Waldoff, Claire Claire Waldoff „Berlin, Berlin, dich muß ich ewig lieben, Berlin, Berlin, Geburtsname: Clara Wortmann du bist mein schönster Reim.“ („Alles kommt im Leben einmal wieder“, T.: A. Hayduck, M.: C. Waldoff) * 21. Oktober 1884 in Gelsenkirchen, Deutschland Claire Waldoffs Name steht so eng in Zusammenhang † 22. Januar 1957 in Bad Reichenhall, Deutschland mit der Stadt Berlin wie vielleicht sonst nur noch der ih- res Bekannten und Freundes Heinrich Zille. Kurt Tuc- Schauspielerin, Kabarettistin, Chanson-Sängerin, holsky machte sie sogar zur Personifikation der Haupts- Operetten- und Revue-Darstellerin, „Volkssängerin“ tadt, indem er sie mit der „Berolina“ gleichsetzte. Doch Claire Waldoff war keineswegs die „urberliner Pflanze“ „Ich bin und bleibe halt eine Volkssängerin. Das ist mei- für die man sie halten könnte, wenn man ihre in bestem ne Mission, und die nehme ich durchaus ernst. Sehen Berlinerisch vorgetragenen Lieder hört. Die aus Gelsen- Sie: Wenn ich mich heute in großer Aufmachung auf die kirchen im Ruhrgebiet stammende Clara Wortmann erar- Bühne stellte und feingedrechselte Chansons sänge, beitete sich den Weg auf die großen Bühnen zunächst dann würden, zumal jetzt während des Krieges, vielleicht über Schauspielengagements in Bad Pyrmont und Katto- viele Leute sagen: „Die hat gut singen! Aber das Leben witz (heute Katowice/Polen). Nachdem sie in Berlin be- sieht anders aus!“ Ich will aber gerade vom Leben sin- kannt geworden war, trat sie auch im „Empire-Varieté“ gen, vom Volke und für das Volk, von der Zeit und ihren in London auf (1911) und unternahm zahlreiche Gast- Nöten.“ (Breslauer Zeitung, 1943. In: Waldoff, Claire. spielreisen durch Deutschland, 1916 war sie kurze Zeit in Weeste noch…! Aus meinen Erinnerungen. Düsseldorf: Königsberg engagiert (heute Kaliningrad/Russland). Mit Progress 1953, S. 107) der Machtergreifung der Nazis wurden ihre Auftrittsmög- lichkeiten in Berlin zunehmend geringer. Claire Waldoff Profil übersiedelte nach Bayerisch-Gmain, einem Ort an der ös- Claire Waldoff war eine der bekanntesten deutschen Sän- terreichischen Grenze in der Nähe von Bad Reichenhall, gerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, obwohl unternahm jedoch weiterhin Gastspielreisen. Nach Krieg- sie keine professionell ausgebildete Musikerin war. Sie sende folgten noch vereinzelte Auftritte im süddeutschen studierte nie an einem Konservatorium oder einer Musik- Raum (u.a. Bad Reichenhall, Regensburg, Stuttgart, hochschule. Anfang des Jahrhunderts entwickelte sie im Karlsruhe) sowie in Hamburg (1949) und Berlin (1950), Kabarett einen neuartigen Auftritts- und Vortragsstil, doch wie so viele andere Künstler konnte auch Claire der nur bedingt an französische Vorbilder anknüpfte und Waldoff nach dem Krieg nicht an die alten Erfolge an- der in Gegensatz zu den zu dieser Zeit vorherrschenden knüpfen. Gesangsnummern der Soubretten stand. Ihr Repertoire Biografie und ihre Technik erinnern eher an den Typus des „Volks- sängers“. Claire Waldoff schaffte in den 1920er-Jahren Claire Waldoff wird am 21.10.1884 als Clara Wortmann den Sprung von den kleinen Bühnen wie dem „Linden- in Gelsenkirchen geboren. Ihr Vater ist ein ehemaliger Cabaret“ in die großen Revuen und Shows im „Wintergar- Bergarbeiter, der sich mit einer Gastwirtschaft selbstän- ten“ oder der „Scala“. Jetzt identifizierten sich vor allem dig gemacht hat. Als sich die Gelegenheit zur Übernah- die „kleinen Leute“ mit „ihrer“ Claire, die nie ihre Wur- me einer größeren Schankwirtschaft mit Varieté bietet, zeln im Bergarbeitermilieu Gelsenkirchens vergaß. Wald- zieht die Familie nach Oberhausen. Dort besucht Clara off war in vielerlei Hinsicht ein Vorbild für Frauen ihrer die Höhere Töchterschule. Sie gilt als besonders intelli- Generation: Sie war eine der ersten, die Fahrrad fuhr, gent und ehrgeizig und bekommt die Gelegenheit, an den Gymnasialkurse besuchte, ein Auto besaß (und es auch ersten gymnasialen Kursen für Mädchen teilzunehmen. selbst steuerte) und die in Männerkleidung auftrat. Zu diesem Zweck zieht sie nach Hannover, wo sie bei Be- Nicht zuletzt dadurch geriet sie in Konflikt mit dem Nazi- kannten wohnen kann. Nach ihren ersten Kontakten mit Regime und musste sich mehr und mehr ins Privatleben der Welt der Bühne im elterlichen Varieté lernt sie nun zurückziehen. Ein Comeback gelang ihr nach dem 2. Schauspiel und Oper kennen. Sie entscheidet sich gegen Weltkrieg nicht mehr. eine zunächst angestrebte Laufbahn als Ärztin und geht stattdessen zum Theater. Erste Rollen spielt sie, nun un- Orte und Länder ter dem Künstlernamen Claire Waldoff, beim Sommer- theater in Bad Pyrmont und in Kattowitz. Als sie schließ- – 1 – Waldoff, Claire lich mit einer umherreisenden Theatergruppe durch Mehr zu Biografie Oberschlesien zieht, entscheidet sie sich, nach Berlin zu gehen, da nur dort eine große Karriere möglich er- „Ach Jott, wat sind die Männer dumm!“ (T.: Ridea- scheint. Sie erhält ein erstes Engagement am Figaro- mus/H. Haller, M.: Walter Kollo) Theater bei Olga Wohlbrück. Außerdem knüpft sie Kon- Am 21. Oktober 1884 wird Clara als 11. Kind der Eltern takte zu Künstlerkreisen im Café des Westens. Clementine Wortmann, geb. Hiltrop und Wilhelm Wort- Der Durchbruch gelingt Claire Waldoff schließlich im Ka- mann, einem Gastwirt, in Gelsenkirchen in der Mühlens- barett „Roland von Berlin“, das nach der Trennung von tr. 8 geboren. So ist es zumindest im Standesamtsregis- Rudolf Nelson neue Künstler sucht. Die geplante Num- ter Gelsenkirchen verzeichnet (Maegie Koreen: Immer mer von Claire Waldoff wird von der Zensur wegen ihres feste druff. Das freche Leben der Kabarettkönigin Claire Kostüms gestrichen: nach elf Uhr sind Auftritte von Da- Waldoff. Düsseldorf 1997, S. 11f). Auffällig war anschei- men in Herrenanzügen untersagt. Der neue musikalische nend schon bei Claras Geburt, dass das Mädchen als Ein- Leiter Walter Kollo komponiert ihr daraufhin drei Lie- zige in der Familie feuerrote Haare hatte – wie ein jun- der, die am Premierenabend herausragenden Erfolg ha- ger Mann, dessen Familie ebenfalls eine Gastwirtschaft, ben – Claire Waldoff ist nun „Der Stern von Berlin“. In nur ca. 500 Meter entfernt von den Wortmanns betrieb: den folgenden Jahren tritt sie zunächst in verschiedenen Friedrich Ködding. Er war gebildet, jüngster Sohn des Kabaretts, z.B. dem „Chat Noir“ und dem „Linden-Caba- Hauses, noch Junggeselle. Dass Clara das Ergebnis eines ret“ auf, dann auch in Revuen und Operetten. Als gegen Verhältnisses, ausgerechnet mit dem Sohn der „Konkur- Ende des Ersten Weltkrieges die Kabarettbühnen und renz“ sein könnte, behagte wohl weder Wilhelm Wort- Theater in Berlin schließen müssen, geht Waldoff auf mann noch der Familie Ködding. Die Familien entschlos- Gastspielreise durch Deutschland. Zwischen den Weltk- sen sich, einen Vertrag beim Rechtsanwalt aufzusetzen riegen feiert Claire Waldoff ihre größten Erfolge, sie tritt und Clara wurde zu einem legitimen Kind Wilhelm Wort- in der Scala und im Wintergarten auf und ist einer der manns (Koreen, S. 11. Die Informationen basieren auf Stars der großen Ausstattungsrevuen des Tänzers und mündlichen Quellen). Claire Waldoff schreibt in ihren Choreographen Erik Charell. In diesen „Schauveranstal- „Erinnerungen“: „Also schon meine Geburt stand unter tungen großen Stils“ (Heinz Greul: Bretter, die die Zeit dem Zeichen einer Katastrophe“ (Claire Waldoff: Weeste bedeuten. Die Kulturgeschichte des Kabaretts. Köln noch…! Aus meinen Erinnerungen. Düsseldorf 1953, S. 1967, S. 250) verkörpert sie den volkstümlichen Gegen- 13). pol zu den in aufwändigen Kostümen und prunkvollen Die Unähnlichkeit zu ihrem „Vater“ und den Geschwis- Dekorationen auftretenden „Girls“. Claire Waldoff tern wurde mit zunehmendem Alter immer deutlicher. nimmt zahlreiche Schallplatten auf, später folgen Rund- Clara sah nicht nur anders aus, auch ihre Intelligenz und funksendungen. Während der Weltwirtschaftskrise enga- ihr Charakter unterschieden sich deutlich von dem der giert sie sich mit anderen Künstlern für die „Rote Hilfe“, Geschwister. So besuchte sie nicht wie die anderen die wodurch sie in Konflikt mit den Nazis gerät. Ihre selbst- Volksschule, sondern die höhere Töchterschule.. Als sich bewussten Auftritte in Männerkleidung sind bei den neu- Wilhelm Wortmann die Gelegenheit bot, eine größere en Machthabern nicht gern gesehen, zusätzlich ist Claire Gastwirtschaft mit Singspielbetrieb und Varieté zu über- Waldoff durch ihre langjährige Beziehung zu einer Frau, nehmen, zog die Familie nach Oberhausen. Clara konnte Olly von Roeder, gefährdet. So verlegt sie ihren Wohnsitz die Artisten von der Seitenbühne aus beobachten, lernte 1939 nach Bayerisch-Gmain in der Nähe von Bad Rei- Klavierspielen und besuchte als einziges der Wortmann- chenhall, tritt aber weiterhin auf, auch in Berlin. Doch Kinder nicht die Volks-, sondern die höhere Schule: „Die mit dem fortschreitenden Krieg werden auch Waldoffs Geschwister, Jungens und Mädels, waren nicht fürs Wei- Auftritts- und Verdienstmöglichkeiten geringer. Nach terkommen und gingen ihre eigenen Wege. Sie hatten Kriegsende, nun über Sechzig, kann sie nicht an ihre frü- nicht den Drang hinaus in die Welt. Ich aber wollte raus heren Erfolge anknüpfen. Sie gerät immer mehr in finan- aus dem Haus, wollte in die Welt, wollte in die Großstadt zielle Not, so dass sie schließlich auf die Hilfe von Freun- (…).“ (Waldoff: „Weeste noch…!“, S. 14) den und Bekannten angewiesen ist. 1957 stirbt Claire Waldoff nach mehreren Schlaganfällen in Bad Reichen- „Was die Männer können, können wir schon lange und hall. vielleicht
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