4. Die Carnuntiner canabae – Luftbilder und Grabungsbefunde im Vergleich 4.1 Topographie Das Areal der römischen canabae legionis verteilt sich auf die beiden heutigen Gemeindegebiete von Petronell-Carnuntum und Bad Deutsch-Altenburg (Niederösterreich). Bezogen auf die aktuelle Topogra- phie erstreckten sich das Carnuntiner Legionslager und die Lagervorstadt zwischen dem Ostrand von Petronell und den westlichen Ausläufern von Bad Deutsch-Altenburg. Sie blieben somit weitgehend frei von moderner Bebauung (Taf. 1). Das Geländerelief ist nicht übermäßig stark gegliedert (Abb. 20). Während der nordöstliche Teil des Legionslagers (östliche praetentura) nur auf 169–170 m Seehöhe liegt, hebt sich der zentrale und rück- wärtige Teil des Lagers, der eine maximale Höhe von 183,25 m ü.A. aufweist, plateauartig von seiner Abb. 20: Die Carnuntiner canabae und deren Umgebung – Geländerelief und Flursystem: 1 – Legionslager (das südlich der Lan- desstraße einen Teil des Oberen Burgfeldes bildet), 2 – Auxiliarkastell in Petronell, 3 – Militäramphitheater, 4 – Oberes Burgfeld, 5 – Unteres Burgfeld, 6 – Mühläcker, 7 – Mühläugl, 8 – Weingartfeld, 9 – Viehtrieb-Äcker, 10 – Untere Schantz-Äcker, 11 – Obere Schantz-Äcker, 12 – Petroneller Burg (Hutweide), 13 – Hindaus-Äcker, 14 – Unteres Solafeld (Salafeld), 15 – Oberes Solafeld, 16 – Kurze Überländ-Äcker, 17 – Lange Überländ-Äcker, 18 – Haidel-Äcker, 19 – Zwerg-Äcker, 20 – Sulzbach, 21 – Statthalterpalast. – a: Fortsetzung der Straße S22a. 42 4. Die Carnuntiner canabae – Luftbilder und Grabungsbefunde im Vergleich Umgebung ab. Insbesondere die Umwehrung des Lagers mit dem Wall-Graben-System zeichnet sich in den Airborne-Laser-Scanning-Daten sehr gut ab (Abb. 20, 1). Die aktuelle Höhendifferenz zu den angrenzenden canabae beträgt zwischen 2,0 m (Bereich Forum) und 5,0 m (Bereich Osttor). In den westlichen canabae steigt das Gelände Richtung Auxiliarkastell (Abb. 20, 2) leicht an (185 m ü.A.). Gegen Norden wird das Relief vom Donauabbruch bestimmt, der eine rund 30–35 m hohe Geländestufe zwischen dem Hochufer und den Donauauen bildet. Südlich der soge- nannten Gräberstraße (Abb. 20, 11) fällt das Gelände ebenfalls ab in eine Südwest-Nordost verlaufende Geländesenke, die von der Trasse der Schnellbahn sowie der Bundesstraße durchzogen wird. Diese lang- gestreckte Erosionsrinne, die noch heute ein Feuchtgebiet darstellt, durchschneidet die südlichen cana- bae (Abb. 20, 4–5) und mündet in den Sulzbach (Abb. 20, 20), der wiederum in die Donau entwässert. Eine weitere markante Erosionsrinne hat sich unmittelbar südlich davon herausgebildet (Abb. 20, 9. 14), wo das auf dem oberen Solafeld (Abb. 20, 15) gesammelte Wasser Richtung Nordosten zum Sulzbach \% die südöstlichen und östlichen canabae. Vom Sulzbach ausgehend (ca. 158 m ü.A.) steigt das Gelände über die Mühläcker (Abb. 20, 6) Richtung Legionslager sanft an, bis zu einem nach Nordosten ziehenden Höhenrücken (ca. 176–180 m ü.A.). Entlang dieser Erhöhung, auf der auch heute noch ein Feldweg ver- läuft, wurde die römische Straße S1 angelegt. Zum Donauabbruch fällt das Gelände dann in der Flur Mühläugl (Abb. 20, 7) bis auf 160 m ü.A. ab, also deutlich stärker als westlich des Legionslagers, wo sich Teile des Statthalterpalastes (Abb. 20, 21) in einem Geländeeinschnitt befanden (Niveau: ca. 177 m ü.A.). 4.2 Militärische Einrichtungen und deren Umfeld Das Legionslager ist der Siedlungsnukleus von Carnuntum. Erst mit der Gründung des Legionslagers durch die legio XV Apollinaris spätestens um die Mitte des 1. nachchristlichen Jhs. enstand im Vorfeld des Legionsstützpunktes mit den canabae legionis eine zivile Ansiedlung, die in den folgenden Kapiteln unter verschiedenen Gesichtspunkten analysiert wird. Die Luftbilder zu den beiden bekannten, langfris- tig genutzten Militäranlagen in Carnuntum, dem Legionslager und dem Auxiliarkastell, wurden bereits ausgewertet114. Bevor wir uns dem Straßenverlauf und dem Aufbau der Carnuntiner canabae zuwenden (vgl. Kap. 4.3–4.5), erscheint es sinnvoll, zunächst die im Luftbild sichtbaren Strukturen aus dem Vor- feld der beiden Befestigungsanlagen zu besprechen. Ferner wird auf die von Groller als Wachtürme interpretierten Befunde einzugehen sein. 4.2.1 Das Vorfeld des Legionslagers Das Legionslager wird an drei Seiten von einem Streifen umgeben, der eine von den dicht besiedelten canabae-Bereichen abweichende Bebauung aufweist (Beilage 1). Bei den von der Limeskommission durchgeführten Grabungen wurde das Vorfeld westlich und östlich der praetentura untersucht. Im west- lichen Vorfeld des Lagers konnte ein an mehreren Punkten freigelegter Abwasserkanal festgestellt wer- den, der, aus dem Bereich der porta principalis sinistra kommend, das Abwasser aus dem Legionslager Richtung Donau führte. Etwa 65 m vom Westtor entfernt mündete ein zweiter, von Süden kommender Kanal in den Hauptstrang ein. Während Groller die ersten Gebäudestrukturen am Donauabbruch erst in einem Abstand von 180 m von der westlichen Lagermauer entfernt dokumentierte, scheint das Vorfeld des Lagers hier (weitgehend?) unverbaut geblieben zu sein (Abb. 33)115. Auf der gegenüberliegenden Seite legte Groller das ca. 25 m vom Lager entfernte Gebäude K, einen spätantiken Speicherbau, frei116. Südwestlich des Amphitheaters konnten bereits in den 1890er-Jahren zwei mit T-förmigen Schlauchheizungen ausgestattete Gebäude ergraben werden117. Ansonsten ist aus dem Bereich zwischen dem Legionslager und dem Amphitheater keine Bebauung bekannt. Denselben 114 DONEUS – GUGL 2007; u. a. 2001b. 115 GROLLER 1904c, 104 Abb. 57. 116 GROLLER 1901a, 77 f. Taf. 3. 11, 13; 2007, 472 f. 117 TRAGAU 1897b, 225–227 Taf. 4. 4.2 Militärische Einrichtungen und deren Umfeld 43 Befund beobachtet man südlich der Prinzipalachse, wobei man einschränken muss, dass bei den Altgra- bungen keine systematische Untersuchung des Befestigungsvorfeldes entlang der latera praetorii sowie der Dekumanfront erfolgt ist. Bei den 2003 vorgenommenen Luftbildauswertungen im Nordosten des Legionslagers konnten eben- falls nur Bewuchsmerkmale erkannt werden, die mit den alten Grabungsergebnissen korrespondieren. Von Gebäude K verläuft eine dem gebogenen Lagermauerverlauf angepasste Verbindungsstraße S95 zur Donauuferstraße S4 (Abb. 30)118. Im östlichen Vorfeld des Legionslagers bieten die Luftbilder nur spärliche Hinweise auf Bebauungs- strukturen. Südlich der Donauuferstraße erkennt man mehrere lineare Trockenmerkmale, die sich zwar zu keinem Gesamtgrundriss ergänzen lassen, die aber eine übereinstimmende Orientierung aufweisen. Die Ausrichtung dieser Gebäudereste orientiert sich an der Nordwest-Südost verlaufenden rechten Deku- manseite des Legionslagers. Auf den von Kandler publizierten Luftbildauswertungen sind weitere iden- tisch ausgerichtete Bauten wiedergegeben, die in der Regel eine großräumige Raumstruktur aufweisen und offenbar eine mindestens 180 m lange Bebauungszone bildeten, welche bis zu 15 m an den Lagergra- ben heranreichte. Bei Kandler ist östlich dieser Bebauungszone eine Nordost-Südwest streichende Straße eingezeichnet, !!"#[%% &&'#[*+' unterbrochen war, scheint eine direkte Verbindung zum Legionslager nicht bestanden zu haben. Dies wäre nur möglich, wenn die Gebäudezeile im unmittelbaren Lagervorfeld erst zu einem späteren Zeit- punkt errichtet worden wäre. Die Fortsetzung der Straße nach Osten bleibt unklar. Auf den Parz. 670 und 671 sind zahlreiche Strukturen luftbildarchäologisch nachzuweisen, die jedoch mehrheitlich auf die land- wirtschaftliche Nutzung dieses Geländes (Weinbau?) zurückzuführen sein dürften. Der von Kandler beobachtete Straßenrest verläuft parallel mit den Straßen S4, S7 und S8 und war somit auf den Straßen- raster in den Regionen 8 und 9 abgestimmt (vgl. Kap. 4.4.9). An der Südostseite des Legionslagers dürfte die sich im Bewuchs klar abzeichnende Straße S94 bis an die Lagerumwehrung herangereicht haben (Taf. 21). Auf dem von Kandler veröffentlichten Plan ist diese Straße als homogener Straßenkörper wiedergegeben, der mit S1 eine Straßengabelung bildet. Auf den nun herangezogenen Aufnahmen ist die Struktur S94 auf 115 m nur noch über die beiden Straßengräben fassbar, die Richtung Osten entwässert haben dürften. Die Beziehung zum Lagergraben ist nur undeutlich auszu- machen, aber die Straßengräben scheinen nicht davor zu enden. Keine Anhaltspunkte liegen über eine mögliche, an der Außenseite des Lagergrabens entlang geführte Straßenverbindung vor. Diese müsste man aber voraussetzen, weil man nicht annehmen kann, dass S94 weiter in das Lagerinnere geführt hat119. Das Vorfeld an der Süd- bzw. Südostseite des Lagers zeichnet sich vorzüglich auf den Luftbildern ab. Die unterschiedliche Bebauungsstruktur und -dichte zwischen dem rund 175 m breiten Lagervorfeld und den dicht besiedelten Kernzonen der südlichen canabae ist auffällig (Taf. 14. 16. 20). Bei Straße S25 han- delt es sich um eine mit S94 vergleichbare Radialstraße, die gegen die südöstliche Lagerecke führte. Ent- lang des äußeren Lagergrabens wird man die Ringstraße S76, den Groller’schen „Circumvallationsweg“, zu ergänzen haben (Abb. 31. 33), auf den S25 ausgerichtet war. Von dieser Ringstraße sind im Luftbild nur drei längliche Trockenmarken an der südlichen Lagerecke zu sehen. Zieht man die Pläne Grollers heran, kann man den Verlauf dieser Ringstraße folgendermaßen ergänzen: Vom nordöstlichen Forums- bereich kommend verlief diese Straße offenbar an der Außenseite der Lagergräben entlang der Deku- manfront. An der Südostecke des Lagers dürfte sich die Straße gegabelt haben in einen Ast, der in die S1
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