DEFGH Nr. 174, Montag, 30. Juli 2012 FEUILLETON 13 Zeit Reaktoren für das Auge Eine Retrospektive in Liechtenstein zeigt, wie Günter Fruhtrunk Figur und Grund eisern gegeneinander antreten lässt der Spießer den liegenden Leinwand fuhr, um sich vornüber ins Bild zu beugen. „Präzision und Geduld“ waren die Leitmotive eines Rumäniens neue Regierung zwingt dem Land Schaffens, das jeden Quadratzentimeter eine engstirnige Kulturpolitik auf des Bildes unter Spannung setzte. Davon künden auch architekturbezogene Arbei- ten wie die Ausmalung des „Quiet Room“ VON KLAUS BRILL für den internationalen Austausch geöff- im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen net. Alle drei Einrichtungen sollen unter in New York, den die Bundesrepublik 1978 anstelle sich das einmal vor: Ange- neuer Leitung neu ausgerichtet werden, der UNO schenkte: Es ist, als ob die Wände la Merkel wird des Plagiats be- was vor allem im Falle des Kulturinstitutes des Raums gesprengt würden. M schuldigt, sie soll vor Jahren ihre auch internationale Folgen hätte. Solche Unerbittlichkeit prägt das gesam- Doktorarbeit in weiten Teilen abgeschrie- Der Filmregisseur Cristian Mungiu te Œuvre Fruhtrunks, der seinen Anfän- ben haben. Wie reagiert sie? „Das ist doch sprach von „einer Säuberung der übelsten gen in den Fünfzigerjahren mit Erinnerun- alles nur eine politische Intrige von Herrn Art“. Und die rumäniendeutsche Literatur- gen an Malewitsch und an die konstrukti- Gauck!“, erklärt sie und tut, als sei nichts Nobelpreisträgerin Herta Müller erklärte vistischen Avantgarden des frühen 20. vorgefallen. Sie fährt nach Brüssel, gibt In- in Schweden zusammen mit dem Kollegen Jahrhunderts in den Sechzigern seine wahl- terviews, weiht eine Autobahn ein. Das Le- Tomas Tranströmer und 200 weiteren weise klaren und metrischen, dann wieder- ben geht weiter. skandinavischen Kulturschaffenden ihre um komplizierten und verschachtelten For- Dummerweise gibt es da einen akademi- „tiefe Besorgnis“. Horia-Roman Patapievi- men-Rhythmen folgen ließ. Er selbst hass- schen Kontrollausschuss für die Zertifikati- ci, Präsident des Kultur-Instituts, nahm te übrigens die banalisierende Vokabel on von Universitätsabschlüssen, der dem die Unterstützung dankbar auf und freut „Streifen“. Vorwurf des geistigen Diebstahls nach- sich, dass sein sechsjähriges Wirken jeden- Die Bilder sind Reaktoren für das Auge. geht. Einmütig kommt er zu dem Schluss, falls in der Kulturszene eine starke, positi- Sie forcieren alle Kontraste, sind grell und die Kanzlerin habe tatsächlich 85 der 307 ve Resonanz gefunden hat. Der 55-jährige doch subtil, extrem formalistisch und Seiten ihrer Promotionsarbeit aus anderen Autor sieht das Institut „als Mittler und doch von unbändiger Leidenschaft durch- Werken kopiert, ohne die Quellen anzuge- nicht als Propagandist gewisser Botschaf- drungen. Strömender Drive konkurriert ben. Das Gremium plädiert für die Aber- ten“, wie er beim Gespräch in seinem Büro mit Stakkato und Skansion. Figur und kennung des Doktortitels, doch als es sich in einem Bukarester Villenviertel sagt. In Grund werden in einen Wettbewerb ge- zur abschließenden Sitzung trifft, erfährt den 17 Außenstellen, von denen 15 in Euro- schickt, in dem beide Seiten sich ohne Aus- es, dass es gar nicht mehr amtiert. Über pa liegen, hat er zielstrebig die Einbettung sicht auf Dominanz steigern. Nacht hat die Regierung den Ausschuss der rumänischen in die europäische Kul- Schon bald wurden diese das Auge her- per Eilverordnung aufgelöst. Die Zahl sei- tur ins Licht gerückt und eine fruchtbare ausfordernden Werke in den Vereinigten ner Mitglieder wird von 20 auf 45 erhöht, Zusammenarbeit mit dortigen Vermittlern Staaten wahrgenommen. Doch die Teilnah- berufen werden sie von der Regierung. angestoßen. 330 Bücher wurden seit 2005 me an der prominenten Op-Art-Schau Bei der nächsten Sitzung befindet die herausgebracht, zahllose Veranstaltungen „The Responsive Eye“ 1965 im Museum of neue Mehrheit, mit Frau Merkels Doktorar- abgehalten, Freundschaften begründet. Modern Art in New York verhalf nicht zum beit sei alles in Ordnung. Gegen Gauck, „Das ist eine große Erfahrung, und ich bin erhofften Durchbruch in Übersee, obwohl den Bösewicht, der die Sache an die Aus- sehr stolz darauf“, sagt Patapievici. Fruhtrunks Œuvre zu der in New York da- landspresse durchgestochen hat, wird so- mals vergötterten Malerei von Hard-Edge wieso, aus anderen Gründen, ein Verfah- Herta Müller erklärt ihre und Color-Field eine unverwechselbare ren zur Amtsenthebung in Gang gesetzt, „tiefe Besorgnis“ (aber eben europäische) Variante beisteuer- das Volk hat darüber abzustimmen. te. Ohnehin beruhte es auf einem Missver- Undenkbar, unvorstellbar? In Deutsch- Nur ist ihm auch bewusst, dass gerade ständnis, die unkontrollierbaren visuellen land sicher, in Rumänien nicht. Dort ist Mi- der kosmopolitische Ansatz ihn den natio- Erscheinungen seiner Malerei mit den reti- nisterpräsident Victor Ponta, ein Sozialde- nalistisch gesinnten Politikern eher ver- nalen Effekten der Optical Art zu verwech- mokrat, exakt mit diesen Vorwürfen kon- hasst macht. Künftig soll wohl wieder seln. Sein Werk müsste heute endlich ein- frontiert worden und exakt in der beschrie- mehr rumänische Nationalkultur propa- mal im Kontext von Malern wie Kenneth benen Weise vorgegangen. Ponta hatte, als giert werden, so wie es sich die Spießer der Noland, Brice Marden, Al Held oder auch ei- er vor drei Monaten sein Amt übernahm, neuen Mehrheit vorstellen. Dem internati- nes Peter Halley diskutiert werden, um „die ehrlichste und kompetenteste Regie- onalen Austausch wird das abträglich sein, ihm den passenden internationalen Be- rung“ angekündigt, die das Land je gehabt meint Patapievici, den Nutzen haben „die zugsrahmen zu geben. Stattdessen wird es habe. Dann legte er die Kabinettsliste vor, Einflussvektoren, die aus dem Osten kom- Gefangen in der Sparte „deutsche Malerei nach 1945“ dürfen Fruhtrunks Bilder wie „Umkehrende Reihe“ von 1962-63 noch noch immer in nationalen Kategorien ei- und die Experten stutzten. Außenminister men“. immer nicht in dem Kontext stehen, den sie international verdienen. FOTO: STÄDTISCHE GALERIE LENBACHHAUS, MÜNCHEN-63/ VG BILD-KUNST, BONN 2012 ner „deutschen Malerei nach 1945“ behei- Andrei Marga, ein Liberaler, früher Bil- Patapievici wird gewiss auch deshalb ab- matet oder aus den Zusammenhängen sei- dungsminister und Uni-Rektor in Klausen- gestraft, weil er sich in früheren Bataillen nes Pariser Frühwerks hergeleitet. burg, hat in der Außenpolitik null Erfah- auf die Seite des konservativen Präsiden- Andere Künstler hätten den Auftrag als sche Gegenwart der Siebzigerjahre: streng, „Wunsch, der Mittelmäßigkeit und Banali- In seltener Souveränität und wie sonst rung. Victor Alistar, Minister ohne Porte- ten Traian Basescu geschlagen hat, der ihn Coup gefeiert und ein höheres Honorar für unnachgiebig, technizistisch, metallen im tät zu entkommen“. Die Tätigkeit an der nur wenige andere europäische Maler nä- feuille, durfte wegen eines alten Gerichts- ins Amt brachte. Es ist kein Einzelfall. Der sich rausgeschlagen. Doch Günter Fruh- Klangbild. Eine Karikatur im Magazin Akademie empfand er als Belastung, wahr- hert sich Fruhtrunk um 1980 der amerika- urteils gar kein solches Amt übernehmen. Geist steht in Rumänien und anderen Län- trunk nannte die Geschichte mit der Aldi- Stern vom Dezember 1981 zeigt Helmut genommen wurde er aber als „Anreger von nischen Farbfeldmalerei – vergleichbar in Ähnlich der Schauspieler Mircea Diaconu, dern des postkommunistischen Kosmos Tüte seinen „Sündenfall“, und er bereute Schmidt, der sich auf der Couch fläzt und Format“, als „bohrender und philoso- seiner Unabhängigkeit etwa mit Blinky Pa- der also auf die Übernahme des Kulturmi- nicht links, wie man das aus Westeuropa ihn nachhaltig. Tatsächlich ließ sich die mit dem vor ihm stehenden Willy Brandt phisch verbohrter, diskussionsbereiter Au- lermo. Das Stakkato beruhigt sich, die nisteriums verzichten musste. Bildungsmi- vielfach kennt. Der Intelligenzija in Mittel- Dienstleistung für die Lebensmittel-Kette die Ostpolitik erörtert. Überm Sofa ßenseiter“ (Laszlo Glozer). Der Liebhaber Farbflächen werden stattlicher, massiver, nisterin sollte Corina Dumitrescu werden, und Osteuropa hat der erlebte Kommunis- mit seinem künstlerischen Ethos nur schmückt eine klassische Komposition hoher Geschwindigkeiten am Volant eines wuchtiger, aber keineswegs friedlicher, doch auch sie wurde fallen gelassen. In ih- mus alle linken Utopien gründlich ausge- schwer vereinbaren, möchte man sich von Fruhtrunk die Wand – als Attribut Alfa Romeo Giulia war in den späteren Jah- sondern vielmehr giftiger, fremder, verstö- rem Lebenslauf hatte sie behauptet, an der trieben. Nach 1989 fand man deshalb hoch- ernsthaft vorstellen, ein Barnett Newman pragmatischer Geistesschärfe und moder- ren seines Lebens, dem er 1982 in der Aka- render. Eine „Toxische Nymphea“ arbei- Stanford University internationales Recht angesehene Freiheitskämpfer wie Vaclav hätte das Woolworth-Logo entworfen? Als ner (wiederum bundesdeutscher) Zeitge- demie ein Ende setzte, geplagt von immer tet, wie es im Untertitel heißt, „für und ge- studiert zu haben, was die Universität de- Havel, Adam Michnik oder Mircea Dinescu Designer für einen Discounter tätig gewor- nossenschaft. Tatsächlich hing im Bonner heftigeren Schmerzen einer Kopfverlet- gen Monet“, nicht minder arbeitet sie für mentierte. Der neue Kandidat für das Amt, eher auf der liberalkonservativen Seite des den zu sein – dafür schämte sich der Kanzlerbungalow seit den Tagen des
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