1 Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte Mitteilungen 91 Februar 2009 2 Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte e.V. Musikwissenschaftliches Institut der Universität zu Köln Albertus-Magnus-Platz 1, 50923 Köln Redaktion: Dr. Wolfram Ferber, In den Herbstbenden 2, 53881 Euskirchen Druck: Jürgen Brandau Druckservice, Köln © 2009 ISSN 0948-1222 3 MITTEILUNGEN der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte e.V. Nr. 91 Februar 2009 Inhalt Andreas Vollberg ....................................................................................................................... 5 „Man kann sich das Werk nicht vollendeter denken …“....................................................... 5 Zum Bonner Wirken des Dirigenten Hermann Abendroth..................................................... 5 Claudia Valder-Knechtges ....................................................................................................... 59 Feinheiten köstlichster Art schlugen an unser Ohr.............................................................. 59 Zur Frühgeschichte des Kölner Kammerorchesters ............................................................ 59 Christine Siegert....................................................................................................................... 91 Joseph Haydn in Köln .......................................................................................................... 91 Zu einer Anzeige im Beobachter des Jahres 1801 ............................................................... 91 Christoph Dohr......................................................................................................................... 95 Seit sieben Jahrzehnten im Rheinischen Musikleben aktiv .................................................. 95 Jürg Baur – 90 Jahre ........................................................................................................... 95 Franz-Josef Vogt ...................................................................................................................... 98 Zur Erinnerung an Alfons Weller......................................................................................... 98 Verschiedenes........................................................................................................................... 99 Protokoll der Jahresversammlung 2008 .............................................................................. 99 4 5 Andreas Vollberg „Man kann sich das Werk nicht vollendeter denken …“ Zum Bonner Wirken des Dirigenten Hermann Abendroth Weltelite am Pult des städtischen Orchesters Als das heutige Beethoven Orchester Bonn im Jahr 2007 sein 100-jähriges Bestehen feierte, riefen historiographische Rückblicke neben typischen Entwicklungszügen eines renommierten städtischen Musikinstituts auch überraschende Sonderphänomene ins kulturelle Gedächtnis der Beethovenstadt zurück. Wer unter diesen Aspekten nun jenes bewegte Säkulum Revue passieren lässt und den im chronistischen Kontext stets brisanten Prominenzgrad der Akteure an den institutionellen Rubrizierungen des Jubiläumsensembles misst, darf einer frappierenden Entdeckung gewiss sein: eines imponierenden Aufmarschs von Gastdirigenten höchster Weltgeltung in tendenziell umgekehrtem Verhältnis zum 1983/84 kulminierenden Aufstieg des Klangkörpers bis zur höchsten Vergütungsgruppe der deutschen Kulturorchester, der Tarifklasse A mit Fußnote 1, die lediglich von der Sonderklasse der Berliner Philharmoniker und den separat administrierten Rundfunksymphonieorchestern übertroffen wird. So honorabel die Phalanx von Richard Strauss über Karl Böhm bis Kurt Masur, so hochwertig die dokumentierten Kunstleistungen – wohl kaum eine jener Begegnungen des Bonner Orchesters mit Koryphäen der Weltelite ging über das punktuelle oder kurzfristige Einzelereignis hinaus. Doch auch hier bestätigt eine Ausnahme die Regel. Denn eine nachhaltige, prägende, nahezu kontinuitätsstiftende Allianz mit einem überragenden Tonkünstler, den die interpretationskundige Fachwelt zu den etwa zwei Dutzend größten Pultheroen des deutschen Sprachraums rechnet, sucht man in der Bonner Orchesterchronik nicht vergeblich. Es handelt sich um die Zusammenarbeit des Städtischen Orchesters mit dem Dirigenten Hermann Abendroth, nominell im musikgeschichtlichen Bewusstsein verankert als Generalmusikdirektor der Stadt Köln, Gewandhauskapellmeister in Leipzig, Generalmusikdirektor in Weimar, umjubelter Reisedirigent und musikalischer Leiter bei den Bayreuther Festspielen. Zwischen der zu Lebzeiten in der höchsten Metierklasse angesiedelten, in späteren Schaffensjahren und posthum jedoch zunehmend aus dem Rampenlicht des massenorientierten Musikgeschäfts entschwundenen Ikone einerseits und der Stadt Bonn andererseits existieren mehr Berührungspunkte und Verbindungen, als die bis heute vorliegenden Überblicksdarstellungen zur Bonner Musik- und Orchestergeschichte vermuten lassen. Das Bekannte zu vertiefen und das Unbekannte zu erhellen, ist die Intention der folgenden Ausführungen. 6 „ … für den Gürzenich mit in aller erster Reihe“ – der kometenhafte Aufstieg Hermann Abendroths Geboren am 19. Januar 1883 in Frankfurt/Main1, absolvierte Hermann Abendroth in seiner Heimatstadt zunächst Realgymnasium und Handelsschule, um, wie sein Vater, Buchhändler zu werden. Die entsprechende Berufsausbildung begann der zugleich schon früh höchst Musikbegeisterte 1900 in München. Wurden seine künstlerischen Neigungen von familiärer Seite zwar nicht unterstützt, gelang es ihm jedoch immerhin, von 1901 bis 1905 auf das ersehnte Musik- und Universitätsstudium umzusteigen, wenngleich er die Alma Mater und ihren philologischen Studiengang letztlich ohne Abschluss verlassen sollte. An der „Königlichen Akademie der Tonkunst“ konzentrierte er sich nunmehr ganz auf die Musik und lernte als Kommilitonen einen langjährigen Freund und Wegbegleiter kennen, mit dem er später aufs Engste in Köln kooperieren: Walter Braunfels. Die entscheidenden musikalischen Prägungen nun empfing Hermann Abendroth in München durch seine Lehrer Felix Mottl und Ludwig Thuille. Als Schüler und Assistent des Dirigenten Felix Mottl, der zugleich auch Wilhelm Furtwängler unterrichtete, 1904 Direktor der Akademie wurde und von 1907 bis zu seinem Tod 1911 als Generalmusikdirektor der Bayernmetropole wirkte, erhielt Abendroth Einblick in die von seinem Lehrer verwendeten Wagner-Partituren. Der Komponist Ludwig Thuille gehörte zu den Hauptexponenten der süddeutschen Neuromantik. Enkelschüler Franz Liszts und Freund von Richard Strauss, lehrte er in der Nachfolge Joseph Rheinbergers seit 1903 am Münchner Institut Klavier und Harmonielehre. Dank Mottl und Thuille trat Abendroth bereits zu seiner Studienzeit dem „Allgemeinen Deutschen Musikverein“ (ADMV) bei. Der 1861 von Franz Liszt, Franz Brendel und 700 deutschen Musikern in Weimar gegründete Eliteverband europäischer Tonkünstler hatte sich – und hierin liegt seine wesentliche Vorreiterrolle - die Förderung der zeitgenössischen Musik auf die Fahnen geschrieben. Dem jungen Hermann Abendroth brachte diese Mitgliedschaft nicht nur den Kontakt zu den führenden Musikschaffenden seiner Zeit. Vielmehr bestimmten Programmatik, Ethos und personelle Konstellationen sein organisatorisches Denken und Handeln als Leiter kommunaler Musikbetriebe. Die Verbindung von ausübendem Tun am Dirigentenpult und ständiger Ensembleleitung begann für Abendroth – sein eigenes Hauptinstrument war die Geige - bereits während der Münchner Studienzeit. So wuchs der gemischte Chor des „Münchner Orchestervereins“ unter seiner Leitung von 50 auf 150 Mitglieder. Dass seine bevorzugte Domäne aber in der Orchestererziehung lag, dokumentieren seine ersten Erfolge mit dem 55-köpfigen Münchner Orchesterverein „Wilde Gung’l“. Der erste rasante Karrieresprung katapultierte den 22- Jährigen 1905 an die Spitze des Philharmonischen Orchesters in Lübeck. Durchgesetzt hatte er sich gegen 87 Mitbewerber. Mit Oper und Konzert wurden ihm die beiden Grundpfeiler eines mittel- und großstädtischen Musikwesens überantwortet. Inspiriert durch das von Liszt vorgedachte Ideal des ADMV, neben der klingenden Materie selbst auch ihren institutionellen und aufführungstechnischen Rahmen zu optimieren, führte Abendroth in der Hansestadt eine, wie Irina Lucke-Kaminiarz zusammenfasst, „moderne, in sich geschlossene 1 Ff. primär n.: Irina Lucke-Kaminiarz: Hermann Abendroth. Ein Musiker im Wechselspiel der Zeitgeschichte. Weimar 2007, S. 6-53. 7 Programmgestaltung ein (…) .“2 Aus Thomas Manns Geburtsort, wo er seine spätere Frau, die Schauspielerin Elisabeth Walter, kennen gelernt hatte, zog es ihn – geheiratet wurde noch im selben Jahr - 1911 nach Essen. Nicht belegt ist, ob Abendroth zuvor eine Referenz des Komponisten, Stuttgarter Generalmusikdirektors und ADMV-Vorstandsvorsitzenden Max von Schillings in die Waagschale warf. Jedenfalls hatte sich Abendroth, erst 27 Jahre alt, im deutschen Musikbetrieb etabliert, zumal er 1910 bereits in den Musikausschuss des ADMV aufgerückt war. Noch 1911 wurde der um drei Jahre jüngere Wilhelm Furtwängler Abendroths Nachfolger in Lübeck. Und im selben Jahr führte Abendroth in Essen Furtwänglers „Tedeum“ auf. Diese Koinzidenzen markierten den Beginn einer Reihe mannigfacher Berührungspunkte, wie sie mehrfach den öffentlichen Vergleich zwischen beiden Ausnahmetalenten herausfordern sollten3. In die Ruhrmetropole wechselte Abendroth nachweislich als Wunschkandidat seines Vorgängers Georg Hendrik Witte, der den Hochbegabten bereits zu dessen
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