Uva-DARE (Digital Academic Repository)

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UvA-DARE (Digital Academic Repository) Das andere Melodrama. Vom Pathos der Fremdheit in Fassbinders 'Angst essen Seele auf', 'Die Sehnsucht der Veronika Voss' und 'Die bitteren Tränen der Petra von Kant' Röttger, K.; Butte, M. Publication date 2012 Document Version Accepted author manuscript Published in Prekäre Obsession: Minoritäten im Werk von Rainer Werner Fassbinder Link to publication Citation for published version (APA): Röttger, K., & Butte, M. (2012). Das andere Melodrama. Vom Pathos der Fremdheit in Fassbinders 'Angst essen Seele auf', 'Die Sehnsucht der Veronika Voss' und 'Die bitteren Tränen der Petra von Kant'. In C. Colin, F. Schössler, & N. Thurn (Eds.), Prekäre Obsession: Minoritäten im Werk von Rainer Werner Fassbinder (pp. 125-153). (Film). Transcript. General rights It is not permitted to download or to forward/distribute the text or part of it without the consent of the author(s) and/or copyright holder(s), other than for strictly personal, individual use, unless the work is under an open content license (like Creative Commons). Disclaimer/Complaints regulations If you believe that digital publication of certain material infringes any of your rights or (privacy) interests, please let the Library know, stating your reasons. In case of a legitimate complaint, the Library will make the material inaccessible and/or remove it from the website. Please Ask the Library: https://uba.uva.nl/en/contact, or a letter to: Library of the University of Amsterdam, Secretariat, Singel 425, 1012 WP Amsterdam, The Netherlands. You will be contacted as soon as possible. UvA-DARE is a service provided by the library of the University of Amsterdam (https://dare.uva.nl) Download date:28 Sep 2021 Inhalt Einleitung Nicole Colin, Franziska Schössler und Nike Thurn | 5 Töte Amigo! Zur Archäologie von Fassbinders Filmen in LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD Rolf G. Renner | 27 Western Goes East. Fassbinders WHITY als Race-Melodrama Claudia Liebrand | 47 »Schrei, Whity, schrei« Sadomasochismus und Dynamiken der Macht in Fassbinders WHITY Priscilla Layne | 69 Peripherien zwischen Repräsentation und Individuation Die Körper der Minderheiten in Fassbinders KATZELMACHER und ANGST ESSEN SEELE AUF Özkan Ezli | 93 Das andere Melodrama Vom Pathos der Fremdheit in Fassbinders Filmen Kati Röttger und Maren Butte | 25 Über den zweifelhaften Fortschritt in Sachen Liebe Sexualität und strukturelle Gewalt in Fassbinders FONTANE EFFI BRIEST und MARTHA Nicole Colin | 155 Der Skandal, der keiner war Behinderung in Fassbinders CHINESISCHES ROULETTE Carol Poore | 177 ›Jüdische Kapitalisten‹ und Queerness in Fassbinders IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN und DIE SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS Franziska Schössler | 195 Keine Minderheitendramen Homosexuelle Minoritäten und Fassbinders Filme Volker Woltersdorff | 222 Ein krisenhaftes Bewusstsein Fassbinders In einem Jahr mit 13 Monden Senta Siewert | 239 Ein »Reicher Jude« – und dessen Konstrukteure Zur Darstellung von Juden und Antisemiten in Fassbinders Der Müll, die Stadt und der Tod Nike Thurn | 267 »Deutschland ist Weltmeister!« Zur Dekonstruktion eines politischen Mythos in Fassbinders DIE EHE DER MARIA BRAUN Tilman Heisterhagen und Uwe Jun | 293 Imagination des Minoritären Terroristen in Fassbinders DIE DRITTE GENERATION Valentin Rauer | 357 Die Anschaulichkeit der Verhältnisse Zu Fassbinders Politik des Ästhetischen Alexander Zons | 373 Filmverzeichnis | 391 Autorinnen und Autoren | 397 Das andere Melodrama Vom Pathos der Fremdheit in Fassbinders Filmen KATI RÖTTGER UND MAREN BUTTE FÜR ROSEL ZECH († 31.8.2011) Ein expressiver Filmmoment: Eine ältere Frau im blau-karierten Mor- genmantel und mit dürftig getöntem rotem Haar öffnet hastig die Tür ihrer Münchner Altbauwohnung und stürzt ins Treppenhaus. Sie ruft mit verzweifelter Stimme Ali, ihren Geliebten, einen marokkanischen Einwanderer (El Hedi ben Salem), mit dem sie allen Widerständen zum Trotz zusammenlebt. Doch er kommt nicht zurück. Emmi (Brigit- te Mira), die verzweifelt Liebende und mit dem Missfallen ihrer Freunde und Kinder kämpfende Figur, bricht in Tränen aus, lehnt sich gegen den leicht schäbigen, weiß gestrichenen Türrahmen und weint zitternd (Abb. 1). Dieser Moment in Fassbinders ANGST ESSEN SEELE AUF (BRD 1974) folgt dem Schema eines sentimentalen Liebesfilms im Stile Hollywoods, in dem eine zumeist weibliche Figur Opfer einer sozial nicht tragbaren Liebesbeziehung wird. Ihr Pathos gerinnt in ei- nem Moment des exaltierten leidvollen Ausbruchs zu einem emotiona- len Bild.1 Die Szene von Emmis Verzweiflung verweist demnach auf 1 Zu dieser Form des melodramatischen Ausdrucks vgl. Kappelhoff, Her- mann: Matrix der Gefühle. Das Kino, das Melodrama und das Theater der Empfindsamkeit, Berlin: Vorwerk 2004; Heeg, Günther: Das Phantasma der natürlichen Gestalt. Körper, Sprache und Bild im Theater des 18. Jahr- hunderts, Frankfurt a.M.: Stroemfeld 2000 sowie Butte, Maren: Melodra- 124 | KATI RÖTTGER UND MAREN BUTTE eine prototypisch melodramatische Situation, nämlich die Inszenierung eines tragischen Konflikts, der sich nicht wirklich entladen will;2 ein intimer, innerer Konflikt, der sich in einer ästhetisierten Passion ver- äußert, in einer ›Sprache‹ des Gefühls. Abbildung 1: Brigitte Mira Quelle: ANGST ESSEN SEELE AUF (BRD 1974, R: R. W. Fassbinder), DVD, Kinowelt (2007) Und doch passt diese so typisch melodramatisch inszenierte Szene nicht recht ins übliche Bild. Emmi ist nicht die reife, hingebungsvolle Schönheit, deren Mimik und Gestik sich stilvoll in die Filmikono- graphie fügt. Und Ali ist nicht der stramme Naturbursche à la Rock Hudson, dessen entwaffnende Aufrichtigkeit das Herz der Heldin er- obert – so die Konstellation in Douglas Sirks Hollywood-Melodram ALL THAT HEAVEN ALLOWS (USA 1955), an dem sich Fassbinder in 3 ANGST ESSEN SEELE AUF bekanntermaßen orientierte. Es gibt etwas matische Figuren. Affektive Bilder im Wechsel der Medien (= Unveröf- fentlichte Dissertation 2011). 2 Vgl. Elsaesser, Thomas: »Tales of Sound and Fury. Observations on the Family Melodrama«, in: Christine Gledhill (Hg.), Home is where the heart is. Studies in Melodrama and the Woman’s Film, London: Brit. Film Insti- tute 1987, S. 43-69. 3 Vgl. Fassbinder, Rainer W.: »Imitations of Life. Über die Filme von Dou- glas Sirk«, in: Michael Töteberg (Hg.), R.W. Fassbinder. Filme befreien DAS ANDERE MELODRAMA | 125 anderes in Fassbinders Melodramen.4 Dieses Andere liegt nicht nur in der sozialen Fremdheit der Figuren, ebenso wenig in einem Anachro- nismus von Kitsch und Kunst, Ernst und Lächerlichkeit der Leiden- schaften, wie sich in Fassbinders Exposé zum Film andeutet: »Zur Minderheit der Alten und Einsamen gehört die Witwe Emmi (Brigitte Mira). Zur Außenseiterkaste der Gastarbeiter zählt Ali, ein junger Marokkaner (El Hedi Salem). Sie begegnen einander in einer Ausländerpinte, wagen einen linkischen Tango und gehen zu Emmi nach Hause. Dann heiraten sie. Und als Kolleginnen, der Kaufmann, Hausbewohner, die eigenen Kinder von Mutter Emmi nichts mehr wissen wollen, als Ali bei der üppigen Kneipenwirtin (Bar- bara Valentin) fremd geht – da bewährt sich ihr Verhältnis erst recht. Zusam- men sind sie stark. Und ihre Solidarität überwindet Angst und Vorurteile.«5 Das Andere des Fassbinder’schen Melodramas – so lautet unsere The- se – lässt sich vielmehr als ein Pathos des Fremd-Werdens beschrei- ben, als ein struktureller Prozess, der durch spezifische Dramaturgien des Sehens und Beobachtetwerdens6 ausgelöst wird. Den Prozess der Fremdwerdung verstehen wir dabei mit Bernhard Waldenfels als eine den Kopf. Essays und Arbeitsnotizen, Frankfurt a.M.: Fischer 1992, S. 11- 24, hier S. 12-14 sowie den Abschnitt: Gesehen-Werden. Das soziale Ta- bleau in ANGST ESSEN SEELE AUF im vorliegenden Beitrag. 4 Die Forschungsliteratur betont Fassbinders Affinität zum melodramati- schen Hollywoodfilm. Vgl. Elsaesser, Thomas: Fassbinder’s Germany. Hi- story, Identity, Subject, Amsterdam: UP 1996; Wojtko, Nikolai: »Nach- Ahmungen oder: Wieviel Text steckt in einem Film? Zu ALL THAT HEA- VEN ALLOWS von Douglas Sirk und HÄNDLER DER VIER JAHRESZEITEN von Rainer Werner Fassbinder«, in: Margrit Frölich/Klaus Gronen- born/Karsten Visarius (Hg.), Das Gefühl der Gefühle. Zum Kinomelo- dram, Marburg: Schüren 2008, S. 142-153; Allmer, Tillman: Zur Funktion des Melodramatischen in Fassbinders Film LOLA, München: Grin 2008. 5 So zu lesen auf dem Cover der DVD, erschienen bei e-m-s, Rainer Werner Fassbinder Collection Spielfim, Werksverzeichnis 23. 6 »Ich bin nicht interessiert, Beobachtungen zu zeigen, sondern eher die Na- tur des Beobachtet-Werdens«, R.W. Fassbinder zitiert nach: Hughes, John/McCormick, Ruth: »Rainer Werner Fassbinder and the Death of Fa- mily Life«, in: Thousand Eyes Magazine April (1977), S. 4-5, hier S. 4. 126 | KATI RÖTTGER UND MAREN BUTTE Bewegung der ständigen Verschiebung.7 Unter dieser Prämisse möch- ten wir zeigen, dass Fassbinder gängige Elemente des Melodramati- schen verwendet, diese aber neu anordnet und sie in ein anderes Me- lodram transformiert – besonders hinsichtlich einer wechselhaften Po- litik der Gefühle, die soziale Dramen verursacht und in diesen wirk- sam ist. Dabei greifen soziale und ästhetische Fremdheit in der Insze- nierung von Befremdung ineinander. In der Bildsprache Fassbinders scheinen die zwischenmenschlichen Beziehungen und sozialen Hierar- chien in einer Logik des Sehens und Gesehen-Werdens zu entstehen, wie auch Thomas Elsaesser in seiner Monographie zu Fassbinder im- mer wieder.8 Im Folgenden wollen wir diesen Gedanken weiterführen. Am Beispiel der

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