldeutschlands“ (Band 1-7, 1951-1955) so vertraut war. KARL-HEINZ war kontaktfreudig und lernte viele Entomologen kennen, unter ihnen auch viele namhafte. Zu einigen ergaben sich enge, zeitweise auch freundschaftliche Beziehungen. Dazu zählten GERHARD SChmIDT (Hordorf/Braun- schweig), ERHARD BODI (Hamburg), Dr. ERICH GARTHE (Bamberg), HERBERT SEIDLEIN (Schweinfurt), HANS-JOSEF („SEPP“) WEIDEMANN (Untersiemau) und Dr. HERBERT BECK (Mainz). Das Zustandekommen dessen Pionierwerkes „Die Larven der europäischen Noctuiden“ verdankt H. BECK, wie er in einem Brief an den Autor und die Ehefrau schreibt, der Begegnung und dem Kontakt mit KARL-HEINZ. Von ERICH GARTHE übernahm KARL-HEINZ die Leitung des entomologischen Arbeitskreises, der innerhalb der Na- turforschenden Gesellschaft in Bamberg agierte. In dieser Zeit publizierte er die Fauna der Noctuiden des Bamberger Umlandes (MÜLLER-KÖLLGES, 1977). Darin finden sich Arten, dieK ARL-HEINZ neu für die Fauna entdeckt hatte, wie Yigoga nigrescens (HOFNER, 1888), Athetis gluteosa (TREITSChkE, 1835), Atypha pulmonaris (ESPER, 1790) und Oria musculosa (HÜBNER, 1808). In Baden-Württemberg lebte die Familie MÜLLER-KÖLLGES nur knapp zwei Jahre. Dennoch gelang KARL-HEINZ auch hier ein sensationeller Fund: Mitte Juni 1992 entdeckte er im östlichen Albvorland eine offenbar gesunde Population des Eschen-Scheckenfalters und konnte dazu interessante Verhaltensstudien mitteilen (MÜLLER-KÖLLGES, in EBERT, 2005). Bis auf eine letzte Population im Neckar-Tauberland galt Hypodryas maturna (LINNAEUS, 1758) in Baden- Württemberg als ausgestorbenen oder verschollen (EBERT, 1991). Ab 1993 lebte KARL-HEINZ wieder in Niedersachsen und war auch hier wieder entomologisch aktiv. So kann es nicht verwundern, daß ihm auch für das gut untersuchte Gebiet des Wendlands (Landkreis Lüchow-Dannenberg) Neu- funde gelangen. So konnte er hier folgende Arten neu nachweisen: Carcharodus alceae (ESPER, 1780), Dyscia fagaria (THUNBERG, 1784), Scopula rubiginata (HUFNAGEL, 1767), Idaea ochrata (SCOPOLI, 1763), Lithostege griseata ([DENIS & SCHIffERMÜLLER], 1775), Callopistria juventina (STOLL, 1782) und, gemeinsam mit dem Autor, Protoschinia scutosa [DENIS & SCHIffERMÜLLER], 1775). Über diese Funde wurde in Fachzeitschriften publiziert (MÜLLER-KÖLLGES, 1998, 2003; KÖHLER & MÜLLER-KÖLLGES, 1999, 2001). Die Arten C. alceae (ESP.), L. griseata ([D. & S.]) und C. juventina (STOLL) galten für Niedersachsen als ausgestorben oder verschollen und konnten in der Roten Liste auf Grund seiner Forschung von 0 auf 1 zurück gestuft werden (LOBENSTEIN, 2004). Auch an dem Buch „Nachtfalter - Spinner und Schwärmer (WEIDEMANN & KÖHLER 1996) hat KARL-HEINZ mitgewirkt. KARL-HEINZ war nicht nur ein beachteter und verantwortungsbewußt agierender Lepidopterologe, sondern er kannte sich auch mit Käfern aus und verfügte über ein sehr gutes botanisches Wissen. Besonderheiten der fränkischen Flora wurden kartiert und an die Naturschutzbehörde weitergeleitet. Selbst Pilze waren ihm gut bekannt. KARL-HEINZ war unendlich neugierig und probierte alles aus. Er restaurierte alte Möbel und Truhen, versuchte sich als Buchbinder, destillierte Früchte, züchtete ausgefallene Pflanzen und betätigte sich als Gartenarchitekt. Seinen ersten Garten gestaltete er 1974 in Zeil am Main. Hier pachtete er ein Grundstück an der historischen Stadtmauer und be- gann leidenschaftlich mit der Zucht von Lilien. Nur fünf Jahre später verwandelte er in Oberschleichach knapp 3000 m2 Ackerland in einen erlebnisreichen und naturnahen Garten mit vorwiegend heimischen Pflanzen und Gehölzen. Vergleichbares gelang ihm dann wieder ab 1993 im Wendland. Hier gestaltete er auf einer 2600 m2 großen öden Ra- senfläche eine blühende Gartenlandschaft. KARL-HEINZ war auch Künstler. Dabei erreichte er auf mehreren Gebieten eine erstaunliche Perfektion. Er zeichnete seit seiner Jugend. Seine Briefe an den Autor, die nach all den Jahren einen großen Leitz-Ordner prall füllen, sind voll mit witzigen Karikaturen, informativen Skizzen und Zeichnungen. KARL-HEINZ konnte wunderbar malen - Aquarelle, 206 Ölbilder, aber auch Miniaturen heimischer Pflanzen, die er z. B. auf ausgeblasene Eier übertrug, zählten zu seinen Werken. Er druckte Kupferstiche, vorwiegend von Lilien, Irisarten und Rosen, die er nach eigenen Zeichnungen an- fertigte und danach kolorierte. Auch Landkarten wurden nach eigenen Vorstellungen gestochen und koloriert. Karl- Heinz bearbeitete Hölzer und Natursteine, die er mit Stechbeitel,

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